Arved Fuchs über Klimaschutz

  • Search26.02.2020

„Verzicht allein ist keine Lösung“

Seit 40 Jahren beobachtet der Abenteurer Arved Fuchs den Klimawandel an den Polkappen. Ein Gespräch über Fernweh in Zeiten von Flugscham, Auswüchse des Arktistourismus – und Nächte unter gefrorenen Schweinehälften im Schlachthaus von Bad Bramstedt.

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    „Wenn man regelmäßig im hohen Norden unterwegs ist, sieht man den Klimawandel überall“, sagt Arved Fuchs. „Es ist dramatisch!“ Die jüngste Tour mit seinem Segelschiff „Dagmar Aaen“ führte ihn an die Küsten von Grönland und Island.

    Von Volker Kühn

    Vielleicht wäre seine Geschichte eine andere, wenn er ein Großstadtkind wäre. Wenn da nicht dieser kleine Fluss wäre, der sich hinter seinem Elternhaus am Rand von Bad Bramstedt durch die Wiesen windet, der Wald, durch den er stundenlang streift. So aber macht er von klein auf die Natur zu seinem Revier.

    Damit aus Arved Fuchs jener Mann wird, der es zu Fuß an beide Pole schafft, der im Kajak um Kap Hoorn paddelt und auf seinem Segelschiff in Sibirien überwintert, braucht es neben Freiheitsdrang allerdings noch eine zweite Zutat: Abenteuergeist.

    Den entflammen die Bücher, die er bei seinen Eltern im Regal findet: erst Karl May, später Coopers „Lederstrumpf“, der ihm besser gefällt, weil er realistischer ist, härter. Als er dann die Reiseberichte von Entdeckern wie Ferdinand Magellan und James Cook in die Finger bekommt, ist es um ihn geschehen. Vor allem die Schilderungen der Polarfahrer Fridtjof Nansen und Roald Amundsen lassen ihn nicht los.

    „Ich wollte immer wissen, was hinter dem Horizont liegt. In meiner kindlichen Unbekümmertheit habe ich mir gesagt: Wenn ich erwachsen bin, mache ich es wie die Entdecker und reise um die Welt“, sagt Fuchs.

    Heute lebt der 66-Jährige noch immer in seinem Elternhaus in Bad Bramstedt. Doch zwei Reisemitbringsel verraten schon von Weitem, dass er seinen Kindheitstraum verwirklicht hat: ein Totempfahl im Garten und ein Schild an der Einfahrt, das vor Eisbären warnt. Das Haus ist zum Basislager seiner jahrzehntelangen Expeditionsreisen geworden.

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    Herr Fuchs, von einem Leben als Abenteurer träumen viele. Warum hat es bei Ihnen tatsächlich funktioniert?
    Fuchs: Vielleicht hatte ich die nötige Portion Trotz in mir. Wenn andere gesagt haben, du kannst doch nicht von Beruf Abenteurer werden, hat das meinen Ehrgeiz geweckt. Ich wollte beweisen, dass ich es eben doch kann. Ich meinte das immer ernst. Nach der Schule habe ich bei der Handelsmarine angeheuert. Das war eine Möglichkeit, ein Stück von der Welt zu sehen, und zugleich eine Art Sprungbrett in die spätere Selbstständigkeit.

    Hatten Sie Vorbilder – andere Abenteurer, denen Sie nachgeeifert haben?
    Fuchs: Rüdiger Nehberg war so etwas wie mein Mentor. Der ist schon seit den Fünfzigern mit seinem Fahrrad um die halbe Welt gereist und hat auf Vorträgen davon erzählt. Ich habe ihn damals einfach angeschrieben. Er hat mich ungemein bestärkt in meinen Plänen und gesagt, wenn du so etwas wirklich machen möchtest, dann tu es jetzt als junger Mann. Über Nehberg habe ich dann andere Abenteurer kennengelernt wie Peter Lechhart, den Gründer von Globetrotter. Von ihm habe ich viel gelernt. Er war Bergsteiger, aber auch Segler, und er hat Grönland durchquert.

    Ein Ziel, an das es Sie inzwischen mehr als 20-mal gezogen hat.
    Fuchs: Der hohe Norden fasziniert mich einfach. Das Problem war, dass ich zu Anfang kaum Geld hatte und nicht einfach nach Skandinavien reisen konnte, um dort zu trainieren. Ich musste deswegen pragmatisch an die Sache herangehen und habe den Geschäftsführer einer Großschlachterei in Bad Bramstedt überredet, mir seinen Schockgefrierraum zur Verfügung zu stellen. Den konnte man bis minus 37 Grad herunterkühlen, und ich habe darin im Kälteschlafsack übernachtet, unter gefrorenen Schweinehälften.

