„Wer hätte gedacht, dass die Apartheid aufhört, wer hätte gedacht, dass der Nationalsozialismus zerschlagen wird? Krisen kann man bewältigen!“, sagt Quang Paasch.
Quang Paasch von Fridays for Future
- 11.08.2020
„Ich wusste nicht, dass es eine Klimakrise gibt“
Von Julia Graven
Die Schülerin Greta Thunberg ist 15 Jahre alt, als sie am 20. August 2018 statt in der Schule zum ersten Mal vor dem schwedischen Reichstag in Stockholm sitzt, mit einem Pappschild in den Händen: „Skolstrejk för klimatet“, Schulstreik fürs Klima. Sie fordert die Politik auf, endlich die Pariser Klimaziele umzusetzen. Nach und nach schließen sich Schülerinnen und Schüler auf der ganzen Welt ihrem Klimastreik an. In Berlin wird am 14. Dezember 2018 zum ersten Mal demonstriert. Rund 150 Kinder und Jugendliche hüpfen vor dem Reichstag in Berlin auf und ab und skandieren „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“. Mit dabei: Quang Paasch.
Der heute 19-Jährige ist im Berliner Bezirk Pankow aufgewachsen. Seine Eltern stammen aus Vietnam, den Namen Paasch haben sie in Deutschland angenommen. Quang ist ein ernsthafter junger Mann, ihn bewegen Themen wie Gerechtigkeit, Rassismus und Bildung. Nach dem Abitur beginnt er im Alter von 17 an der FU Berlin, Politikwissenschaft auf Lehramt zu studieren. Ein paar Wochen später geht er auf die erste Demo von Fridays for Future. Die Frage, wer ihn für das Klimathema sensibilisiert hat, zaubert ein großes Lächeln auf sein Gesicht. Die Antwort: Greta.
Greta Thunberg hat gehandelt, wo andere stumm blieben. Hat dich das inspiriert?
Paasch: Ich habe mich quasi „selfmade“ politisiert, durch das Internet. Aber irgendwann habe ich mir gesagt: Es bringt nichts, wenn du immer nur mit dir selbst debattierst. Ich musste raus aus meiner Komfortzone. Also bin ich auf die Demo gegangen und habe Teilnehmer angesprochen. Mit denen habe ich bis guten Kontakt. Im Januar war dann das erste offene Plenum von Fridays for Future, da bin ich auch allein hingegangen. So langsam habe ich dann ein politisches Netzwerk gefunden.
In der Schule hat dich das Thema noch nicht interessiert?
Paasch: Nein. In der Schule wird der Klimawandel angeschnitten, für eine Woche vielleicht, dann mal in Bio, in Geografie, aber es ist irgendein Thema, das ganz weit weg ist. Und dementsprechend war ich nie wirklich sensibilisiert. Ich wusste nicht, dass es eine Klimakrise gibt.
Warst du ein unpolitischer Mensch?
Paasch: Ich habe mich eher mit Themen wie Rassismus und Gerechtigkeit auseinandergesetzt. In der Ökodebatte war ich nicht drin. In der Schulzeit war ich zum Beispiel auch noch sehr oft in Vietnam. Jetzt habe ich nicht mehr so viel Zeit und ich bin mit mir auch im Konflikt wegen des Langestreckenflugs. Da setzt natürlich eine Individualscham und Reflexion ein.
Also nie wieder Vietnam?
Paasch: Irgendwann möchte ich noch mal nach Vietnam fliegen, aber gerade versuche ich, nur noch mit der Bahn zu reisen. Und es macht ja auch einen Unterschied, ob ich meine Familie besuche oder einen All-inclusive-Urlaub mache, auf Kosten der Menschen dort, was nicht nachhaltig und auch nicht wirklich ethisch vertretbar ist.
Was hat sich mit Fridays for Future sonst noch für dich verändert?
Paasch: Alles. Es hat mein Leben komplett umgekrempelt. Es ist sehr viel auf einmal, aber dafür nehme ich auch sehr viel mit.
„Ich habe noch Vertrauen, dass wir das Ruder rumreißen können, dass wir vieles ändern können, sonst wäre ich ja nach über einem Jahr nicht hier“, sagt Quang Paasch.
