Friedensprojekt Energiewende

  • Search20.11.2020

Make wind, not war

Öl und Gas heizen nicht nur den Klimawandel an, sie befeuern auch militärische Konflikte in aller Welt. Wer Frieden schaffen will, muss deshalb die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen beseitigen – durch Investitionen in saubere Energiequellen wie Sonne und Wind.

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    Panzer mit Zapfhahn, aus dem Blut tropft: Das Protestplakat mit dem Slogan „Kein Blut für Öl“ hat ein unbekannter Streetart-Künstler in Berlin aufgehängt.

    „Kein Blut für Öl“: Protestplakat eines unbekannten Streetart-Künstlers in Berlin.

    Von Gregor Kessler

    Im Kalender der Weltpolitik hat die Münchener Sicherheitskonferenz einen festen Platz. Jedes Jahr im Februar treffen sich Staats- und Regierungschefs mit Militärs und Sicherheitspolitikern im Hotel Bayerischer Hof, um über die Krisen und Konflikte rund um den Globus zu beraten. Viele Jahre beherrschten Waffenarsenale, Verteidigungssysteme und das ganz große Spiel der Geopolitik die Agenda. Inzwischen aber geht es in den Debattierrunden auch um Physik, Ozeanographie, Meteorologie und all die anderen Teilgebiete der Klimaforschung. Die Klimakrise, das ist die klare Erkenntnis, ist im Verständnis der Staatschefs inzwischen eine ebenso große Bedrohung wie Sturmgewehre oder Atomraketen.

    Die größten Konflikte wüten in Ländern, die stark unter dem Klimawandel leiden

    Kein Wunder. 87 Prozent der zwischen 2008 und 2018 aus ihrer Heimat vertriebenen Menschen flohen laut einer Studie (PDF) vor Extremwetterereignissen, deren Zahl und Zerstörungskraft durch den Klimawandel steigt. Allein in der Sub-Sahara-Zone, Südasien und Lateinamerika könnte die fortschreitende Erderhitzung bis zur Mitte des Jahrhunderts 140 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertreiben, warnt die Weltbank.

    Jene Staaten, die unter den Folgen des Klimawandels am stärksten leiden, haben ihm oft am wenigsten entgegenzusetzen. In dieser Verletzlichkeit zeigt sich eine deutliche Korrelation zu kriegerischen Konflikten: Acht der zehn größten internationalen Friedenseinsätze finden in Ländern wie Somalia, der Republik Kongo oder Afghanistan statt, die schon heute stark vom Klimawandel gebeutelt werden, wie das Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) festgestellt hat (PDF).

    Die Energiewende ist das „beste Friedensprojekt der Welt“, sagt Claudia Kemfert

    Zwar ist der unmittelbare Zusammenhang zwischen einer sich beschleunigenden Erderhitzung und bewaffneten Konflikten umstritten, sehr einhellig ist jedoch die Einschätzung von Friedensforschern, dass ein fortschreitender Klimawandel solche Konflikte verstärkt.

    Gilt im Umkehrschluss, dass erprobte Schritte gegen den Klimawandel, also der Umstieg auf klimaschonende erneuerbare Energien, Konflikte weniger wahrscheinlich macht? Ist die Energiewende gar das „beste Friedensprojekt der Welt“, wie die Wissenschaftlerin Claudia Kempfert meint? Vieles deutet darauf hin.

    Irakkrieg 1991: US-Kampfflugzeuge überwachen die Sicherheitszone in Kuwait, während am Boden die Ölfelder in Flammen stehen, die irakische Truppen in Brand gesetzt haben.

    Amerikanische Kampfflugzeuge überwachen im Irakkrieg 1991 die Flugsicherheitszone über Kuwait. Der Irak hatte die Ölfelder des Landes in Brand gesetzt. Experten aus aller Welt brauchten neun Monate, um sämtliche Feuer zu löschen.

    „No Blood For Oil“: Die ersten Plakate mit diesem Slogan tauchten 1991 auf. Die USA führten gerade eine breite Koalition in den Irak-Krieg, in dem es maßgeblich darum ging, dem Westen Zugang zu billigem Öl zu sichern. „Kein Blut für Öl“ riefen Demonstranten auch in Deutschland. Es ist ein Slogan mit beachtlicher Haltbarkeit. Vom Einsatz der US-Truppen in Somalia 1993 über den Zweiten Irak-Krieg 2003 bis hin zum hochkochenden Konflikt zwischen den USA und Venezuela 2019 taucht er immer wieder auf.

    Die Klimakrise verschärft existierende Konflikte. Sie untergräbt den Frieden

    Das Motto ruft in Erinnerung, dass der für Volkswirtschaften bislang existenzielle Zugang zu fossilen Energien wie Öl, Gas und Uran, die von wenigen Staaten kontrolliert werden, seit Jahrzehnten ein Auslöser von Konflikten und Kriegen ist. Gleichzeitig zeigt der Global Peace Index, der die Friedfertigkeit von derzeit 162 Ländern bewertet, dass Exportländer fossiler Energien häufiger in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt sind als Importländer.

    Der Zusammenhang von Klima, Energie, Krieg und Frieden ist komplex, aber doch erkennbar. Wie sich die Bereiche gegenseitig beeinflussen, lässt sich in zwei Sätzen umreißen: Der Klimawandel verstärkt Bedrohungen, die Auseinandersetzungen auslösen und den Frieden untergraben können. Und die Kontrolle über und der Zugang zu fossilen Energien war in den vergangenen Jahrzehnten häufig Auslöser für militärische Konflikte.

