Rückbau des AKW Unterweser

  • Search13.01.2017

Totengräber in eigener Sache

675.000 Tonnen Schutt und Milliardenkosten, mehr wird vom AKW Unterweser nicht bleiben. Ganz gleich, wie man zur Atomkraft steht – ein Besuch bei den Abwicklern ist eine beklemmende Angelegenheit.

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    Kuppel des stillgelegten Atomkraftwerks Unterweser: Der Rückbau der Atmoenergie wird Milliarden verschlingen.

    Kuppel des Atomkraftwerks Unterweser: Der Rückbau der stillgelegten Anlage wird Jahre dauern.

    Von Helmut Monkenbusch

    Gerd Reinstrom kann sich noch gut an den Tag erinnern, an dem Angela Merkel sein Kernkraftwerk stilllegte. Es war der 15. März 2011, vier Tage nach der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima, als die Kanzlerin entschied, die sieben ältesten deutschen Meiler und das AKW Krümmel sofort abzuschalten, weil die Risiken der Kernenergie nicht beherrschbar seien.

    Das Seebeben im fernen Pazifik bedeutete damit auch das Aus für Reinstroms Druckwasserreaktor am Unterlauf der Weser.

    „Kurz darauf bekam ich von der Zentrale der Eon Kernkraft in Hannover die Anweisung, die Anlage herunterzufahren“, berichtet der Technische Leiter des Kernkraftwerks Unterweser (KKU) im Besucherzentrum der Anlage. Es ist seit einigen Jahren geschlossen, weil keine Besucher mehr kommen. Damals, so Reinstrom, sei er noch Stellvertreter gewesen. Aber weil sich sein Chef auf Dienstreise befand, habe er „die Anordnung umsetzen müssen“. Und er räumt ein: „Es hat mich emotional schon sehr stark bewegt.“

    Im Werk hätten sie alle eine gewisse Zeit gebraucht, „um die Vorgänge nachzuvollziehen“. Das KKU lieferte seit 1978 Strom, dreimal (1980, 1981 und 1993) holte Unterweser den Titel des Produktionsweltmeisters, heißt es in der Chronik. Erst im Herbst 2010 war die Laufzeit aller Nuklearanlagen von der Bundesregierung um acht Jahre verlängert worden.

    Und Merkel, war sie nicht die „Atomkanzlerin“? Während des dreimonatigen Moratoriums nach Fukushima hätten die Behörden sowie nationale und internationale Expertenkommissionen „noch einmal die hohe Robustheit der Anlage festgestellt“. Aber das änderte nichts mehr am Hauruckausstieg.

    Fast sein ganzes Berufsleben hat Gerd Reinstrom im Kernkraftwerk Unterweser verbracht. Die Abschaltung war für den Werksleiter und seine Kollegen ein herber Schlag.

    „Wir waren und sind noch immer der Meinung, dass unsere Anlage auf dem Stand von Wissenschaft und Technik ist“, sagt Reinstrom. Seit 1982 arbeitet der Diplom-Ingenieur der Verfahrenstechnik schon in dem Kraftwerk in der Gemeinde Stadland im Landkreis Wesermarsch. Als Schichtbetriebsingenieur, Teilbereichsleiter der Maschineninstandhaltung und Leiter des Fachbereichs Produktion.

    Er stammt aus dieser Gegend, sein Geburtsort Nordenham liegt nur ein paar Kilometer entfernt. Mehr als 30 Jahre hat sich sein Arbeitsleben um Sicherheitsfragen gedreht. Darum, wie man Menschen und Umwelt vor radioaktiver Strahlung schützt. Und jetzt machen sie ihm den Laden dicht, ausgerechnet aus Gründen der Sicherheit. Das muss ihn doch kränken.

