Mythen der Energiewende

  • Search12.02.2025

Schluss mit Fake News über Klima und Energie!

Über die Energiewende kursieren zahlreiche Falschbehauptungen. Wir stellen sie richtig

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    Mythos Nummer 16: Der steigende Energieverbrauch

    Wärmepumpen, Elektroautos, grüner Wasserstoff – für all das ist viel Strom nötig. Je nach zugrunde gelegtem Szenario wächst der Stromverbrauch bis 2045 auf bis zu 1300 Terawattstunden. Im vergangenen Jahr hat Deutschland gerade mal ein Drittel davon erzeugt. Der Bedarf wird also künftig kräftig wachsen.

    Und trotzdem sinkt der Gesamtenergieverbrauch. Denn durch die Umstellung auf saubere Rohstoffe wie Sonne, Wind, Wasser und Biomasse werden die Rohstoffe der fossilen Welt – Kohle, Öl und Gas – schrittweise ersetzt. Und diese Rohstoffe sind extrem ineffizient. Sie verschwenden einen großen Teil der ihnen innewohnenden Energie.

    Oft heißt es, mit der Energiewende steige der Energieverbrauch. Doch das ist Unsinn. Er sinkt bereits seit Jahren. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Besonders schön lässt sich das am Auto zeigen. Verbrenner mit Benzin- oder Dieselmotor setzen nur 20, 30 oder höchstens mal 45 Prozent ihrer Energie in Bewegung um. Der Rest verpufft in Form heißer Abgase. Anders sieht es bei E-Autos aus. Sie kommen auf einen Wirkungsgrad von 80 Prozent. Selbst wenn man Ladeverluste einberechnet, sind es noch um die 65 Prozent.

    Ähnlich verhält es sich in anderen Sektoren. Selbst die besten Kohlekraftwerke etwa haben einen Wirkungsgrad von nicht einmal 50 Prozent.

    Mythos Nummer 15: Strom ist teuer wie nie

    Kaum ein energiepolitisches Thema wird so heiß diskutiert wie die Strompreise. Seit die Preise während der Energiekrise nach dem russischen Überfall auf die Ukraine in die Höhe schossen, stöhnen Verbraucher und Unternehmen über die Last. Wer zu dieser Zeit einen neuen Vertrag abschließen musste, hat vermutlich so viel für seinen Strom bezahlt wie nie zuvor. Schuld daran war insbesondere der Gaspreis, der über das Merit-Order-Prinzip die Strompreise in ungekannte Höhen katapultierte.

    Inzwischen allerdings sind die Preise wieder stark gesunken. Das gilt sowohl für Verbraucher als auch für Unternehmen, die jetzt einen neuen Vertrag abschließen. Nach Zahlen des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) liegen die Preise für neue Verträge von Industriebetrieben mit einem Jahresverbrauch von bis zu 20 Millionen Kilowattstunden derzeit sogar so niedrig wie seit 2016 nicht mehr.

    Der Strompreis ist nach Russlands Überfall auf die Ukraine extrem gestiegen, weil sich Kohle und Gas enorm verteuert haben. Inzwischen liegen die Preise wieder deutlich niedriger.

    Das ändert allerdings nichts daran, dass beispielsweise Unternehmen, die ihren Strom kurzfristig an der Börse kaufen, zu manchen Zeiten extrem hohe Kosten haben. Es gibt zwar zunehmend Zeiten negativer Preise, aber eben auch Hochpreisphasen mit massiven Ausschlägen, etwa in Dunkelflauten.

    Um diese Ausschläge zu glätten, hilft beispielsweise ein Ausbau von Speichern. Sie werden in Zeiten niedriger Preise befüllt und speisen ihren Strom dann ins Netz ein, wenn der Bedarf – und entsprechend auch die Preise – hoch sind.