    Hat der Schlafsack den Temperaturen standgehalten?
    Fuchs (lacht): Nein! Angeblich war er für bis zu minus 40 Grad gemacht, aber er hat nicht mal bis minus 20 gereicht. Man denkt immer, dass es keinen Unterschied macht, ob es nun 20 oder 30 Grad unter null sind. Aber das ist ein Irrtum, man spürt jedes einzelne Grad.

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    In die Arktis schafft Fuchs es trotzdem. Auf seine erste Tour 1979 folgen bald weitere Reisen. Die Strecken sind auf einer Wandkarte in seinem Besprechungszimmer eingezeichnet; es liegt im Erdgeschoss des Klinkerbaus, in dem er mit seiner Frau lebt. Die meisten Routen sind oben auf der Karte verzeichnet. 1983 etwa durchquert er Grönland im Hundeschlitten auf den Spuren einer historischen Expedition des Polarforschers Alfred Wegener. Aber auch unten ist die Karte von Linien durchzogen. 1984 paddelt Fuchs mitten im Winter in einem Faltboot um Kap Hoorn an der Südspitze Südamerikas, eines der gefährlichsten Seegebiete der Welt.

    Das Basislager: Fuchs in seinem Büro im schleswig-holsteinischen Bad Bramstedt.

    Er finanziert die Reisen über Vorträge oder Exklusivberichte, die er an Magazine wie den „Stern“ verkauft. 1988 erwirbt er den Haikutter „Dagmar Aaen“ und baut ihn für Fahrten in die Arktis um. Bis heute ist Fuchs auf dem Segelschiff unterwegs.

    Einer breiten Öffentlichkeit wird er spätestens 1989 bekannt: Als erster Mensch überhaupt erreicht ereicht er innerhalb eines Jahres beide Pole zu Fuß. Zuerst steht er am Nordpol, als Teil der internationalen „Icewalk“-Expedition: Acht Männer aus acht Ländern wollen mit ihrem gut 1000 Kilometer weiten Marsch vor der Gefahr des Ozonlochs warnen. Und noch bevor das Jahr zu Ende geht, wandert er mit dem Extrembergsteiger Reinhold Messner zum Südpol.

    Vor allem die 92-tägige Durchquerung des bis zu 3000 Meter hohen Antarktis-Plateaus beschäftigt die Medien später. Es ist von heftigem Streit zwischen den beiden Abenteurern die Rede, „der bodenständige Bad Bramstedter Arved Fuchs und der alpine Zampano Reinhold Messner“ hätten einfach nicht zueinander gepasst, heißt es in einem Radiofeature. Alles halb so wild, wiegelt Fuchs ab. Mit Messner hat er seit der Reise vor mehr als 30 Jahren allerdings keinen Kontakt mehr.

    *

    Träumen Sie davon, noch einmal zu Fuß zum Nordpol zu marschieren?
    Fuchs: Nein. Und zwar aus drei Gründen. Zum Ersten gibt es am Nordpol absolut nichts Interessantes zu sehen. Das ist einfach ein geografischer Punkt inmitten des Eises, ein zugefrorenes Stück Meer. Zum Zweiten wäre es albern, dieselben Dinge wie früher noch mal zu machen, man will sich schließlich weiterentwickeln. Und zum Dritten wäre eine solche Tour heute gar nicht mehr möglich.

    Warum nicht?
    Fuchs: Weil das Eis nicht mehr trägt. Damals war das einjährige Eis, das sich in jedem Winter neu bildet, 1,80 Meter dick. Heute misst es vielleicht noch 60 Zentimeter, wenn es sich überhaupt bildet, und die Lücken dazwischen sind gewaltig. Die Arktis erwärmt sich doppelt so schnell wie der Rest der Welt. In Deutschland mag der Klimawandel fern und abstrakt erscheinen, aber wenn man regelmäßig im hohen Norden unterwegs ist, sieht man ihn überall. Es ist dramatisch!

    Wann sind Ihnen die Veränderungen zum ersten Mal aufgefallen?
    Fuchs: Wir haben zwischen 1990 und 1994 dreimal versucht, mit der „Dagmar Aaen“ durch die Nordostpassage zu fahren, also nördlich an Sibirien vorbei. Dreimal war das Eis dafür zu dick. Beim vierten Mal 2002 ging es ohne jedes Problem. In der Zwischenzeit hatten wir auch die Nordwestpassage durchquert, das amerikanische Pendant. Das ist uns erst als drittes Schiff überhaupt ohne Eisbrecherhilfe innerhalb einer Saison gelungen. Natürlich hätten das auch einfach Launen der Natur sein können, Zufälle. Ich habe dann aber begonnen, mit Wissenschaftlern zu sprechen und die einschlägigen Publikationen studiert. Bis dahin hätte ich mir nicht vorstellen können, dass der Mensch in der Lage ist, das Klima zu ändern. Aber es stimmt.

