Buschfeuer in Kalifornien: „Wenn der Klimawandel weiter ungebremst fortschreitet, ist das langfristige Risiko, einen irreversiblen Kipppunkt zu erreichen, sehr hoch“, sagt Edouard Schmid.
Erderwärmung trifft Versicherer
- 07.05.2020
„Die Pandemie wird enden – der Klimawandel nicht“
Edouard Schmid, 55, ist Chief Underwriting Officer von Swiss Re und Chef des Swiss Re Institute, das Forschungsergebnisse aus dem Zürcher Rückversicherungskonzern und von externen Partnern bündelt und der Öffentlichkeit vorstellt. Im Interview spricht der Physiker und passionierte Hobbykoch („vermehrt nachhaltig mit lokalen Produkten und weniger Fleisch“) über steigende Schadensummen durch Unterwetter und Naturkatastrophen, die Zukunft der Rückversicherer und den Kampf gegen den Klimawandel.
Herr Schmid, das Swiss Re Institute hat im April eine Studie veröffentlicht, die Naturkatastrophen und die Risiken des Klimawandels in Zeiten der ökonomischen Beschleunigung untersucht. Haben Sie nicht gerade genug mit den Auswirkungen der Coronapandemie zu kämpfen?
Edouard Schmid: Natürlich fordert das Coronavirus uns und die gesamte Versicherungsindustrie sehr stark. Und aktuell kann man tatsächlich leicht vergessen, dass es auch eine Zeit vor Covid-19 gab, als noch ganz andere Themen die Schlagzeilen dominierten. Wir als Swiss Re mit der Vision, die Welt resilienter zu machen, müssen aber eben auch alle anderen großen Risiken im Blick behalten – allen voran den Klimawandel. Er schreitet zwar langsamer voran als eine weltweit schnell um sich greifende Pandemie, ist aber letztendlich die deutlich größere Bedrohung für unseren Planeten, unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft.
Die gesamtwirtschaftlichen Schäden durch Naturkatastrophen und Unglücke, die durch den Menschen verursacht wurden, sind 2019 deutlich geringer ausgefallen als der Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre. Wie passt das mit einem fortschreitenden Klimawandel zusammen?
Schmid: Die kurze Antwort ist: eigentlich gar nicht – das war Glück. Der Rückgang der Schäden, von denen die globale Versicherungsindustrie 60 Milliarden übernommen hat, ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass im vergangenen Jahr große und kostenintensive Hurrikans in den USA ausgeblieben sind. Nimmt man die Jahre 2017 mit den schweren Hurrikans Harvey, Maria und Irma, 2018 und 2019 zusammen, ist der Trend bei der Schadenszunahme klar zu sehen. Da liegen wir etwas über dem Zehnjahresschnitt von 212 Milliarden Dollar.
„Die Schäden nehmen zu, ja. Und es ist unstrittig, dass der Klimawandel dabei eine Rolle spielt“, sagt Edouard Schmid.
Das heißt: Sie können den Klimawandel bereits jetzt am Zuwachs der Zerstörung durch Wetterphänomene und Naturkatastrophen in konkreten Zahlen erkennen?
Schmid: So einfach ist es leider nicht. Die Schäden nehmen zu, ja. Und es ist unstrittig, dass der Klimawandel dabei eine Rolle spielt: Was man aber bisher nicht genau sagen kann, ist, wie groß der Anteil des Klimawandels bei dieser Schadenszunahme ist. Für die Zukunft ist zumindest die Prognose leichter: Da wissen wir, dass steigende Temperaturen in den kommenden Jahrzehnten zu einer zunehmenden Häufigkeit von Unwetterereignissen führen. Das wiederum wird zu steigenden Schadenssummen und größeren Anteilen von Wetterunglücken daran führen.
Warum lässt sich das nicht genauer sagen? Die Auswirkungen des Klimawandels sind doch offensichtlich: Die Eiskappen an den Polen schmelzen, der Meeresspiegel steigt, und auch extreme Wetterphänomene wie Hitzewellen und Starkregenereignisse treten häufiger auf.
Schmid: Das Problem dabei ist, dass das Risiko für Schäden durch Unwetter und Naturkatastrophen nicht nur durch den Klimawandel bestimmt wird. Der Großteil der steigenden Schäden im Zusammenhang mit Wetterereignissen lässt sich derzeit auf die seit Jahrzehnten steigende Urbanisierung und das Wirtschaftswachstum zurückführen.
Fluten und Waldbrände treffen heute mehr Menschen und richten auch deutlich größere Schäden an als früher
Edouard Schmid
Können Sie das bitte etwas genauer erklären?
Schmid: Die Weltbevölkerung ist in den letzten 60 Jahren um das Zweieinhalbfache auf aktuell knapp acht Milliarden Menschen gewachsen. Sie drängen in die Städte. Lebten in den 1950er-Jahren nur etwa 30 Prozent der Bevölkerung in städtischen Gebieten, ist es heute mehr als die Hälfte. Bis 2050 wird dieser Anteil laut Schätzungen der Vereinigten Nationen auf fast 70 Prozent ansteigen. Um es bildhafter zu machen: Jeden Monat kommt ein Stadtgebiet so groß wie New York City dazu – und das ohne Pause für die kommenden 40 Jahre. Da der Platz aber begrenzt ist, wachsen urbane Gebiete auch an Orten, wo früher aus guten Gründen nie Häuser gebaut worden wären: in tiefliegenden Küstengebieten, Überschwemmungszonen oder nah an oder in Wildnisgebieten. Dazu kommt die steigende Zunahme von Vermögenswerten: Zusammen mit der Weltbevölkerung ist auch das globale reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) gewachsen, in 60 Jahren um mehr als das Siebenfache. Es leben also nicht nur mehr Menschen in mehr Häusern in durch Wetterereignisse gefährdeten Gebieten, es sind potenziell auch höhere Sachwerte betroffen. Im Ergebnis treffen Fluten und Waldbrände heute mehr Menschen und richten auch deutlich größere Schäden an als früher.
