
Tim Lenton: Positive Tipping Points
Kipppunkte sind in der Klimaforschung jene Situationen, in denen sich Systeme abrupt und unumkehrbar verändern. Der jüngste Global Tipping Points Report zeigt, dass Systeme wie Korallenriffe oder Teile des Polareises solche Kipppunkte womöglich schon erreicht haben. Doch Timothy Lenton, Mitautor des Reports und einer der renommiertesten Forscher auf dem Gebiet, zeigt in seinem aktuellen Buch, dass Kipppunkte nicht nur für Angst und Chaos stehen – sondern dass dieselben Mechanismen, die Krisen beschleunigen, auch Lösungen vorantreiben können.
Lenton, Professor an der University of Exeter, schreibt als Wissenschaftler, aber auch als Optimist. Sein Buch „Positive Tipping Points. How to Fix the Climate Crisis“ ist in zwei Teile gegliedert: Im ersten beschreibt er den Status Quo der Klimakrise und die drohenden Gefahren, wenn CO2-Emissionen nicht reduziert werden. Das ist keine Wohlfühllektüre, aber Lenton betreibt auf der anderen Seite auch keinen Alarmismus, bei dem man das Buch frustriert zuklappen möchte. Er ist gut darin, mit klug gewählten und anschaulichen Beispielen auch komplexere Vorgänge zu erklären.
Im zweiten Teil seines Buchs zeigt Lenton anhand konkreter Beispiele, wie Kipppunkte auch gezielt im Positiven wirken können: wenn gesellschaftliche, technologische und kulturelle Veränderungen angestoßen und so lange verstärken werden, bis sie sich verselbständigen.
Lenton zeigt das an Beispielen wie dem Kampf der britischen Suffragetten für das Frauenwahlrecht, unter ihnen auch seine Verwandte Lilian Lenton. Der zuweilen militante Protest stieß zunächst auf den Widerstand der Regierung, doch 1918 bekamen Frauen ab 30 das Wahlrecht, ab 1928 galt es für alle Frauen ab 21 Jahren. Er erinnert daran, dass große Teile der westlichen Welt lange vom abscheulichen System der Sklaverei profitierten, dass Sklavenhandel und -haltung aber schließlich verboten wurden. Er beschreibt, wie Greta Thunbergs Schulstreik sich 2018 binnen Monaten vom Protest einer einzigen schwedischen Schülerin zu einer weltweiten Bewegung mit Millionen Unterstützerinnen und Unterstützern wuchs.
Solarboom, E-Autos, Fridays-Proteste: Solche Entwicklungen sind keine Zufälle
Lesende erfahren, wie die Zusammenarbeit der norwegischen Band a-ha mit einem Forscher die Grundlage dafür legte, dass in Norwegen heute 90 Prozent der Automobile entweder Elektroautos oder Hybride sind – und das skandinavische Land damit einen positiven Kipppunkt zur Elektromobilität erreicht hat.
Lentons Beobachtungen sind nicht allein auf Europa oder die westliche Welt begrenzt. Er betrachtet die Entwicklung von Solarenergie und Elektro-Lkw in China und erkennt als einer der wenigen auch an, dass Klimaschutz globale Ungerechtigkeiten berücksichtigen muss, statt sie womöglich noch zu vertiefen.
Entwicklungen wie der britische Kohleausstieg, die E-Auto-Revolution und Klimabewegungen wie Fridays for Future, zeigt Lenton, sind keine Zufälle. Sondern positive Kipppunkte, die als ermutigende Beispiele für andere Länder dienen können.
Wer nach einem Buch sucht, das die Klimakrise ernst nimmt und dennoch Zuversicht versprüht und ernstzunehmende Lösungsvorschläge liefert, wird hier Freude haben.






