Ulrich Eberl: Unsere Überlebensformel
Wer „Technologieoffenheit“ fordert, erntet bei vielen Klimaschützern skeptische Blicke. Denn oft verbirgt sich hinter dem Ruf nicht etwa das Ringen um die effizientesten Wege zum Stopp der Klimakrise, sondern vielmehr das Gegenteil: der Versuch, wirksame Maßnahmen im Hier und Jetzt durch den Verweis auf Technologien auszubremsen, die womöglich erst in Jahren oder Jahrzehnten einsatzbereit sind. Technologieoffenheit ist geradezu ein Kampfbegriff geworden.
Wenn ein Buch erkundet, welche Rolle Technologien bei der Bewältigung der Zwillingskrisen Klimawandel und Artensterben spielen können, dürften daher bei manchen Klimaschützern die Alarmsirenen schrillen.
Doch im Fall von Ulrich Eberl ist das nicht angebracht. Denn der Biophysiker und Zukunftsforscher ist keiner, der auf den Durchbruch der Kernfusion wartet oder von den Verheißungen einer neuartigen Generation von Atomkraftwerken träumt. „Wir müssen jetzt die Hebel umlegen, in den 2020er-Jahren. Das ist die entscheidende Phase, bevor mögliche Kipppunkte im Klimasystem überschritten werden“, sagt Eberl im Interview mit EnergieWinde.
Technologie, Forschung und Wissenschaft spielen dabei allerdings eine entscheidende Rolle, wie der Autor in seinem Buch „Unsere Überlebensformel. Neun globale Krisen und die Lösungen der Wissenschaft“ zeigt. Denn sie liefern die mächtigen Hebel, mit deren Hilfe sich die Folgen der Krisen einhegen und ihre Ursachen bekämpfen lassen.
Ein Beispiel: Rinder sind in Deutschland für mehr als die Hälfte des Ausstoßes von Methan verantwortlich, einem Treibhausgas, das die Atmosphäre noch stärker aufheizt als CO2. Weltweit verursachen die mehr als 1,4 Milliarden Rinder durch das Rülpsen von Methan sogar mehr Treibhausgase als der Betrieb aller Pkw zusammen, wie Eberl schreibt. Gibt man Rinder neben ihrem gewöhnlichen Futter allerdings nur 80 Gramm einer Rotalge, stoßen sie vier Fünftel weniger Methan aus.
„Unsere Überlebensformel“ ist voll solcher Beispiele, die zeigen, wie mit teils verblüffend geringem Aufwand viel zu erreichen wäre. Eberl beschreibt den Werkzeugkasten der Wissenschaft prägnant, faktensatt und anschaulich, ohne dabei allerdings den Eindruck zu verbreiten, der Kampf gegen die Klima- und Artenkrise sei ein Selbstläufer. Denn schon der Umstand, dass viele der Werkzeuge kaum zum Einsatz kommen, gibt eine Ahnung von den Beharrungskräften in Wirtschaft und Gesellschaft.
Es braucht einen Kultur- und Wertewandel, sagt Eberl. „Bis das Verfeuern von Kohle, Öl und Gas als genauso unmoralisch gilt wie das Rauchen im Restaurant, das dauert.“ Dennoch bleibt der Autor optimistisch. Schließlich habe die Menschheit auch in der Coronapandemie bewiesen, dass sie zu schnellem Handeln in der Lage ist. Und immerhin gibt es im Kampf gegen die Krisen des Planeten unendlich viel zu gewinnen: eine lebenswerte Zukunft.