Konkurrenz aus Fernost

  • Search16.06.2023

China drängt in Europas Offshore-Wind-Markt

Chinas Offshore-Wind-Industrie expandiert. Heimische Hersteller beobachten das mit Sorge. Sie hoffen auf klare Regeln in der EU: Hohe Nachhaltigkeitsstandards könnten die neuen Rivalen vom Markt fernhalten.

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    Der Offshore-Windpark Beleolico vor der Küste von Tarent in Italien ist der erste in Europa, der mit Turbinen eines chinesischen Herstellers (Mingyang) läuft.

    Sprungbrett nach Europa: Seit gut einem Jahr drehen sich im italienischen Offshore-Windpark Beleolico Turbinen von Mingyang.

     

    Von Jörn Petring, Peking

    Vor der Küste der süditalienischen Hafenstadt Tarent ragen zehn stählerne Giganten aus dem azurblauen Mittelmeer. Der 30-Megawatt-Windpark Beleolico, der seit Mai 2022 fast 20.000 Haushalte mit grüner Energie versorgt, ist in mehrfacher Hinsicht eine Premiere: Er ist nicht nur der erste in Italien – sondern auch der erste in Europa mit Offshore-Wind-Turbinen eines chinesischen Unternehmens.

    Zum Geschäft mit dem chinesischen Konzern Mingyang führten besondere Umstände. Ursprünglich sollte der deutsche Hersteller Senvion liefern, der jedoch 2019 Insolvenz anmelden musste. Mingyang erkannte in der Not der Italiener eine Chance – und bekam den Zuschlag.

    Die Chinesen machten keinen Hehl daraus, dass Beleolico für sie nur der Anfang sein soll. „Dieses Projekt ist ein wichtiger Meilenstein für Mingyang, um in den europäischen Offshore-Windmarkt einzusteigen“, verkündete das Unternehmen bereits zu Baubeginn in Tarent selbstbewusst.

    Kapern die Chinesen den Markt? In der Solarenergie ist es ihnen schon gelungen

    Noch sind die Kräfteverhältnisse beim Ausbau der Offshore-Windenergie in Europa klar: Den Markt dominieren Vestas aus Dänemark, der spanisch-deutsche Hersteller Siemens Gamesa und die Offshore-Windsparte von GE mit Hauptsitz in Frankreich. Das Mingyang-Projekt in Italien mit gerade einmal zehn Windrädern mag zwar klein sein. In der Branche gilt es dennoch als Warnung. Fragt man Industrievertreter nach den Ambitionen der Chinesen, bekommt man zum Teil besorgte Antworten. Die Unternehmen wissen, wie schnell sich das Blatt wenden kann, wenn ein Riese wie China mitmischt.

    Das Schreckensszenario, das fast jeder noch vor Augen hat, ist der Niedergang der deutschen Solarindustrie. Heute ist der Markt weitgehend in chinesischer Hand, nachdem die damalige Bundesregierung die Solarförderung hierzulande drastisch gekappt hatte, während die Chinesen ihre Unternehmen zugleich aufpäppelten.

    Offshore-Windpark vor der Küste der Provinz Fujian: Kein Land hat mehr Windräder ins Meer gestellt als China. Jetzt drängen die Chinesen auf Europas Markt.

    Offshore-Windpark vor der Küste der Provinz Fujian: Kein Land hat mehr Windräder ins Meer gestellt als China.

    Auch in der Windenergie hat sich China zu einem globalen Schwergewicht entwickelt. Wie in der Solarindustrie sind die Fortschritte vor allem auf die starke staatliche Förderung erneuerbarer Energien und die rasche Industrialisierung des Landes zurückzuführen. Nirgendwo sonst werden jährlich so viele Windräder gebaut wie in China.

    Turbinen mit 18 Megawatt: Chinas Hersteller stürmen in der Windenergie voran

    Und auch bei den Innovationen ist die Entwicklung rasant. Gleich mehrere Hersteller aus China arbeiten derzeit an Offshore-Turbinen mit einer Leistung von 18 Megawatt. Die neueste Generation europäischer Anbieter bringt es auf gut 15 Megawatt. Onshore-Turbinen aus chinesischer Herstellung kommen längst in vielen Ländern weltweit zum Einsatz.

