Taktik von Klimaschutzgegnern

  • Search28.04.2024

Die Rohstofflüge der fossilen Lobbyisten

Früher haben sie den Klimawandel geleugnet. Seit das nicht mehr funktioniert, torpedieren Klimaschutzgegner die Energiewende, indem sie ihren Rohstoffbedarf übertreiben – und den der fossilen Welt ausblenden.

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    Viele Rohstoffe für die Energiewende müssen importiert werden, genau wie heute Öl, Gas und Kohle. Doch im Gegensatz zu fossilen Brennstoffen lassen sich Metalle recyceln.

    Platinabbau in Südafrika: Für die Energiewende werden Rohstoffe aus aller Welt importiert. Im Gegensatz zu fossilen Brennstoffen lassen sie sich meist recyceln.

     

    Von Nils Husmann

    Gerd Ganteför zieht ein bitteres Fazit. Eine halbe Stunde referiert der Physiker auf seinem Youtube-Kanal „Grenzen des Wissens“, wie viele Rohstoffe die Energiewende benötige. Auf seiner Homepage schreibt er, sein Kanal mit seinen 80.000 Abonnenten sei „ideologieneutral“, er selbst akzeptiere die Aussage des Weltklimarates IPCC, dass die Erderwärmung menschengemacht sei. Als Leugner des Klimawandels will er nicht dastehen.

    Allerdings sei er sich sicher, dass sich Deutschland niemals nur mit Energie aus Wind und Sonne versorgen könne. Im Video, mittlerweile mehr als 130.000-mal aufgerufen, sagt er: „Es gibt diverse Probleme bei der Beschaffung der für eine globale Energiewende benötigten Rohstoffe. Es wird zu Versorgungsengpässen und Preisanstiegen kommen.“ Ganteför beruft sich auf gewichtige Quellen – die Unternehmensberatung McKinsey, die OECD und die Internationale Energieagentur.

    Wer sich bisher nicht intensiv mit dem Thema beschäftigt hat, muss hinterher denken: Das wird alles nichts mit der Energiewende! Wo sollen die metallischen Rohstoffe und Seltenen Erden nur herkommen? Der Professor mit dem weißen Haar beantwortet diese Frage nicht, sondern sät Zweifel: Das kann nicht funktionieren.

    Die Energiewende ist komplex. Das macht es leicht, Zweifel zu streuen

    Anita Habel ist Kommunikationspsychologin und Sozialwissenschaftlerin mit Schwerpunkt auf gesellschaftliche Transformation. Außerdem ist sie eine von mehreren Sprecherinnen von Psychologists for Future, deren Überzeugung ist: Die Klimakrise lässt sich ohne Psychologie nicht verstehen oder lösen. Was also bewirken Aussagen wie die von Energiewendeskeptikern wie Ganteför in unseren Köpfen?

    „Zweifel fruchten, wenn sie auf fruchtbaren Boden fallen – zum Beispiel, weil wir uns nicht so gut auskennen“, sagt Anita Habel im Gespräch mit EnergieWinde. Das macht die Saat der Zweifel anschlussfähig an die sogenannten „Verzögerungsstrategien“, mit denen – wie der Name schon sagt – wirksame Klimaschutzmaßnahmen auf die lange Bank geschoben werden sollen. Eine dieser Strategien nennt sich: die Nachteile von Klimaschutzmaßnahmen hervorheben.

    Ölverseuchte Äcker in Nigeria: In dem westafrikanischen Land kam es 2012 zu einem Leck in einer Pipeline von ExxonMobil.

    Ölverseuchte Äcker in Nigeria: In dem westafrikanischen Land kam es 2012 zu einem Leck in einer Pipeline von ExxonMobil.

    Genau das machen Menschen wie Ganteför. Und nicht nur er. Fossile Interessen versuchten jahrzehntelang, die Klimawissenschaft in Zweifel zu ziehen. Besonders gut belegt ist das am Beispiel des Ölkonzerns ExxonMobil. Mittlerweile zielen die fossilen Interessenvertreter eher darauf ab, die Erneuerbaren zu diskreditieren. So legte Christian Stöcker, „Spiegel“-Kolumnist und Autor des Buches „Männer, die die Welt verbrennen“, im Podcast „Lage der Nation“ dar, wie Gaslobbyisten die Wärmepumpe in Misskredit brachten (Folge vom 4. April 2024). In Großbritannien sei dies belegt. Aber auch für Deutschland listet Stöcker detailliert auf, wie der Kampf gegen die Wärmewende orchestriert wurde.

