Angela Merkel galt einmal als „Klimakanzlerin“, lang ist es her. Jetzt könnte sie es zur „Klimapräsidentin“ bringen.
Klimapolitik der EU-Ratspräsidentschaft
- 17.07.2020
Merkels historische Chance
Von Julia Graven
Klimaneutral soll sie sein, die deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Also gibt es zum Mittagessen Salat aus regionalem Anbau, in den Tagungspausen fair gehandelten Kaffee, dazu ein Glas Leitungswasser statt Sprudel aus der Plastikflasche. In Konferenzhotels sind Ökostrom und Abfallmanagement vorgeschrieben. Und damit die Teilnehmer CO2-neutral anreisen, kauft die Bundesregierung sie mit Kompensationszertifikaten frei. Mehr als 400 solcher ökologisch korrekten Veranstaltungen mit Politikern und Bürokraten stehen in den kommenden Monaten der Ratspräsidentschaft auf dem Programm.
Aber wird diese Zeit wirklich als „Klimapräsidentschaft“ in die EU-Geschichte eingehen? Michael Bloss würde es sich wünschen. Der Klima- und Umweltschutzexperte der Grünen im EU-Parlament sieht „eine historische Chance, die die deutsche Regierung nicht verstreichen lassen sollte.“ Zum ersten und vielleicht einzigen Mal in der Geschichte der EU sei Geld in Hülle und Fülle vorhanden, sagte Bloss im Gespräch mit EnergieWinde. Mit 750 Milliarden Euro soll allein der Corona-Wiederaufbaufonds die Wirtschaft von Finnland bis Zypern ankurbeln.
Wie dieses Geld eingesetzt wird, entscheidet mit über die ökologische Zukunft der EU. Umweltschützer befürchten, die 750 Milliarden Euro könnten nach dem Gießkannenprinzip ausgeschüttet werden – ohne Rücksicht auf den Klimawandel. Sie fordern einen umweltfreundlichen Weg aus der Coronakrise. Zum Beispiel mit einer Renovierungsoffensive für energieeffiziente Gebäude oder einem Solaranlagenprogramm. Beide würden Industrie, Handwerksbetrieben, Bürgern zugutekommen – und der CO2-Bilanz. Auch große Unternehmen machen sich für einen grünen Rettungsschirm stark.
Im Programm zur Ratspräsidentschaft ist Klimaschutz nur ein Unterpunkt
Die Wegweiser in diese Richtung könnte Bundeskanzlerin Angela Merkel aufstellen. In ihrer knapp halbstündigen Rede zur Ratspräsidentschaft vor den Brüsseler Parlamentariern kam sie allerdings erst in Minute 15 auf den Klimawandel zu sprechen. Auch im Präsidentschaftsprogramm ist die „ambitionierte Klima- und Umweltschutzpolitik“ nur ein Thema von vielen – ein Unterpunkt im Programm.
Hinzu kommt: Die von der Coronapandemie am stärksten betroffenen Länder interessiert der Transformationsprozess in Richtung CO2-Neutralität derzeit kaum. Italien oder Spanien brauchen das Geld aus dem Coronafonds möglichst schnell. Soll heißen, am liebsten ohne viele Auflagen. So könnte es passieren, dass die Milliarden auch als klassische Agrarbeihilfen fließen oder in den Bau neuer Autobahnen oder Flughäfen gehen.
Umweltschützer sind alarmiert. „Die EU-Kommission muss sicherstellen, dass ihr Paket keine Projekte und keine Wirtschaftssektoren unterstützt, die dem Green Deal schaden. Fossile Industrien mit Kohle, Öl und Erdgas dürfen nicht subventioniert werden“, sagt Christoph Heinrich, Vorstand Naturschutz beim WWF Deutschland. Der EU-Haushalt für die kommenden Jahre und der Wiederaufbaufonds müssten dem „Do no harm“-Prinzip entsprechen, das die EU-Kommission für den Green Deal festgelegt hat. Man brauche geeignete Instrumente, die überprüfen, ob der Green Deal nicht konterkariert wird.
Pascal Canfin, Chef des Umweltausschusses des Europaparlaments, fordert im „Handelsblatt“, „dass 40 Prozent der Ausgaben des Corona-Wiederaufbaus in klimabedingte Sektoren fließen sollen.“ „Merkel muss sich entscheiden, ob sie die Gelegenheit nutzen und uns den dreißigjährigen Weg zum ersten klimaneutralen Kontinent bereiten will. Es wird ihr Vermächtnis sein“, sagte Canfin.