Haben Sie ein Beispiel?
Schmid: Für den Jahrhunderthurrikan Andrew von 1992 haben wir das in unserer Studie modelliert: Würde er in gleicher Stärke und mit gleicher Zugbahn Südflorida heute treffen, lägen die Schäden nicht mehr bei 23 Milliarden US-Dollar wie damals, sondern bei bis zu 100 Milliarden. Das ist aber nur ein Anhaltswert, der für diesen Fall gilt. Andere Naturkatastrophen in anderen Gebieten hätten andere Auswirkungen – allerdings mit der gleichen Tendenz.
Wenn klar ist, dass ein Haus früher oder später von einer starken Überschwemmung betroffen ist, würden die Prämien so stark steigen, dass sie sich kein Hausbesitzer leisten könnte
Edouard Schmid
Werden bei solchen stark steigenden Schadenssummen nicht große Teile von Immobilien und Vermögenswerten über kurz oder lang unversicherbar sein?
Schmid: Wir glauben, dass wetterbedingte Risiken in den kommenden Jahrzehnten weiterhin versicherbar sind. Damit das darüber hinaus auch so bleibt, müssen wir jetzt handeln. Wenn der Klimawandel weiter ungebremst fortschreitet, ist das langfristige Risiko, einen irreversiblen Kipppunkt zu erreichen, sehr hoch. Schmelzen die Eisschilde komplett ab, taut der Permafrostboden vollständig auf oder reißt der Golfstrom ab, stellt das natürlich die wirtschaftlich sinnvolle Versicherbarkeit von Vermögenswerten, insbesondere in gefährdeten Gebieten, stark in Frage. Einfach gesagt: Wenn klar ist, dass ein Haus früher oder später von einer starken Überschwemmung betroffen ist, würden die Prämien so stark steigen, dass sie sich kein Hausbesitzer leisten könnte.
Appelle zum Handeln lesen sich stets schön – was unternimmt Swiss Re selbst gegen den Klimawandel?
Schmid: Da konzentrieren wir uns auf drei Bereiche. Erstens brauchen wir verbesserte physikalische Modelle, um die Klimawandelrisiken besser bestimmen und uns dann besser und gezielter daran anpassen zu können. Wo lohnen sich Deiche und Dämme? Wie bekommen wir Waldbrände besser in den Griff? Müssen Häuser künftig anders gebaut sein, um Wetterereignissen besser standhalten zu können? Seit Jahrzehnten investieren wir daher in Forschung, um die Klimawandelrisiken besser zu beherrschen und unsere eigenen Risikomodelle weiterzuentwickeln.
Sozusagen ihr Kernbusiness.
Schmid: Der zweite Punkt ist die Reduzierung von CO2-Emissionen. Wir selbst wollen auf der operationellen Seite bereits bis 2030 emissionsfrei sein, auf der Seite der Assets und des Underwritings, also der Risikoprüfung und dem Festlegen von Versicherungssummen und -policen, bis 2050. Da arbeitet Swiss Re sehr aktiv an neuen Versicherungslösungen für erneuerbare Energien. Im Feld von Offshore-Windkraft und Fotovoltaik sind wir führend, und vielleicht kommen da künftig auch noch Versicherungen für CO2-Abscheidung dazu. So wollen wir Technologien unterstützen, die helfen, zu einer kohlenstoffärmeren Energieerzeugung überzugehen. Gleichzeitig, als dritte Säule, investieren wir in Projekte und Partner, mit denen wir den Klimawandel abschwächen können und Lösungen zur Anpassung finden. Investments in Firmen, die jährlich mehr als 20 Millionen Tonnen Kohle fördern, oder Stromkonzerne, die Kohlekraftwerke mit einer Kapazität von mehr als zehn Gigawatt betreiben, haben wir daher seit letztem Jahr ausgeschlossen.
Ihr Engagement in allen Ehren. Aber haben wir noch eine echte Chance, den Klimawandel zu stoppen?
Schmid: Wir können ihn kurzfristig nicht stoppen, aber die Folgen so abmildern, dass wir damit leben können. Selbstverständlich können wir das nicht im Alleingang schaffen. Das ist eine globale Herausforderung, wahrscheinlich die größte, vor die wir als Menschheit je gestellt wurden. Aber wir denken schon, dass wir eine führende Rolle im Kampf gegen den Klimawandel spielen können, weit über die Grenzen unserer Industrie hinaus. Wichtig ist jetzt unverzügliches Handeln. Je früher wir entschlossen reagieren, desto besser können wir die Folgen eindämmen und unter Kontrolle halten. Und noch wichtiger wird ein langer Atem sein: Die Corona-Pandemie wird irgendwann enden – der Klimawandel nicht.
Die Fragen stellte Denis Dilba.