    Mythos Nummer 14: Deutschland ist zu klein

    Deutschland ist ein dicht besiedeltes Land und die Konkurrenz um Flächen entsprechend groß. Äcker, Siedlungen, Gewerbegebiete, Straßen – all das benötigt Platz. Der Bau von Wind- und Solarparks macht die Sache nicht einfacher. Was die Frage aufwirft: Ist Deutschland womöglich zu klein für die Energiewende?

    Nein. Studien zufolge hat Deutschland genügend Platz für erneuerbare Energien. Für die Windkraft sind gesetzlich zwei Prozent der Landesfläche vorgesehen, was dem Umweltbundesamt zufolge ausreicht. Und auch in der Solarenergie ist der Flächenbedarf zwar nicht unerheblich, aber doch überschaubar, wenn man ihn ins Verhältnis zu anderen Nutzungsformen setzt (siehe Infografik). Bis zum Jahr 2030 geht der Bundesverband Neue Energie (BNE) von einem Bedarf von 0,3 Prozent der Fläche aus. Allerdings wird Deutschland zusätzlich zum selbst erzeugten Strom auch Importe brauchen.

    Bodenfläche in Deutschland nach Nutzungsart, Anteile in Prozent: Für Solarenergie wird nur ein Bruchteil der Fläche benötigt, den beispielsweise der Verkehr in Anspruch nimmt.

    Eine Vollversorgung mit Energie aus heimischer Produktion gab es allerdings weder in der Vergangenheit, noch strebt Deutschland sie in Zukunft an. Auch heute ist das Land nicht autark. Wir importieren gewaltigen Mengen Energie, vor allem in Form von Kohle, Öl und Gas. (Stromimporte machen nur einen Bruchteil davon aus.) Künftig werden die Importe zunehmend aus erneuerbaren Quellen stammen.

    Autarkie ergibt zudem schon ökonomisch keinen Sinn: Es ist günstiger, Strom im europäischen Verbund zu handeln. Mal ist er in Deutschland günstiger, mal in Skandinavien, Frankreich oder den Alpenländern. Durch den Austausch werden die Preisspitzen gekappt.

    Mythos Nummer 13: Die Herkunft des Lithiums

    Lithium ist ein entscheidender Rohstoff für die Energiewende. Das Leichtmetall kommt in Lithium-Ionen-Akkus zum Einsatz, die sich durch großes Speichervolumen, lange Lebensdauer und geringes Gewicht auszeichnen. Das macht Lithium so wertvoll, für E-Autos und Batteriespeicher ebenso wie für Handys und Laptops.

    Doch kein Rohstoff lässt sich ohne Umwelteingriffe fördern. Für Schlagzeilen sorgt insbesondere der extrem umweltschädliche Lithium-Abbau in Lateinamerika. Und ausgerechnet in Bolivien liegen besonders große Vorkommen. Doch ist das ein Argument gegen die Energiewende? Nein.

    Weltweite Lithium-Vorkommen in Millionen Tonnen: Bolivien, Argentinien, die USA, Chile und Australien besitzen große Vorräte des Akkurohstoffs.

    Denn auch wenn Energiewende-Gegner immer wieder auf Umweltzerstörungen in bolivianischen Salzseen verweisen, wird das mit Abstand meiste Lithium in ganz gewöhnlichem Bergbau in Australien gefördert. Von dort stammen 50 bis 60 Prozent des Rohstoffs. Gut ein Viertel entfällt auf Chile.

    Natürlich sollte der Abbau überall auf der Welt so umweltfreundlich wie möglich erfolgen. Doch wer allein auf die Schäden durch die Lithium-Förderung verweist, blendet den um ein Vielfaches größeren Schaden durch die Förderung fossiler Rohstoffe wie Kohle, Öl und Gas aus – der durch Lithium perspektivisch reduziert werden könnte.

    Künftig könnte Lithium zudem sogar aus heimischem Abbau kommen – etwa als kostbares Nebenprodukt bei Erdwärmebohrungen.

