Klimaforscherin Friederike Otto

  • Search18.05.2021

Die Sturmdeuterin

Friederike Otto erforscht, wie viel Klima in einzelnen Wetterereignissen steckt. Im Interview erklärt die Oxford-Professorin, wie das funktioniert, was die britische Klimapolitik besser macht als die deutsche und warum sie sich einen Klimabericht in der Tagesschau wünscht.

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    Friederike Otto erklärt im Interview, warum sie die Initiative "Klima vor acht" für extrem wichtig hält: Der Klimawandel müsse Bestandteil der Tagesschau werden.

    Ihr Abi sei schlecht gewesen, sagt Friederike Otto. Also studierte sie Physik, setzte einen Doktor in Philosophie drauf und wurde in Oxford zur Mitbegründerin einer neuen Wissenschaftsdisziplin: der Attributionsforschung.

     

    Von Volker Kühn

    Eigentlich hat Friederike Otto keine Zeit an diesem Morgen. Sie arbeitet an einer neuen Studie, ihr Beitrag zum aktuellen Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC muss noch fertig werden und als Leiterin des Instituts für Umweltveränderungen der Uni Oxford gäbe es hundert andere Dinge, um die sie sich kümmern könnte. Trotzdem nimmt sich die Professorin eine knappe Stunde Zeit für dieses Interview: Es sei wichtig, dass Forscher ihre Erkenntnisse in der Öffentlichkeit erklären.

    Für ihre Forschung gilt das womöglich umso mehr, schließlich ist sie der Kopf der Attributions- oder Zuordnungsforschung, einer jungen, noch wenig bekannten Disziplin. Otto und ihr Team tun das, was sich die Klimawissenschaft lange nicht zugetraut hat: Sie errechnen, wie die Erderhitzung einzelne Phänomene wie Hurrikans oder Hitzewellen beeinflusst. Das macht sie zu einer weltweit gefragten Expertin. Ihre Erkenntnisse hat sie 2019 in ihrem Sachbuch-Bestseller „Wütendes Wetter“ zusammengefasst.

    Otto, die 1982 in Kiel geboren wurde, lebt schon so lang in England, dass ihr manchmal ein „but“ rausrutscht, wenn sie „aber“ sagen möchte. Sie schaltet sich per Video aus der Universität zu.

    Frau Otto, lassen Sie uns über das Wetter reden. Gerade ging die Meldung durch die Presse, dass der zurückliegende April der kälteste in Europa seit 2003 war. Haben Sie in England auch gefroren?
    Friederike Otto: Ja, hier war es auch ungewöhnlich kalt. Wir hatten teilweise drei Grad unter null, das erlebt man in Oxford selbst im Winter selten.

    Gewöhnlich beschäftigen Sie sich eher mit Dürren oder Hitze. Ist die aktuelle Kältewelle trotzdem ein Fall für Ihre Attributionsforschung?
    Otto: In der Tat. Wir arbeiten gerade mit Kollegen in Frankreich daran, der Sache auf den Grund zu gehen. Im Zuge des Klimawandels werden solche Ereignisse tendenziell noch seltener, als sie in der Vergangenheit schon waren. Aber gerade dadurch steigen paradoxerweise die Schäden. Obstbäume oder Wein zum Beispiel blühen durch die Erderwärmung immer früher und damit in einer Phase des Frühlings, in der es grundsätzlich noch zu Frost kommen kann. Wenn der Fall dann tatsächlich mal eintritt, sind die Ernteausfälle deshalb umso größer. Die Frostschäden nehmen also zu, obwohl es durch den Klimawandel insgesamt wärmer wird.

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    Wir vergleichen das Wetter, das wir in der realen Welt beobachten, mit dem einer fiktiven Welt, in der es den menschengemachten Treibhausgasausstoß nicht gibt

    Friederike Otto über das Prinzip der Attributionsforschung

    Wie berechnet man das? Früher hieß es, das Klima sei viel zu komplex, als dass man seinen Einfluss auf ein einzelnes Wetterereignis bestimmen könnte.
    Otto: Vereinfacht gesagt vergleichen wir dazu das Wetter, das wir in der realen Welt beobachten, mit dem einer fiktiven Welt, in der es den menschengemachten Treibhausgasausstoß nicht gibt. Wenn wir dann sehen, dass ein bestimmtes Extremereignis in der Welt ohne Klimawandel alle 50 Jahre zu erwarten wäre, in der realen Welt aber alle zehn Jahre zu erwarten ist, können wir diesen Unterschied dem Klimawandel zuordnen. Er hat das Ereignis dann fünfmal wahrscheinlicher gemacht.