    War das der Punkt, an dem Sie vom Abenteurer zum Umweltaktivisten wurden?
    Fuchs: Umweltthemen haben mich immer interessiert. Ich habe schon Ende der Siebzigerjahre auf den brennenden Regenwald von Borneo hingewiesen, und in den Achtzigern haben wir versucht, die Nordsee mit Kajaks zu überqueren, um auf die Verklappung von Dünnsäure aufmerksam zu machen. Aber zu dieser Zeit waren Umweltprobleme eher Begleiterscheinungen meiner Reisen. Das hat sich geändert, als mir der Klimawandel wirklich bewusst wurde. Er ist zum zentralen Inhalt meiner Reisen geworden.

    *

    Seit 2007 organisiert Fuchs jedes Jahr das Jugendcamp „Ice Climate Education“, bei dem jeweils zehn bis zwölf Schüler aus aller Welt für den Klimawandel sensibilisiert werden. Statt abstrakte Fakten zu lernen, sollen sie vor Ort sehen, was die Erderwärmung konkret bedeutet und wie sich ihre Folgen begrenzen lassen. Mit diesem Wissen kehren die Jugendlichen in ihre Heimatländer zurück und transportieren die Erkenntnisse weiter.

    Daneben unterstützt er junge Wissenschaftler, die er auf der „Dagmar Aaen“ mitnimmt, um ihnen Feldforschung zu ermöglichen. In den vergangenen zwei Jahren war er auf der „Ocean Change“-Expedition mit Energieexperten an den Küsten von Grönland und Island unterwegs, um Best-Practice-Lösungen vor Ort zu suchen. Auf Island etwa besuchte er eine Anlage, die CO2 aus der Luft filtert, um es in versteinerter Form zu speichern. 2017 erhielt Fuchs das Bundesverdienstkreuz.

    Abenteurer, Polarforscher, Umweltaktivist:
    Fuchs  Karriere in Bildern

    Seit mehr als vier Jahrzehnten reist Arved Fuchs um den Globus. Immer wieder zieht es ihn mit seinem Schiff, der „Dagmar Aaen“, in arktische und antarktische Gewässer. Die Welt von Eis und Schnee fasziniert ihn bis heute. An Land ...

    ... bewegt er sich auf seinen Expeditionen unter anderem per Hundeschlitten fort, wie hier 2006 auf Ellesmere Island, hoch oben im Norden von Kanada. Auch das südliche Ende der Erde hat der Bad Bramstedter bereist, etwa ...

    … bei einer Paddeltour in einem Kajak rund um Kap Hoorn. In den stürmischen Gewässern, in denen der Südatlantik auf den Südpazifik trifft, haben viele Seeleute ihr Grab gefunden. Wie viele Kilometer er schon zurückgelegt hat, ...

    … weiß Fuchs nicht. Die Touren, hier auf Skiern, sind oft harte Strapazen. Er habe von den Inuit gelernt, das Eis zu lesen. „Man muss wissen, wo es einen trägt und wo man einzubrechen droht“, sagt er. Besonders spektakulär ...

    ... sind seine Reisen im Jahr 1989. Erst erreicht er von Kanada aus als Teil der internationalen „Icewalk“-Expedition den Nordpol – ein Marsch, der heute wegen der Erderwärmung nicht mehr möglich wäre. Und noch im selben Jahr ...

    ... durchquert er gemeinsam mit dem Extrembergsteiger Reinhold Messner (rechts) zu Fuß die Antarktis. Das Foto zeigt sie bei ihrer Rückkehr in Frankfurt. Mindestens ebenso spektakulär ist eine Reise elf Jahre später, als Fuchs ...

    … im orgiginalgetreuen Nachbau eines Beiboots der historischen „Endurance-Expedition“ (1914 bis 1917) eine Rettungsmission des Polarforschers Ernest Shackleton nachvollzieht. Geradezu behaglich ...

    … ist im Vergleich dazu eine Überwinterung auf der „Dagmar Aaen“. Mit dem umgebauten Haikutter (Baujahr 1931) durchquert Fuchs unter anderem die Nordwest- und die Nordostpassage. So einsam ...

    ... wie zu Beginn von Fuchs’ Abenteurerlaufbahn ist es an den Polen heute nicht mehr. Immer mehr Touristen reisen auf Kreuzfahrtschiffen in die Region. In den vergangenen beiden Jahren ...

