Klimaforscher Michael E. Mann

  • Search30.03.2021

„Wir können das Schlimmste noch verhindern“

Seit Jahrzehnten diskreditieren Kohle-, Öl- und Gaskonzerne die Klimawissenschaft, sagt Michael E. Mann – und seit Jahrzehnten hält er mit Fakten dagegen. Im Interview mit EnergieWinde entlarvt er die Taktiken der Lobbyisten und erklärt, worauf es im „Krieg ums Klima“ ankommt.

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    Von Jasmin Lörchner

    Dass Michael E. Mann einer der berühmtesten Klimaforscher der Welt wurde, verdankt er seinem Doktorvater Barry Saltzman. Mann studierte Mathematik und Physik in Berkeley und stand kurz vor einer Promotion über kondensierte Materie in Yale, als ihn Saltzman für Klimamodelle begeisterte. Mann vertiefte sich in das Fach und veröffentlichte 1998 gemeinsam mit Kollegen die berühmte „Hockeyschlägerkurve“, einen der zentralen Datensätze der Klimaforschung. Damit geriet er über Nacht ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Vertreter der fossilen Energien stritten seine Befunde ab und attackierten ihn hart. Statt sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, wurde Mann zur prägenden Figur in der Wissenschaftskommunikation rund um die Klimakrise. Heute leitet der 55-Jährige das Zentrum für Geowissenschaften an der Pennsylvania State University. In seinem neuen Buch „Propagandaschlacht ums Klima“ beschreibt er, mit welchen Taktiken die fossile Industrie seit Jahrzehnten den Kampf gegen die Klimakrise sabotiert. (Eine Kurzrezension lesen Sie hier.)

    US-Klimaforscher Michael E. Mann spricht im Interview mit EnergieWinde ausführlich über sein Buch „Propagandaschlacht ums Klima“.

    Der Amerikaner Michael E. Mann leitet das Zentrum für Geowissenschaften der Pennsylvania State University und zählt zu den am meisten zitierten Klimawissenschaftlern überhaupt.

    Für dieses Gespräch hat Mann in seinem vollen Terminkalender 40 Minuten freigeräumt. Er schaltet sich im Videotelefonat vor einer Bücherwand voller Klimaliteratur hinzu. Der Amerikaner, der als Student Deutsch gelernt hat, spricht im Interview Englisch. Doch als er die Taktiken der fossilen Lobbyisten als „diabolical“ beschreibt, hält er inne: „Ich überlege, welches Wort es im Deutschen trifft.“ Wir einigen uns auf teuflisch.

    Mr. Mann, Sie schreiben in Ihrem Buch von einem Klimakrieg. Was ist das für ein Krieg und wer ist der Feind?
    Michael E. Mann: Die Fossilindustrie führt seit Jahrzehnten eine milliardenteure Desinformationskampagne. Sie diskreditiert die wissenschaftlichen Beweise für den Klimawandel, attackiert die Wissenschaft selbst und Forscher wie mich. Als wir vor mehr als zwei Jahrzehnten die Hockeyschlägerkurve veröffentlicht haben, die den menschlichen Einfluss auf das Klima deutlich macht, war das sehr lästig für die Fossilindustrie. Sie will, dass wir von fossiler Energie abhängig bleiben. Deshalb bekämpft sie seit Jahrzehnten jede Anstrengung und jede Politik, die den Klimawandel aufhalten will. Dabei haben Wissenschaftler bei ExxonMobil schon in den frühen 80er-Jahren in internen Dokumenten die Folgen des Klimawandels als potenziell katastrophal beschrieben. ExxonMobil löste die Abteilung auf, versteckte die Beweise und begann, unabhängige Wissenschaftler zu attackieren, die zu den gleichen Ergebnissen gekommen waren wie die eigenen Forscher. Mittlerweile kann niemand mehr den Klimawandel leugnen: Er spielt sich jeden Tag vor unseren Augen ab. Deshalb bedient sich die Industrie jetzt einer Reihe heimtückischer Taktiken, damit wir von fossiler Energie abhängig bleiben. Das ist der neue Klimakrieg.

