Autor Jan Hegenberg

  • Search15.07.2024

„Wollen wir auf die Elfen mit den E-Fuels-Fabriken warten?“

Diskussionen mit Energiewende-Gegnern können nervtötend sein. Es sei denn, man führt sie so launig und faktensatt wie Jan Hegenberg. Im Interview beschreibt der Bestseller-Autor, wie er dabei vorgeht – und warum es Grund für Optimismus gibt.

InhaltsverzeichnisToggle-Icons

     

    Seine Waffen sind Humor und Wissen: Jan Hegenberg entlarvt in Sachbüchern, auf Social Media und in seinem Blog „Der Graslutscher“ Falschbehauptungen und Panikmache von Gegnern der Klimawende. Im Interview mit EnergieWinde erklärt er, warum die Lage besser ist als es scheint, wie Klimaschutz zu einem Gewinn für die Gesellschaft wird – und warum sein Blog so einen schrägen Namen hat.

    Herr Hegenberg, wie kommt man dazu, sich nach einem BWL-Studium und einem seriösen Job in der IT-Branche „Graslutscher“ zu nennen und dem Kampf gegen die Anti-Klimaschutz-Lobby zu verschreiben?
    Jan Hegenberg: Ja, das schicke ich gern bei meinen Vorträgen vorweg: Wenn Sie sich fragen, warum jemand mit so einem albernen Namen jetzt etwas Seriöses zur Energiewende sagen soll, dann liegt das daran, dass „Graslutscher“ früher ein beliebter Schimpfname für Vegetarier war. Den habe ich dann für meinen Blog gewählt, der ursprünglich den Kritikern des Vegetarismus gewidmet war, es sollte ein selbstironischer Name sein. Vielleicht muss ich da doch noch mal etwas dran ändern.

    Warum der Blog?
    Hegenberg: Als ich vor rund zehn Jahren angefangen habe, mich vegan zu ernähren, habe ich privat erstaunlich viel Gegenwind erhalten – obwohl ich keinesfalls missionierend durch die Gegend gezogen bin und andere Menschen vom Veganismus überzeugen wollte! Aber das Thema war damals medial ziemlich aufgeladen und das hat mich einfach genervt. Deshalb habe ich begonnen, auf Facebook Entgegnungen zu schreiben und gemerkt: Die Leute mögen meine Art der Argumentation. Dann kam der Blog.

    Anführungszeichen

    Mich hat es schon immer wahnsinnig gefuchst, wenn Menschen mit dem Brustton der Überzeugung Quatsch erzählen

    Jan Hegenberg

    Ihr Buch „Weltuntergang fällt aus“ war ein Bestseller. In diesen Tagen erscheint ihr zweites Buch, „Klima-Bullshit-Bingo“, eine Art Anleitung, um Stammtischargumente gegen Windräder, E-Autos oder Wärmepumpen zu widerlegen. Sie hätten ja auch bei Veganismus bleiben können, warum dieses komplexe Thema?
    Hegenberg: Mich hat es schon immer wahnsinnig gefuchst, wenn Menschen mit dem Brustton der Überzeugung Quatsch erzählen – das ist vielleicht eine Art krankhafter Ehrgeiz meinerseits. Das mache ich auch bei anderen Themen, weil ich dann einfach denke: Das kann ja wohl nicht wahr sein! Und so eben auch beim Thema Klimaschutz. Hinzu kam, dass es anders als zum Veganismus noch nicht so viele Bücher gab. Und außerdem gibt es im Bereich Klimaschutz einfach wahnsinnig viel Wissen, das aber wahnsinnig schwer zu Leuten zu transportieren ist, die wenig Ahnung von Zahlen, Technik und Wirtschaft haben.

    Verlieren Sie manchmal die Lust, zu erklären, warum die Energiewende gut für uns Menschen ist?
    Hegenberg: Ich habe die Lust noch nicht verloren. Aber ich kann andere gut verstehen, die Ermüdungserscheinungen bei manchen Diskussionen haben, weil Falschbehauptungen zur Energiewende so wahnsinnig oft wiederholt werden.

    Selbst zu Punkten, die eigentlich schon abgehakt sein müssten, wie dem Ende von Kohle und Atomkraft.
    Hegenberg: Ja, das ist völlig absurd. Das ist auch ein Grund, weshalb ich das Buch geschrieben habe. Ich wollte vor allem stichhaltige Gegenargumente zusammenstellen für fatale Aussagen wie „Aber nachts scheint doch keine Sonne“, „Wir werden sowieso alle sterben“ oder „Dafür haben wir zu wenig Strom“. Damit wir unsere Kraft endlich auf wirklich wichtige Themen verwenden können.

