Versicherungswirtschaft

  • Search16.09.2024

„Den Klimawandel einzudämmen, wäre der billigste Weg“

Mit der Erderhitzung steigt die Gefahr durch Stürme, und Sturzfluten. Das trifft auch die Versicherer. Für die Allianz Reinsurance erforscht Matthias Hackl die finanziellen Risiken. Er ruft dazu auf, unsere Siedlungsweise zu überdenken.

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    Der Klimawandel macht verheerendes Wetter wie Stürme und Starkregen wahrscheinlicher. Die Versicherungswirtschaft warnt deshalb davor, Häuser in Überschwemmungsgebeiten wie hier im Ahrtal zu bauen.

    Drei Jahre nach der Flut stehen noch immer zerstörte Häuser im Ahrtal. Dass viele von ihnen an Ort und Stelle wiederaufgebaut werden sollen, hält der Geophysiker Matthias Hackl für falsch.

     

    Herr Hackl, Sie bewerten die Risiken von Naturkatastrophen. Auf was müssen wir uns in Zukunft einstellen?
    Matthias Hackl: Das hängt davon ab, wo Sie leben und von welchem Zeithorizont Sie sprechen. In Mitteleuropa gehören auf mittlere Sicht Hagelschlag und Überschwemmungen zu den folgenreichsten Wetterereignissen. Aber auch Stürme können erheblichen Schaden anrichten. In der weltweiten Betrachtung hingegen sind es geophysikalische Ereignisse, die extreme Risiken bergen, also Vulkanausbrüche oder Meteoriteneinschläge. Die haben allerdings eine sehr geringe Eintrittswahrscheinlichkeit.

    Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf Extremwetterereignisse?
    Hackl: Die sogenannten Atmosphärenrisiken verursachen für uns Rückversicherer den Hauptteil der Schäden. Ein Teil davon ist auf den Klimawandel zurückzuführen. Wie stark der Einfluss ist, lässt sich aber nicht hundertprozentig sagen. Stürme, Fluten und andere Naturkatastrophen gab es auch schon vor dem menschengemachten Klimawandel. Ein Beispiel ist das Magdalenenhochwasser im Jahr 1342 – eine verheerende Überschwemmung, die weite Teile Mitteleuropas heimsuchte.

    Der Geophysiker Matthias Hackl erforscht für den Rückversicherer Allianz Re die Risiken von Naturkatastrophen und des Klimawandels.

    „Wir sehen eine Zunahme der Kosten um gut acht Prozent pro Jahr“, sagt der Geophysiker Matthias Hackl. Er erforscht für die Allianz Reinsurance die finanziellen Risiken durch Naturkatastrophen.

    Wie genau lässt sich der Zusammenhang mit dem Klima bestimmen?
    Hackl: Es gibt eine ganze Reihe von Risiken in bestimmten Regionen, wo es die Wissenschaft für sehr wahrscheinlich hält, dass der Klimawandel die Eintrittswahrscheinlichkeit und die Schwere von Naturkatastrophen erhöht. Das gilt besonders für Waldbrände, die vor allem in nördlichen Breiten immer häufiger vorkommen. Was tropische Stürme betrifft, haben wir zahlreiche Hinweise, aber noch nicht ausreichend statistisches Material, um den Zusammenhang eindeutig zu belegen.

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    Wir erwarten, dass Starkregenereignisse häufiger und schwerer werden

    Matthias Hackl

    Bei welchen Naturkatastrophen ist der Einfluss des Klimawandels gesichert?
    Hackl: Wir gehen davon aus, dass Überschwemmungen stark durch den Klimawandel beeinflusst werden. Da versteht man die Zusammenhänge recht gut. Wir wissen, dass eine Atmosphäre, die ein Grad wärmer ist, sieben Prozent mehr Feuchtigkeit hält – die irgendwann abregnet. Deshalb erwarten wir, dass Starkregenereignisse häufiger und schwerer werden. Beim Hagel sind wir noch dabei, die sehr komplexe Physik zu erforschen. Wir arbeiten zum Beispiel mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) zusammen, wo wir eine Doktorarbeit zu dem Thema finanzieren.

    Wie berechnen Sie die Risiken von Schäden, die Naturkatastrophen mit sich bringen?
    Hackl: Weltweit haben wir über 40 Personen an verschiedenen Standorten, die diese Arbeit durchführen. Ich leite in München ein achtköpfiges Team. Unsere Einschätzungen stützen wir auf unabhängige Forschungsergebnisse. Auf diese Weise ermitteln wir, wie wir unsere Tarife gestalten müssen, um im Fall von Großschadensereignissen alle Forderungen bedienen zu können, ohne in finanzielle Schieflage zu geraten.

    Die Kosten durch den Klimawandel nehmen zu. Die Versicherer zahlen immer höhere Summe, an Schäden durch Naturgefahren zu regulieren. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Wenn wir uns anschauen, wie sich die Schäden durch Naturkatastrophen in den vergangenen Jahren entwickelt haben, sehen wir keinen klaren Trend. Aber wie können Sie wissen, welche der Schäden auf den Klimawandel zurückzuführen ist?
    Hackl: Tatsächlich sehen wir auf den Zeitskalen ein sehr gemischtes Bild. Deshalb ist es wichtig, die Informationen dahinter zu verstehen. Damit befasst sich unter anderem die sogenannte Attributionsforschung, ein Wissenschaftsgebiet, das sich in den vergangenen Jahren herausgebildet hat.

