Fast 126.000 Fässer mit Atommüll lagern in der Asse. Eigentlich sollten sie für immer dort bleiben. Doch weil Wasser in die Schachtanlage eindringt, müssen sie wieder herausgeholt werden – für Milliarden von Euro.
Endlagersuche für Atommüll
- 18.07.2019
Der härteste Job der Energiewelt
Von Denis Dilba
„Sauerstoffselbstretter dabei? Dosimeter klar? Beleuchtung vorhanden und eingeschaltet? Helm auf?“, fragt Schachtführerin Annette Parlitz in die Runde.
Jeder schaut an sich runter, wieder hoch, alle nicken. „Okay. Dann geht’s jetzt abwärts.“
Einen Knopfdruck später rauscht der Förderkorb mit zehn Metern pro Sekunde den Schacht hinab in die Tiefe. Nach knapp einer Minute im kräftigen Gegenwind der künstlichen Belüftung des Bergwerks endet die Fahrt, 490 Meter unter dem bewaldeten Höhenzug nahe dem niedersächsischen Wolfenbüttel. Mit einem offenen Geländewagen geht es tiefer in die Schachtanlage hinein.
Wer eine Ahnung davon bekommen möchte, vor welchen Herausforderungen die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) bei der Suche nach einem Platz für hochradioaktiven Atommüll steht, ist hier unten in der Asse richtig. Zwar ist hier nur“ schwach- und mittelradioaktiver Abfall untergebracht. Doch schon bei dieser Vergleich weniger anspruchsvollen Aufgabe treten bis heute komplexe Probleme auf.
Die Asse ist löchrig wie ein Schweizer Käse – völlig ungeeignet für ein Endlager
Rund 47.000 Kubikmeter kontaminierter Schrott, Filterrückstände und Laborabfälle, hauptsächlich aus Kernkraftwerken und der Atomforschung, wurden zwischen 1967 und 1978 in dem ehemaligen Salzbergwerk eingelagert.
Ende der 60er-Jahre war die Asse von der Bundesregierung offiziell als Versuchsendlager für leichter strahlenden Atommüll deklariert worden. Damals galt Bergrecht, nicht das strengere Atomrecht. Die radioaktiven Abfälle waren schnell unter Tage und damit aus den Augen und der öffentlichen Diskussion. Insgesamt knapp 126.000 Fässer landeten so in dem Schacht – ohne weitere Prüfung wurde die Asse zu einem echten Endlager.
Ein fataler Fehler: Mehr als ein halbes Jahrhundert lang intensiv als Salzbergwerk betrieben, war die Asse schon 1967 löchrig wie ein Schweizer Käse – und daher instabil: „Seit Beginn der Messungen Mitte der 60er-Jahre hat sich die Südflanke des Bergwerks um bis zu sechs Meter verschoben“, erklärt Thomas Lautsch, technischer Geschäftsführer der BGE. Durch Risse dringt salzhaltiges Grundwasser ein, momentan rund 12,5 Kubikmeter täglich. Im Prinzip sei das nicht viel, in anderen Bergwerken trete ein Vielfaches an Wasser ein, sagt der promovierte Bergbau-Ingenieur.
Das Problem ist nur: „Ob und wie lange das so bleibt, ist unklar. Wir müssen bei unseren Planungen für die vorgesehene Rückholung auch immer die Notfallvorsorge mitdenken.“ Und ein „Absaufen“ der Asse könne nicht ausgeschlossen werden. Deshalb muss der Atommüll wieder raus. Ab 2030 soll die milliardenteure Bergung der strahlenden Altlast beginnen.
Wo man ein Endlager errichten könnte – und wo auf keinen Fall
Als Endlager für hochradioaktiven Müll käme ein Standort wie die Asse daher gar nicht erst in Frage, betont Lautsch. Alte Bergwerke sind von vornherein ausgeschlossen – selbst wenn sie nicht marode sind, sondern intakt wie der nahgelegene Schacht Konrad, wo ein Endlager für schwach- bis mittelradioaktive Abfälle gebaut wird. „Das Gefährdungspotenzial von hochradioaktivem Atommüll – in der Hauptsache alte Brennstäbe – ist einfach um Größenordnungen höher als das von schwach- bis mittelradioaktiven Rückständen“, so Lautsch.
