Fundamente von Offshore-Windrädern

  • Search17.02.2023

Gebohrt, nicht gehämmert

Der Offshore-Windpark Saint-Nazaire ist nicht nur der erste in Frankreich, sondern auch der erste auf Felsboden. Beim Bau kam ein neues Bohrverfahren zum Einsatz. Es ist zwar teuer, aber auch leiser – und in vielen Weltregionen unverzichtbar.

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    Einsatz im Atlantik: Das Installationsschiff „Innovation“ bohrt ein Loch für ein Offshore-Wind-Fundament in den Seeboden. Dazu hat sich das Schiff auf seinen „Beinen“ über die Wasseroberfläche erhoben.

    Beim Bau des Windparks vor der Küste der Bretagne hat die „Innovation“ schweres Bohrgerät an Bord. Während des Einsatzes hebt sich das Schiff mit seinen Beinen über die Wasseroberfläche.

     

    Von Daniel Hautmann

    Zwölf Kilometer vor der Küste des französischen Atlantikhafens Saint-Nazaire stehen seit Kurzem die ersten Windkraftanlagen weltweit auf steinigem Untergrund. Dafür war schweres Gerät nötig. Vom Installationsschiff aus wurden mit einem gewaltigen Bohrer Löcher für die Fundamente in den Boden gefräst. In Zukunft könnten auf diese Weise weltweit Windkraft-Potenziale erschlossen werden, die bislang unerreichbar waren – denn die herkömmliche Variante, das Einhämmern der Stahlpfähle, funktioniert nur in sandigen Böden. Vor Nordamerika, Asien und Nordeuropa ist der Meeresboden aber oft steinig.

    Aber nicht nur die Windkraft könnte von der Bohrtechnologie profitieren, auch andere Bauwerke wie Brücken, Hafenanlagen oder Gezeitenkraftwerke könnten so auf hartem Grund errichtet werden. Kein Wunder, dass gleich mehrere Unternehmen Bohrgeräte für solche Anwendungsfälle entwickelt haben.

    Der Offshore-Windpark Saint-Nazaire, auch unter dem Namen Banc de Guérande bekannt, ist nicht nur der erste, bei dem gebohrt wurde, sondern zugleich Frankreichs erster kommerzieller Offshore-Windpark überhaupt. Mit 80 Sechs-Megawatt-Turbinen von GE kommt er auf 480 Megawatt. Betreiber ist die staatlich dominierte Konzern Électricité de France (EDF). Der Park soll 20 Prozent des Strombedarfs im Département Loire-Atlantique zu decken, also rund 700.000 Menschen versorgen.

    Neuland für die Windindustrie: der Park Saint-Nazaire von der Halbinsel Kervenel aus gesehen.

    Von den 80 Fundamenten konnten nur sieben konventionell per Hydraulikhammer in den Grund getrieben werden. 73 der je 7,7 Meter dicken und rund 55 Meter langen Stahlröhren mussten gebohrt und anschließend mit Spezialzement in die Bohrlöcher geklebt werden.

    Den Plan, am Meeresgrund zu bohren, hatte man im süddeutschen Schwanau schon vor rund zehn Jahren. Gemeinsam mit dem Baukonzern Hochtief entwickelte Tunnelbohrmaschinen-Hersteller Herrenknecht das Offshore-Foundation-Drilling-Verfahren, kurz OFD. Doch zum Einsatz kam es damals nicht.

    Doch 2016 erhielt die Entwicklung einen Schub. Da begann der belgische Wasserbaukonzern Deme, der weltweit mehr als 2000 Offshore-Windräder installiert hat, sich für das Projekt Saint-Nazaire zu interessieren. Doch hartes Gestein war Neuland – und Bohren gehörte nicht zur Kernkompetenz der Belgier. Also schlug man Herrenknecht eine Gemeinschaftsentwicklung vor.

    Die Belgier verstanden sich auf Offshore-Wind, die Deutschen aufs Bohren

    Für Herrenknecht kam die Anfrage wie gerufen. Denn im Alleingang trauten die Landratten sich nicht auf See. „Das ist eine Technik mit einem ganz neuen Einsatzgebiet. Wir haben ja sonst nichts mit Salzwasser zu tun und bohren auch nicht vom Schiff aus“, sagt Herrenknecht-Projektleiter Boris Jung.

    Das Schaubild zeigt gängige Typen für Fundamente und schwimmende Plattformen von Offshore-Windrädern (u.a. Monopile, Jacket, Floating Spar). Infografik: Andreas Mohrmann

    Und so ging es gemeinsam ans Werk: Herrenknecht entwickelte die Bohrmaschine, Deme lieferte das Installationsschiff, die 147,5 Meter lange „Innovation“. An Bord ist auch das von Deme entwickelte MODIGA. Das Kürzel steht für „Monopile offshore drilling installation and grouting aid“. Diese rund 1200 Tonnen schwere und 60 Meter hohe stählerne Einheit wird am Schiff befestigt und hält den Liner auf vertikaler Position. Der Liner ist eine Art überdimensionale Schablone für das Monopile-Fundament des Windrads und führt den riesigen Stahlzylinder auf seine Position über dem Bohrloch.

