Folge des PV-Booms

  • Search13.09.2024

Wenn der Strompreis unter Null fällt

An der Strombörse dreht der Preis immer öfter ins Minus. Grund sind der Solarboom und unflexible konventionelle Kraftwerke. Wie negative Strompreise entstehen, was die Folgen sind und welche Gegenmittel diskutiert werden.

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    Negative Strompreise treten infolge des Booms der Solarenergie in Deutschland immer häufiger auf.

    Vom Balkonkraftwerk bis zum fußballfeldgroßen Solarpark: Der Ausbau der Fotovoltaik macht rasante Fortschritte.

     

    Von Volker Kühn

    Mal angenommen, Sie besäßen einen Apfelbaum und lebten davon, Obst auf dem Markt zu verkaufen – können Sie sich eine Situation vorstellen, in der Sie die Ernte verschenken oder Ihre Kunden gar dafür bezahlen würden, dass Sie Ihnen die Äpfel abnehmen?

    Vermutlich nicht. Aber was wäre, wenn die Ernte ungewöhnlich gut ausgefallen wäre? Wenn Sie Tonnen von Äpfeln hätten, wenn die Zweige unter der Last zu brechen drohten, wenn Ihr Lagerraum bereits überquellen und das überreife Obst Wespenschwärme anlocken würde? Vielleicht wären Sie dann doch bereit, Ihren Kunden Geld zu bieten, um das Zeug loszuwerden.

    Womit wir bei der Strombörse wären. Denn dort kommt es immer öfter zu einer Situation, die ähnlich absurd anmutet wie die Apfelgeschichte. Seit Jahresbeginn ist der Preis pro Kilowattstunde Strom in 388 Stunden ins Minus gefallen. Die Stromproduzenten zahlten also in zusammengenommen fast zweieinhalb Wochen dafür, dass sie die Verbraucher beliefern durften. Das war immer dann der Fall, wenn die Erzeugung den Bedarf überstieg und es keine Möglichkeiten gab, die Überschüsse ins Ausland zu exportieren.

    Negative Strompreise: An der Strombörse fällt der Preis pro Kilowattstunde Strom immer öfter ins Minus. 2024 war das bereits in 388 Stunden der Fall. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Der Trend wirft eine Reihe von Fragen auf. Es gibt Akteure, die davon profitieren, und andere, die das Nachsehen haben. Nicht zuletzt belastet die Entwicklung viele Privathaushalte und den des Staates. Ein Überblick.

    Wann gibt es negative Strompreise?

    An der Börse wird Strom für verschiedene Zeiträume gehandelt. Negative Strompreise treten im kurzfristigen Handel auf, wenn der Strom noch am selben Tag geliefert werden soll (Intraday-Handel) oder am Folgetag (Day-Ahead-Handel). Ins Minus drehen die Preise nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage dann, wenn die Stromerzeugung den Bedarf übersteigt.

    Oft geschieht das an Feiertagen wie Ostern oder Pfingsten. Dann stehen viele Fabriken still und Büros bleiben leer, die Nachfrage ist also gering. Zugleich lacht um diese Zeit häufig die Sonne und der Wind bläst kräftig bläst, sodass besonders viel Grünstrom in die Netze flutet: Hohes Angebot, schwache Nachfrage, entsprechend purzeln die Preise.

    Warum kommt es immer öfter zu negativen Strompreisen?

    Nicht nur in Deutschland, auch in anderen Ländern fallen die Preise an der Strombörse in immer mehr Stunden unter Null. In Frankreich etwa kam das zuletzt sogar noch häufiger als in Deutschland vor. Hierzulande hat der Trend im Wesentlichen zwei Ursachen.

    • Zum einen boomt der Ausbau der Erneuerbaren, insbesondere der Solarenergie. Allein seit Jahresanfang wurden neue PV-Anlagen mit einer Gesamtkapazität von 9,8 Gigawatt in Deutschland aufgebaut. Zum Vergleich: Die letzten drei Atomkraftwerke kamen auf nicht einmal die Hälfte davon. Wenn der Himmel wolkenfrei ist, drückt daher von Tag zu Tag mehr Sonnenstrom in die Leitungen. Zugleich kommt auch der Ausbau der Windenergie wieder in Schwung. Das Wetter hat dadurch einen immer größeren Einfluss auf die Menge des produzierten Stroms.
    • Zum anderen sind auch nach dem Atomausstieg noch immer viele konventionelle Großkraftwerke im Einsatz. Gerade Kohlekraftwerke lassen sich allerdings nicht ohne Weiteres runter- und wieder hochfahren, wenn ihr Strom vorübergehend nicht gebraucht wird, weil gerade (zu) viel Grünstrom im Netz ist.

    Warum werden nicht einfach Kraftwerke gedrosselt, wenn der Bedarf gedeckt ist?