    Die da wären?
    Hegenberg: Na, es gibt ja durchaus Themen, über die wir super gut diskutieren könnten: mehr Stromtrassen oder mehr Speicher? Wollen wir mehr Wasserstofffabriken oder setzen wir doch auf Batterien? Es ist ja nicht so, dass sich die Fachwelt in allen Punkten einig wäre. Da könnten wir ganz tolle Diskussionen führen. Aber stattdessen reden wir darüber, dass wir für den Bau von Windkraftanlagen auch Rohstoffe benötigen. Na, was für eine Überraschung! Wir können sie doch nicht aus Rindenmulch bauen, wer hätte das gedacht?! Und gleichzeitig interessiert das bei anderen Sachen niemanden. Ich nenne da immer gern das Beispiel der riesigen Gasförderplattform „Troll A“ vor der norwegischen Küste, für die etwa 700.000 Tonnen Rohstoffe verbaut wurde. Da sagt niemand, das sei aber schädlich fürs Klima und es wären zu viel Stahl und Beton verbaut worden. Nur bei Solarpaneelen wird jeder Krümel Lithium nachverfolgt, das ist absurd. Beim Ozonloch hat auch keiner gesagt: Wir Deutschen produzieren nur so und so viel FCK-Emissionen, also müssen wir nichts dagegen tun. Da war völlig klar, dass alle handeln müssen, damit sich das Loch schließt.

    Erneuerbare Energien sind die mit Abstand wichtigste Stromquelle in Deutschland. Sie erzeugen deutlich mehr Strom als Kohlekraftwerke. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Warum führen wir Deutsche so oft Diskussionen über vermeintliche Probleme im Klimaschutz, statt uns mit voller Kraft darauf zu konzentrieren, wie die Klimawende gelingt?
    Hegenberg: Das Verharrende ist schon etwas recht Deutsches. Ich glaube, im europäischen Vergleich ist nur Italien langsamer, wenn es etwa um die Abschaffung des Verbrennungsmotors geht. Aber das halte ich durchaus für ein Ergebnis von Medienkampagnen und kruden Hinhaltetaktiken, die den Leuten vorzugaukeln, dass der Verbrenner doch überleben wird. Ich habe Google-Alerts zu bestimmten Themen und wenn man darin liest, was manche große Zeitungen schreiben über Milliardeninvestitionen in Verbrenner oder E-Fuels, dann ist doch klar, dass der Laie sagt, der vielleicht auch noch bei einem Autozulieferer arbeitet: „Spitze, das Ding ist auf Jahre sicher, ich behalte meinen Job und mein Auto muss ich auch nicht wechseln.“

    Warum sind E-Fuels keine Lösung?
    Hegenberg: Grundsätzlich ist es natürlich eine tolle Sache, zu wissen, dass wir diese ganzen Kraftstoffe molekular nachbauen können. Ich bin ein Kind der 80er-Jahre und mit der Behauptung aufgewachsen, dass irgendwann das Öl alle sein wird und wir dann ein Riesenproblem haben, weil uns dann unser ganzer Wohlstand wegbricht. Als ich das erste Mal verstanden habe, dass wir eigentlich alle Antriebsstoffe, für die wir momentan keine elektrischen Alternativen haben, chemisch ersetzen können, war ich extrem erleichtert. Aber daraus die Ableitung zu formulieren „Ah, alles klar, wir stellen gar nichts um und warten einfach bis ein paar Elfen riesige E-Fuels-Fabriken hingestellt haben und dann fahren wir für immer mit E-Fuels“ ist völlig fatal! Ich war schon immer ein großer Zahlenfreak, aber man muss nicht im Mathe-Leistungskurs gesessen haben, um sich auf einem Bierdeckel auszurechnen: Das ist völlig illusorisch, das wird nicht passieren! Den Leuten zu erzählen, dass wir bald genügend E-Fuels haben, ist eine reine Verzögerungstaktik. Das sorgt dafür, dass die Menschen das glauben und den Wandel aufhalten. Und solche Argumentationslinien muss man entlarven.

    Anführungszeichen

    Selbst wenn wir 100 Atomkraftwerke haben, hilft uns das beim Klima rein gar nichts, wenn weiterhin 49 Millionen Verbrennungsmotoren auf unseren Straßen unterwegs sind