    15,5 Meter hoch, 350 Tonnen schwer: der Bohrer hat gewaltige Ausmaße

    Ist der Liner ausgerichtet, wird das Fundament auf den Grund abgesenkt. An dessen Innenwand stützt sich das Bohrgerät mit seinen hydraulischen Spreizarmen ab, um die nötige Vorschubkraft aufbringen zu können. Allein das Bohrwerkzeug ist 15,5 Meter hoch und 350 Tonnen schwer. Sein Energiehunger ist mit rund 3500 Kilowatt gewaltig. Den Strom liefern die Generatoren der „Innovation“. In Wassertiefen von zwölf bis 25 Metern musste zwischen sechs und 24 Metern tief in den Grund gebohrt werden.

    Mal war das Gestein besonders hart, dann ging es langsamer voran, mal war es weich. Immer wieder musste die „Innovation“ in den Hafen von La Rochelle, um neue Fundamente und die knallgelben Transition-Pieces zu laden, die Verbindungsstücke von Fundament und Windradturm. Zwölf Stunden dauert die einfache Fahrt. An Bord passten jeweils drei Sets. Die Zeit nutzte die Crew für Wartungsarbeiten oder relaxte in der Bordsauna oder beim Billard.

    Doch manchmal war die Zeit auf See sprichwörtlich die Hölle. Etwa wenn die Wellen bis zu zehn Meter hochschlugen und die „Innovation“ ächzte und knarzte. Jobs in der Offshore-Windenergie können rau sein. In solchen Momenten hob sich das Schiff auf seinen vier Stelzen über die Wellen und brachte sich in Sicherheit. An Bohren war aber nicht zu denken.

    Zum Glück war derart harsches Wetter selten und das Projekt machte Fortschritte. Im Frühjahr 2021 begonnen, feierte das rund 100-köpfige Team an Bord der „Innovation“ im November Bergfest – 37 Bohrungen waren fertig. Die letzte erfolgte im Mai 2022 und im September wurde der Park im Beisein des französischen Präsidenten Emmanuel Macron eröffnet.

    Der Meeresgrund ist oft noch Terra incognita. Die Windkraft liefert neue Daten

    Mit der Bohrmethode könnten zukünftig nicht nur neue Windparks realisiert, sondern auch Daten über die Beschaffenheit des Meeresbodens geschürft werden. Denn oft weiß man gar nicht, wie es dort unten aussieht. „Tatsächlich ist es so, dass die Offshore-Windkraft einen wichtigen Beitrag zur Datenlage der Meeresböden liefert“, sagt Christoph Zipf vom Branchenverband Wind Europe in Brüssel.

    Fundamente für die Umspannstation des Windparks Saint-Nazaire warten im Hafen von Brest auf ihre Verschiffung.

    In der Regel werden Offshore-Wind-Flächen aufgrund ihrer Windverhältnisse ausgeschrieben. Erst nach der Ausschreibung machen sich die Entwickler daran, den Boden zu erkunden und zu prüfen, wo genau die Turbinen installiert werden können. Im Branchenjargon ist von „Geophysical Seabed Surveys“ die Rede. „In der Vergangenheit wurden steinige Untergründe dabei meist ausgeschlossen“, sagt Zipf.

    Biologen sehen einen Vorteil im Bohren: es verursacht wenig Lärm

    Das könnte sich nun ändern. Auch deshalb, weil das Bohren einen Vorteil gegenüber dem Rammen der Fundamente hat: Es ist deutlich leiser, wie der Biologe Georg Nehls erklärt. Er ist Chef des Beratungsunternehmens BioConsult SH, das Umweltgutachten erstellt. Die Bohrmethode schon damit Meerestiere wie den Schweinswal.

    Der Nachteil: Es ist teurer. „Ich denke, insgesamt ist das Offshore-Installationsverfahren für Pile-Driving [Rammen] optimiert“, sagt Po Wen Cheng, Windkraft-Professor an der Universität Stuttgart. „Beim Drilling [Bohren] sind die Kosten deutlich höher, daher würde ich sagen, dass Standorte, an denen das Bohren nötig ist, eher die Ausnahme sein werden. Um die globalen Ausbauziele zu erreichen, hat so eine Technologie aber sicherlich Zukunftspotenzial.“

    Das Bohrverfahren hat sich bewährt. Es soll bald wieder zum Einsatz kommen

    Bei Deme freut man sich derweil auf die nächsten Projekte, wie Generaldirektor Bart De Poorter, sagt: „In Saint-Nazaire haben unsere Teams und Besatzungen nicht nur wichtige Erfahrungen für die nächsten Offshore-Windparkprojekte an der französischen Küste gesammelt, sondern auch für die erfolgreiche Durchführung von Installationsarbeiten unter ähnlich schwierigen Bedingungen auf der ganzen Welt.“

    Erst vergangene Woche gab das Unternehmen bekannt, einen Auftrag zum Bau der Umspannstation eines weiteren Offshore-Windparks vor der Bretagne-Küste gewonnen zu haben. Auch die steht auf felsigem Grund – ohne Bohrgerät ist nichts zu machen.

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