65
Prozent seiner CO2-Emissionen muss Europa bis 2030 einsparen, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, sagen Umweltschützer
Neben dem Wiederaufbaufonds und den Planungen für den langfristigen EU-Haushalt steht eine weitere große Aufgabe auf dem Programm der deutschen Ratspräsidentschaft: die Überarbeitung der Klimaziele der EU. Angela Merkel hat sich hinter den Vorschlag der EU-Kommission gestellt, die das Klimaziel für 2030 von 40 auf 50 bis 55 Prozent anheben will. Doch die Kanzlerin bekommt aus gleich zwei Richtungen Gegenwind: Umweltschützer fordern mindestens 65 Prozent im Vergleich zu 1990, andernfalls sei das 1,5-Grad-Ziel nicht zu schaffen. Auf der anderen Seite stehen traditionelle Kohlenationen wie Polen oder Tschechien, die sich gegen die Anhebung der Klimaziele sperren.
Schließlich könnten 55 Prozent weniger CO2 bis 2030 das Aus für die Kohle bedeuten, sagen Experten. „Das kann von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen her gar nicht anders sein“, meint etwa Matthias Buck von Agora Energiewende auf Arte. Da die Klimaziele in der EU einstimmig festgelegt werden, müsste die Ratspräsidentin einiges an Überzeugungsarbeit und Unterstützung leisten, um die Kohlefraktion ins Boot zu holen. Aktuell läuft die Arbeit an einer Folgenabschätzung, die klären soll, welche Auswirkungen die jeweiligen Klimaziele hätten. Ende September soll sie vorliegen. Bis Ende des Jahres sollten dann die verbindlichen Reduktionsziele der EU feststehen.
Wasserstoff und Offshore-Wind sind Kernpfeiler der Klimapolitik
In der Energiepolitik setzt die deutsche Ratspräsidentschaft nach der „Nationalen Wasserstoffinitiative“ auch in Europa einen Schwerpunkt beim Wasserstoff. Der soll „insbesondere aus erneuerbaren Quellen“ kommen. Damit verbunden ist der zweite Schwerpunkt beim Thema Energie: der Ausbau der Offshore-Windenergie. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier setzt hier auf gemeinsame Offshore-Projekte der EU-Mitglieder und will den rechtlichen Rahmen dafür auf den Weg bringen. Allerdings ist Wasserstoff aus fossilen Rohstoffen wie etwa Erdgas für Altmaier eine notwendige „Überbrückungstechnologie“.
Ohne das Klimagesetz fehlt der Rahmen für die nächsten Jahre, man weiß nicht, wohin es gehen soll
Michael Bloss, Europaabgeordneter der Grünen
Umweltpolitiker wie der Grüne Michael Bloss sehen im blauen Wasserstoff eine Investition in die Vergangenheit. Noch mehr ärgert sich Bloss allerdings über das zögerliche Herangehen der neuen Ratspräsidentschaft an das europäische Klimagesetz. Es soll als „Gesetz für die Gesetzgebung“ dafür sorgen, dass jeder einzelne Gesetzesvorschlag der Kommission mit den Klimazielen vereinbar ist. „Ohne das Klimagesetz fehlt der Rahmen für die nächsten Jahre, man weiß nicht, wohin es gehen soll“, sagt Bloss gegenüber EnergieWinde. „Bisher hatte Bundesumweltministerin Svenja Schulze immer davon gesprochen, dass man das Gesetz zu Ende verhandeln wolle.“ Jetzt heißt es im deutschen Programm nur noch, man wolle darauf hinarbeiten, die „Beratung des Entwurfs“ im Rat abzuschließen. Schulzes Kabinettskollege Altmaier soll gebremst haben.
Immerhin in einem Punkt hat die Umweltministerin die Nase vorn. Als klimaneutrale Gastgeberin der EU-Treffen setzt sie in ihrem Ressort in den kommenden sechs Monaten auf ein rein vegetarisches Catering. Fisch und Fleisch kommen anders als beim bekennenden Steakliebhaber Altmaier nicht auf den Tisch. Wie weit die deutsche Ratspräsidentschaft die Klima- und Energiepolitik der EU am Ende tatsächlich voranbringt, wird sich aber nicht beim Mittagessen entscheiden.