    Jan Hegenberg

    Wenn man mit jemanden diskutiert, der offensichtlich keine Ahnung hat, aber zum Beispiel behauptet, ohne Atomkraft seien wir eh verloren – wie entlarvt man den?
    Hegenberg: Natürlich gibt es auch sinnige Beiträge zum Thema Atomkraft und es ist sicherlich auch diskutabel, ob unser Ausstieg wirklich clever umgesetzt war. Wenn allerdings jemand wie Jens Spahn, der für den Atomkraftausstieg gestimmt hat und beim Abschalten der Reaktoren sogar in der Regierung saß, mit Antritt der Ampelkoalition behauptet, dass sei falsch gewesen, ist das natürlich völlig durchschaubar. Aber auch in stichhaltigen Beiträgen, wie in Hannah Ritchies „Not the end oft he World“, wird Atomkraft nie als einzige Antwort auf unsere Klimaprobleme gesehen, sondern lediglich als ein Baustein unter vielen anderen Technologien. Dagegen finden Sie dann auf Twitter viele Diskussionsteilnehmer, die jeden Klima-Tweet damit kommentieren: „Wir sind ja aus der Atomkraft ausgestiegen, das war schlecht fürs Klima.“ Wenn Sie dann nachhaken, stellen Sie oft fest, dass es diesen Menschen gar nicht ums Klima geht. Denn gleichzeitig ziehen diese Menschen dann eine völlig skurrile Grenze beim Thema E-Auto, Erneuerbare – Atomkraft hin oder her. Und genau das ist sehr entlarvend. Denn selbst wenn wir 100 Atomkraftwerke haben, hilft uns das beim Klima rein gar nichts, wenn weiterhin 49 Millionen Verbrennungsmotoren auf unseren Straßen unterwegs sind.

    Ein Fakt ist aber, dass viele Menschen in Deutschland finanziell wenig Spielraum haben und der Klimaschutzbewegung vorgeworfen wird, eine Oberschichten-Veranstaltung zu sein. Wie tritt man diesem Argument entgegen?
    Hegenberg: Das ist eine schwierige Diskussion, weil gerade in diesem Bereich viel mit Fakes gearbeitet wird, um den Leuten Angst zu machen. Tatsächlich bin ich ein totaler Fan davon, die Gewinne aus den CO2-Abgaben der Gesellschaft wieder zur Verfügung zu stellen – so wie es mal angedacht war und in einigen Ländern auch gehandhabt wird. Das wäre ein doppelter Gewinn, weil dann nicht nur stärker in klimaschonende Technologien investiert würde, sodass sie immer günstiger würden, sondern auch die ärmeren Menschen, die ohnehin wenig emittieren, gleichzeitig einen finanziellen Vorteil davon hätten. Das wäre eine elegante und supersimple Lösung, größere Bevölkerungsschichten dafür zu begeistern. Aber so wird es nun mal leider nicht in Deutschland gehandhabt, und es lohnt sich nicht, das die nächsten zehn Jahre zu beklagen.

    Viele Menschen sind aber wirklich am Limit und haben Angst, durch die Kosten für Klimaschutzmaßnahmen abzurutschen.
    Hegenberg: Das kann ich auch verstehen, zumal in der jetzigen Lage, in der alles unübersichtlich ist. Angst muss man immer ernstnehmen, niemand darf das Gefühl haben, dass seine Angst egal ist. Aber man kann das kommunikativ hinbekommen. Wenn jetzt jemand sagt, „Ey, ich hab keine Kohle um mir ein E-Auto zu kaufen!“, kann man ja sagen: „Dann mach das doch auch bitte nicht!“ Niemand sollte von armen Menschen fordern, sich ein dreimal so teures Auto zu kaufen, weil sie bitte die Sperrspitze der technologischen Umstellung sein sollen. Dafür gibt es genug reiche Menschen in Deutschland, die das machen können. Wir müssen ohnehin gucken, wie wir das in Anbetracht der aktuell fehlenden E-Autos im Verhältnis zur Zahl der Autofahrer machen wollen. Da können wir doch einfach so weitermachen wie bisher, nämlich dass reiche Leute diese Autos kaufen und die Technologie dadurch für andere günstiger wird. Das ist zumindest sozialer, als wenn wir das alle gleichzeitig machen würde.

    Anführungszeichen

    Vor zehn Jahren waren wir noch volle Kanne in Richtung Eisberg unterwegs. Aber wenn man sich jetzt die Ausbauzahlen ansieht, dann befinden wir uns in einer grünen Energierevolution

    Jan Hegenberg

    Herr Hegenberg, allen Nörglern und Bremsern zum Trotz: Sind die letzten zehn Jahre in Sachen Klimaschutz nicht eigentlich ganz gut gelaufen?
    Hegenberg: Absolut! Ich verwende für die Klimawende gerne als Metapher den großen Öltanker, den wir um 180 Grad in die andere Richtung drehen müssen. Das haben wir schon zum Großteil geschafft! Vor zehn Jahren waren wir noch volle Kanne in Richtung Eisberg unterwegs. Da war noch überhaupt nicht klar: Sollen wir das Steuer rumreißen oder weiterfahren? Da habe ich auch gesagt: Boah, wie soll das bloß funktionieren? Aber wenn man sich jetzt die Ausbauzahlen ansieht, dann befinden wir uns in einer grünen Energierevolution, und das global! Heute gibt es das erste Mal Prognosen, dass wir 2024 ein Absinken der Energie-Emissionen sehen werden. Das ist eine super geile Nachricht und die müssen wir auch transportieren. Denn das wirkt wiederum psychologisch positiv, so das Menschen sagen: Es lohnt sich doch dafür zu kämpfen!

    Die Fragen stellte Kathinka Burkhardt.

    Go Top