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    Die Europäische Kommission muss jetzt handeln. Andernfalls könnte sich das Tor für die Chinesen weiter öffnen

    Christoph Zipf vom Branchenverband WindEurope

    „Die europäischen Hersteller sind sehr besorgt darüber, was passieren könnte. Sie wissen, dass sich die Dinge leicht verschieben können“, sagt Christoph Zipf vom Branchenverband WindEurope mit Sitz in Brüssel. Er sieht die Branche in einem kritischen Moment. „Die Europäische Kommission muss jetzt handeln und die richtigen Maßnahmen ergreifen. Andernfalls könnte sich das Tor für die Chinesen weiter öffnen“, appelliert er.

    Dajin fasst Fuß in der Nordsee: Die Chinesen liefern 104 Stahlfundamente

    Nicht nur Turbinenhersteller haben ein Auge auf Europa geworfen. Für Aufsehen sorgte jüngst die Zusammenarbeit der Versorger RWE aus Deutschland und Northland Power aus Kanada mit dem chinesischen Unternehmen Dajin Offshore bei geplanten Nordsee-Windparks. Dajin wurde als bevorzugter Lieferant für die Fundamente von 104 Windrädern ausgewählt.

    Es ist allerdings nicht so, dass die Chinesen einen deutschen Konkurrenten mit günstigen Preisen ausgestochen hätten. Vielmehr, heißt es in der Branche, seien sie zum Zuge gekommen, weil die heimischen Fundamenthersteller ausgelastet seien. Doch genau diesen Umstand, so wird gewarnt, könnten die Chinesen für sich nutzen.

    Da Europa noch nicht genügend eigene Kapazitäten aufgebaut hat, könnte China kurzfristig einspringen. Wenn die Chinesen aber erst einmal im großen Stil aktiv sind, würden sich Investitionen für europäische Konkurrenten kaum noch lohnen.

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    Durch unsere bisherige industriepolitische Passivität riskieren wir, dass Aufträge zukünftig in Europa nicht vergeben werden können, weil die Fertigungskapazitäten nicht vorhanden sind

    Karina Würtz, Stiftung Offshore-Windenergie

    „Durch unsere bisherige industriepolitische Passivität riskieren wir, dass Aufträge zukünftig in Europa nicht vergeben werden können, weil die Fertigungskapazitäten nicht vorhanden sind“, warnt Karina Würtz, Geschäftsführerin der Stiftung Offshore-Windenergie. Einfach chinesische Hersteller ins Boot zu holen, um so womöglich die Fertigung neuer Offshore-Anlagen zu beschleunigen, sei angesichts der zunehmenden Abhängigkeit der falsche Ansatz. Zudem sollten Wertschöpfung und Arbeitsplätze in Europa gehalten werden, fordert Würtz. Es gehe dabei auch um den Rückhalt in der Bevölkerung, die die hohen Kosten der Energiewende zu tragen hat.

    Offshore-Wind-Trends 2022 in Bildern

     

    Rotorblätter und Türme von Offshore-Windrädern liegen in einem chinesischen Hafen zur Verschiffung bereit. Fast jedes zweite Offshore-Windrad weltweit steht in China.

    Die Gewichte in der Windenergie auf See verschieben sich. Lange hat Europa den Markt dominiert; hier wurden 1991 die ersten Offshore-Windräder überhaupt errichtet. Inzwischen aber liegt Asien vorn. Dort stehen nach Zahlen des World Forum Offshore Wind 140 der weltweit 253 Offshore-Windparks. Die mit Abstand meisten davon entfallen auf China. (Das Foto zeigt die Verschiffung von Rotorblättern im Hafen von Yantai.) Insgesamt gingen im letzten Jahr 42 neue Parks ans Netz. Hinter China ...

    Offshore-Windenergie: Im Ranking der Länder mit der größten Kapazität zur Stromerzeugung auf See liegt China klar vor Großbritannien und Deutschland. Infografik: Andreas Mohrmann

    ... folgt Großbritannien auf Rang zwei der Länder mit der größten Offshore-Windkapazität. Auch die Plätze drei bis sieben belegen Europäer, bevor mit Vietnam, Taiwan und Japan wieder asiatische Länder folgen. Blickt man auf die im Bau befindlichen Parks, ist der Vorsprung Chinas allerdings nicht ganz so groß. Dort wurde Ende 2022 an Turbinen mit zusammen fast vier Gigawatt gebaut, in Großbritannien waren es knapp drei. In Deutschland läuft der Ausbau nach langem Stillstand gerade erst wieder an. Auffällig ist, ...

    Der Offshore-Windpark Saint-Nazaire ist der erste kommerziell betriebene Windpark in französischen Gewässern.

