Roda Verheyen, die Anwältin hinter der Klimaklage

  • Search10.05.2021

„Dieses Urteil ist für die Ewigkeit“

Roda Verheyen ist der Kopf hinter dem spektakulären Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts. Im Interview erläutert die Hamburger Umweltanwältin die Tragweite der Entscheidung, ihre Vorgeschichte und die nächsten Schritte.

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    Roda Verheyen hat vor dem Bundesverfassungsgericht ein bahnbrechendes Urteil für den Klimaschutz erstritten. Im Interview erklärt die Hamburger Anwältin die Tragweite und die möglichen nächsten Schritte.

    Vor fünf Tagen hat die Hamburger Bürgerschaft Roda Verheyen zur Richterin am Verfassungsgericht des Stadtstaats gewählt, doch die Nachricht verblasst hinter dem spektakulären Urteil aus Karlsruhe, das sie kurz zuvor erstritten hat: Ende April gab das Bundesverfassungsgericht der maßgeblich von ihr vorangetriebenen Klimaklage in Teilen recht. Das Urteil verpflichtet den Gesetzgeber, die Zukunft der Jüngeren zu schützen. Lasten im Klimaschutz, die schon heute übernommen werden können, dürfen nicht hinausgezögert werden.

    Roda Verheyen hat damit erreicht, worauf sie seit Jahren hingearbeitet hat. Die heute 49-Jährige hatte nur deshalb Jura studiert, um den Umwelt- und Klimaschutz mit rechtlichen Mitteln voranzubringen. Sie führt den Kampf auf vielen Ebenen. Unter anderem verklagt sie die EU wegen zu hoher CO2-Emissionen und vertritt einen peruanischen Bergbauern in einer Klage gegen den Kohlekonzern RWE. Jahrelang suchte sie einen Hebel, um auch die Bundesregierung zu besserem Klimaschutz zu zwingen. Vor dem Berliner Verwaltungsgericht argumentierte sie 2019, das deutsche Klimaziel für das Jahr 2020 sei verbindlich und das Erreichen des Ziels entsprechend einklagbar. Die Klage wurde abgewiesen, brachte Verheyen aber doch einen Teilerfolg, da das Gericht Klimaklagen grundsätzlich für zulässig erklärte.

    Ende 2019 war es dann die Bundesregierung selbst, die Verheyen den lang gesuchten Hebel an die Hand gab: Das neu geschaffene Klimagesetz verlieh ihr die Möglichkeit, zusammen mit jungen Klägerinnen und Klägern vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen und ein bahnbrechendes Urteil zu erreichen.

    Frau Verheyen, haben Sie nach der Urteilsverkündung am 29. April ein Stoßgebet an Helmut Kohl geschickt?
    Roda Verheyen: Natürlich war ich überwältigt an diesem Morgen, aber nein, an Helmut Kohl hatte ich dabei ehrlich gesagt nicht gedacht.

    Dabei war es Kohls Regierung, die 1994 den Umweltschutz als Staatsziel ins Grundgesetz schreiben ließ. War dieser Artikel 20a für das Urteil nicht maßgeblich?
    Verheyen: Der Artikel war ein wichtiger Teil des Urteils, aber tatsächlich hätte das Bundesverfassungsgericht 20a für seine Argumentation gar nicht gebraucht. Deshalb habe ich an diesem Morgen weniger an Helmut Kohl gedacht, als vielmehr an die Richterin Gabriele Britz, der es als Berichterstatterin gelungen ist, diese bahnbrechende Entscheidung unter den acht Richterinnen und Richtern des Senats einstimmig herbeizuführen.

    Warum dauerte es 27 Jahre, bis auf Basis von Artikel 20a ein solches Urteil gesprochen wurde?
    Verheyen: Auf den Artikel haben sich schon viele Klagen berufen, auch in Zusammenhang mit Grundrechten, wie wir es ja auch getan haben. Doch es gab zuvor offenbar keinen Fall, in dem das Bundesverfassungsgericht die Notwendigkeit gesehen hat, diese Grundsätze klarzustellen. In unserem Fall – das ist meine persönliche Begründung – waren die Sachverhalte und Fakten so klar und unumstritten, dass sich das Gericht dazu rechtlich verhalten musste. Die Fragen, wie viel Vorsicht für den Schutz künftiger Generationen geboten ist, wie viel wir tun müssen, waren nicht strittig, es ging allein um die rechtlichen Maßstäbe. Für diese neue Klarheit können wir alle dankbar sein. Wir werden auch in anderen Umweltbereichen daraus schöpfen.

