Der Amazonas-Regenwald ist der größte CO2-Speicher der Erde. Er kann etwa 80 Milliarden Tonnen aufnehmen – doppelt so viel, wie die Menschheit in zehn Jahren produziert.
Klimaschutzfaktor Wald
- 05.07.2019
Weltbrandgefahr
Von Steven Hanke
Entwarnung für Lübtheen, die kleine Ortschaft bei Schwerin in Mecklenburg-Vorpommern: Der größte Waldbrand in der Geschichte des Bundeslands, der die Einsatzkräfte tagelang in Atem hielt, scheint mittlerweile unter Kontrolle. Zeitweise waren mehr als 1000 Feuerwehrleute und Soldaten damit beschäftigt, das Feuer auf etwa 700 Quadratkilometern einzudämmen. Der Rauch breitete sich bis nach Sachsen aus und hüllte auf dem Weg dorthin Berlin in einen grauen, übelriechenden Schleier.
In der Hauptstadt dagegen kann von Entwarnung keine Rede sein, im Gegenteil. Die Bundesregierung hat ein Waldbrandproblem, das immer größer wird. 2018 brannten in Deutschland 1708 Wälder auf einer Gesamtfläche von 2349 Hektar – mehr als viermal so viel wie im Jahr zuvor. Rund 30 Millionen Kubikmeter Holz haben Stürme, Dürre, Schädlinge und Waldbrände 2018 vernichtet. Das ist etwa die Hälfte dessen, was die Forstwirtschaft jährlich einschlägt, um es zu Baumaterial zu verarbeiten oder zur Energieerzeugung zu verbrennen.
Ein Hubschrauber der Bundeswehr fliegt mit Löschwasser zum Waldbrand in Mecklenburg-Vorpommern. Trockenperioden und Brände entwickeln sich zunehmend zur Gefahr für Deutschlands grüne Lungen.
Die vielen Brände könnten auch die hochgesteckten Klimaschutzziele in Luft auflösen, noch bevor sie überhaupt final beschlossen sind. Als Reaktion auf den Pariser UN-Klimaschutzvertrag berieten die 27 Staats- und Regierungschefs der EU im Juni darüber, ob sie sich das Ziel setzen sollen, die Union bis 2050 klimaneutral zu machen, um so einen Beitrag dazu zu leisten, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Klimaneutralität würde bedeuten, dass nur noch so viel Treibhausgase ausgestoßen werden dürfen, wie sogenannte natürliche oder menschengemachte CO2-Senken aufnehmen können.
Zu den natürlichen Senken gehören neben Torfböden und Gewässern eben vor allem die Wälder. Denn bekanntlich nehmen Bäume über die Blätter CO2 auf, geben den darin enthaltenen Sauerstoff an die Umgebung ab und lagern den Kohlenstoff ein, um zu wachsen. So speichert eine 35 Meter hohe Buche mit 50 Zentimetern Durchmesser in 120 Jahren nach Angaben des Ökoinstituts insgesamt 3,5 Tonnen CO2. Laut der letzten Bundeswaldinventur von 2012 sind in deutschen Wäldern gut eine Milliarde Tonnen Kohlenstoff gebunden. Ob sie darüber hinaus noch CO2 aufnehmen können oder nicht, hängt schlicht und ergreifend davon ab, ob der Baumbestand wächst oder schrumpft.
Derzeit sind die Wälder der EU und Deutschlands netto eine Senke statt einer Quelle von CO2: Pro Jahr entziehen sie der Atmosphäre ungefähr 350 Millionen Tonnen des Treibhausgases. Bis 2050 müsste diese Menge um etwa zwei Drittel auf 500 Millionen Tonnen steigen, hat die EU-Kommission im Rahmen ihrer Klimaschutzstrategie vom November 2018 vorgerechnet. Ohne Aufforstungen in einem riesigem Umfang und eine neue Waldpolitik seien die Klimaneutralität und das 1,5-Grad-Ziel nicht zu erreichen.
Waldlandschaft in Rumänien: Das Land verfügt über einige der letzten fast unberührten Urwälder Europas. Doch ihre Fläche schwindet.
Der Wald würde also zum Schlüssel für eine erfolgreiche Klimaschutzpolitik. Er soll einen Großteil der verbleibenden Restemissionen aus Sektoren wie der Industrie oder der Landwirtschaft absorbieren, die sich laut Kommission langfristig nicht vermeiden lassen. Zwar ist das neue Ziel der Klimaneutralität noch nicht beschlossen, weil auf dem EU-Rat im Juni Polen, Tschechien und Ungarn eine Einigung blockierten. EU-Kommission und Bundesregierung sind aber zuversichtlich, dass bis Jahresende doch noch eine Einigung zustande kommt.