    ... dass mit Frankreich auch ein Spätstarter in der Offshore-Windenergie inzwischen zu einer Aufholjagd angesetzt hat. Dort waren Ende vergangenen Jahres Anlagen mit einer Gesamtleistung von knapp einem Gigawatt in Bau. Das Foto zeigt den Windpark Saint-Nazaire vor der Bretagne, der 2022 als erster kommerzieller Offshore-Park Frankreichs überhaupt in Betrieb ging – mithilfe eines neuen Verfahrens zum Bau der Fundamente. Künftig werden weitere Weltregionen in den Fokus der Branche rücken wie etwa ...

    Windräder am Strand in Brasilien: Das Land hat gewaltiges Potenzial zum Ausbau der Offshore-Windenergie, potenzielle Investoren stehen Schlange.

    ... Brasilien, wo zwar auch heute schon Windräder mit einer Leistung von mehr als 25 Gigawatt stehen – aber bislang nur auf dem Festland. Die brasilianische Umweltbehörde Ibama, zuständig für die Genehmigung, spricht von ersten Anfragen für rund 170 Gigawatt Offshore-Wind. Das wäre fast das Dreifache der bislang weltweit installierten Kapazität und mehr als das Land verbrauchen könnte. Möglich wäre, einen Teil der Energie zur Produktion von grünem Wasserstoff für den Export zu nutzen. Ein weiterer Trend ...

    Schwimmende Offshore-Windräder in China: Schleppschiffe ziehen das Fundament einer Floating-Wind-Turbine aus dem Hafen.

    ... in der Offshore-Windenergie ist die wachsende Bedeutung schwimmender Anlagen (Floating-Wind). Damit lassen sich auch Gewässer erschließen, die zu tief für fest im Boden verankerte Anlagen sind. Das trifft etwa auf Norwegen zu, wo der Festlandssockel steil abfällt. Aber auch China, wo dieses schwimmende Fundament verschifft wird, setzt auf die Floating-Technologie. Doch ebenso groß wie die Pläne zum Ausbau der Windkraft auf See sind auch die Herausforderungen. Zu schaffen macht der Branche ...

    Japanisches Errichterschiff „Blue Wind“: Das Jack-up-Vessel wird beim Bau von Offshore-Windrädern eingesetzt.

    ... unter anderem der Mangel an Schiffen zum Bau der Windparks auf See. Das Foto zeigt die japanische „Blue Wind“, die sich mit ihren 90 Meter langen Beinen auf dem Meeresboden abstützen und über die Wasseroberfläche stemmen kann. Sie gilt als weltgrößtes Errichterschiff und soll in diesen Wochen in Betrieb gehen. Der Bedarf an solchen Jack-up-Vessels ist groß und könnte ab 2026 das Angebot übersteigen. Die Branche drängt deshalb darauf, die Produktionskapazitäten der Werften hochzufahren. Doch ...

    Mangel an Schiffen bremst Offshore-Wind aus: Die Infografik zeigt den Bestand und den Neubau von Spezialschiffen in Europa, Asien und den USA. Infografik: Andreas Mohrmann

    ... bislang existieren nach Zahlen des Global Wind Energy Councils weltweit nicht einmal 50 Jack-up-Vessels. Vor allem in den USA könnte das zum Problem werden, wenn dort der Ausbau der Offshore-Windenergie anläuft. Ein Gesetz, das den Einsatz amerikanischer Schiffe vorschreibt, verschärft die Lage. Spezialwerften in Europa und Asien reagieren inzwischen allerdings auf den Mangel und haben Neubauten aufgelegt. Gebraucht werden die Werften aber nicht allein für den Bau der riesigen Schiffe, sondern auch für die nicht weniger beeindruckenden Anlagen ...

    Konverterstation Dolwin gamma bei der Verschiffung aus dem Hafen Rostock-Warnemünde 2017: Derzeit verfügt Deutschland über keinen einzigen Standort zum Bau solcher Anlagen.

    ... zum Abtransport des Stroms der Windparks. Diese sogenannten Konverterstationen wandeln den Wechselstrom der Windräder in Gleichstrom um und schicken ihn gebündelt zur Küste. Das Foto zeigt die Verschiffung der Konverterstation Dolwin gamma, die 2017 in Warnemünde gebaut wurde. Derzeit verfügt Deutschland allerdings über keinen einzigen Standort, der in der Lage wäre, die gewaltigen Anlagen zu konstruieren. Die Übertragungsnetzbetreiber haben entsprechende Aufträge zuletzt ins Ausland vergeben. Die Branche ...

