Wachstum sauberer Technologien

  • Search03.12.2024

Die Cleantech-Revolution

Elektroautos, PV, Batteriespeicher – wie schnell sich diese Technologien verbreiten, wird laufend unterschätzt. Denn Menschen sind es gewohnt, linear zu denken. Doch der Absatz entwickelt sich exponentiell.

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    Fabrik von BYD in China: Auf dem größten Automarkt der Welt könnten schon sehr bald mehr E-Autos als Verbrenner verkauft werden.

    Gebt mir ein E! In China, dem größten Automarkt der Welt, dürften bald dauerhaft mehr Elektroautos als Verbrenner verkauft werden.

     

    Von Volker Kühn

    Das menschliche Gehirn ist ein unübertroffenes Wunderwerk. Keine andere Spezies verfügt über ein so hochentwickeltes Organ; es befähigt uns zur Sprache und zu komplexem Denken, es hat uns Musik, Malerei, Medizin und die Mondfahrt geschenkt. Doch leider schleppt unser Gehirn bis heute eine Altlast aus der Steinzeit mit sich: lineares Denken.

    Menschen sind es gewohnt, die Welt in direkten Ursache-Wirkung-Beziehungen wahrzunehmen. Unser Gehirn vereinfacht Informationen, um sie schneller verarbeiten zu können. Deshalb denken wir linear: zwei, vier, sechs, acht, zehn. Evolutionär war dieses Denken ein Vorteil. Sprang der sprichwörtliche Säbelzahntiger aus dem Busch, ging es um rasche Entscheidungen, nicht um das Durchspielen komplexer Szenarien.

    Die Realität hält sich allerdings nicht immer an unser lineares Drehbuch, Pandemien und der Klimawandel sind Beispiele dafür. Sie verlaufen exponentiell: zwei, vier, acht, sechzehn, zweiunddreißig.

    Wir wissen das, und doch fällt es uns schwer, uns vorzustellen, dass nächste Woche schon die halbe Stadt infiziert sein könnte, wenn es heute nur zwei Dutzend Erkrankte gibt. Mit der Erderwärmung sieht es ähnlich aus, es gibt Kipppunkte und Rückkopplungseffekte, die den Temperaturanstieg befeuern. Die Kurve steigt immer steiler an.

    Wir stecken mitten im Umbruch. Auch wenn es nicht alle mitbekommen haben

    Dies vorweggeschickt, lässt sich womöglich besser verstehen, was gerade im Cleantech-Sektor passiert, also bei der Entwicklung von Prozessen, Produkten und Dienstleistungen, die darauf abzielen, die Umweltbelastung zu reduzieren und die Ressourceneffizienz zu verbessern. Viele dieser Technologien fristeten lange Zeit ein Nischendasein, die Wind- und Solarenergie etwa. Dass sie sich zum Rückgrat der Stromversorgung entwickeln könnten, erschien vielen kaum vorstellbar. (Oder wünschenswert: Unvergessen ist die Kampagne deutscher Energieversorger, die in Zeitungsanzeigen behaupteten, die Erneuerbaren könnten „auch langfristig nicht mehr als vier Prozent unseres Strombedarfs decken“.)

    Doch viele saubere Technologien haben die Nische inzwischen verlassen – mit einer Geschwindigkeit, die auch Experten verblüfft. Das Rocky Mountain Institute (RMI), eine Nonprofit-Organisation aus den USA, spricht von einer echten „Cleantech-Revolution“. Der Treiber dabei ist der rasante Preisverfall für Technologien wie Solarmodule, Batterien und Elektroautos. Er heizt einen globalen Boom an, und die gestiegene Nachfrage wiederum drückt die Preise zusätzlich.

    Der Absatz von Solaranlagen, E-Autos und Batterien weltweit wächst viel schneller, als von Experten prognostiziert wurde. Es ist eine Cleantech-Revolution im Gange. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Im Ergebnis entwickeln sich diese Technologien viel schneller, als auch von renommierten Instituten vorhergesagt wurde. Die Leistung der jährlich neu installierten Fotovoltaikanlagen, der Anteil von Elektroautos am globalen Pkw-Absatz, der Verkauf von Batteriespeichern, sie alle übertreffen ein ums andere Mal die Prognosen – weil sie nicht linear verlaufen.

    Das RMI spricht von einem S-Kurven-Trend: In der Anfangsphase ist das Wachstum langsam, doch es beschleunigt sich rapide, sobald die Kosten sinken und die neuen Produkte breite Akzeptanz finden. Das ist die Phase, die wir gegenwärtig erleben. Erst wenn die Märkte irgendwann gesättigt sind, wird die Wachstumskurve zu einer S-Form abflachen.

    Der Absatz sauberer Technologien boomt weltweit. Hier errichten zwei Arbeiter eine Fotovoltaik-Anlage auf einem Hausdach in Deutschland.

    Der Ausbau der Solarenergie boomt weltweit. Auch in Deutschland werden auf immer mehr Hausdächern PV-Module installiert.

    Für den Klimaschutz ist die Entwicklung eine gute Nachricht. Denn angesichts der Wachstumsraten sauberer Technologien könnte die Welt schon in wenigen Jahren mehr Energie aus erneuerbaren als aus klimaschädlichen Quellen nutzen. Auch das mag auf den ersten Blick schwer vorstellbar erscheinen. Denn die Menge der Energie, die mit Kohle, Öl und Gas erzeugt wird, übersteigt die aus sauberen Quellen heute noch um ein Mehrfaches.

    Der Primärenergiebedarf ist gewaltig. Doch genutzt wird nur ein kleiner Teil

    Allerdings verpufft der Großteil dieser fossilen Energie ungenutzt in der Landschaft. Schuld ist der geringe Wirkungsgrad von Prozessen, die auf der Verbrennung von Rohstoffen beruhen, Benzin- und Dieselmotoren oder Kohlekraftwerken etwa. Nur ein kleiner Prozentsatz der aufwendig aus Bohrlöchern oder Bergwerken gewonnenen sogenannten Primärenergie fließt tatsächlich in den Zweck, für den er gedacht ist – in diesen Fällen also in die Mobilität oder die Stromerzeugung. Der Großteil entweicht in Form heißer Abgase aus dem Auspuff oder lässt sich in Wölkchen über den Schornsteinen der Kraftwerke bewundern. Primärenergie ist eben nicht gleich Nutzenergie.

    Elektrische Systeme haben in der Regel einen deutlich höheren Wirkungsgrad; sie verschwenden bei Weitem nicht so viel. Und das ist der Grund dafür, dass die Nutzenergie, die die Welt aus erneuerbaren Quellen zieht, schon in wenigen Jahren die aus fossilen Quellen übersteigen dürfte.

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