    Wie könnte ein schneller und gerechter Umstieg auf erneuerbare Energien diesen Problemen entgegenwirken?

    Zunächst, indem ein wachsender Anteil an Solar- und Windenergie die Abhängigkeit von teuren Energieimporten verringert und zugleich den CO2-Ausstoß senkt, der global zu zwei Dritteln aus der Energiewirtschaft stammt. Auch Deutschland importiert noch immer gut zwei Drittel seines Bedarfs an Primärenergie – einen erheblichen Anteil davon aus Ländern mit fragwürdiger Rechtsstaatlichkeit wie Russland oder Saudi-Arabien.

    Versorgungssicherheit bedeutet auch: nicht von russischem Gas abhängig zu sein

    Den Einfluss solcher Energieexporteure zu schwächen, indem man ihnen weniger Öl und Gas abkauft, kann dem Begriff der Versorgungssicherheit eine neue Lesart geben.

    Statt der von den Lobbyisten fossiler Energien bemühten Mär vom drohenden Blackout durch die Energiewende, ginge es dann um eine Energiepolitik, die hilft, Konflikte zu vermeiden. Neben der Gefahr militärischer Auseinandersetzungen um Rohstoffe entschärft die Energiewende auch gesellschaftliche Konflikte, etwa indem sie Zerstörung und Verschmutzung durch Öl- oder Kohleausbeutung reduziert oder der aktuell eine Milliarde Menschen ohne Strom den Zugang zu Elektrizität erleichtert.

    Solarkraftwerk Ouarzazate in Marokko: Die Anlage kann bis zu zwei Gigawatt Strom produzieren und verringert so die Abhängigkeit des Landes von Energie-Importen.

    Bis zu zwei Gigawatt Strom soll das Solarkraftwerk Ouarzazate in Marokko nach seiner Fertigstellung liefern. Das Land entwickelt sich vom Energieimporteur zum Exporteur.

    Die relativ gleichmäßige geographische Verteilung regenerativer Energien wie Solar- und Windkraft stärkt die Energieautonomie von Staaten und fördert die wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit. Wie schnell dieser Umstieg gerade in Staaten des ärmeren Südens mit ihren oftmals guten Voraussetzungen für Solar- und Windstrom gehen kann, zeigt das Beispiel Marokko. Bis vor wenigen Jahren noch importierte das Land 90 Prozent seiner Energie. Bis Ende dieses Jahrzehnts will Marokko mehr als die Hälfte seiner Elektrizität selbst erzeugen – erneuerbar. Perspektivisch wird das Land zum Energieexporteur.

    Elf Millionen Jobs könnten bis 2050 in den erneuerbaren Energien entstehen

    Die Vorteile gehen schon jetzt über ersparte Devisen hinaus. Die geschätzten elf Millionen Arbeitsplätze, die erneuerbare Energien weltweit bis zur Mitte des Jahrhunderts schaffen können, werden über Wartung und Montage zu einem erheblichen Maße dezentral entstehen. Dadurch ist auch die Wertschöpfung von Windrädern und Solarparks deutlich regionaler als die fossiler Großkraftwerke, deren Gewinne an multinationale Konzerne fließen

    Eine Genossenschaft wird nie ein Atomkraftwerk finanzieren, aber sie kann den Bau von Windrädern oder Solaranlagen stemmen und so deren Ertrag in der Region halten. Die weltweit wachsende Zahl kommunaler Ökostromproduzenten zeugt von der Attraktivität dieses Konzepts der Energie-Demokratie.

    Ökostrom bedroht die Macht der Ölstaaten. Das birgt die Gefahr neuer Konflikte

    Doch eine Energiewende weg von schmutzigen und riskanten Energien wie Kohle, Öl oder Atom hin zu sauberen, dezentralen Erneuerbaren muss nicht konfliktfrei sein. Denn der wachsende Erfolg regenerativer Energien bedroht die über Jahrzehnte austarierten geopolitische Konstrukten in ölreichen Regionen wie dem Nahen Osten, Lateinamerika und Afrika. Manche Länder wie die Golfstaaten stellen sich auf diesem Umstieg ein und investieren massiv in Ökostrom. Andere wie Russland hinken dem Umstieg hinterher. Gleichzeitig kann der aus der Energiewende resultierende Bedarf an knappen Metallen wie Kobalt oder Lithium sowie seltenen Erden für Batterien, Magneten und andere Komponenten neue Spannungen entstehen lassen.

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    Investitionen in erneuerbare Energien sind die Verteidigungspolitik der Zukunft. Sie sind von zentraler Bedeutung für die Selbsterhaltungsfähigkeit von Staaten

    Adnan Z. Amin, IRENA-Generaldirektor

    Dennoch nennt der Generaldirektor der Internationalen Organisation für erneuerbare Energien (IRENA), Adnan Amin, regenerative Energien die „Verteidigungspolitik der Zukunft“. Der Kenianer denkt dabei daran, dass Staaten mit eigener Energieversorgung weniger erpressbar sind. Er hat jedoch auch im Blick, dass eine nachhaltige Energieversorgung nicht länger auf Kosten von Natur und Umwelt geht und so schlimmere Schäden und mögliche Konflikte vermeiden hilft.

    Setzt sich diese Sicht durch, spricht man in München im kommenden Februar vielleicht auch darüber, dass der Verteidigungsetat anders deklariert werden sollte. Kaum auszudenken, wie schnell eine globale Energiewende voranschreiten könnte, wenn die 1,9 Billionen Dollar, die 2019 weltweit in Militärausgaben flossen, künftig für den Ausbau von Wind- und Solarkraft genutzt würden.

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