    Die Erderhitzung ist offensichtlich. Sie lässt sich nicht mehr einfach leugnen

    Dieser Kampf geht weiter. Oft greifen Interessenvertreter dabei reale Herausforderungen auf und überhöhen sie zu scheinbar unlösbaren Problemen. Rohstoffe sind knapp und teuer. Für Gegner der Energiewende ergibt es deshalb Sinn, aus diesem Umstand Narrative zu spinnen. Denn es ist unglaubwürdig geworden, die menschengemachte Klimakrise schlicht zu leugnen. Zu offensichtlich sind die Veränderungen, zu eindeutig haben sich die Vorhersagen der Klimaforschung erfüllt. Also muss Sand ins Getriebe. Und das funktioniert, indem man Zweifel sät.

    Anita Habel von den Psychologists sagt: „Das Rohstoff-Argument öffnet eine Tür zu einer weiteren Verzögerungsstrategie: Es ist eh alles zu spät, wir können nichts machen!“ Doch was kann man erwidern, wenn Menschen erkennen lassen, dass sie sich Sorgen um die knappen Rohstoffe machen? „Das muss man anerkennen, man sollte das Problem nicht trotzig abtun, es ist ja auch eine Herausforderung“, rät Anita Habel.

    Der Rohstoffbedarf steigt. Umso wichtiger ist es, den Abbau zu verbessern

    Tatsächlich kommt die Energiewende ohne Rohstoffe nicht aus. Olivier Vidal vom Institut des Sciences de la Terre in Grenoble modelliert, wie sich der Rohstoffbedarf entwickelt, wenn die Welt von fossilen auf erneuerbare Energie umsteigt. Im „Deutschlandfunk“ sagt er: „Wenn man sich Kupfer ansieht, ein sehr wichtiges Metall für die Energiewende, verbrauchen wir derzeit auf globaler Ebene etwa 20 bis 25 Millionen Tonnen pro Jahr. Und in 60 Jahren werden wir etwa 70 bis 100 Millionen Tonnen verbrauchen. Das bedeutet also, dass wir unsere jährliche Produktion um den Faktor drei oder vier erhöhen müssen.“

    Bei anderen Metallen, Seltenen Erden und Rohstoffen sind die Herausforderungen ähnlich oder noch größer: Eisenerz zur Stahlgewinnung, Silizium, Indium, Gallium, Platin, Silber oder Kadmium. Viele Batteriespeicher sind auf Nickel und Lithium angewiesen. Die Liste ließe sich fortsetzen. Die Abhängigkeit ist groß, Länder wie Deutschland sind auf Importe angewiesen. Die Förderbedingungen in vielen Abbauländern sind schlecht, für Mensch wie Umwelt. Die Energiewende muss mit einer Rohstoffwende einhergehen, fordern zum Beispiel Expertinnen und Experten des katholischen Entwicklungshilfswerks Misereor.

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    Medien dürfen Zweifel nicht nur von einer Seite aus thematisieren, im schlimmsten Fall aus der Perspektive fossiler Konzerne, die ihr Geschäftsmodell noch aufrechterhalten wollen

    Anita Habel, Psychologists for Future

    Doch wie kann das glaubhaft gelingen? Anita Habel von Psychologists for Future sieht Medien und Politik in der Verantwortung. Die Medien, weil diese ausgewogen über das Problem berichten müssten. „Sie dürfen Zweifel nicht nur von einer Seite aus thematisieren, im schlimmsten Fall aus der Perspektive fossiler Konzerne, die ihr Geschäftsmodell noch aufrechterhalten wollen“, mahnt Habel.

    Aus ihrer Sicht ist das Thema Energiesparen wichtig, denn je weniger Energie erzeugt werden müsse, desto geringer sei die Abhängigkeit von Rohstoffen. „Das muss die Politik deutlich machen. Sie darf die Verantwortung aber nicht an uns als Einzelpersonen abschieben und sagen: Ihr müsst Strom sparen. Die Politik muss vorangehen, die Strukturen schaffen, Anreize liefern und sagen: Wir sind alle in der Verantwortung, das ist eine Gemeinschaftsaufgabe.“

    Der Bedarf an fossilen Brennstoffen sinkt – doch der Strombedarf wächst

    Wolfram Axthelm, Geschäftsführer des Bundesverbandes Windenergie (BWE), sagt: „Wir stellen viele Prozesse so um, dass wir elektrische Energie nutzen, Stichworte sind Wärmepumpe oder E-Autos. Wir dürfen nicht nachlassen, effizient mit Strom umzugehen. Deshalb müssen auch erneuerbare Energien einen Preis haben, sonst ist der Verschwendung Tür und Tor geöffnet.“

    Windräder benötigen große Mengen Stahl. Die gute Nachricht: Metallschrott lässt sich leicht recyceln.