    Mit welchem Ergebnis?
    Hackl: Die Höhe der Schäden entspricht nicht immer der Schwere des Ereignisses. Ein Beispiel: Auch wenn es heute mehr und heftigere Naturkatastrophen gibt, ist es weniger wahrscheinlich als vor 50 Jahren, dabei ums Leben zu kommen. Das liegt daran, dass die Welt insgesamt sicherer geworden ist. Die Wettervorhersagen sind besser, die Menschen wissen eher, was im Katastrophenfall zu tun ist und in vielen Regionen sind auch die Gebäude stabiler als früher.

    Wie sieht es mit den finanziellen Schäden durch Naturkatastrophen aus?
    Hackl: Wir sehen eine Zunahme der Kosten um gut acht Prozent pro Jahr. Die Gründe sind breit gefächert. So sind Reparaturen von Gebäuden und Infrastruktur heute generell teurer als vor zehn Jahren, weil die Preise gestiegen sind. Außerdem haben viele Menschen schlicht mehr Eigentum, das sie verlieren können. Die Inflation und der Zuwachs an Werten allein erklären aber nicht den Anstieg der finanziellen Schäden. Etwa ein Prozentpunkt ist sehr wahrscheinlich auf den Klimawandel zurückzuführen.

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    Versiegelte Böden, begradigte Flussläufe oder das Siedeln in Flutzonen tragen dazu bei, dass sich Hochwasser oder Starkregen erheblich schlimmer auswirken

    Matthias Hackl

    Häufigkeit und Schwere von Naturkatastrophen sind nur eine Seite der Medaille. Welche Rolle spielt die Fähigkeit der Menschen, sich den Folgen des Klimawandels anzupassen?
    Hackl: Sie ist sehr wichtig. Versiegelte Böden, begradigte Flussläufe oder das Siedeln in Flutzonen tragen dazu bei, dass sich Hochwasser oder Starkregen erheblich schlimmer auswirken als früher.

    Welche Gegenmaßnahmen wären die besten?
    Hackl: Den Klimawandel durch eine Änderung des Lebensstils einzudämmen, wäre mit Abstand der billigste und beste Weg. Der zweitbeste ist eine Erhöhung der Resilienz. Einer der wichtigsten Punkte wäre, sich zu überlegen, wo man baut, um Siedlungen besser vor Naturkatastrophen zu schützen. Im Ahrtal werden nach der verheerenden Flut von 2021 viele Gebäude an derselben Stelle wiederaufgebaut. Das ist sicher nicht nachhaltig. Denn wir müssen davon ausgehen, dass Überschwemmungen dort wahrscheinlicher werden. Es wäre vernünftiger, Anreize zu setzen, damit neue Gebäude an sichereren Orten entstehen.

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    Wir versuchen, möglichst nachhaltige Beteiligungen zu finden und die betreffenden Unternehmen beim Abschied von der fossilen Wirtschaftsweise zu begleiten

    Matthias Hackl

    Welche Maßnahmen unternehmen Sie als Rückversicherer, um die Risiken durch den Klimawandel zu lindern?
    Hackl: Erst mal arbeiten wir daran, den CO2-Fußabdruck unseres eigenen Unternehmens zu senken. Ein weiterer Hebel sind Investments, mit denen wir das Geld unserer Kunden anlegen. Wir versuchen, möglichst nachhaltige Beteiligungen zu finden und die betreffenden Unternehmen beim Abschied von der fossilen Wirtschaftsweise zu begleiten. Ein neues Standbein ist die Beratung, mit der wir Firmen helfen, Klimarisiken, denen sie ausgesetzt sind, besser zu verstehen.

    Werden bei weiterem Voranschreiten des Klimawandels bestimmte Risiken gar nicht mehr versicherbar sein?
    Hackl: Elementarschadensversicherungen sind in Deutschland bislang fast überall zu vernünftigen Preisen zu erhalten. Schwierig ist es nur in Hochrisikogebieten, da sprechen wir aber von gerade mal 0,4 Prozent aller Gebäude.

    Wo liegen diese Hochrisikogebiete?
    Hackl: Ein typisches Beispiel ist Passau, wo bestimmte Ortsteile regelmäßig unter Wasser stehen. Sie alle paar Jahre zu sanieren, kostet sehr viel Geld, was sich auf die Prämie auswirkt. Da stellt sich für beide Seiten die Frage, ob das ein nachhaltiges Geschäft ist.

    In den Industrieländern sind 50 Prozent aller Elementarschäden gedeckt. In den Ländern des globalen Südens sind es oft nur zehn Prozent. Was lässt sich dagegen tun?
    Hackl: Die Risikoprofile dieser Länder sind oft gar nicht so schlecht. Es ist also möglich, vernünftige Versicherungen anzubieten. Es ist nur so, dass es in manchen Weltregionen viele Herausforderungen gibt, die unmittelbaren Handlungsbedarf erfordern. Da scheint es unrealistisch, sich gegen Risiken abzusichern, die nur einmal pro Generation oder noch seltener auftreten. Eine stärkere wirtschaftliche Entwicklung dieser Regionen könnte die Situation verbessern.

    Vielen Dank für das Gespräch!

    Die Fragen stellte Heimo Fischer.

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