Kai Niebert (43) ist Präsident des Deutschen Naturschutzrings, der als Dachverband knapp 100 Organisationen wie BUND, WWF, NABU und Germanwatch vertritt. An der Uni Zürich ist der gebürtige Hannoveraner seit 2014 Professor für die Didaktik der Naturwissenschaften und der Nachhaltigkeit. Als Mitglied der Kohlekommission und der Zukunftskommission Landwirtschaft hat Niebert die Bundesregierung beraten. Seit Juni gehört er der von der Ampelregierung geschaffenen Allianz für Transformation an.
Herr Niebert, kennen Sie den Raubwürger?
Kai Niebert: Nur aus dem Lehrbuch.
Der Raubwürger ist ein bedrohter Singvogel, den Naturschützer in einem Kiefernforst im Sauerland gesichtet haben. Sie fordern nun ein Schutzgebiet, aber der Waldbesitzer will Windräder bauen.
Niebert: Da sehen wir es: Auch in Kulturlandschaften kann sich Natur ansiedeln. Wie ging die Geschichte aus?
Die Behörden geben dem Waldbesitzer recht: Laut Oliver Krischer, dem grünen Umweltminister von NRW, ist die Art durch Windräder nicht gefährdet. Aber kann man das überhaupt so pauschal ausschließen?
Niebert: Natürlich lässt sich nie mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, ob ein Vogel nicht doch mal in ein Rotorblatt gerät, selbst wenn die Art gewöhnlich vielleicht gar nicht in der entsprechenden Höhe unterwegs ist. Was man aber ziemlich genau weiß, ist, dass Windräder bei Weitem nicht die größte Gefahr für Vögel sind.
Sondern?
Niebert: Die größte Gefahr sind die ausgeräumten Agrarlandschaften. Das sind meist Monokulturen, in denen Vögel wenig bis nichts zu fressen finden. Werden dort Gifte gegen Nager ausgebracht, sterben zudem auch Greifvögel, die diese Nager fressen. Das zweite große Problem ist der Verkehr: Es ist nicht zu unterschätzen, wie viele Vögel an Autobahnen oder Hochgeschwindigkeitszügen sterben. In Siedlungen sind zudem Glasfassaden eine tödliche Gefahr. Und auch freilaufende Hauskatzen sind ein Problem für den Vogelbestand. Erst dann folgt mit weitem Abstand die Windkraft als kleinster Faktor in dieser Aufzählung.
Warum konzentriert sich die Diskussion trotzdem meist darauf?
Niebert: Weil die Windräder ein vergleichsweise neuer Faktor sind. Die industrielle Agrarlandschaft, die Autobahnen und Bahntrassen, die Glasscheiben, die Hauskatzen, all das gibt es da draußen schon so lang, dass es oft als gegeben hingenommen wird. Mit den Windrädern kommt nun ein zusätzlicher Stressfaktor ins Spiel, den viele nicht auch noch hinzunehmen bereit sind. Ich halte es allerdings für falsch, ausgerechnet am kleinsten Faktor anzusetzen, zumal wir die erneuerbaren Energien im Kampf gegen die Klimakrise brauchen.