Heute klappt Krautter seinen silbernen Koffer im Wohnzimmer von Hartz-IV-Empfängerin Marie Arndt auf. In Wirklichkeit heißt Marie Arndt anders. Vor mehr als zwei Jahren hat die junge Frau ihre Arbeit verloren, seit etwa einem Jahr lebt sie von den 409 Euro Regelsatz und macht derzeit eine Umschulung. Seit Januar muss sie für ihre 60 Quadratmeter große Wohnung monatlich zehn Euro mehr an den Stromanbieter Vattenfall als Abschlagszahlung leisten. Mit nun knapp 50 Euro gehen mittlerweile über zwölf Prozent ihres ohnehin geringen Einkommens im Monat für Strom drauf. Mit der Abrechnung in der Hand blickt sie Krautter zermürbt an. „Ich schreibe mir heute alles auf und schaue, wo ich Ihnen helfen kann“, sagt dieser ruhig.
So wie Marie Arndt geht es immer mehr Menschen in Deutschland. Sozialforscher sprechen dabei von Energiearmut. Eine feste Definition für diesen Begriff gibt es bisher nicht. Aber Institutionen wie die OECD oder die hiesigen Verbraucherzentralen bezeichnen solche Haushalte als energiearm, die mehr als zehn Prozent ihres ohnehin geringen Budgets für Strom ausgeben müssen. Verschiedene Studien gehen davon aus, dass zehn bis 20 Prozent der deutschen Haushalte von Energiearmut betroffen sind.
333.000 Stromanschlüsse haben die Versorger 2016 gesperrt. Tendenz: steigend
„Die Zahl derer, die wegen hoher Stromkosten zu uns in die Schuldnerberatung kommen, ist in den vergangenen Jahren auf jeden Fall gestiegen“, sagt Kerstin Föller von der Verbraucherzentrale Hamburg. Mittlerweile schicken Stromanbieter jährlich knapp sechs Millionen Mahnungen an private Haushalte in Deutschland; rund 333.000 Stromanschlüsse wurden 2016 wegen ausstehender Rechnungen abgeklemmt – Tendenz steigend.
Um das Risiko der Energiearmut einzudämmen, wächst bundesweit das Beratungsangebot. Mittlerweile schließen sich sogar Stromanbieter mit Kommunen zusammen – in eigenem Interesse, versteht sich. In einem Pilotprojekt hat zum Beispiel die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit acht lokalen Energieversorgern und der Caritas vom Verbraucherschutzministerium gefördert eine fachübergreifende Beratungsoffensive gestartet.
Mit Erfolg: Nicht nur konnten in 86 Prozent der Fälle Stromsperren verhindert und die Energiekosten nachhaltig gesenkt werden. Auch die Versorger profitierten von der Kombination aus Energie- und Schuldnerberatung, da mehr Rechnungen beglichen wurden, mehr Notsituationen gelöst werden konnten und es seltener in den Kundencentern zur Eskalation kam.
Trotz des steigenden Angebots gibt es solche Kooperationen aber es noch zu selten. Dabei werden sie gebraucht. Ursache für Energiearmut sind nicht allein die durch Abgaben wie die EEG-Umlage gestiegenen Energiekosten. „Die Betroffenen stecken oft in einer Spirale, aus der sie nur mit langfristigen Maßnahmen ausbrechen können“, sagt Verbraucherschützerin Föller.
Geringverdiener haben oft alte Wohnungen – wo die Stromkosten hoch sind
Viele Hartz-IV-Empfänger und Geringverdiener leben in veralteten, wenig begehrten und wenig energieeffizienten Mietwohnungen, wo sie Kostentreiber wie Nachtspeicherheizungen und Boiler in Kauf nehmen müssen. Ein finanzielles Polster, um sich für ihre alten Kühlschränke oder Waschmaschinen effizientere Geräte anzuschaffen, wird regelmäßig von der Stromrechnung aufgefressen.