    Warum sind diese Taktiken so gefährlich?
    Mann: Weil sie subtil sind und uns vom Handeln abhalten sollen. Das funktioniert mit Ablenkung, Schwarzmalerei und Spaltung. Ablenkung leitet die Aufmerksamkeit auf individuelles Verhalten und damit weg von der Forderung nach Veränderungen des Systems, etwa durch eine CO2-Bepreisung. Die Getränkeindustrie hat diese Strategie vor Jahrzehnten angewandt, um ein Gesetz zur Einführung eines Pfandsystems zu verhindern. Weil es ihre Gewinne geschmälert hätte, entwickelten Coca Cola und die Getränkeindustrie eine Werbekampagne mit einem weinenden Ureinwohner. Sie überzeugten uns, dass wir das Problem waren und dass wir es lösen könnten, indem wir Flaschen und Dosen aus der Umwelt aufsammeln. Sie hatten Erfolg: Das Pfandsystem wurde nie eingeführt. Stattdessen haben wir jetzt eine globale Krise der Plastikverschmutzung. Die Fossilindustrie hat dieses Handbuch gelesen. Es ist kein Zufall, dass British Petroleum (BP) Anfang der 2000er einen Rechner veröffentlicht hat, der den individuellen CO2-Fußabdruck eines Menschen berechnet.

    Viele von uns denken darüber nach, ob wir ein Elektroauto kaufen oder weniger Fleisch essen sollten. Ist das also falsch?
    Mann: Individuelles Handeln ist gut und wichtig! Das ist ja gerade das Bedauerliche: Wir alle sollten unseren CO2-Fußabdruck minimieren. Oft sparen wir dadurch sogar Geld oder fühlen uns gesünder. Aber auch wenn wir all diese Dinge tun, können weder Sie noch ich allein Subventionen verabschieden, einen Preis für Kohlenstoffemissionen festsetzen oder den Ausbau der fossilen Infrastruktur stoppen. Nur der Gesetzgeber kann das. Wir brauchen also beides: individuelles Handeln und einen Wandel des Systems.

    Sie schreiben auch über Schwarzmaler beim Klimaschutz. Man hat fast den Eindruck, dass Sie sich darüber noch mehr ärgern als über Klimaleugner.
    Mann (lacht): Ja, ich sag Ihnen warum. Es wirkt einfach so – welches Wort wähle ich jetzt, das auch im Deutschen richtig rüberkommt – teuflisch! Teuflisch und schmutzig. Schwarzmalerei zielt auf diejenigen, die sich ernsthaft Sorgen machen. Auf Menschen, die im Kampf gegen die Klimakrise ganz vorn mit dabei wären, würde man sie nicht in die falsche Richtung lenken. Die meisten Schwarzmaler sind keine bösen Menschen, sondern Opfer dieser Taktik. Weil man sie überzeugt hat, dass es zum Handeln zu spät sei und sie damit zu Inaktivisten macht, wie ich das nenne. Wir können das Schlimmste aber immer noch verhindern. Das Verbreiten von Hoffnungslosigkeit kann zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden: Jetzt, wo wir noch Zeit haben, handeln wir nicht, weil wir glauben, es sei schon zu spät.

    Womit müssen wir rechnen, wenn wir nicht handeln?
    Mann: Wir sehen gerade, was nur ein Grad Erwärmung bewirkt: furchtbare Feuer in Australien und im Westen der USA, Hitzewellen und Überschwemmungen in Europa. Wir können den Klimawandel nicht mehr aufhalten, er ist schon da. Die Frage ist, wie schlimm wir es werden lassen. Wenn wir nicht entschlossen handeln, könnten wir Ende dieses Jahrhunderts vier Grad Erwärmung haben. Mit Blick auf die Folgen von nur einem Grad ist es nicht schwer, sich vorzustellen, dass wir uns an vier Grad womöglich nicht anpassen können. Denn das hätte massive Folgen für die Infrastruktur, von der beinahe acht Milliarden Menschen auf dem Planeten abhängig sind: Nahrung, Wasser, Lebensraum. Es wird Klimaflüchtlinge und einen scharfen Wettbewerb um Ressourcen geben.