    Es fällt dem AKW-Chef schwer, den Atomausstieg nachzuvollziehen

    „Unser Vorsitzender der Geschäftsführung hat gesagt: Wir unterwerfen uns dem parlamentarischen Mehrheitswillen. Eine andere Antwort gebe ich Ihnen lieber nicht dazu.“ Dicker Hals? „Natürlich. Doch wir haben uns damit abzufinden. Es lag nicht in unserer Hand.“ Bedauerlicherweise habe auch er jene Politiker gewählt, die für die Entscheidung verantwortlich sind.

    Jetzt will er sich aber nicht einfach aus dem Staub machen, nach dem Motto: Der Letzte macht das Licht aus. „Wir stehen in der Verpflichtung, den Rückbau vorzunehmen.“ Eine Aufgabe, so Reinstrom, die an der Unterweser „über viele Jahre Arbeitsplätze sichern“ werde.

    Im Maschinenhaus, wo bis 2011 die Turbine lief, klafft jetzt ein großes Loch. Ansonsten ist vom Rückbau des Atomkraftwerks noch nicht viel zu sehen. Er wird Jahre in Anspruch nehmen.

    Die Parkplätze vor dem Kraftwerk sind an diesem Vormittag zur Hälfte belegt. Offiziell arbeiten noch 200 Mitarbeiter in Schichten rund um die Uhr. Sie führen Prüfungen durch.

    Leckagen, kaputte Ventile: Auch nach der Abschaltung kam es zu Pannen. Bis Juli 2015 wurden 18 „meldepflichtige Ereignisse der untersten Kategorie“ verzeichnet. „Alle Restriktionen gelten strikt weiter“, versichert Reinstrom. „Die personelle Betriebsordnung, die Instandhaltungsordnung, die Strahlenschutzordnung, sie beschreiben im Detail unser Tun und Handeln. Unsere Arbeit hat einen geringen Freiheitsgrad.“

    Wenn der Rückbau richtig losgeht, rücken mehr als 200 Spezialisten an

    Bei der Bewachung dürfe es keine Einschränkungen geben. 150 Kräfte sichern die Anlage, die im sogenannten Nichtleistungsbetrieb läuft. Das heißt, sie erzeugt keinen Strom mehr. Die fast 400 Brennelemente liegen im Abklingbecken unter der Reaktorkuppel.

    Der Antrag auf Rückbau, den Eon im Mai 2012 beim niedersächsischen Umweltministerium eingereicht hatte, stand bis vor Kurzem unter Vorbehalt. Denn der Energiekonzern war mit Vattenfall und RWE gegen die 13. Atomgesetznovelle vor das Verfassungsgericht gezogen. Die Konzerne sehen im Atomausstieg eine Enteignung und verlangen Entschädigung.

    Doch im Dezember 2016 entschied das höchste Gericht, der Ausstieg sei im Wesentlichen verfassungskonform gewesen. Es billigte den Versorgern allerdings Abfindungen für entgangene Gewinne zu. Dass Karlsruhe den Ausstieg kassieren würde und sie ihren Reaktor wieder hochfahren könnten, hat selbst an der Unterweser niemand erwartet.

    An einzelnen Stellen läuft der Rückbau bereits. Im Maschinenhaus, wo Turbinen und Wasserpumpen bis 2011 für Lärm und Hitze sorgten, klafft ein großes Loch. Der Hunderte Tonnen schwere Generator, der die elektrische Energie erzeugt, wurde demontiert und nach Brokdorf gebracht, um dort ein 30 Jahre altes Modell zu ersetzen.

    Einzelteile liegen in Plastik verpackt auf dem Boden der Halle. Dutzende Container sind aufgestellt. Sie dienen den externen Mitarbeitern als Arbeits- und Abstellplätze. Mehr als 200 Spezialisten werden nach Stadland kommen, wenn es endlich losgeht.

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    Mancher Gewerbetreibende in dieser Region wäre froh, wenn er so eine tolle Halle hätte

    Gerd Reinstrom

    Reinstrom hofft, Anfang 2017 die Genehmigungen vom Ministerium zu erhalten. Dann werde man als Erstes die Infrastruktur für den Rückbau schaffen und zunächst nur solche Systeme abbauen, die nicht mit der Kühlung und Lagerung der Brennelemente verbunden sind.