Am 15. März 2019 findet der erste globale Protesttag von Fridays for Future statt. In Deutschland sind 220 Veranstaltungen angekündigt, 300.000 Teilnehmer sind laut Veranstaltern dabei, in Berlin sollen es 25.000 sein. „Schulschwänzer“ schimpfen die einen, Angela Merkel sagt: „Ich glaube, dass das eine sehr gute Initiative ist.“
Im Juli 2019 trifft Quang Greta Thunberg in Berlin. Am 20. September 2019, während das Klimakabinett tagt, steht er als Moderator vor Hunderttausenden von Teilnehmern auf der Bühne vor dem Brandenburger Tor. Noch nie seien so viele Menschen in Deutschland für den Klimaschutz auf die Straße gegangen, meldet die „Tagesschau“. Quang wird immer mehr zum Vollzeitaktivisten. Er wird in Talkshows eingeladen, moderiert und redet mit dem Studentenmagazin „Zeit Campus“ zum Thema „Klima und Mode“ über seine Outfits. Auf den Fotos der Aktivisten aus diesen Monaten sticht Quang heraus. Fridays for Future sei weiß, gebildet, privilegiert, lautet die Kritik.
Fühlst Du Dich manchmal wie der Diversitätsbeauftragte des Klimastreiks?
Paasch: Am Anfang waren wir farbenblind, da hat es keine Rolle gespielt, dass ich nicht weiß-deutsch bin. Aber dann kamen immer mehr Anfragen zu Klimagerechtigkeit, Diversität und so weiter, und die sind dann immer bei mir gelandet. Ich finde, für uns sollte das ein Ansporn sein, zugänglicher zu sein, statt Menschen auszuschließen. Unsere Debatten setzen meist voraus, dass die Menschen, die auf einen Streik gehen, all diese Funktionen, Wörter, Terminologien verstehen. Doch so ist es leider nicht.
Es würde nicht reichen, dass in Deutschland alle vegan werden oder kein Plastik mehr benutzen. Wir brauchen ein Zusammenspiel aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft
Verstehen deine Eltern, wofür du dich engagierst?
Paasch: Meine Eltern sind emigriert und konnten nicht die Bildung hier genießen so wie ich. Ich zeige ihnen schon, worum es mir geht. Ich kann natürlich versuchen, meine Eltern dazu zu bewegen, in ihrem Laden Papiertüten zu benutzen statt Plastik. Oder weniger Fleisch zu essen. Aber es kann nicht alles zu 100 Prozent perfekt und toll und ethisch sein. Ich stecke nicht meine ganze Kraft und Energie da hinein, mein soziales Umfeld zu ändern.
Warum nicht?
Paasch: Es würde nicht reichen, dass in Deutschland alle vegan werden oder kein Plastik mehr benutzen. Wir brauchen ein Zusammenspiel aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Wir müssen den Politikern deutlich sagen: Hey, wir sind eure Wählerinnen und Wähler, wir legitimieren euch, also macht Politik, wie wir sie wollen. Genauso müssen wir der Wirtschaft zeigen, dass wir gewisse Sachen nicht kaufen. Wir wollen Sachen, die besser sind für die Umwelt. Wir sind nicht gegen Gewinne, wir sind für eine Wirtschaft, die für die Menschen ist.
Also kann der Einzelne doch nichts bewegen?
Paasch: Natürlich muss man bei sich beginnen, ich habe meinen Lebensstil ja auch schon stark geändert. Aber das macht mich nicht zu einem besseren Menschen. Sobald man sein eigenes Verhalten zu stark hinterfragt und sich schlecht fühlt, schadet man sich mehr als dass es dem Kollektiv nützt. Wenn man sich „individualradikalisiert“, als radikaler Veganer oder so, und dann sein eigenes Verhalten auf andere mit Wut projiziert, wird man nicht wirklich viele mitnehmen. Immer nur bemängeln, bemängeln und bemängeln ist nicht gut.
Im Herbst 2018 streikt Quang Paasch zum ersten Mal für das Klima. Kaum ein Jahr später trifft er Politikerinnen und Politiker wie Svenja Schulze (Mitte), wird in Talkshows eingeladen und spricht vor Hunderttausenden am Brandenburger Tor.
Am 24. April 2020 soll der fünfte globale Streik von Fridays for Future stattfinden. Doch dann kommt Corona. Die Pandemie bringt auch für die Klimaaktivisten eine Zeit der Unsicherheit. Alle Treffen, Vorträge und Demonstrationen, die die Bewegung bis dahin geprägt haben, werden abgesagt. Obwohl die jugendlichen Klimakämpfer digital bestens vernetzt sind, haben viele die Sorge, dass dem Klimastreik in der digitalen Welt die Luft ausgehen könnte.