    Aber wie kommen Sie überhaupt so weit, dass Sie sagen können, ein Ereignis sei alle zehn Jahre zu erwarten?
    Otto: Mit Hilfe von Klimamodellen, die wir mit den Daten aus Wetteraufzeichnungen vergleichen. Je weiter die Datenreihen zu Niederschlag, Temperatur, Windstärke und so weiter zurückreichen, desto besser. Denn dann können wir genauer testen, ob das Wetter aus dem Klimamodell realistisch ist. Leider gibt es nicht für alle Weltregionen brauchbare Klimamodelle, in Afrika etwa sieht es schlecht aus. Und die Modelle können auch nicht alle Arten von Extremwetter simulieren. Hagel zum Beispiel ist ein zu kleinteiliges Ereignis, das wir bislang nicht berechnen können. Aber bei anderen Wetterereignissen wie Hitzewellen oder Niederschlägen sind wir sehr weit.

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    Man teilt die Welt in ein dreidimensionales Gitternetz ein und löst die Gleichungen an allen Punkten, an denen sich die Gitterstäbe kreuzen

    Friederike Otto über Klimamodelle

    Geht das noch konkreter? Wie arbeitet so ein Klimamodell im Detail?
    Otto: Grundsätzlich ist das Physik. Es gibt die drei Erhaltungssätze, die sich mit Gleichungen berechnen lassen und die den Klimamodellen zugrunde liegen: Energieerhaltung, Masseerhaltung und Impulserhaltung. Damit lässt sich bestimmen, welche Kräfte auf ein Luftteilchen einwirken und wie es sich in der Folge davon bewegt. Natürlich kann man diese Gleichungen nicht für jedes einzelne Luftteilchen auf der Welt lösen, das würde jede denkbare Rechenleistung übersteigen. Deswegen teilt man die Welt in ein dreidimensionales Gitternetz ein und löst die Gleichungen an allen Punkten, an denen sich die Gitterstäbe kreuzen. Das ist etwas vereinfacht gesprochen, aber auf diese Weise kann man berechnen, wie sich die Größen wie Temperatur, Druck und Dichte an den Schnittpunkten von einem Zeitabschnitt zum nächsten verändern.

    Das klingt nach einem gewaltigen Rechenaufwand.
    Otto: Das ist es auch. In älteren Modellen waren die Gitterpunkte mehrere Hundert Kilometer voneinander entfernt. In heutigen sind es schon 60 Kilometer, weil die Rechenleistung steigt. Aber es gibt natürlich auch ganz viel Wetter, das in den Bereichen zwischen diesen Punkten stattfindet. Man kennt das ja, dass an einem Ende der Stadt die Sonne scheint, am anderen nicht. Dieses Wetter wird nicht mit den Erhaltungssätzen, sondern mit Hilfe von empirischen Gleichungen berechnet, auf Basis von Beobachtungsdaten.

    Friederike Otto ist eine der bekanntesten und gefragtesten Klimawissenschaftlerin der Welt. Die Deutsche forscht an der Uni Oxford.

    „In Deutschland ist der Klimawandel viel stärker eine parteipolitische Frage. Hier in Großbritannien sind Wissenschaft und Politik enger verzahnt“, sagt Friederike Otto.

    Sind diese Modelle schon komplett ausgereift?
    Otto: Nein. Sie werden zwar kontinuierlich besser und viele Dinge lassen sich damit schon sehr gut berechnen, aber in manchen Bereichen stoßen sie noch an ihre Grenzen. Das betrifft zum Beispiel die Frage, wie genau sich die Bodenfeuchte auf die Temperatur der Luft darüber auswirkt. Gerade an den Grenzen zwischen den Sphären, also zwischen der Atmosphäre und dem Boden oder dem Ozean gibt es noch eine Menge Effekte, die für lokales Wetter wichtig sind, die wir aber noch nicht komplett verstanden haben.

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    Wir müssen mehr darüber reden, was wissenschaftlichen Methoden sind. Wer nur das Ergebnis präsentiert, aber nicht den Weg dorthin, macht es Gegnern leicht, alles abzustreiten

    Friederike Otto über Klimaleugner

    Sie gehen offen damit um, wo die Modelle bislang an Grenzen stoßen. Haben Sie keine Angst, sich dadurch für Klimaleugner angreifbar zu machen?
    Otto: Im Gegenteil. Wissenschaft funktioniert nur, wenn man transparent arbeitet, seine Methoden offenlegt und anderen die Möglichkeit gibt, die Ergebnisse zu reproduzieren und zu überprüfen. Das unterscheidet wissenschaftliche Erkenntnisse ja gerade von Fake News und macht sie belastbar und vertrauenswürdig.