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    Ich hätte nie gedacht, dass ich einen Pfad beschreiten würde, der mich ins Zentrum einer der hitzigsten Debatten bringt, die wir als Zivilisation je geführt haben

    Wie hat sich die Debatte um den Klimawandel verändert in den 20 Jahren, seit Sie die Hockeyschlägerkurve veröffentlicht haben?
    Mann: Die Hockeyschlägerkurve ist ein regelrecht ikonischer Graph geworden. Leugner des Klimawandels haben versucht, mich als Wissenschaftler zu diskreditieren. Als ich an der UC Berkeley Angewandte Mathematik und Physik studierte, hätte ich nie gedacht, dass ich einen Pfad beschreiten würde, der mich ins Zentrum einer der hitzigsten Debatten bringt, die wir als Zivilisation je geführt haben. Die Debatte hat sich verändert, weil der Klimawandel nicht mehr geleugnet werden kann. Länder wie Deutschland und Angela Merkels Klimapolitik haben für andere Nationen ein Beispiel gesetzt. Die USA haben jetzt mit Joe Biden wieder eine starke Führung und John Kerry agiert auf globaler Ebene wie ein Botschafter für das Klima. Die USA sind wieder bereit, mit Partnern zusammenzuarbeiten.

    In Ihrem Buch beschreiben Sie auch Konflikte zwischen Aktivisten und Forschern, die sich gegenseitig vorwerfen, dass jemand fliegt oder Fleisch isst. Fürchten Sie, dass sich die Bewegung in internen Streitigkeiten verzettelt?
    Mann: Absolut. Wir sprechen hier über eine weitere der Taktiken der Inaktivisten, nämlich die Spaltung. Nicht nur Vertreter aus der Fossilindustrie setzen sie ein, sondern auch Petrostaaten. Besonders Russland ist für regelrechte Cyber-Ops bekannt: Bots und Trolle stören die Debatte insbesondere in den sozialen Medien, indem sie die Unterhaltung in solche Bahnen lenken. Wenn sie uns dazu bringen, dass wir uns gegenseitig unseren CO2-Fußabdruck vorhalten, erfüllt das gleich drei Ziele: Ablenkung, weil es den Fokus auf individuelles Verhalten statt einen Systemwandel lenkt. Spaltung, weil sich Klimaaktivisten mit Klimaaktivisten streiten. Und Diskreditierung, weil in dieser Diskussion prominente Figuren angegriffen werden. Es ist kein Zufall, dass Rupert Murdochs Medien Aktivisten wie Leonardo DiCaprio, Al Gore oder John Kerry für ihren Lebenswandel attackieren. Auf staatlicher Ebene ist Russland der schlimmste Akteur in der Debatte um den Klimawandel. Putin versucht, die amerikanische, europäische und kanadische Politik zu beeinflussen. Dem eigenen Volk erzählt er, dass Klimawandel Russland sogar nutzen könnte. Das stimmt natürlich nicht. Aber Russland hat große fossile Vorkommen, die es fördern und von denen es finanziell profitieren will. Auch die USA waren unter Donald Trump ein Petrostaat. Trump machte Rex Tillerson, den früheren CEO von ExxonMobil, zu seinem Innenminister – das sagt schon alles.

    Microsoft-Gründer Bill Gates hat ebenfalls ein Buch über die Klimakrise veröffentlicht und darin die Atomenergie als Lösung vorgeschlagen. Freuen Sie sich über die prominente Schützenhilfe oder finden Sie sie problematisch?
    Mann: Beides. Einerseits ist es großartig, dass Bill Gates seine Bekanntheit nutzt, um die Aufmerksamkeit auf die Klimakrise zu lenken. Ich glaube aber, dass er sich mit der Atomenergie für die falsche Lösung einsetzt. Er schreibt zwar über die Bedeutung von erneuerbaren Energien, aber er hat eine sehr selektive Interpretation der Literatur zu diesem Thema. Ein englisches Sprichwort sagt: Wenn das einzige Werkzeug ein Hammer ist, sieht alles aus wie ein Nagel. Bill Gates kommt aus dem High-Tech-Sektor. Er sieht alles als technologisches Problem, nicht als sozioökonomisches. Hier geht es aber nicht um die Entwicklung neuer Technologien. Wir haben mit den erneuerbaren Energien bereits sehr gute. Bill Gates ignoriert breit akzeptierte Studien wie die von Mark Jacobson aus Stanford und von den Wissenschaftlern der UC Berkeley. Die zeigen, dass man mit Wind, Solar und Geothermie 80 Prozent des Energiebedarfs schon 2030 decken kann, 2050 sogar 100 Prozent. Es ist also keine Frage der Technologie, sondern von politischem Willen. Ich glaube nicht, dass Gates dabei böse Absichten hat. Eher, dass er fehlgeleitet ist, weil er einen sehr engen Blickwinkel hat. Das sieht man auch bei Elon Musk. Es sind immer diese weißen, männlichen Technologen, die zur Hilfe eilen und Probleme lösen wollen.