Quang Paasch hatte vor Corona zwei Vollzeitjobs: Aktivist und Student. Der Lockdown verschafft ihm Luft, sich mehr mit seinem Studium zu beschäftigen. Daneben jobbt er als Nachhilfelehrer an Kreuzberger Brennpunktschulen. Den Kindern und Jugendlichen dort will er Mut machen, dass sie auch ohne entsprechenden familiären Hintergrund vieles schaffen können – so wie er selbst. Sein Berufswunsch: Lehrer. Den Gang in die Politik könnte sich der Aktivist aber auch gut vorstellen.
Verzweifelst du nicht manchmal daran, dass das Klimathema so komplex ist?
Paasch: Psychische Krankheiten und Angstzustände haben in unserer Generation stark zugenommen. Das liegt, glaube ich, vor allem auch daran, dass wir durch die Digitalisierung, die Globalisierung und durch das Medium des Internets zu viel Informationen auf einmal bekommen. Wir wissen immer, wo was passiert. Und diese Informationsflut, dass wir wissen, welche Krise dort ist, welchen Krieg es dort gibt, wo tatsächlich Menschen verhungern, die lastet auf uns und führt zu diesem enormen Weltschmerz.
Und dann kommt Fridays for Future und sagt: Wir haben nur noch eine gewisse Zeit zum Handeln und dann kann man nichts mehr retten. Da muss man doch Angst bekommen.
Paasch: Ich habe ja noch Vertrauen, dass wir das Ruder rumreißen können, dass wir vieles ändern können, sonst wäre ich ja nach über einem Jahr nicht hier. Wir wissen, dass eine Lösung für diese ganzen sozialen Kämpfe, diese ökologischen und klimatischen Krisen nicht so leicht zu finden ist wie ein Impfstoff gegen Corona. Aber es ist noch Hoffnung da, es gibt Machbarkeitsstudien.
Ich habe Angst – nicht so sehr vor der Klimakrise, sondern eher um die Gesellschaft als solche, um den progressiven, offenen Teil dieser Gesellschaft. Angst, dass wir uns spalten, dass wir uns verlieren
Du hast also keine Angst?
Paasch: Ich habe enormen Weltschmerz, und ich habe Angst – nicht so sehr vor der Klimakrise, sondern eher um die Gesellschaft als solche, um den progressiven, offenen Teil dieser Gesellschaft. Angst, dass wir uns spalten, dass wir uns verlieren, dass wir den Kreis immer kleiner machen, weil wir Menschen ausschließen. Es entwickelt sich gerade eine Cancel Culture, also eine Kultur des sofortigen Ausschließens und Mundtotmachens. Da heißt es: Du hast jetzt dieses falsche Wort gesagt, du hast dich nicht ausreichend informiert, du bist jetzt gecancelt.
So lassen sich Probleme aber nicht gemeinsam lösen …
Paasch: Genau, deswegen ist diese neue Kultur, die gerade aus dem angloamerikanischen Raum nach Deutschland überschwappt, ja auch so toxisch. Und ja, ich habe Angst davor, dass die Hoffnung in der Gesellschaft immer kleiner wird und dass Menschen resignieren und sich nicht mehr für Politik interessieren. Wir sollten Menschen mitnehmen, indem wir Hoffnung schüren.
Hoffnung worauf?
Paasch: Wer hätte jemals gedacht, dass die Apartheid aufhört, wer hätte jemals gedacht, dass der Nationalsozialismus zerschlagen wird? Krisen kann man bewältigen! Das ist eine unfassbar große Aufgabe, die meiner Generation aufgelastet wird. Aber hoffentlich kommen noch Generationen nach uns, die sich weniger um die Klimakrise oder um Diskriminierung kümmern müssen. Fridays for Future hat 2019 den Diskurs immens gewandelt, keiner hätte jemals gedacht, dass alle sich auf einmal irgendwie klimamäßig ändern wollen. Und auch die Coronakrise hat ja wie ein Katalysator für bestimmte Bereiche gewirkt, zum Beispiel, was die Digitalisierung angeht. Krisen sind negativ, aber trotzdem haben sie auch positive Aspekte.