    Windräder benötigen große Mengen Stahl. Die gute Nachricht: Metallschrott lässt sich leicht recyceln.

    Grundsätzlich lässt sich Strom effizienter nutzen als fossile Brennstoffe. E-Autos etwa kommen mit derselben Menge Energie weiter als Verbrenner. Aufs Ganze gesehen sinkt der Energiebedarf deshalb im Zuge der Energiewende. Doch der Strombedarf steigt, weshalb Strom sinnvoll eingesetzt werden muss.

    Axthelm sieht daneben Recycling als einen zentralen Punkt, wenn es um den Einsatz von Rohstoffen geht: „Die Ersterrichtung einer Windenergieanlage kostet Material, das ist keine Frage – aber für 90 Prozent dieses Materials sind Recyclingkreisläufe gesichert.“

    Der Primärenergieverbrauch in Deutschland sinkt tendenziell seit Jahren. Das liegt u.a. am Ausbau der Erneuerbaren, die besonders effizient Energie liefern. Infografik: Andreas Mohrmann

    Konkret bedeutet das: Viele der 30.000 Windenergieanlagen in Deutschland sind schon älter und haben vergleichsweise geringe Leistungen. „Neue Anlagen erreichen dagegen 5,5 und mehr Megawatt. Sukzessive werden viele alte Anlagen durch neue repowert. Dies erhöht den Bedarf an Recycling. Wiedergewonnene Rohstoffe fließen dann auch in neue Anlagen“, erklärt Wolfram Axthelm gegenüber EnergieWinde.

    Beim BWE setzt man zudem auf die technische Weiterentwicklung. „Seltene Erden sind vor allem bei Turbinen mit Magneten gefragt. Hersteller von getriebelosen Anlagen wie Enercon benötigen diese nicht. Andere Hersteller reduzieren die notwendigen Mengen inzwischen deutlich“, berichtet Axthelm. Kupfer werde – wenn möglich – zunehmend durch Aluminium ersetzt. Und man versuche, sich nicht zu sehr von einzelnen Staaten abhängig zu machen. „Neue Lieferanten wie Australien und Kanada sind wichtiger für die Windbranche geworden. Auch Deutschland prüft, alte Bergwerke zu reaktivieren. Wir glauben nicht, dass das Thema Rohstoffabhängigkeit die Energiewende aufhält.“

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    Wenn etwas teuer ist, ist das auch ein Anreiz, sorgfältig mit Rohstoffen umzugehen und innovativ zu sein

    Wolfram Axthelm, Bundesverband der Windenergie

    Dass, wie Skeptiker prognostizieren, Preissteigerungen bei Rohstoffen unausweichlich sind, ist für Wolfram Axthelm keineswegs nur eine schlechte Nachricht. „Wenn etwas teuer ist, ist das auch ein Anreiz, sorgfältig mit Rohstoffen umzugehen und innovativ zu sein.“

    Öl und Gas sind zerstörerische Rohstoffe. Doch das blendet die fossile Lobby aus

    Davon ist bei Ganteför nicht die Rede. Ohnehin ist interessant, was der Physiker in seinem Youtube-Vortrag alles nicht erzählt: Kein Wort verliert er darüber, dass die Rohstoffabhängigkeit auch in einer Welt mit fossilen Brennstoffen zunehmen würde – weil die Weltbevölkerung wächst und mehr Rohstoffe nachgefragt werden. Auf die Stichworte Recycling und Kreislaufwirtschaft geht er ebenfalls nicht ein.

    Und dass Kohle, Öl und Gas auch Rohstoffe sind, die Milliarden kosten, dass ihr Abbau eine Spur der Verwüstung um den Planeten zieht und dass sie Deutschland ebenfalls von anderen Staaten abhängig machen? Davon hört man kein Wort. Dass fossile Brennstoffe die Atmosphäre belasten und das Klimasystem erhitzen, erzählt er nur am Rande. Als sei es nur eine lästige Nebenwirkung – und nicht das zentrale Problem unserer Generation.

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