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    Es ist das universellste und weitreichendste Urteil im Klimaschutz, das es je gab

    Roda Verheyen

    Zuletzt haben Gerichte Regierungen in mehreren Ländern zu mehr Klimaschutz verpflichtet. Wie unterscheidet sich die Entscheidung aus Karlsruhe davon?
    Verheyen: Dieses Urteil ist für die Ewigkeit. Es definiert die Pflichten von Staaten von heute bis in eine unbegrenzte Zukunft und über das Problem des Klimawandels hinaus. Alle anderen Urteile reichten deutlich weniger weit. Die Klage der niederländischen Umweltstiftung Urgenda bezog sich ganz konkret auf das dortige nationale Klimaziel für das Jahr 2020. In Irland ging es um den Klimaplan der Regierung, in Frankreich um ein bestimmtes Gesetz und seine Umsetzung. Die Entscheidung aus Karlsruhe setzt einen meschenrechtlichen Standard und legt fest, dass die Freiheitsrechte zukünftiger Generationen zu schützen sind. Und diese Rechte gibt es überall, wo Menschenrechte gelten. Es ist deshalb das universellste und weitreichendste Urteil im Klimaschutz, das es je gab.

    Gleichzeitig legt es kein festes CO2-Budget fest. Ist das Urteil unpräzise?
    Verheyen: Nein, es weist den Gesetzgeber sehr nachdrücklich darauf hin: Was bislang getan wurde, reicht nicht aus! Um im Klimaschutz zu erreichen, was die Regierungen in Paris unterschrieben haben, muss mehr passieren. Und diese Argumentation kann jedes Gericht anwenden, das in einem Staat liegt, in dem die Menschenrechte gelten – das sind zum Glück die allermeisten.

    Sie erwarten eine Welle weiterer Klagen?
    Verheyen: Wir haben erst mal eine Kommunikationsaufgabe. Der Inhalt dieses Urteils muss verbreitet werden. Ich schreibe gerade an der Interventionsschrift für die Klimaklage portugiesischer Kinder vor dem Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte. Das ist der erste Ort an dem ich vermitteln will, was das Verfassungsgericht eigentlich entschieden hat und dass auch andere Gerichte diese Argumentation übernehmen können. Denn sie führt dazu, dass der Politik klare Leitplanken gesetzt werden. Das beendet den lähmenden Streit über Ziele und sorgt dafür, dass wir endlich in die Umsetzung kommen.

    Klimaklage gegen RWE: Anwältin Roda Verheyen und der peruanische Bergbauer Saul Luciano Lliuya verklagen im Fall Huaraz den Kohlekonzern RWE wegen dessen Beitrag zum Klimawandel..

    Anwältin Roda Verheyen mit Saul Luciano Lliuya 2017 vor dem Oberlandesgericht Hamm: Der peruanische Bergbauer verklagt im „Fall Huaraz“ den Kohlekonzern RWE, weil der mit seinen CO2-Emissionen zum Schmelzen eines Gletschers beigetragen habe, der das Haus von Lliuya bedroht.

    Das Bundesverfassungsgericht ist gewöhnlich der Schlusspunkt eines sehr langen Prozesses. Was waren die Meilensteine auf dem Weg dorthin?'
    Verheyen: Ganz zentral für mich war der Report des Weltklimarats IPCC von 2018, der zwei Dinge sehr klar machte: was passiert, wenn dieser Planet sich weiter aufheizt. Und wie viel CO2 uns eigentlich noch bleibt, wenn wir das Schlimmste verhindern wollen. Dieser Budgetansatz war wichtig für die Klage. Das sieht man auch daran, wie umfänglich das Urteil aus dem Gutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen zitiert, der darin ein CO2-Budget für Deutschland errechnet. Und letztlich war auch das Verfahren zur Greenpeace-Klage vor dem Verwaltungsgericht Berlin 2019 maßgeblich, weil sich das Gericht damals mit vielen Punkten auseinandergesetzt hat, die auch in Karlsruhe relevant waren, und ein sehr ausführliches Urteil geschrieben hat, das die wissenschaftliche Debatte erst ermöglicht hat. Dadurch hatten die Karlsruher Richter eine Basis für das rechtliche Neuland, das sie mit ihrer Grundrechtskonstruktion betreten haben.

