Der Leuchtturm Ar-Men trotzt seit 140 Jahren den Stürmen vor der bretonischen Küste. Künftig sollen auch Offshore-Windräder in den Meeren rings um Frankreich stehen – oder schwimmen.
Offshore-Wind in Frankreich
- 03.04.2020
Atlantisches Hoch
Von Heimo Fischer
Überschaubar. Kein Wort beschreibt den Zustand der französischen Offshore-Windkraft besser. Denn während vor den Küsten Großbritanniens oder Deutschlands seit Jahren Hunderte von Windrädern Strom ernten, gibt es in französischen Gewässern bislang nur eine einzige Pilotanlage. Doch nun dreht sich der Wind. Die Regierung hat die Ausbauziele für die Offshore-Windkraft angehoben. Zugleich wurden die Genehmigungsverfahren vereinfacht. Bei der Technik für schwimmende Windparks, im Branchenjargon Floating Wind genannt, strebt Frankreich sogar eine Führungsrolle an.
Die neue Dynamik hat auf sich warten lassen. Lange Zeit war die Energiewende in Frankreich ein Randthema. Ein Grund dafür ist der hohe Anteil von Atomstrom in der Energieversorgung. Rund 70 Prozent des erzeugten Stroms kamen Anfang 2020 aus den 57 noch in Betrieb befindlichen Kernreaktoren des Landes. Anders als fossile Energieträger verursachen sie kein CO2. Aus klimapolitischen Gründen schien der Ausbau der Erneuerbaren daher nicht zwingend nötig. Doch inzwischen will die französische Regierung die Abhängigkeit von der Nuklearenergie verringern. Im Januar ging bereits ein Reaktor im AKW Fessenheim vom Netz, bis 2035 sollen 13 weitere folgen. Für die Offshore-Windkraft ist das eine große Chance.
Die Staatskonzerne EdF und Engie drängen in die Offshore-Windkraft
Die Voraussetzungen dafür sind gut, schließlich verfügt Frankreich über eine lange Küstenlinie. Bis 2012 wurden Baulizenzen für vier Offshore-Wind-Projekte an den Küsten von Atlantik und Ärmelkanal vergeben – jeweils mit einer installierten Leistung von knapp 500 Megawatt. In drei Fällen führte der staatliche Energieversorger Electricité de France (EdF) das Projekt an. Einmal kam der spanische Energiekonzern Iberdrola zum Zuge. In einer zweiten Ausschreibung wurden bis 2014 zwei weitere Projekte der gleichen Größe an der Kanal- und der Atlantikküste vergeben. Gewinner der Auktion war der französische Staatskonzern Engie.
Die genehmigten Vorhaben stießen aber nicht überall auf Gegenliebe. „Die Akzeptanz für Offshore-Windkraft ist in Frankreich sehr unterschiedlich ausgeprägt“, sagt Markus Wagenhäuser, Referent Windenergie beim Deutsch-französischen Büro für die Energiewende (DFBEW) in Paris, im Gespräch mit EnergieWinde. Folge: Die Projekte verzögerten sich immer wieder. Proteste flammten auf. Vor dem Büro einer Windkraftfirma kippten Aktivisten sogar Fischreste aus und warfen Eier an die Scheiben.
Contracts for Difference – der französische Preisdeckel
Wie in anderen europäischen Ländern auch wird die Offshore-Windkraft in Frankreich staatlich gefördert. Dabei gilt das Prinzip der Contracts for Difference (CfD), das unter anderem auch Großbritannien anwendet. Grundlage ist ein Ausschreibungsverfahren: Den Zuschlag zum Bau eines Offshore-Windparks bekommt der Bieter, der den geringsten Preis pro Kilowattstunde für den von ihm erzeugten Strom aufruft. Liegt beim Betrieb des Windparks der an der Strombörse gebildete Marktpreis unter dem in der Ausschreibung festgelegten Preis, enrhält der Bieter einen Ausgleich vom Staat. Liegt der Marktpreis jedoch über dem Zuschlagspreis, muss der Bieter die Differenz abführen.
Das CfD-System weicht vom deutschen Modell ab. Hier darf der Bieter die Differenz behalten. Das hat zwar dazu geführt, dass in Auktionen bereits Windparks einen Zuschlag erhielten, deren Betreiber auf einen garantierten Strompreis verzichten – in der Branche spricht man von Null-Cent-Geboten. Doch was auf den ersten Blick günstig erscheint, könnte in der Praxis zum Problem werden: Die Gebote beruhen nämlich auf der Annahme steigender Marktpreise. Experten befürchten, dass auf diese Weise der Strompreis nach oben getrieben wird. Im CfD-Modell würde sich ein Null-Cent-Gebot nicht lohnen, da es immer unter dem Marktpreis läge. Mit CfDs ist der Strompreis also gedeckelt. Weil das System den Windparkbetreibern mehr Planungssicherheit bietet, spricht sich auch die Branche zunehmend dafür aus.