    In der Coronapandemie hat das Vertrauen in Teilen der Gesellschaft aber offenbar nachgelassen. In Deutschland hat kürzlich sogar eine große Wochenzeitung die Frage gestellt, ob wir zu „wissenschaftsgläubig“ seien.
    Otto: Dabei ist Wissenschaft natürlich keine Frage von Glauben oder Nicht-Glauben. Vielleicht ist das ein Problem der Wissenschaftskommunikation. Ich bin fest der Überzeugung, dass wir viel mehr darüber reden müssen, was wissenschaftlichen Methoden sind und wie Ergebnisse zustande kommen. Wer nur das Ergebnis präsentiert, aber nicht den Weg dorthin, macht es Gegnern leicht, alles abzustreiten.

    Werden Sie als Forscherin von Klimaleugnern angefeindet?
    Otto: Wenig. Vielleicht bin ich zu langweilig (lacht). Ältere Kolleginnen und Kollegen hatten nach meinem Eindruck jedenfalls sehr viel mehr zu kämpfen.

    Dabei bieten Sie Kritikern durchaus Angriffsfläche, indem Sie sich aktiv in die Klimadebatte einmischen. Sehen Sie diesen Schritt an die Öffentlichkeit als eine Aufgabe der Wissenschaft?
    Otto:
    Ich halte es auf alle Fälle für wichtig, dass Wissenschaftler ihre Erkenntnisse erklären und interpretieren. Wenn es zur eigenen Persönlichkeit passt, sollten sie sich aus meiner Sicht auch einmischen, sei es über die Medien oder in der Politikberatung. Nicht falsch verstehen: Ich wünsche mir definitiv keine Wissenschaftlerdiktatur, die Entscheidungen müssen schon von gewählten Volksvertretern getroffen werden. Aber sie sollten alle Informationen der Wissenschaft kennen, wenn sie abwägen. Ich habe das Gefühl, dass das viele Politiker genauso sehen.

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    In Großbritannien stehen Parteien aus dem rechten Spektrum genauso hinter dem Kampf gegen den Klimawandel wie linke Parteien

    Friederike Otto über britische Klimapolitik

    Wirklich? Gerade die Klimaforschung wird doch von Teilen der Politik oft als Ideologie oder Ersatzreligion abgetan.
    Otto: In Deutschland ist der Klimawandel nach meiner Wahrnehmung sehr viel stärker eine parteipolitische Frage. Hier in Großbritannien sind Wissenschaft und Politik enger verzahnt.

    Dabei wird Deutschland von einer Wissenschaftlerin regiert und Großbritannien von einem Premier, dem Populismus zumindest nicht fremd ist.
    Otto: Das stimmt. Aber in Deutschland darf dann mal der Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung mit der Kanzlerin sprechen and that’s it. Darunter passiert nicht viel. In Großbritannien funktioniert der Austausch auf allen Ebenen, auch ich durfte schon über meine Arbeit im House of Lords sprechen. Das hat sicher dazu beigetragen, dass Parteien aus dem rechten Spektrum genauso hinter dem Kampf gegen den Klimawandel stehen wie linke Parteien und Großbritannien so ehrgeizige Ziele ausgerufen hat wie kaum ein anderes Land. Vielleicht ist hier das Verständnis vom Klima in der Breite der Gesellschaft etwas größer.

    Friederike Otto: Es ist wichtig, dass Forscher ihre Erkenntnisse in der Öffentlichkeit erklären und transparent über ihre Methoden berichten. Das helfe im Kampf gegen Fake News.

    Wann ist ein Sturm menschengemacht, wann ein natürliches Phänomen? Antworten darauf gibt Friederike Otto mitunter schon, bevor der Sturm abgeflaut ist.

    In Deutschland versucht die Initiative „Klima vor acht“ gerade, das Verständnis vom Klimawandel zu verbessern. Sie will einen Klimabericht wie den Wetterbericht zum festen Bestandteil des Fernsehens machen. Kennen Sie die Initiative?
    Otto: Ja, klar. „Klima vor acht“ ist extrem wichtig. Die Menschen müssen verstehen, wie der Klimawandel unser Leben auf allen Ebenen beeinflusst. In Großbritannien gibt es seit Kurzem auf Sky News an jedem Wochentag eine viertelstündige Klimashow. So etwas müsste es auch in Deutschland geben – nicht nur als Video auf Youtube, sondern prominent im Fernsehen am Anfang oder am Ende der Tagesschau.

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