    … und die Erde ist die hilflose junge Dame?
    Mann (lacht): Ja, genau.

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    Ich weiß nicht, wie viele Artikel Rupert Murdoch veröffentlicht hat, in denen er sich um die Vögel sorgt, die in Windräder fliegen. Dass Hauskatzen im Durchschnitt pro Jahr mehr Vögel töten als Windräder, darüber lesen wir nichts

    Auch erneuerbare Energien haben ihre Herausforderungen: Vögel, die in Windräder fliegen, Stromleitungen, die quer durch Wälder gezogen werden, problematische Bedingungen beim Abbau von seltenen Erden für die Fertigung von Batterien. Wie sollten Klimaaktivisten damit umgehen?
    Mann: Da gibt es einige Herausforderungen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Die Inaktivisten versuchen natürlich sofort, sich das zunutze zu machen. Ich weiß nicht, wie viele Artikel Rupert Murdoch veröffentlicht hat, in denen er sich um die Vögel sorgt, die in Windräder fliegen. Dass Hauskatzen im Durchschnitt pro Jahr mehr Vögel töten als Windräder, darüber lesen wir nichts. Die National Audubon Society, die sich für den Artenschutz von Vögeln einsetzt, hat Vogelschlag als Problem anerkannt, sagt aber auch, dass die langfristige Gefahr des Klimawandels für den Artenschutz und den Fortbestand von Vögeln höher ist. Wir können Vogelschlag minimieren, indem wir zum Beispiel Windräder in Gegenden installieren, die nicht im Weg von Zugvögeln liegen. Auch bei der Förderung seltener Erden brauchen wir Regulierungen. Wir können nicht einfach weiter immer mehr Ressourcen abbauen, um die globale Ökonomie am Laufen zu halten. Das ist nicht vereinbar mit dem Erhalt unserer Umwelt. In meinem Buch argumentiere ich dafür, die Mittel einzusetzen, die uns jetzt zur Verfügung stehen – und gleichzeitig daran zu arbeiten, dieses System weiter zu verbessern.

    Welche Hoffnungen haben Sie für den UN-Klimagipfel in Glasgow Ende des Jahres?
    Mann: Es wird schon vor Glasgow eine Art Mini-Gipfel geben, weil Joe Biden andere Staatenlenker zum Earth Day im April nach Washington eingeladen hat. Wir können also schon dann eine wichtige Diskussion beginnen: Wenn alle Länder die Vereinbarung des Pariser Klimaabkommens einhalten, würde uns das ungefähr auf halben Weg dahin bringen, eine Erwärmung um vier Grad zu verhindern. Nun haben die USA und China ihre Selbstverpflichtungen noch nicht veröffentlicht. Klar ist aber, dass wir unter zwei Grad kommen müssen, idealerweise unter 1,5 Grad. Als Trump aus dem Pariser Abkommen ausgestiegen ist, hat das auch China und Ländern wie Australien eine Ausrede gegeben, in ihren Bemühungen nachzulassen. Die Biden-Regierung hat eine mutige Agenda gesetzt, mutiger noch als die unter Obama. Sie signalisiert: Wir nehmen das Thema sehr ernst. Es wird eine Menge Austausch geben müssen in den kommenden Monaten. Aber ich bin vorsichtig optimistisch, dass wir in Glasgow endlich bedeutungsvolle Vereinbarungen sehen und unsere Bemühungen in der Klimakrise einen Gang hochschalten.

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