Auch juristisch gingen Gegner gegen vier der Projekte vor. Doch nach einem jahrelangen Rechtsstreit machte das höchste französische Gericht im vergangenen Jahr den Weg endlich frei und genehmigte die Offshore-Windparks. Ebenfalls 2019 erhielten zwei weitere Windparks grünes Licht von den Behörden. Mittlerweile war der Preis für Offshore-Strom allerdings stark gesunken. Die Regierung verhandelte den Zuschlagspreis nach – mit Erfolg. Die durchschnittlichen Tarife der Ausschreibungen sanken von 20 Cent auf 15 Cent pro Kilowattstunde.
Frankreich hat aus diesen Erfahrungen gelernt. Schon 2016 wurde der Rechtsrahmen für die Ausschreibungen geändert. Vereinfachte Genehmigungsverfahren, verkürzte Klagefristen sollen künftige Projekte beschleunigen. Hinzu kam ein neues Vergabeverfahren (siehe Kasten oben), das den Zuschlagswert deutlich sinken ließ. Es wurde bei der Ausschreibung eines weiteren Windparks vor der Küste von Dünkirchen angewandt. Der Zuschlagswert für das Konsortium um den Gewinner EdF betrug dieses Mal nur noch 4,4 Cent pro Kilowattstunde. Der Park mit 45 Windkraftanlagen soll 2026 in Betrieb gehen. Ein weiteres Projekt vor der Küste der Île d’Oléron ist geplant – mit einer Größe zwischen 500 und 1000 Megawatt.
Frankreich verfügt über eines der größten Potenziale weltweit, was Offshore-Windkraft betrifft
Emmanuel Macron
Ihre Ziele für den Ausbau der Offshore-Windenergie schreibt die französische Regierung in einem Plan über mehrere Jahre fest. Nach der jüngsten Fassung von April 2020 soll die Kapazität bis 2030 auf rund neun Gigawatt steigen. „Frankreich verfügt über eines der größten Potenziale weltweit, was Offshore-Windkraft betrifft“, erklärte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Es sei unverständlich, dass das Land in diesem Bereich nicht führend sei.
Frankreichs Potenzial für schwimmende Windräder liegt bei 33 Gigawatt
Eine Vorreiterrolle strebt Frankreich vor allem beim Ausbau von schwimmenden Windrädern an. Anders als herkömmliche Anlagen werden ihre Fundamente nicht fest am Grund montiert, sondern ruhen auf Schwimmkörpern. Im Meeresboden befestigte Sauganker halten sie an Ort und Stelle. Die Technologie ist besonders für tiefen Meeresgrund ab etwa 50 Metern geeignet, bei dem sich die Fundamente nicht mehr wie sonst üblich im Boden verankern lassen. Aber auch für die flache deutsche Ostsee gibt es inzwischen Überlegungen zum Einsatz schwimmender Windräder.
„Gerade die französische Küstenlinie bietet ideale Bedingungen für den Ausbau dieser Technologie“, sagt Experte Wagenhäuser. Nach Zahlen der französischen Agentur für Umwelt und Energiemanagement haben die Küsten von Mittelmeer, Atlantik und Ärmelkanal ein Potenzial von 16 Gigawatt für im Boden fixierte Offshore-Anlagen und von 33 Gigawatt für schwimmende Windräder.
Die Pariser Regierung plant, in den kommenden Jahren mehrere Projekte mit schwimmenden Windkraftanlagen zu vergeben. Im Jahr 2021 ist die Ausschreibung für einen Windpark vor der Bretagne mit 250 Megawatt Leistung geplant, im Jahr darauf ein weiterer im Mittelmeer in der gleichen Größe. Hinzu kommen Pilotanlagen.
Seit 2018 schwimmt vor der bretonischen Atlantikküste Frankreichs erstes Offshore-Windrad.
Auch die erste französische Offshore-Anlage an der bretonischen Küste ist ein schwimmendes Windrad. Das Pilotprojekt ging 2018 ans Netz mit einer installierten Leistung von zwei Megawatt. Gebaut hat sie Ideol, ein französisches Unternehmen, das als führend in der neuen Technologie gilt. Den Zuschlag für eine weitere Testanlage hat Ideol bereits. Das Unternehmen ist auch im Ausland erfolgreich; mit dem japanischen Konzerns Hitachi Zosen (Hitz) besteht eine Entwicklungspartnerschaft.
Im Ausland bekannt ist auch Eolfi, ein französischer Projektierer, der sich ebenfalls auf schwimmende Windkraftanlagen spezialisiert hat. Im November beteiligte sich der Shell-Konzern an dem 2004 gegründeten Unternehmen. Eolfi hat bereits eines der von der französischen Regierung ausgeschriebenen Projekte im bretonischen Meer gewonnen – und baut sein Geschäft auch in Schottland und Taiwan aus. Vielleicht wird die französische Offshore-Windkraft auf diese Weise doch noch zu einem Erfolgsmodell.