    Nach der Entsorgung der strahlenden Stäbe, die 99 Prozent der Radioaktivität verursachen, beginnt voraussichtlich 2019 die zweite Phase: der Rückbau der kontaminierten Reaktorteile wie Reaktordruckbehälter, Dampferzeuger oder Lagerbecken, die unter der Stahlbetonkuppel in einem stählernen Sicherheitsbehälter eingeschlossen sind.

    Zum Schluss sollen etwa im Jahr 2030 die konventionellen Teile des Kraftwerks wie Maschinenhaus und Bürogebäude verschwinden oder „einer Nachnutzung zugeführt werden“, so Reinstrom. „Mancher Gewerbetreibende in dieser Region wäre froh, wenn er so eine tolle Halle hätte.“

    Im Prinzip wird „von innen nach außen“ rückgebaut, erklärt der Leiter. „Wenn Sie ein Haus abreißen, müssen Sie zunächst einmal das Inventar ausräumen.“ Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne) veranschlagt die Kosten für den Abriss mit „grob einer Milliarde Euro, es könnten am Ende aber durchaus 50 Prozent mehr sein“.

    Hier läuft der Rückbau bereits. Statt einer schnellen Abwicklung wünschen sich manche Anwohner allerdings, alle gefährlichen Materialien vor Ort zu verschließen – bis es ein sicheres Endlager gibt.

    Von der Gesamtanlage bleiben nach Schätzungen 675.000 Tonnen Schrott übrig. Auf das Reaktor- und Hilfsanlagegebäude entfallen 193.000 Tonnen. Davon sind 176. 000 Tonnen Gebäudemassen, die nach der Strahlenschutzverordnung uneingeschränkt freigegeben werden können, 12.700 Tonnen sollen deponiert, verbrannt oder recycelt werden. „Erst wenn Behörden und Gutachter zustimmen“, betont Reinstrom, „kann das Material das Gelände verlassen.“

    Die radioaktiven Abfälle summieren sich auf 3400 Tonnen. Sie werden für die Endlagerung in Schacht Konrad vorbereitet, einem stillgelegten Eisenerzbergwerk im Stadtgebiet von Salzgitter. Der Haken dabei: Weil das Endlager frühestens 2022 fertiggestellt wird, hat Eon auf dem KKU-Gelände ein zweites Zwischenlager für radioaktive Abfälle beantragt.

    Anwohner würden den Rückbau gern verschieben – weil es kein Endlager gibt

    Dagegen protestieren Bürger und Aktivisten aus der Wesermarsch: Sie wenden ein, das Zwischenlager sei nicht ausreichend gegen Überschwemmungen und Sturmfluten geschützt. Außerdem befürchten sie, dass aus dem Zwischenlager ein Endlager werden könnte. Statt schnell rückzubauen, plädieren sie für eine andere Variante der Stilllegung: den sicheren Einschluss. Dabei werden alle Brennelemente entfernt, radioaktive Komponenten wie Pumpen und Rohre in den Reaktor eingelagert und anschließend durch Betoneinschluss für 30 Jahre versiegelt. Erst dann beginnt der Rückbau.

    „Wir wollen unserer Verantwortung jetzt gerecht werden und die Aufgaben nicht den nachkommenden Generationen überlassen“, hält Reinstrom dagegen. Würde man die Sache drei Jahrzehnte aufschieben, wäre das Fachpersonal und damit das Know-how nicht mehr vor Ort.

    Andre Rademacher, Rückbau des Atomkraftwerks Unterweser

    Andre Rademacher leitet den Rückbau. Der Schutt, der später unter anderem im Straßenbau verwendet werden könnte, sei unbedenklich. Nur zwei Prozent des Materials müssten gesondert behandelt werden.

