Wie hat sich die Debatte um den Klimawandel verändert in den 20 Jahren, seit Sie die Hockeyschlägerkurve veröffentlicht haben?
Mann: Die Hockeyschlägerkurve ist ein regelrecht ikonischer Graph geworden. Leugner des Klimawandels haben versucht, mich als Wissenschaftler zu diskreditieren. Als ich an der UC Berkeley Angewandte Mathematik und Physik studierte, hätte ich nie gedacht, dass ich einen Pfad beschreiten würde, der mich ins Zentrum einer der hitzigsten Debatten bringt, die wir als Zivilisation je geführt haben. Die Debatte hat sich verändert, weil der Klimawandel nicht mehr geleugnet werden kann. Länder wie Deutschland und Angela Merkels Klimapolitik haben für andere Nationen ein Beispiel gesetzt. Die USA haben jetzt mit Joe Biden wieder eine starke Führung und John Kerry agiert auf globaler Ebene wie ein Botschafter für das Klima. Die USA sind wieder bereit, mit Partnern zusammenzuarbeiten.
In Ihrem Buch beschreiben Sie auch Konflikte zwischen Aktivisten und Forschern, die sich gegenseitig vorwerfen, dass jemand fliegt oder Fleisch isst. Fürchten Sie, dass sich die Bewegung in internen Streitigkeiten verzettelt?
Mann: Absolut. Wir sprechen hier über eine weitere der Taktiken der Inaktivisten, nämlich die Spaltung. Nicht nur Vertreter aus der Fossilindustrie setzen sie ein, sondern auch Petrostaaten. Besonders Russland ist für regelrechte Cyber-Ops bekannt: Bots und Trolle stören die Debatte insbesondere in den sozialen Medien, indem sie die Unterhaltung in solche Bahnen lenken. Wenn sie uns dazu bringen, dass wir uns gegenseitig unseren CO2-Fußabdruck vorhalten, erfüllt das gleich drei Ziele: Ablenkung, weil es den Fokus auf individuelles Verhalten statt einen Systemwandel lenkt. Spaltung, weil sich Klimaaktivisten mit Klimaaktivisten streiten. Und Diskreditierung, weil in dieser Diskussion prominente Figuren angegriffen werden. Es ist kein Zufall, dass Rupert Murdochs Medien Aktivisten wie Leonardo DiCaprio, Al Gore oder John Kerry für ihren Lebenswandel attackieren. Auf staatlicher Ebene ist Russland der schlimmste Akteur in der Debatte um den Klimawandel. Putin versucht, die amerikanische, europäische und kanadische Politik zu beeinflussen. Dem eigenen Volk erzählt er, dass Klimawandel Russland sogar nutzen könnte. Das stimmt natürlich nicht. Aber Russland hat große fossile Vorkommen, die es fördern und von denen es finanziell profitieren will. Auch die USA waren unter Donald Trump ein Petrostaat. Trump machte Rex Tillerson, den früheren CEO von ExxonMobil, zu seinem Innenminister – das sagt schon alles.
Microsoft-Gründer Bill Gates hat ebenfalls ein Buch über die Klimakrise veröffentlicht und darin die Atomenergie als Lösung vorgeschlagen. Freuen Sie sich über die prominente Schützenhilfe oder finden Sie sie problematisch?
Mann: Beides. Einerseits ist es großartig, dass Bill Gates seine Bekanntheit nutzt, um die Aufmerksamkeit auf die Klimakrise zu lenken. Ich glaube aber, dass er sich mit der Atomenergie für die falsche Lösung einsetzt. Er schreibt zwar über die Bedeutung von erneuerbaren Energien, aber er hat eine sehr selektive Interpretation der Literatur zu diesem Thema. Ein englisches Sprichwort sagt: Wenn das einzige Werkzeug ein Hammer ist, sieht alles aus wie ein Nagel. Bill Gates kommt aus dem High-Tech-Sektor. Er sieht alles als technologisches Problem, nicht als sozioökonomisches. Hier geht es aber nicht um die Entwicklung neuer Technologien. Wir haben mit den erneuerbaren Energien bereits sehr gute. Bill Gates ignoriert breit akzeptierte Studien wie die von Mark Jacobson aus Stanford und von den Wissenschaftlern der UC Berkeley. Die zeigen, dass man mit Wind, Solar und Geothermie 80 Prozent des Energiebedarfs schon 2030 decken kann, 2050 sogar 100 Prozent. Es ist also keine Frage der Technologie, sondern von politischem Willen. Ich glaube nicht, dass Gates dabei böse Absichten hat. Eher, dass er fehlgeleitet ist, weil er einen sehr engen Blickwinkel hat. Das sieht man auch bei Elon Musk. Es sind immer diese weißen, männlichen Technologen, die zur Hilfe eilen und Probleme lösen wollen.
… und die Erde ist die hilflose junge Dame?
Mann (lacht): Ja, genau.