    Es erscheint absurd, dass Kraftwerksbetreiber auch dann noch Strom liefern, wenn sie dafür bezahlen müssen. Doch dafür gibt es sowohl technische als auch rechtliche Gründe. Große Kohlekraftwerke etwa sind dafür gemacht, möglichst gleichmäßig zu laufen. Ein ständiges Ein- und Ausschalten könnte zu Sicherheitsproblemen und teurem Verschleiß führen. Oft ist es für sie einfacher, ihren Strom vorübergehend zu negativen Preisen zu verkaufen, als das Kraftwerk herunterzufahren.

    Manche Kraftwerke nehmen zudem am sogenannten Regelenergiemarkt teil. Sie werden dafür bezahlt, eine Reserve vorzuhalten, um Schwankungen in der Frequenz des Stromnetzes jederzeit ausgleichen zu können, und dürfen daher allenfalls bis zu einem gewissen Grad gedrosselt werden.

    Wer profitiert von negativen Strompreisen?

    Für Großverbraucher in der Industrie sind Phasen negativer Preise natürlich erfreulich, insbesondere wenn sie die Möglichkeit haben, ihre Produktion gezielt in diese Zeiten zu verschieben. Im Fachjargon ist von „Lastmanagement“ die Rede.

    Auch Privathaushalte können von negativen Preisen profitieren, wenn sie dynamische Stromtarife und intelligente Zähler besitzen. Zwar zahlen sie auch in diesen Phasen noch Steuern und Abgaben auf jede Kilowattstunde, sodass der Preis in Summe selten unter Null fällt. Doch Waschmaschine, Wärmepumpe und Wallbox laufen dann für wenige Cent.

    Welche unerwünschten Folgen haben negative Strompreise?

    Die wirtschaftlichen Auswirkungen von Phasen mit Strompreisen unter Null sind erheblich. Das Nachsehen haben zum einen die Netzbetreiber. Sie müssen ihre Leitungen für viel Geld ausbauen, um Stromüberschüsse so gut es geht abzutransportieren. Oder sie nehmen Wind- und Solarparks bei besten Produktionsbedingungen vom Netz. In beiden Fällen landen die Kosten am Ende über die Netzentgelte beim Verbraucher.

    Zur Belastung werden negative Strompreise zunehmend auch für das EEG-Konto. Daraus werden die Vergütung finanziert, die Betreiber von Solaranlagen, Windparks und anderen erneuerbaren Stromquellen erhalten, wenn der Preis an der Strombörse unter den Wert sinkt, zu dem sie den Zuschlag für den Bau ihrer Anlagen erhalten haben. Das Geld fließt auch dann, wenn die Strompreise negativ sind.

    Weil die Kosten für das EEG-Konto aufgrund der niedrigen Börsenstrompreise immer weiter steigen, hat sich die Bundesregierung auf ein Aussetzen der Vergütung in Zeiten negativer Preise ab Januar 2025 verständigt. Ob die Regelung noch rechtzeitig beschlossen wird, um dann in Kraft zu treten, ist aktuell aber unklar.

    Welche Möglichkeiten gibt es, um negative Strompreise zu verhindern?

    Da die Preise zuletzt vor allem dann tief ins Minus fielen, wenn viel Sonnenstrom im Netz war, läge der Gedanke an einen Ausbaustopp für Solaranlagen nahe. Doch das wäre fatal. Zwar sinkt der Stromverbrauch in Deutschland derzeit noch tendenziell. Doch in Zukunft werden wir noch viel mehr Strom brauchen, um Sektoren wie Industrie und Verkehr zu dekarbonisieren, sei es direkt durch Elektrizität oder durch grünen Wasserstoff.

    Folglich müssen andere Lösungen her, um negative Preise zu vermeiden oder zumindest ihre Häufigkeit zu begrenzen. Vor allem zwei Ideen erscheinen aussichtsreich:

    • Preisanreize könnten Privathaushalte und Industrie betriebe dazu bringen, den Verbrauch in Zeiten von Stromüberschüssen zu verschieben. Voraussetzung dafür sind eine weiterreichende Digitalisierung des Netzes mit intelligenten Stromzählern und dynamische Tarife.
    • Statt in die Stromleitungen könnte der Überschussstrom in lokale Speicher fließen, etwa in Form von Wasserstoff in unterirdischen Kavernen.
      Und auch Batteriespeicher könnten künftig eine größere Rolle spielen. Denn ihre Preise fallen fast genauso dramatisch wie der Börsenstrompreis an Ostern. Laut einer diese Woche in „Nature“ veröffentlichten Studie könnten PV-Anlagen inklusive Speicher schon 2030 die günstigste Form der Stromerzeugung überhaupt sein.

    Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energien (BEE), bringt zudem eine Änderung der EEG-Förderung ins Gespräch. Bislang werden Ökostromerzeuger über einen festgesetzten Zeitraum gefördert, unabhängig vom aktuellen Börsenstrompreis. Künftig sollten sie die Förderung für eine bestimmte Gesamtmenge an Grünstrom erhalten, die sie zeitlich flexibel produzieren können. In Zeiten negativer Strompreise könnten sie dadurch die Erzeugung drosseln oder stoppen, ohne einen Einnahmeausfall zu erleiden, weil sie die Produktion später nachholen könnten.

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