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    Es war immens wichtig, dass der Weltklimarat dieses CO2-Budget global aufgeschrieben hat. Und es ist fantastisch, dass diese Idee nun auch national angekommen ist

    Roda Verheyen

    Sie zeichnen hier auch die Karriere der Idee des CO2-Budgets nach. Gehört die Adelung dieser Idee durch das Verfassungsgericht zu den Teilerfolgen?
    Verheyen: Absolut. Die Idee des Budgets ist im Umweltrecht alt, sie taucht schon in den 70er-Jahren im Emissionsschutzgesetz auf. Doch im Klimaschutz fand sie juristisch und politisch lange keinen Rückhalt. Da hieß es immer, Klimawandel sei so vielfältig und habe so viele Quellen, da gebe es kein Budget und kein Limit. Deswegen war es so immens wichtig, dass der Weltklimarat dieses Budget global aufgeschrieben hat. Und es ist fantastisch, dass diese Idee nun auch national angekommen ist.

    Die Budgetidee macht Klimaschutz konkreter, doch das Pariser Klimaabkommen ist mit seinem Ziel, den Temperaturanstieg „deutlich unter zwei, wenn möglich bei 1,5 Grad“ zu stoppen, so vage, dass darin die Lebensgrundlage von Millionen Menschen gerettet oder zerstört werden kann. Sollte das Abkommen beim Temperaturziel nachgeschärft werden?
    Verheyen: Ich habe in meiner Verfassungsbeschwerde weder über Gigatonnen CO2 noch über konkrete Temperaturziele gesprochen. Wir sind schon bei 1,2 Grad Erwärmung angelangt. Deshalb haben wir argumentiert, es muss jetzt alles getan werden was geht. Angesichts der kurzen Zeitspanne, die uns noch bleibt und der absehbaren Rechtsverletzungen halte ich das weiter für den richtigen Maßstab. Und im Grunde folgt das Bundesverfassungsgericht dieser Argumentation, wenn es sagt, dass es unzulässig ist, Reduktionen nach hinten zu schieben, die heute schon möglich wären, weil man dadurch späteren Generationen jeden Bewegungsspielraum nimmt.

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    Dieses Urteil ändert nichts am Bundesverkehrswegeplan, nichts am EEG und nichts am Artenschutz. Jetzt ist es die Aufgabe des Gesetzgebers, jedes Gesetz einem Klimacheck zu unterziehen

    Roda Verheyen

    Sobald man über Budgets spricht, muss man auch über historische Emissionen sprechen, die in einem Industriestaat wie Deutschland immens sind. Dazu sagt das Urteil kaum etwas. Ist auch das ein Thema für weitere Klagen?
    Verheyen: Tatsächlich bleiben nach dem Urteil Fragen. Was bedeutet das für Klimafinanzierung? Für Folgenverantwortung? Darum ging es in diesem Verfahren nicht. Aber wir werden zu diesem Thema kommen. Der Film „Ökozid“ hat dieses Thema kürzlich als völkerrechtlichen Streit dargestellt. Ob es zu einem solchen Streit kommt, ist offen, unstrittig dagegen ist, dass die Klimaschäden steigen und damit auch die Möglichkeiten der Streitigkeiten etwa zwischen Staaten oder zwischen Privatpersonen und Unternehmen.

    Im Klimaschutz stehen uns die wirklich dicken Bretter – Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft – erst noch bevor. Dabei sind gesellschaftliche Verwerfungen absehbar. Macht es sich das Gericht hier zu einfach?
    Verheyen: Dieses Urteil ändert nichts am Bundesverkehrswegeplan, nichts am EEG und nichts am Artenschutz. Es bewegt sich auf einer Metaebene, und jetzt ist es die Aufgabe des Gesetzgebers, jedes Gesetz einem Klimacheck zu unterziehen und dabei zu fragen: Tun wir alles was geht? Natürlich müssen dabei soziale Lasten verteilt werden, denn die wird es gerade im Gebäudesektor zuhauf geben. Wer zahlt die Wärmepumpe, wer die neuen Fenster?

