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Folgen des Klimawandels
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Von Volker Kühn
Der Eiffelturm ist 324 Meter hoch, von der obersten Etage reicht der Blick fast 90 Kilometer weit, er ist das berühmteste Bauwerk Frankreichs, wenn nicht der Welt. Man sollte meinen, dass eine Botschaft, die bei Nacht in meterhohen Leuchtbuchstaben auf seiner Fassade erstrahlt, weithin wahrgenommen wird. Doch das ist ein Irrtum. Die „1.5 Degrees“ jedenfalls, die dort im Dezember 2015 zum Ende des Pariser Klimagipfels zu lesen waren, haben es anfangs nicht ins Bewusstsein geschafft.
Stattdessen prägte sich ein anderer Wert ein: zwei Grad. Wenn es gelänge, die Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts auf zwei Grad zu begrenzen, so der vorherrschende Eindruck nach dem Gipfel, dann wäre die Welt vor den schlimmsten Folgen des Klimawandels gerettet.
Doch auch das ist ein Irrtum. In vielen Regionen der Erde würden zwei Grad nicht die Rettung, sondern vielmehr eine Katastrophe bedeuten. Die Zahl von Dürren und Sturmfluten würde sich vervielfachen, der Anstieg des Meeresspiegels beschleunigen, fast sämtliche Korallen würden sterben, zahllose Tier- und Pflanzenarten für immer verschwinden.
Deshalb ist ein Zusatz zum Pariser Klimaabkommen so wichtig, den die Staatengemeinschaft auf Druck von Ländern beschlossen hat, die bereits stark unter der Erderhitzung leiden: Die Erwärmung soll demnach auf deutlich unter zwei Grad begrenzt werden – möglichst aber sogar auf 1,5 Grad. In der öffentlichen Wahrnehmung jedoch ging dieser Zusatz unter; für die meisten war der Pariser Gipfel untrennbar mit dem „Zwei-Grad-Ziel“ verbunden.
Zwei Grad oder 1,5 Grad – macht das wirklich so einen großen Unterschied? Die Antwort ist eindeutig: Ja. Das belegt eine Vielzahl wissenschaftlicher Studien, allen voran der „Sonderbericht 1,5 °C globale Erwärmung“ des Weltklimarats IPCC.
Was den Unterschied so bedrohlich macht, ist ein Phänomen, das die Ausbreitung des Coronavirus schmerzlich vor Augen führt: exponentielles Wachstum. Menschen sind es gewohnt, in linearen Prozessen zu denken – zwei, vier, sechs, acht, zehn. Ein aggressives Virus allerdings verbreitet sich ohne Maßnahmen zu seiner Eindämmung nicht linear, sondern exponentiell – zwei, vier, acht, sechzehn, zweiunddreißig.
Ähnlich verhält es sich mit den Folgen der Erderwärmung. Auch sie verschärfen sich nicht in gleichmäßigen, vorhersehbaren Schritten, sondern werden mit jedem Zehntelgrad, um das sich der Planet aufheizt, immer gravierender, immer schwieriger zu kontrollieren.
Infografik: Benedikt Grotjahn
Auch ein Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um 1,5 Grad hätte gravierende Folgen: In Teilen Europas etwa würde das Thermometer an den heißesten Tagen um drei bis vier Grad höher als vor der Industrialisierung klettern. Bei zwei Grad globaler Erwärmung wären es schon fünf Grad.
Das Problem exponentieller Prozesse ist, dass Menschen dazu neigen, sie zu unterschätzen. In der ersten Phase verlaufen sie langsam, scheinbar harmlos. Dann aber schießt die Kurve plötzlich steil in die Höhe und ist kaum noch stoppen. Das Problem kennen Schuldner, die selbst bei anfänglich kleinen Darlehenssummen irgendwann unter der Last von Zins und Zinseszins zusammenbrechen, sofern sie nicht rechtzeitig beginnen, die Schulden abzutragen.
Im Fall des Klimawandels werden solche exponentiellen Entwicklungen durch sogenannte Kipppunkte zusätzlich befeuert. Das sind Momente, in denen die Erderhitzung außer Rand und Band gerät und ein sich selbst beschleunigender Prozess einsetzt.
Eines der bekanntesten Beispiele für einen solchen Kipppunkt sind die Permafrostböden im hohen Norden: Tauen sie auf, werden Unmengen Methan freigesetzt, ein Treibhausgas, das noch viel gefährlicher ist als CO2. Dadurch beschleunigt sich die Erderhitzung weiter, was wiederum zusätzliche Böden tauen lässt. Ein Teufelskreis.
Verfolgt man die jüngsten Nachrichten aus Sibirien, scheint dieser Prozess bereits begonnen zu haben. Dort ist es schon seit Monaten viel zu warm. Die Temperaturen lagen zum Teil um fünf Grad über dem zu erwartenden Niveau. Im ostsibirischen Werchojansk, einer Kleinstadt innerhalb des Polarkreises, stiegen sie Mitte Juni auf 38 Grad im Schatten.
Die polare Hitzewelle bleibt nicht ohne Folgen: In Norilsk sackte das Fundament eines Tanklagers weg, das jahrzehntelang stabil auf dem Permafrostboden gestanden hatte. Der Tank riss auf, und 20.000 Tonnen Diesel flossen aus – eine Katastrophe für das sensible Ökosystem der Region.
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Umweltkatastrophe in Sibirien: In Norilsk sind 20.000 Tonnen Diesel ausgelaufen, weil der Permafrostboden unter einem Tanklager aufgetaut ist und die Statik ins Wanken geriet.
Es gibt viele weitere Beispiele für Kipppunkte des lokalen oder globalen Klimasystems. Mit den steigenden Temperaturen etwa bleiben größere Flächen des arktischen Ozeans im Sommer eisfrei. Dadurch beschleunigt sich die Eisschmelze zusätzlich, denn während Eis rund 40 Prozent des Sonnenlichts zurückwirft, reflektiert Wasser nur gut zehn Prozent – und wärmt sich entsprechend stärker auf.
Während die Forschung zur Frage, wann genau welche Kipppunkte erreicht sein könnten, in vielen Bereichen noch läuft, beschreibt der Sonderbericht des Weltklimarats die unterschiedlichen Szenarien für eine Erwärmung um 1,5 Grad beziehungsweise zwei Grad recht genau.
Die Szenarien zeigen, dass auch das Leben in einer um 1,5 Grad wärmeren Welt sehr viel rauer als heute wäre. Aus Sicht von Wissenschaftlern wären die Folgen in diesem Fall aber gerade noch beherrschbar, der Mensch könnte sich anpassen. Im Fall einer Erwärmung um zwei Grad – oder sogar noch mehr – wäre das deutlich schwieriger, wenn nicht unmöglich. Deshalb lohne es sich, gegen jedes Zehntelgrad Erderwärmung zu kämpfen.
Allerdings hat sich die Welt bereits um gut ein Grad aufgewärmt. Soll das 1,5-Grad-Ziel noch erreicht werden, muss der Ausstoß an Treibhausgasen möglichst rasch auf null gedrückt werden – manche Studien sagen, bis zum Jahr 2050, andere gehen sogar schon von Ende der 2030er-Jahre aus.
Die Botschaft, die 2015 vom Eiffelturm erstrahlte, ist allerdings immer noch nicht überall angekommen. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff etwa erklärte Anfang Juli auf die Frage des Journalisten Tilo Jung nach dem 1,5-Grad-Ziel genervt: „Lösen Sie sich doch mal von den Gradzahlen.“