    Mythos Nummer 12: Renaissance der Atomkraft

    Es hat etwas von „Und täglich grüßt das Murmeltier“: Alle paar Monate kündigt irgendein Land auf der Welt den Bau neuer Kernkraftwerke an, und schon ist von einer „Renaissance der globalen Atomenergie“ die Rede, der sich einzig Deutschland beharrlich verweigere. Doch das ist Unsinn. Die Fakten sprechen eine grundlegend andere Sprache:

    • Der Anteil der Atomenergie an der weltweiten Stromproduktion sinkt bereits seit den Neunzigern; er hat sich auf gut neun Prozent annähernd halbiert.
    • Die Zahl der weltweiten Atomkraftwerke hat ihren Zenit bereits vor der Tschernobyl-Katastrophe 1986 überschritten. Seither überstieg die Zahl der Stilllegungen meist die der neu in Betrieb genommenen Anlagen.
    • Einzig China hat in den vergangenen Jahren in nennenswertem Umfang neue Reaktoren gebaut. Doch auch dort wächst die Stromerzeugung aus Erneuerbaren um ein Vielfaches schneller.
    Seit Jahre wird über eine angebliche Renaissance der Atomenergie gesprochen. Die Zahlen belegen das Gegenteil: Der Einfluss der Atomenergie schwindet.

    Die Ursache für den Niedergang der Atomenergie ist in erster Linie ökonomischer Natur: Atomstrom ist schlicht zu teuer. Die wenigen Reaktoren, die in Europa zuletzt nach massiven Kostensteigerungen und jahrelangen Bauverzögerungen ans Netz gingen, wären ohne staatliche Subventionen nie gebaut worden. Selbst der französische Rechnungshof warnte zuletzt eindringlich vor einem weiteren Ausbau der Atomkraft.

    Zudem wäre kein Versicherungskonzern bereit, die Risiken eines Super-GAUs zu übernehmen. Erneuerbare Energien werden dagegen immer öfter auch ohne staatliche Förderung installiert.

    Und auch zur Deckung der sogenannten Grundlast sind Atomkraftwerke nicht nötig. Dazu sind die Erneuerbaren auch selbst in der Lage, wenn nötigen Speicher gebaut und die Stromnetze intelligent gemanagt werden.

    Mythos Nummer 11: Ursachen des Vogelsterbens

    Gegner der Energiewende stellen Windräder oft als wesentlichen Grund für das Vogelsterben dar; die Rede ist von „Schreddermaschinen“. Tatsächlich sind die Rotorblätter eine Gefahr für Vögel. Der Naturschutzbund (Nabu) geht von 100.000 getöteten Vögeln pro Jahr aus. Das ist viel, keine Frage. Doch die um ein Vielfaches größeren Gefahren für Vögel sind andere:

    • In Glasscheiben sterben nach Nabu-Schätzung jährlich bis zu 115 Millionen Vögel in Deutschland.
    • Hauskatzen töten zwischen 20 Millionen und 100 Millionen Vögel.
    • Durch Kollisionen mit Lastwagen, Pkw oder Zügen sterben geschätzt 70 Millionen Vögel.
    • In Stromleitungen sind es 1,5 bis 2,8 Millionen Vögel.

    Und dann gibt es noch eine indirekte Ursache für das Vogelsterben mit massiven Auswirkungen: Der Mensch raubt ihnen zusätzlich die Nahrungsquelle. „Die größte Gefahr sind die ausgeräumten Agrarlandschaften“, sagt der Präsident des Deutschen Naturschutzrings Kai Niebert im EnergieWinde-Interview. „Das sind meist Monokulturen, in denen Vögel wenig bis nichts zu fressen finden. Werden dort Gifte gegen Nager ausgebracht, sterben zudem auch Greifvögel, die diese Nager fressen.“

    Ursache für Vogelsterben in Deutschland in Vorfällen pro Jahr: Die mit Abstand meisten Vögel sterben laut dem NABU durch Glasscheiben, den Verkehr und Katzen.