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    Die Stimmen, die jetzt sagen, das Bundesverfassungsgericht wolle unsere Freiheit einschränken, sind Unfug. Das Gegenteil ist der Fall: Es geht um den Schutz der Freiheit künftiger Generationen

    Roda Verheyen

    Eine Klimasanierung der Gesetzeslandschaft?
    Verheyen: Dabei wird es nicht bleiben. Unser heutiges Leben mit exzessiver individueller Mobilität, überbordendem Konsum, rücksichtsloser Wegwerfkultur – das wird sich verändern müssen. Aber diese Veränderung ist kein Grundrechtseingriff. Unsere Leben haben sich in der Vergangenheit regelmäßig geändert. Die Stimmen, die jetzt sagen, das Bundesverfassungsgericht wolle unsere Freiheit einschränken, sind Unfug. Das Gegenteil ist der Fall: Es geht um den Schutz der Freiheit künftiger Generationen. Dass dieser Schutz nun zeitige Veränderungen verlangt, ist die Folge einer kurzsichtigen Politik in Deutschland. Mit besserem politischem Weitblick könnten wir etwa im Verkehr schon viel weiter sein.

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    Ich finde es wichtig, dass wir uns in einem gesellschaftlichen Prozess darauf verständigen, wie wir die Lasten verteilen wollen, wie viel wir heute tragen, wie viel die nächste und die übernächste Generation tragen sollen

    Roda Verheyen

    Frankreich hatte Klimaschutz zuletzt in Bürgerkonventen diskutiert, in Deutschland gab es mehrere Kommissionen. Brauchen wir künftig mehr solcher Beteiligungsformate?
    Verheyen: Eine Frage dabei ist: Haben wir überall die Zeit dazu? Aber ich halte es für wichtig, dass die Gesellschaft in der Breite die Transition annimmt und nicht als Bedrohung empfindet. Dass wir uns in einem gesellschaftlichen Prozess darauf verständigen, wie wir die Lasten verteilen wollen, wie viel wir heute tragen, wie viel die nächste und die übernächste Generation tragen sollen. Im Moment passiert genau das nicht. Jede Partei legt schnell ihre eigenen Ideen vor.

    Immerhin wurde innerhalb von einer Woche das Klimaziel für 2030 um zehn Prozentpunkte hochgeschraubt.
    Verheyen: Einerseits eine gute Nachricht, andererseits macht mich das traurig. Hat diese Regierung tatsächlich auf ein Gerichtsurteil gewartet, um zu tun, was richtig ist?

    Hätten Regierungen beim Unterzeichnen des Klimaabkommens 2015 in Paris schon damit rechnen müssen, dass diese Ziele sie einmal vor Gericht bringen würden?
    Verheyen: Alle, die 2015 in Paris unterzeichnet haben, wussten, dass diese Ziele schwer zu erreichen sind und dass sie mit den vorhandenen Zusagen meilenweit verfehlt werden. Entsprechend werden schon damals viele geahnt haben, dass die Zahl der Klimaklagen deutlich zunehmen wird.

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    Das Urteil ist eine Steilvorlage. Man kann sich nun alle Indikatoren für planetare Grenzen vornehmen und auf schnelleres Handeln drängen

    Roda Verheyen

    Die Zahl dürfte nach Ihrer Klage weiter steigen.
    Verheyen: Es wäre mir viel lieber, keine Klagen führen zu müssen. Aber ja, das Urteil ist eine Steilvorlage. Man kann sich nun alle Indikatoren für planetare Grenzen vornehmen und auf schnelleres Handeln drängen. Dabei rückt vor allem die Landwirtschaft mit ihrem Einfluss auf die Biodiversität in den Fokus, aber natürlich auch der Verkehr und die Flächenversiegelung.

    Und vermutlich die kommende Klimakonferenz in Glasgow, zu der die Staaten neue Klimapläne mitbringen sollen.
    Verheyen: Juristen haben auch schon früher gesagt, dass zu schwache Klimaschutzpläne Menschenrechte verletzen. Aber jetzt können wir es mit dem Urteil eines Verfassungsgerichts im Rücken sagen.

    Die Fragen stellte Gregor Kessler.

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