Wenn die Wälder künftig deutlich mehr CO2 speichern sollen, müsste die Politik jetzt eine Trendumkehr einläuten. Denn in den vergangenen Jahren sank die Speicherfähigkeit der Wälder sogar leicht. Ohne weitere politische Maßnahmen wären es zur Mitte des Jahrhunderts nur noch gut 300 Millionen Tonnen im Jahr, so die EU-Kommission. Laut dem Klimaschutzbericht der Bundesregierung von 2018 reduziert sich die Senkenwirkung der hiesigen Wälder von zirka 75 Mio. Tonnen CO2 im Jahr 1990 auf einen Tiefstand von knapp zwölf Millionen Tonnen im Jahr 2020.
Ein Zertifikatehandel soll die CO2-Speicherfähigkeit von Europas Wäldern erhalten
Dem will die EU nun mit einer Art Emissionshandel für den Wald entgegenwirken. Parlament und Rat beschlossen vor gut einem Jahr die sogenannte LULUCF-Verordnung, nach der die Mitgliedsstaaten in Zukunft zumindest eine ausgeglichene CO2-Bilanz ihrer Wälder sicherstellen müssen. Die Emissionen aus der Holznutzung, etwa für die Energiegewinnung, dürfen nicht höher sein als das in neuen Bäumen gebundene Klimagas. Zum ersten Mal erhält jeder Staat ein Emissionsziel für die Zeiträume 2021 bis 2025 sowie 2026 bis 2030 und entsprechende Zertifikate. Mögliche Defizite in der Bilanz müssen sie durch den Kauf von Zertifikaten anderer Staaten mit positiver Bilanz und Zertifikateüberschüssen ausgleichen.
Wie schwierig der Waldaufbau für einige Staaten werden könnte, deutete Bundeskanzlerin Angela Merkel an. Aufforstungen seien „in entwickelten Ländern begrenzt möglich“, sagte sei im Mai beim Petersburger Klimadialog in Berlin. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte erklärte nach einem Treffen mit Merkel, Aufforstung sei in seinem Land schwierig. „Da braucht man Grund und Boden dazu, in Deutschland ist mehr Platz“, sagte er. Deshalb diskutieren die beiden bilateral und mit der EU über alternative CO2-Senken wie die politisch längst tot geglaubte Kohlendioxid-Speicherung im Untergrund (CCS).
Die bisherigen Aufforstungsmaßnahmen der Bundesregierung von Angela Merkel fruchten kaum. Nun sind weitere Finanzhilfen geplant.
Merkel kündigte an, dass sich das Klimakabinett der Bundesregierung mit dem Thema Klimaneutralität und den möglichen Wegen dorthin beschäftigen werde. Dringend notwendig ist ein Waldumbau, weg von der Monokultur aus schnell wachsenden aber wenig widerstandsfähigen Nadelbäumen hin zu naturnahen, klimaresistenteren Mischwäldern mit höheren Anteilen von Buchen. Es geht schlicht auch darum, weniger Bäume zu ernten und sie stattdessen alt werden zu lassen. Der Baustoff Holz muss effizienter genutzt werden, indem man etwa die Recyclingquote deutlich steigert.
Die Bundesregierung hat den Waldumbau hierzulande eingeläutet, indem sie unter anderem bei solchen Maßnahmen einen Großteil der Kosten übernimmt. Bislang hat das aber noch nicht entscheidend gefruchtet. Der Bundestag forderte die Regierung auf Antrag von Union und SPD nun auf, diese Finanzhilfen aufzustocken und die Waldstrategie 2020 zu einer Leitlinie für den Wald der Zukunft oder bundesweitem „Pakt für den Wald“, weiterzuentwickeln. Man darf gespannt sein, was dabei herauskommt. Hilfreich wäre auch die viel diskutierte, stärkere CO2-Bepreisung. Bei einem Preis von 150 Euro je Tonne würde die Senkenleistung des Waldes laut Kommission um rund 120 Millionen Tonnen im Jahr steigen.
Mit Anreizen zum Verfeuern von Holz konterkariert die EU ihre Aufforstungspläne
Durch eine ökologische Bewirtschaftung des deutschen Waldes könnte dieser bis zu 48 Millionen Tonnen CO2 jährlich binden, zeigt die vom Ökoinstitut für Greenpeace entwickelte „Waldvision Deutschland“. Das entspricht etwa der Hälfte der jährlichen Kohlendioxidemissionen deutscher Pkw. Als existenzielle Bedrohung für die Wälder weltweit sieht das Institut die Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED II) der EU. Die soll nämlich den Erneuerbaren-Anteil im Wärmemarkt um 1,3 Prozent jährlich erhöhen und schaffe damit einen enormen Anreiz für mehr Energieholznutzung – auch aus naturnahen Primärwäldern und besonders problematischen Wäldern auf Torfmoor.
Nach Ansicht des Weltklimarates IPCC sind Aufforstung, eine nachhaltige Waldbewirtschaftung und reduzierte Entwaldung die kosteneffektivsten Klimaschutzmaßnahmen. Zu dem gleichen Ergebnis kommt eine aktuelle Studie der ETH Zürich für das Bundesentwicklungsministerium. Die Erde könnte demnach ein Drittel mehr Wälder vertragen, ohne dass Städte oder Agrarflächen beeinträchtigt würden.