Alle Fässer der Asse zusammen ergeben nur 0,5 Prozent der Strahlung eines einzigen Castor-Behälters. Da in dem künftigen Endlager der Inhalt von 1900 Castoren Platz finden soll, sind die Anforderungen an den Standort entsprechend hoch. Genau wie Bergbaureviere sind auch Erdbebengebiete wie der Oberrheingraben zu unsicher. Gleiches gilt für Regionen, in denen in den kommenden Jahrtausenden mit Vulkanismus zu rechnen ist wie in der Eifel oder den Alpen. Schließlich soll der gefährliche Atommüll mindestens eine Million Jahre lang sicher von der Außenwelt abgeschlossen sein, so die Anforderung.
Ein „Absaufen“ der Asse könne nicht ausgeschlossen werden, sagt Thomas Lautsch, technischer Geschäftsführer der BGE.
Mehr als 300 Meter tief unter der Erde und dort umgeben von einer mindestens 100 Meter mächtigen Schicht aus Ton, Salz oder Granit muss sich das Endlager daher befinden. „Legen wir diese Kriterien an, wird aus der aktuell noch weißen Landkarte von Deutschland eine mit verschiedenen Flecken. Da sehen wir dann, wo man ein Endlager errichten könnte – und wo auf keinen Fall“, sagt BGE-Geschäftsführer Lautsch.
Momentan werte man noch die 2017 von den geologischen Landesdiensten angeforderten Daten aus. Im Herbst 2020 soll die neue Karte dann dem Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE) überreicht werden. Das erarbeitet daraus nach intensiver öffentlicher Diskussion eine Empfehlung für Bundesrat und Bundestag. Erst die beiden Verfassungsorgane beschließen dann in einem Bundesgesetz verbindlich, welche dieser Gebiete die BGE in einem nächsten Schritt oberirdisch genauer erkundet.
Darauf folgen ein nächster BGE-Bericht und eine nächste parlamentarische Beschlussrunde, die wiederum festlegt, wo mit Milliardeninvestitionen konkrete Erkundungsbergwerke gebaut werden, so wie im Salzstock Gorleben.
Salz, Ton und Granit – jede Gesteinsart hat Vor- und Nachteile
Diese wenigen Endlagerkandidaten werden dann weiter unterirdisch erkundet. Am Ende dieses mehr als ein Jahrzehnt dauernden Verfahrens soll klar sein, welcher Standort am besten geeignet ist und nach Beschluss von Bundesrat und Bundestag zum Endlager ausgebaut werden kann.
Der ambitionierte Plan der Bundesregierung sieht vor, dass der Standort 2031 festgelegt ist. Nach Abschluss der Bauarbeiten könnte dann ab 2050 mit der Einlagerung begonnen werden.
Das ist noch ein sehr weiter Weg, wissen alle Beteiligten. Deshalb sei es müßig, darüber zu spekulieren, wo ein solcher Standort liegen könne, sagt Lautsch. Ein favorisiertes Gestein gebe es nicht.
Salz ist nicht zwangsläufig schlechter geeignet als die ebenfalls in Frage kommenden Ton- oder Granitschichten. „Das Endlagerprojekt Asse ist zwar klar misslungen“, sagt Lautsch. „Aber das Grundproblem ist hier nicht das Salz, sondern, dass man die Einlagerung damals ohne ein Prüf- und Genehmigungsverfahren vorgenommen hat.“ Letztlich müsse man jeden Standort individuell betrachten, so der Experte. Denn alle drei Gesteinsarten hätten ihre Vor- und Nachteile.
So hat Granit etwa den Vorzug der Stabilität: Das kristalline Material selbst ist wasserdicht, hält hohen Belastungen stand und erlaubt es, Hohlräume zu bauen, die ohne großen Aufwand einsturzsicher gemacht werden können. Auf der anderen Seite bilden sich in dem festen Gestein gern Risse, durch die Wasser in die Lagerstätte einströmen kann. Ein weiteres Minus: Sind radioaktive Stoffe erst einmal ausgetreten, kann Granit sie nicht binden. Durch die Risse würde sich die strahlende Altlast schnell verteilen.
„Ein Endlager in Granit benötigt daher spezielle wasserfeste Behälter“, sagt Lautsch. Der Experte spricht von Multibarrieresystemen. Die Gesteinsschicht sei dabei nur eine dieser Barrieren, der Behälter eine andere, Betonschichten, größere Container und weitere Verfüllungen um diese herum wieder andere. „Man kann sich so ein Multibarrieresystem ganz grob wie eine Matrjoschka-Puppe vorstellen, die für jede Gesteinsschicht anders konstruiert wird“, sagt Lautsch.