    Natürlich sind auch 100.000 getötete Vögel in Windrädern eine hohe Zahl. Deshalb arbeiten Forscher und die Windindustrie an Methoden, um Vögel besser zu schützen. Dazu setzen sie unter anderem auf Hightech: Kameragestützte Systeme in Windparks erfassen, wenn sich etwa Rotmilane einem Windrad nähern, und bremsen die Anlage ab, sodass die Tiere gefahrlos hindurchfliegen können.

    Mythos Nummer 10: Die Gefahr von Dunkelflauten

    Es gibt Zeiten, in denen sich die Sonne tagelang nicht zeigt und kaum ein Lüftchen weht, im Volksmund Dunkelflauten genannt. Die Erneuerbaren in Deutschland liefern dann wenig Strom und die Importmengen steigen: aus dänischen Windparks etwa, aus norwegischen Wasserkraftwerken oder aus französischen Atommeilern. „Seht ihr?“, rufen Energiewende-Skeptiker dann, „wir hängen am Tropf des Auslands.“ Doch das ist falsch.

    Denn Deutschland hat genügend Reserven in der Hinterhand, um auch ohne Importe seinen Strombedarf zu decken. Die Bundesnetzagentur genehmigt die Stilllegung fossiler Kraftwerke nur, wenn sichergestellt ist, dass genügend Kapazitäten vorhanden sind, um Blackouts zu verhindern. Es müssen jederzeit genügend Kraftwerke in Reserve sein.

    Deutschland hat auch in Dunkelflauten mehr als genug Reserven, um seine Stromversorgung ohne Importe aus dem Ausland zu sichern. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Im vergangenen Jahr hatte Deutschland am 15. Januar um 11.30 Uhr seinen höchsten Stromverbrauch, wie aus Zahlen von Energy-Charts hervorgeht. Der Bedarf lag bei 75,8 Gigawatt. Zugleich verfügte Deutschland über eine wetterunabhängige Kraftwerkskapazität von 100,8 Gigawatt.

    Dass in Dunkelflauten nicht mehr heimische Kraftwerke angeworfen werden, sondern die Importe aus dem Ausland steigen, hat einen simplen Grund: den Preis: Es ist schlicht günstiger, Strom im europäischen Verbund etwa aus Wasserkraftwerken in den Alpen zu importieren, als teure Gas- oder Kohlekraftwerke in Deutschland hochzufahren.

    Umgekehrt flutet Deutschland in den immer häufiger vorkommenden Zeiten von Stromüberschüssen seine Nachbarländer mit günstigem Ökostrom – und sorgt so auch dort für fallende Preise.

    Mythos Nummer 9: Deutschlands CO2-Ausstoß

    Wer betont, dass Deutschland nur gut zwei Prozent zum weltweiten Treibhausgasausstoß beiträgt, will damit in der Regel sagen, dass a) Deutschlands Einfluss auf den Klimawandel vernachlässigbar klein sei, und b) erst einmal die vielen anderen Länder mit höherem Ausstoß anfangen sollten, ihre Emissionen zu verringern, bevor Deutschland etwas tun müsse. Doch diese Argumentation ist auf gleich mehreren Ebenen falsch:

    • Als bevölkerungsreichstes Land der EU hat Deutschland großen Einfluss darauf, wie ehrgeizig der Kontinent in seinen Klimaschutzanstrengungen ist – und die EU ist neben den USA und China einer der drei großen Wirtschaftsblöcke weltweit.
    • Deutschland hat sich früher industrialisiert als viele andere Länder und folglich auch früher begonnen, in großem Stil CO2 in die Atmosphäre zu blasen. Historisch gesehen liegt Deutschland deshalb auf Rang fünf der größten CO2-Emittenten und trägt entsprechend Verantwortung.
    • Auch heute haben von den 195 Ländern weltweit nur acht einen höheren CO2-Ausstoß als Deutschland. Mit dem Finger auf andere zu zeigen, wäre moralisch fehl am Platz.
    Nur acht Länder weltweit haben einen höheren CO2-Ausstoß als Deutschland. Historisch betrachtet, ist der Anteil Deutschlands am Klimawandel sogar noch höher.