    Kritiker werfen ein, dass es dem Unternehmen gar nicht schnell genug gehen kann, sich aus der Verantwortung zu lösen. So hat der Bundestag Mitte Dezember ein Gesetz zur Neuordnung der Verantwortung der kerntechnischen Entsorgung verabschiedet. Demnach gehen alle Zwischenlager für bestrahlte Brennelemente sowie für schwach- und mittelradioaktive Abfälle schon am 1. Januar 2019 beziehungsweise am 1. Januar 2020 an eine Bundesgesellschaft über.

    Was dieses Gesetz für Unterweser bedeutet, erläutert der Rückbauleiter Andre Rademacher im Besucherzentrum vor einem Modell des KKU. Der Manager teilt das Gelände mit einem Lichtstift in zwei Hälften. „Was sich südlich dieser Linie befindet, wird in unserer Verantwortung rückgebaut“, sagt Rademacher. „Nördlich davon liegen das heutige Zwischenlager mit einer Kapazität von 80 Castor-Behältern sowie der geplante Lagerneubau. Beide Gebäude gehen in das Eigentum des Staates über, der künftig die kerntechnische Entsorgung verantwortet.“

    Radioaktivität lässt sich nicht abschalten. Wie gefährlich ist der Rückbau?

    Diese Entlastung der Betreiber drückt sich natürlich auch finanziell aus. Da sie nur für Stilllegung und Rückbau zuständig sind, sollen die vier großen Versorger Eon, EnBW, RWE und Vattenfall bis 2022 lediglich 23,3 Milliarden Euro in einen öffentlichen Fonds einzahlen. Um die gefährlichen Hinterlassenschaften muss sich der Steuerzahler kümmern.

    Diese Summe sei „angesichts der vielen offenen Fragen zur Endlagerung in Deutschland ein Spottpreis“, urteilte etwa die „Zeit“.

    Eons Atomsparte firmiert inzwischen unter dem Namen PreussenElektra. Das Unternehmen habe sich vorgenommen, die Bürger in der Region besser über den Rückbau des Kraftwerks zu informieren, um „Vertrauen zu gewinnen“, sagt Rademacher. Schon aufgrund der Sicherheitsbestimmungen ist das keine leichte Aufgabe. „Wir können den Anwohnern nur schwer vermitteln, wie wir im Kontrollbereich arbeiten und welche Fortschritte wir machen.“

    Dem Manager zufolge sollen „nahezu 98 Prozent“ der Gesamtmasse des Kraftwerks uneingeschränkt freigegeben werden. Diese Zahl trägt nicht unbedingt zur Beruhigung der Anwohner bei. „Freimessen“, so wird die Freigabe des für unbedenklich erklärten Materials auch genannt, wenn es den Grenzwert von zehn Mikrosievert pro Jahr unterschreitet.

    Fässer im AKW Unterweser: Radioaktivität lässt sich nicht einfach abschalten. Ebenso wenig wie die Sorge der Bürger. Der radioaktive Müll strahlt eine Million Jahre.

    Doch wie gefährlich ist die geringste Strahlendosis? Sind die Straßen, die aus dem Schutt der Kraftwerke gebaut werden, gesundheitlich unbedenklich?

    „Jeder Mensch ist in seinem normalen Lebensumfeld einer natürlichen Strahlenbelastung ausgesetzt“, erklärt Rademacher. „Was zusätzlich aus der uneingeschränkten Freigabe hinzukommen darf, bewegt sich in einem Bruchteil dieser Belastung.“ Jeder Einzelne könne 2000 Stunden im Jahr auf diese Straße gehen und sich der Radioaktivität aussetzen, ohne Schaden zu nehmen.

    Radioaktivität lässt sich nicht einfach abschalten. Ebenso wenig wie die Sorge der Bürger. Der radioaktive Müll strahlt eine Million Jahre. Ist es für ihn vorstellbar, dass die Atomkraft irgendwann eine Renaissance erlebt? „Solang der gesamtgesellschaftliche Wille dazu fehlt, brauchen wir über diese Frage nicht ernsthaft nachzudenken“, sagt Rademacher am Ende des Gesprächs. Für die Stromerzeugung in Deutschland spielt die Kernenergie „keine Rolle mehr“.

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