    … war Fuchs an den Küsten von Grönland und Island unterwegs. Hier nehmen er und sein Team auf dem Gelände eines aufgegebenen US-Militärstützpunkts Bodenproben. Immer wieder treffen sie auf ...

    ... menschliche Hinterlassenschaften selbst in den entlegensten Buchten von Grönland, vor allem Plastikmüll und alte Fischernetze. Seine Erlebnisse haben aus dem Abenteurer Fuchs über die Jahre ...

    … einen Umweltaktivisten gemacht. Es geht ihm darum, die Schönheit der Welt von Eis und Schnee für kommende Generationen zu bewahren.

    Wissen Sie, wie groß Ihr CO2-Fußabruck ist?
    Fuchs: Nein. Ich weiß nur, dass er zu hoch ist. Aber ich habe sehr viel in meinem Leben umgestellt, um ihn zu verkleinern. Im Inland fliege ich gar nicht mehr, weite Strecken fahre ich nicht mit dem Auto, sondern mit dem Zug, ich esse deutlich weniger Fleisch, und wenn, dann achte ich genau darauf, woher es kommt. Man kann nicht den Kampf gegen den Klimawandel predigen, sich selbst aber ganz anders verhalten.

    Die Flugscham hat offenbar auch Sie erwischt. Als jemand, der von Fernweh getrieben ist, haben Sie sicher trotzdem Verständnis, wenn Menschen ferne Länder sehen wollen. Sollten sie darauf verzichten?
    Fuchs: Nein, das wäre ja furchtbar! Wer niemals reist, entwickelt kein Verständnis für andere Kulturen. Natürlich gibt es Auswüchse wie den Kreuzfahrtboom in der Arktis oder Last-Degree-Expeditionen in der Antarktis, bei denen Touristen bis zum 89. Breitengrad geflogen werden und dann nur die letzten Meilen laufen. Das ist absurd. Aber ich möchte niemanden daran hindern, Menschen in anderen Ländern kennenzulernen. Verzicht allein ist nicht die Lösung.

    Aber was dann?
    Fuchs: Ich glaube an Technologie. In der Entwicklung der E-Mobilität, von Bio-Treibstoffen oder Wasserstoff steckt noch sehr viel Potenzial. Wenn wir die Kohlekraftwerke abschalten und die Erneuerbaren ausbauen, bin ich optimistisch, dass wir die schlimmsten Folgen des Klimawandels verhindern können. Früher hat die Atomlobby gedichtet: Atomkraftgegner überwintern im Dunkeln und mit kaltem Hintern. Totaler Quatsch, längst widerlegt!

    Der Ökostromausbau ist in Deutschland allerdings ziemlich ins Stocken geraten.
    Fuchs: Das frustriert mich total. Überall, wo ein Windrad gebaut oder auch nur durch ein moderneres ersetzt werden soll, entdecken plötzlich Leute ihre Liebe zu Fledermaus und Rotmilan, obwohl sie die beiden vorher vermutlich nicht mal auseinanderhalten konnten. Natürlich ist es tragisch um jeden verendeten Vogel. Aber die Zahlen werden zum Teil dramatisch übertrieben. Seeadler sterben vermutlich öfter an Bleivergiftung, weil sie mit Schrot geschossenes Wild gefressen haben, als in Offshore-Windrädern.

    Stören die Anlagen Sie als Segler nicht?
    Fuchs:
    Natürlich habe ich es am liebsten, wenn der Blick zum Horizont frei ist. Aber irgendwo muss die Energie ja herkommen. Außerdem gibt es Studien, wonach sich die Fischpopulation in Offshore-Windparks stark erholt, weil die Fischerei dort verboten ist.

    Gibt es eigentlich noch weiße Flecken auf Ihrer persönlichen Landkarte?
    Fuchs: Klar – es tun sich sogar immer wieder neue auf. Wenn ich in einer Region 15 Jahre lang nicht gewesen bin, hat sie sich beim nächsten Besuch ja meist sehr verändert. Und dann gibt es einige Regionen zum Beispiel in Sibirien, die ich sehr gern sehen würde. Aber das ist aufgrund der politischen Lage nicht einfach.

    Wohin geht Ihre nächste Reise?
    Fuchs: Ganz in die Nähe: in die Nordsee. Das Schiff wird jetzt in der Werft überholt und dann werden wir uns im Sommer die nordfriesischen und ostfriesischen Inseln unter dem Gesichtspunkt des Klimawandels anschauen.

    Das klingt erstaunlich unspektakulär für jemanden, der gewöhnlich die Extreme vorzieht.
    Fuchs: Da haben Sie vielleicht einen falschen Eindruck von mir. Ich komme nach meinen Reisen immer wieder gern zurück nach Hause. Ich bin ja kein Aussteiger.

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