    Mythos Nummer 8: Ursachen des Klimawandels

    Richtig ist, dass sich das Klima schon immer gewandelt hat. Es gab langwährende Eis- und Warmzeiten, und auch Einzelereignisse wie die Explosion von Supervulkanen hatten kurzfristige Auswirkungen auf das Klima. Die aktuell stattfindende Erderwärmung ist nach den Erkenntnissen einer übergroßen Mehrheit von Forschern allerdings nur durch den menschenverursachten Anstieg der CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre zu erklären.

    Würde das Klima ausschließlich natürlichen Faktoren unterliegen – etwa Veränderungen der Strahlungsaktivität der Sonne – hätte es sich im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte geringfügig abkühlen müssen. Stattdessen aber wird es immer wärmer. 2024 wurde die Marke von 1,5 Grad globaler Erwärmung gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter erstmals überschritten.

    Weltweite CO2-Emissionen nach Quelle seit dem Jahr 1800: Kohle, Öl und Gas sind die mit Abstand größten Treibhausgas-Verursacher.

    Verantwortlich dafür ist der Anstieg von Treibhausgasen wie CO2 in der Atmosphäre. Und dieser wiederum lässt sich auf menschliche Aktivitäten zurückführen – insbesondere auf das Verfeuern von fossilen Brennstoffen wie Kohle, Öl und Gas. Auch Industrien wie die Zementherstellung tragen dazu bei, ebenso die Abholzung von Wäldern.

    So kommt es zum Treibhauseffekt. Vereinfacht erklärt: Das CO2 in der Atmosphäre verhindert, dass die von der Erde reflektierte Sonnenwärme vollständig in den Weltraum entweichen kann. Je höher die Konzentration von CO2 (und weiteren Treibhausgasen wie Methan), desto mehr Wärme bleibt in der Atmosphäre und erhöht die globale Temperatur.

    Mythos Nummer 7: Was Klimaschutz kostet

    Klimaschutz gilt vielen als Elitenprojekt – als etwas, das sich nur Besserverdienende leisten können. Zudem gibt es die Sorge, dass Unternehmen durch teure Klimaschutzmaßnahmen an Wettbewerbsfähigkeit verlieren und Fabriken schließen oder ins Ausland verlagern könnten. Richtig daran ist, dass etwa die Anschaffung einer Wärmepumpe tatsächlich viel Geld kostet. Auch die Industrie muss investieren, um fossile durch saubere Brennstoffe zu ersetzen. Gerade sozial Schwächere brauchen daher Unterstützung, um nicht in die Energiearmut abzurutschen. Und für Unternehmen muss die Politik sinnvolle Rahmenbedingungen schaffen, um ihnen den Wandel zu ermöglichen.

    Fest steht allerdings auch, dass es viel teurer würde, am Status quo festzuhalten und auf Klimaschutz zu verzichten. Denn mit jedem Zehntelgrad Erderwärmung steigt das Risiko von Dürren, Hitzewellen, Waldbränden, Stürmen und Sturzfluten. Solche Extremwetterereignisse sind nicht nur eine Bedrohung für Leib und Leben. Sie vernichten darüber hinaus Werte in Milliardenhöhe.

    Von Versicherungen regulierte Schäden durch Extremwetter und Naturgefahren in Deutschland nehmen durch den Klimawandel zu. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Mythos Nummer 6: Der deutsche Sonderweg

    „Deutschland ist ein Geisterfahrer in der Energiepolitik“, liest man oft. Soll heißen: Überall auf der Welt werden neue Kohle- und Atomkraftwerke gebaut, während die Deutschen im Alleingang versuchen, das Klima mit erneuerbaren Energien zu retten. Doch die Behauptung stimmt nicht. Tatsächlich boomen saubere Technologien weltweit.

