Fridays for Future

  • Search09.10.2024

Wo ist der Protest geblieben?

Der Klimawandel schreitet voran. Doch fünf Jahre nach den Massenprotesten von Fridays for Future marschieren auf den Demos sehr viel weniger Menschen mit. Wir fragen nach, woran das liegt.

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    Routinierte Veranstaltung: Am 20. September 2024 rief Fridays for Future in Hamburg wieder zum Klimastreik auf. Die Beteiligung war zwar rege, aber nicht ansatzweise so hoch wie 2019.

    Als Fridays for Future Ende September wieder zum Klimastreik aufrief, war die Beteiligung in Hamburg zwar rege – aber weit entfernt von den Massen vergangener Jahre.

     

    Von Julia Graven

    Annika Rittmann ist der Sache treu geblieben. 2019 hat sie bei Fridays for Future angefangen, damals noch als Schülerin. Heute schreibt die 22-Jährige ihre Bachelorarbeit in Mensch-Computer-Interaktion an der Uni Hamburg und hat den jüngsten Klimastreik in der Stadt organisiert. Sie kann sich noch gut an die Euphorie der ersten Zeit erinnern. Damals, beim globalen Klimastreik am 20. September 2019, waren in Deutschland nach Zahlen der Veranstalter 1,4 Millionen Menschen auf der Straße. Für den Protestforscher Simon Teune von der Freien Universität Berlin hat die Bewegung seinerzeit „ein Problembewusstsein für den Klimawandel geschaffen, das vorher in dem Ausmaß nicht existiert hat. Damit hat sie auch Kreise erreicht, die sich vorher nicht mit dem Thema auseinandergesetzt haben.“

    Und heute?

    Genau fünf Jahre später, am 20. September 2024, zählten die Veranstalter noch 75.000 Menschen. Für Annika Rittmann ist das gesunkene Interesse kein Grund zum Verzweifeln. Sie sagt: „Nur weil unsere Demos nicht mehr so große Schlagzeilen machen, dürfen wir mit ihnen nicht einfach aufhören.“ Für Protestforscher Teune ist der Mechanismus einfach zu erklären. Mit der Wiederholung der immer gleichen Protestform verliere diese ihre Wirkung, medial wie auch politisch. Ohne Eskalation hat sich das repetitive Demonstrieren jeden Freitag irgendwann erschöpft. Und die Proteste landen nur noch als kleine Meldung auf den hinteren Seiten der Zeitung.

    Die Bewegung braucht neue Strategien. Neubauer sucht Antworten in Übersee

    Luisa Neubauer, deutsches Gesicht der Bewegung mit großer Fangemeinde, reist derzeit durch die Vereinigten Staaten, hält Vorträge an Universitäten, spricht mit Schulklassen und liest aus ihrem Buch. Den globalen Klimastreik hat sie in Boston zusammen mit einem kleinen Häufchen Schilder und Plakate hochhaltender Aktivistinnen und Aktivisten verbracht. Auf X schreibt sie: „Um als Klimabewegung (wieder) gewinnen zu können, brauchen wir neue Strategien und bessere Vernetzungen – auch deshalb habe ich mich für diese Reise entschieden.“

    Etliche Aktivisten haben sich dagegen in den vergangenen Monaten aus der Klimabewegung abgemeldet und andere Wege eingeschlagen. Zum Beispiel Quang Paasch aus Berlin. Er war wie Rittmann einer der Pressesprecher von FFF. Während seine einstigen Mitstreiter in Berlin im September vor dem Kanzleramt demonstrierten, postete der 23-Jährige auf Instagram ein Bild von sich auf einem Ruderboot vor einem schwimmenden Tempel in Vietnam, der Heimat seiner Eltern. Nach seiner Rückkehr will Paasch neue Sachen machen. „Speaker, Moderator, Medienschaffender“ ist das, was ihm vorschwebt. Soziale Gerechtigkeit und Antikapitalismus sind jetzt seine Themen, schreibt er. Auf unsere Frage nach einem Interview antwortete er nicht.

    Greta Thunberg? Erhitzt heute mit propalästinensischen Parolen die Gemüter

    Wer mit jungen Menschen spricht, die vor fünf Jahren noch den Matheunterricht für Demos geschwänzt haben, hört heute viel grundsätzliche Systemkritik: Sie reden lieber über Antikapitalismus, Feminismus und den Kampf für Gerechtigkeit als über das Verschwinden der eigenen Flugscham. Auch der Nahost-Konflikt ist ein hartes Thema für die junge Umweltbewegung. Vor allem Greta Thunberg sorgt dabei für Schlagzeilen. Die Schwedin hat mit ihrem Schulstreik fürs Klima eine weltweite Welle des Klimaprotests losgetreten, das öffentliche Bewusstsein so sehr geprägt, dass Beobachter einen „Greta-Effekt“ konstatierten.