    Offshore-Windpark Kaskasi in der deutschen Nordsee: Nach langem Stillstand läuft der Bau von Windrädern auf See in Deutschland unter der Ampelregierung wieder an.

    ... fordert daher, den derzeit von der Marine genutzten Standort Warnemünde künftig parallel auch wieder für Konverterstationen einzusetzen. Nur durch eine geschlossene Wertschöpfungskette in Deutschland und Europa lasse sich sicherstellen, dass der Ausbau der Offshore-Windenergie wie von der Bundesregierung und der EU geplant realisiert werden könne und die Regionen davon adäquat profitierten, heißt es aus der Windindustrie.

    Rotorblätter und Türme von Offshore-Windrädern liegen in einem chinesischen Hafen zur Verschiffung bereit. Fast jedes zweite Offshore-Windrad weltweit steht in China.
    Offshore-Windenergie: Im Ranking der Länder mit der größten Kapazität zur Stromerzeugung auf See liegt China klar vor Großbritannien und Deutschland. Infografik: Andreas Mohrmann
    Der Offshore-Windpark Saint-Nazaire ist der erste kommerziell betriebene Windpark in französischen Gewässern.
    Windräder am Strand in Brasilien: Das Land hat gewaltiges Potenzial zum Ausbau der Offshore-Windenergie, potenzielle Investoren stehen Schlange.
    Schwimmende Offshore-Windräder in China: Schleppschiffe ziehen das Fundament einer Floating-Wind-Turbine aus dem Hafen.
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    Konverterstation Dolwin gamma bei der Verschiffung aus dem Hafen Rostock-Warnemünde 2017: Derzeit verfügt Deutschland über keinen einzigen Standort zum Bau solcher Anlagen.
    Offshore-Windpark Kaskasi in der deutschen Nordsee: Nach langem Stillstand läuft der Bau von Windrädern auf See in Deutschland unter der Ampelregierung wieder an.

    Ins Hintertreffen geraten ist Europa auch beim Bau von Konverterstationen. Die milliardenteuren Anlagen werden gebraucht, um den Strom von Offshore-Windparks zu bündeln und ans Festland zu leiten. In Europa gibt es mit Dragados in Cádiz derzeit allerdings nur eine einzige Werft, die Konverterstationen der neusten Generation bauen kann. Zwar machen sich die Lloyd-Werft in Bremerhaven und die von der Marine genutzten MV-Werften in Rostock-Warnemünde Hoffnung, in die Produktion einsteigen zu können. Für die jüngsten Großaufträge im zweistelligen Milliardenvolumen käme das allerdings zu spät.

    Nach Angaben von WindEurope gibt es in Europa mehr als 250 Fabriken für Turbinen und andere Windradkomponenten. Dennoch bestünden Engpässe in der Lieferkette. Der Verband fordert mehr Unterstützung von der EU. Dazu gehöre, dass Brüssel mehr und schneller eigene Gelder und Garantien zur Verfügung stellt.

    Die Branche fordert, in Ausschreibungen nicht allein den Preis zu berücksichtigen

    Nachholbedarf sieht WindEurope auch bei der sogenannten Netto-Null-Industrie-Verordnung (NZIA). Damit will die Kommission die Widerstandsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der Produktion emissionsfreier Technologien in der EU stärken. Ein wichtiges Thema sind dabei die Ausschreibungsverfahren. Es sollte gesetzlich klargestellt werden, dass Entwickler, die europäische Technologien einsetzen, in den Auktionen zusätzliche Punkte erhalten, so die Branche. Zudem sollten Aspekte wie Cybersicherheit, Menschenrechtsstandards sowie Arbeits- und Umweltschutz stärker berücksichtigt werden. Insgesamt sei auch eine Vereinfachung der Genehmigungsregeln und -verfahren notwendig.

    Ähnlich äußerte sich Heike Winkler, Chefin der Branchenvereinigung WAB, bereits im vergangenen Jahr im EnergieWinde-Interview. Sie fordert, den CO2-Fußabdruck von Offshore-Wind-Komponenten im gesamten Herstellungsprozess in die Ausschreibungen einzubeziehen. Produzenten aus Europa hätten dann einen Vorteil gegenüber Unternehmen aus Fernost, die etwa Konverterstationen mit hohem Energieaufwand um die halbe Welt verschiffen.

    Christoph Zipf hofft, dass die Branche mit ihren Forderungen Gehör findet. „Die europäischen Politiker möchten die europäische Industrie erhalten und nicht das erleben, was in der Solarindustrie passiert ist“, sagt er.

    Mitarbeit: Volker Kühn

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