    Das zeigt etwa ein Blick auf die Energiequellen, aus denen die Welt ihren Strom erzeugt: Während der Anteil von Kohle, Gas, Öl und Kernkraft seit Jahren stagniert, wächst der von erneuerbaren Energien rasant. Nach Daten der Internationalen Energieagentur (IEA) werden sie schon in diesem Jahr zur wichtigsten Stromquelle überhaupt.

    Weltweite Investitionen in erneuerbare und fossile Energieträger in Billionen Dollar: Die Welt steckt weitaus mehr Geld in saubere als in fossile Technologien.

    Vielleicht noch eindrucksvoller ist die Summe, die Investoren weltweit in den Cleantech-Sektor stecken, also in Technologien, die dem Klimawandel entgegenwirken und die Umwelt schützen. Laut dem World Energy Outlook der IEA vom vergangenen Jahr wuchs die Summe bis 2023 weltweit auf unvorstellbare 1,8 Billionen (!) Dollar. Im fossilen Sektor waren es 1,1 Billionen. Bemerkenswert daran ist auch, dass die Investments in fossile Technologien während der ersten Präsidentschaft von Donald Trump nicht etwa stiegen, sondern sanken.

    Mythos Nummer 5: Klimaschutz und Arbeitsmarkt

    Vor allem für die Energiebranche bedeutet Klimaschutz einen gewaltigen Strukturwandel. In den konventionellen Energien fallen Jobs weg, in den regenerativen entstehen neue. Das ist mit harten Einzelschicksalen verbunden.

    Gesamtgesellschaftlich aber ist Klimaschutz ein Wirtschaftstreiber: durch Arbeitsplätze im Green-Tech-Sektor genauso wie durch Technologien, die Deutschland in alle Welt exportiert – und nicht zuletzt natürlich durch vermiedene Klimaschäden, die Gesellschaft und Wirtschaft ansonsten teuer zu stehen kommen würden.

    Die Energiewende ist ein Jobmotor: Im Jahr 2022 arbeiteten rund 388.000 Menschen in Deutschland im Bereich der erneuerbaren Energien.

    Nach Zahlen des Umweltbundesamts arbeiteten in den erneuerbaren Energien 2022 gut 388.000 Menschen in Deutschland. Davon entfielen 124.000 Jobs allein auf die Windkraft. Neuere Zahlen sind noch nicht verfügbar, doch angesichts des Booms der Erneuerbaren dürfte der Sektor heute eher noch mehr Menschen Arbeit geben. Zum Vergleich: Der deutsche Braunkohletagebau zählte zuletzt gut 17.000 Beschäftigte. Bereits seit Anfang der Neunzigerjahre ist die Zahl stark rückläufig.

    Die Stromerzeugung ist aber nicht der einzige Bereich, in dem die Energiewende neue Jobs schafft. Der Cleantech-Sektor wächst darüber hinaus in Bereichen wie Energieeffizienz, Kreislaufwirtschaft und sauberer Mobilität.

    Mythos Nummer 4: Wie viel Energie wir importieren

    „Deutschland wird zum Strombettler“ – so titelte die „Bild“-Zeitung bereits 2023. Seither legt das Blatt gern nach, wenn das Land Phasen erlebt, in denen es mehr Strom importiert als exportiert. Der Tenor: Durch die Energiewende samt Atom- und Kohleausstieg gerate Deutschland zunehmend in Abhängigkeit vom Ausland; obendrein müsse Deutschland viel für den Auslandsstrom bezahlen.