Tief unter der Erde wird das eindringende Wasser in einem Becken gesammelt
Tongestein ist zwar nicht so fest wie Granit, aber dafür verformbar, sodass weniger Risse entstehen. Das macht das Material insgesamt wasserdicht. Ein Plus ist auch, dass es die radioaktiven Stoffe gut binden kann und so selbst im Fall eines Lecks eine Ausbreitung bremst. Nachteil: Ton ist nicht Ton. Die Gesteine variieren stark in ihrem Mineralbestand, dem Verformungsverhalten und der Stabilität.
Salz wiederum hat den Nachteil wasserlöslich zu sein, wie die Asse zeigt. Dort wird in 658 Metern Tiefe hinter einem großen verschlossenen Tor in einer Salzkaverne das durch verschiedene Risse eintretende Wasser in einem Becken gesammelt. Ein leises Plätschern verrät die Anwesenheit des unerwünschten Elements.
Glück im Unglück: Das eindringende Wasser ist mit Salz gesättigt, das heißt: Es löst vor Ort immerhin kein weiteres Salz mehr aus dem Bergwerk. Die radioaktiv unbelastete Lauge wird durch dicke schwarze Rohre, die durch die Schächte der Asse verlegt sind, an die Oberfläche gepumpt, wo sie in einem normalen Klärwerk aufbereitet wird.
Die Asse ist marode. Das spricht aber nicht per se gegen Salzbergwerke
Die Wasserlöslichkeit von Salz müsse man natürlich im Auge haben, sie sei aber nicht sofort ein Killerkriterium, erklärt Lautsch: „Das bloße Vorhandensein der Salzlagerstätten zeigt, dass sie Millionen Jahre frei von Wasser waren.“ Zudem ist Salz verformbarer als Ton, es fließt, wie Fachleute sagen. „Das macht den Bergbau einfacher und schließt Risse und Spalte im Salz sehr schnell“, erklärt Schachtführerin Annette Parlitz.
Sie hat den Geländewagen mitten im stockdunklen Tunnel auf dem Rückweg zum Förderkorb angehalten und weist mit ihrer Taschenlampe auf eine Wand aus Salz. „Da war vor ein paar Jahren noch ein größerer Hohlraum. Jetzt ist er bereits zugeflossen.“ Salz schließe damit eine Verteilung von radioaktiven Stoffen bei leckgeschlagenen Behältern weitgehend aus. Für Salz spricht auch, dass es die Abwärme des Atommülls deutlich besser ableitet als Ton oder Granit. Was in der Asse deutlich zu spüren ist: Im staubigen Untergrund herrschen konstant 35 Grad Celsius.
Ob Salz, Ton oder Granit – klar ist also, dass für jede Gesteinsart gewisse Nachteile und Risiken in Kauf genommen werden müssen. „Wir suchen nach dem Standort, für den das Gesamtrisiko am geringsten ist“, sagt Lautsch. „Tief, dicht und stabil sind die wichtigsten Kriterien.“
Transparenz und Bürgerbeteiligung sind gesetzlich vorgeschrieben
Aber selbst wenn so ein Standort gefunden würde, ist dem BGE-Geschäftsführer klar, dass Endlagerprojekte in der direkten Nachbarschaft keine Unterstützung finden. Er sei daher sehr froh, dass er die schwierige Entscheidung nicht allein treffen müsse: Das Verfahren zur Endlagersuche schreibe Transparenz und die Einbindung der Bevölkerung gesetzlich vor. Die BGE informiert darüber auf ihrer Website „Einblicke“.
In Fach- und Regionalkonferenzen, dem Rat der Regionen und dem nationalen Begleitgremium sind daher auf vielfältige Weise Bürger am Entscheidungsprozess beteiligt. So wolle man eine Situation wie in Gorleben vermeiden, mit Entscheidern auf der einen und protestierenden Bürgern auf der anderen. „Das gelingt uns, wenn wir als aufrecht, ehrlich und authentisch wahrgenommen werden und unsere Arbeit respektiert wird“, sagt Lautsch. „Genau daran arbeiten wir.“