    Klimastreik von Fridays for Future 2019 in Hamburg: Zwischen 70.000 und 100.000 Menschen sind dem Aufruf zum Protest für mehr Klimaschutz gefolgt.

    Luftbild von 2019: Zehntausende protestieren auf dem Hamburger Jungfernstieg für mehr Klimaschutz.

    Heute sorgt sie mit propalästinensischen Parolen für Aufsehen. „No climate justice on occupied land“, „Keine Klima-Gerechtigkeit auf besetztem Land“, skandierte sie auf einer Demo in den Niederlanden. Und ein Jahr nach dem Hamas-Angriff wurde sie am 7. Oktober in Berlin-Kreuzberg auf einer Solidaritätskundgebung für Palästina gesichtet.

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    Es braucht ein Rebranding für die wichtige Aufgabe

    Volker Beck, Deutsch-Israelische Gemeinschaft

    Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, sieht auf X das Ende von Thunberg als Klimaaktivistin eingeläutet, sie sei „hauptberuflich Israelhasserin“. Für den Grünen-Politiker ist es auch das Ende von Fridays for Future als Label für Ökologie. Es braucht ein Rebranding für die wichtige Aufgabe“, schreibt er.

    Mehr als 80 Prozent der Deutschen halten die Energiewende für wichtig oder sehr wichtig, wie das KfW-Energiewendebarometer 2024 zeigt.

    Ist die Zeit der Massenproteste also vorbei? Constantin Müller, Lehrer für Deutsch und Musik an einer Stadtteilschule am Stadtrand Hamburgs, würde das nicht erstaunen. Für viele Schülerinnen und Schüler der Oberstufe sei Diversität ein Thema, der Nahost-Konflikt bewege sie, der Rechtsruck auch. Das alles sei aktuell präsenter als das Thema Klimawandel.

    Der britische Meinungsforscher Steve Akehurst bestätigt das. Er hat die öffentliche Meinung zum Klimawandel erforscht und stellt fest: Die Deutschen sehen im Klimawandel nicht weniger ein Problem als 2019. Aber das Interesse wird seither von anderen Themen überlagert.

    Jugendliche beschäftigen sich mit vielen Themen. Die Klimakrise ist nur eines davon

    „Den Klimawandel kriegen alle mit, auch die Jüngeren. Bei den allermeisten bewirkt das aber nicht, dass sie ihr Verhalten ändern“, sagt der Pädagoge Müller. „Wenn die Klassenfahrt zum Comer See mit dem Zug mehr als zwölf Stunden dauert, dann fragen die mich: Warum sind wir eigentlich nicht geflogen?“ Er baut immer wieder Nachhaltigkeitsthemen in den Unterricht ein und fährt mit dem Fahrrad in die Schule, doch das bewirke nicht unmittelbar etwas. „Die verehren Cristiano Ronaldo, spielen Fortnite und fliegen im Sommer mit der Familie in die Türkei“, erzählt er. Doch Müller hat Verständnis für die Pubertierenden: „Sie haben in diesem Alter ja auch viele andere persönliche Themen.“

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    Viele sind ratlos. Und unendlich müde. Das Momentum von einst ist verpufft

    Sebastian Seiffert, Scientists4Future

    Sebastian Seiffert, Professor für physikalische Chemie in Mainz, ist deutlich weniger verständnisvoll. Er nimmt fünf Jahre nach der Hochphase von FFF bei seinen Studierenden eine „gefährliche, lähmende und erdrückende Mischung aus Desinteresse und Unwissen“ wahr. Das Klima-Thema ernüchtert, so das Mitglied von Scientists4Future in seinem Blog. „Viele wollen es nicht mehr hören. Viele können es nicht mehr hören. Viele sind ratlos. Und unendlich müde. Das Momentum von einst ist verpufft.“

    Aufgeben gilt nicht. „Irgendwann werden wir wissen, wofür wir gekämpft haben“

    Luisa Neubauer versteht Aktivisten, die frustriert und ausgebrannt sind, sie kennt die Erschöpfung. Doch für die Klimakämpferin steckt auch etwas Positives in diesem Gefühl, sagte sie dem „Tagesspiegel“: „Wir lassen uns von der Welt berühren, und von ihren Krisen.“ Für sie ist Resignieren keine Option. Auch Annika Rittmann will durchhalten. Die Aktionsformen der Fridays hätten sich diversifiziert. Statt auf die Straße zu gehen, brächten sich viele heute an anderen Orten ein, sei es bei der Arbeit oder in Vereinen. „Wir wissen nicht, wie die Zukunft aussieht, aber irgendwann werden wir wissen, wofür wir gekämpft haben.“ Dabei gehe es eben „nicht nur um die Menge, sondern um die Sache.“

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