    Richtig ist, dass Deutschland zuletzt tatsächlich mehr Strom aus dem Ausland eingeführt als ins Ausland geliefert hat. Doch die Behauptung einer Abhängigkeit ist ebenso falsch wie das Bild vom Strombettler. Denn in Wirklichkeit importiert Deutschland den Strom nicht, weil es sich nicht selbst versorgen könnte, sondern schlicht, weil es in manchen Zeiten günstiger ist, Strom aus dänischen Windparks, österreichischen Wasserkraftwerken oder auch französischen Atommeilern zu beziehen. Denn diese Quellen sind in der Regel günstiger als deutsche Kohle- und Gaskraftwerke, die ansonsten hochgefahren werden müssten, wenn die Erneuerbaren gerade weniger Strom liefern als nachgefragt wird. Die Stromimporte sind also eine rationale ökonomische Entscheidung, durch die Verbraucher und Unternehmen hierzulande Geld sparen. Die Versorgung könnte auch mit heimischen Kraftwerken gedeckt werden. Nur wäre es dann teurer.

    Deutschland muss gewaltige mengen an Öl, Gas und Kohle importieren. Der Stromimport ist im Vergleich dazu verschwindend gering.

    Ohnehin verkennt die Diskussion über eine vermeintliche Strombettelei eine viel gravierendere Tatsache: Deutschland überweist nämlich tatsächlich Milliarden für Energieimporte ins Ausland: für Kohle, Öl und Gas. Diese Importmenge übersteigt die eingeführte Strommenge um ein Vielfaches.

    Die gute Nachricht: Je weiter der Umstieg auf saubere Technologien fortschreitet, desto weniger dieser klimaschädlichen fossilen Energieträger muss Deutschland einkaufen. Autark werden wir aber auch in Zukunft nicht sein. Doch statt Kohle, Öl und Gas, die oft genug Kriege und Konflikte in aller Welt befeuern, werden wir künftig vermehrt saubere Energie importieren, sei es in Form von Strom oder Gasen wie Wasserstoff.

    Mythos Nummer 3: Die Existenz des Klimawandels

    US-Präsident Donald Trump hat den Klimawandel einst als Erfindung der Chinesen bezeichnet. Doch die Behauptung, es gebe gar keine Erderwärmung, wird mittlerweile seltener – zu zahlreich und eindeutig sind die Belege.

    So lag die globale Oberflächentemperatur von Land und Meeren nach Messungen der US-Wetter- und Ozeanografiebehörde (NOAA) im vergangenen Jahr um 1,6 Grad über dem als Vergleichsmaßstab zugrunde gelegten Durchschnitt des 20. Jahrhunderts. 2024 war demnach das heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Grund dafür ist der NOOA zufolge der menschengemachte Klimawandel, wobei das Wetterphänomen El Niño die Temperaturen im vergangenen Jahr zusätzlich in die Höhe getrieben habe.

    Global Warming Stripes: Die berühmte Grafik des Briten Ed Hawkins veranschaulicht die globale Erwärmung in eindrucksvoller Klarheit.

    Eine Erwärmung um 1,5 oder schlimmstenfalls zwei Grad ist laut dem Weltklimarat das gerade noch zu verkraftende Maß. Mit jedem weiteren Zehntelgrad verschärfen sich demnach die Folgen des Klimawandels: Es kommt zu häufigeren und heftigeren Wetterextremen wie Stürmen, Hitzewellen, Dürren, Hochwasser und Starkregen.

    In Deutschland werden die Temperaturen seit 1881 erfasst. Die Zahlen belegen auch hier eine dramatische Erwärmung: Neun der zehn heißesten Jahre wurden laut dem Deutschen Wetterdienst (DWD) seit 2010 registriert. Das letzte deutlich zu kühle Jahr war 1996.

    Der Klimaforscher Ed Hawkins hat die globale Erwärmung in einer Grafik von eindrucksvoller Klarheit veranschaulicht. Auf seiner Website bietet der Brite solche Grafiken für jedes Land der Welt zum freien Download an.

    Mythos Nummer 2: Die Rolle des Einzelnen

    Nicht nur Kohlekraftwerke, Containerschiffe oder die Abholzung des Amazonas belasten das Klima. Jeder Einzelne von uns trägt dazu bei – in Deutschland derzeit im Schnitt mit gut 10,8 Tonnen CO2 pro Kopf im Jahr. Vor allem der individuelle Konsum ist dafür verantwortlich, aber auch die Frage, wie man sich ernährt, die Wohnung heizt oder reist. Deshalb lohnt es sich, an diesen Stellschrauben zu drehen.

    Natürlich bringt erst die Masse individueller Verhaltensänderungen einen Effekt für das Klima. Aber spätestens die Fridays-for-Future-Bewegung hat gezeigt, dass Klimaschutz in vielen Ländern das Potenzial besitzt, die Massen zu mobilisieren. Zwar scheint das Pendel derzeit in eine andere Richtung auszuschlagen, doch das muss nicht so bleiben. Denn die Entwicklung der Gesellschaft ist ein dynamischer Prozess, der sich immer wieder ändert – auch dank individueller Vorbilder wie seinerzeit Greta Thunberg.

    Durchschnittlicher CO2-Fußabdruck in Deutschland pro Kopf und Jahr: In den Bereichen Konsum, Wohnen und Mobilität setzen Deutsche am meisten CO2 frei.

    Doch genauso wie jeder Verantwortung für sein Tun trägt, ist klar, dass erst eine Veränderung des gesellschaftlichen Rahmens ein Leben gänzlich ohne klimaschädliche Auswirkungen ermöglichen kann. Noch sind wir allzu oft auf Technologien und Verhaltensweisen angewiesen, die CO2 freisetzen. Der Staat und Unternehmen besitzen die größten Hebel, um das zu ändern – und dem Individuum auf diese Weise zu helfen, seinen CO2-Fußabdruck zu verkleinern.

    Mythos Nummer 1: Die Mär vom billigen Atomstrom

    Man kann geteilter Meinung sein, ob Deutschland seine letzten drei Atomkraftwerke zu früh stillgelegt hat. Schließlich waren die alten Reaktoren abgeschrieben und lieferten zuletzt gut sechs Prozent des deutschen Stroms. Dass ein Wiedereinstieg in die Atomenergie samt neuer Reaktoren das Land mit billiger Energie fluten würde, ist allerdings ein Trugschluss.

    Denn selbst wenn man die Milliardenkosten für die Entsorgung und die jahrhundertelange Lagerung des Strahlenmülls vernachlässigt, ist Atomstrom extrem teuer. Einer Studie des Fraunhofer ISE zufolge kostet die Produktion einer Kilowattstunde Atomstrom aus einem neuen Reaktor je nach konkreten Gegebenheiten zwischen 14 und 49 Cent. Das ist ein Vielfaches der Kosten von Windparks (zwischen vier und zehn Cent) und Fotovoltaikanlagen (vier bis sieben Cent).

    Stromgestehungskosten: Atomkraft ist die mit Abstand teuerste Stromquelle. Windräder und Solaranlagen produzieren Strom um ein Vielfaches günstiger.

    Dass sich der Mythos vom günstigen Atomstrom dennoch so hartnäckig hält, dürfte mindestens zwei Ursachen haben: zum einen den jahrzehntelangen Lobbyismus der Atomindustrie, die fälschlich behauptete, die Stromnetze vertrügen nicht mehr als vier Prozent Ökostrom. Und zum anderen der Blick nach Frankreich. Denn unsere Nachbarn, die in der Vergangenheit teils mehr als zwei Drittel ihres Stroms in Kernkraftwerken erzeugt haben, zahlen im Schnitt deutlich niedrigere Preise.

    Das liegt allerdings nicht daran, dass die 57 französischen Reaktoren, die sich allesamt in Besitz des Staatskonzerns EDF befinden, so günstig produzieren würden. Vielmehr ist der Preis staatlich gedeckelt – mit der Folge, dass EDF inzwischen einen Schuldenberg von mehr als 50 Milliarden Euro angehäuft hat. Statt über die Stromrechnung werden die Franzosen über kurz oder lang mit ihren Steuern dafür aufkommen müssen. Der französische Rechnungshof hat Pläne zum weiteren Ausbau der Atomkraft deshalb scharf kritisiert.

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