Die schwimmenden Windräder des schottischen Windparks Hywind stammen aus Norwegen. Hier liegt einer der gelben Schwimmköper vor der westnorwegischen Insel Stord im Wasser – kurz bevor er quer über die Nordsee verschifft wird.
Schwimmende Windparks
- 25.01.2018
Windrad ahoi!
Von Daniel Hautmann
100 schwimmende Windkraftanlagen will Alla Weinstein mit ihrem Unternehmen Trident Winds vor Kaliforniens Küste installieren. Der Standort in der Morro Bay zwischen Los Angeles und San Francisco ist ideal. Es gibt bereits eine Netzanbindung von einem alten Kohlekraftwerk, die Windaussichten sind grandios, und Kaliforniens Regierung meint es mit dem Umweltschutz ernst: Bis zum Jahr 2030 soll die Hälfte des Stroms regenerativ erzeugt werden.
Da die Küsten vor Kalifornien steil ins Meer stürzen, kommen nur schwimmende Windkraftanlagen infrage. Für die aus der Nord- und Ostsee bekannte Bauweise, bei der sich die Turbinen auf großen Stahlgestellen am Meeresgrund abstützen, ist das Wasser zu tief.
Mittelmeer, Atlantik, Pazifik: Oft ist das Wasser zu tief für gewöhnliche Windparks
Doch noch ist ungewiss, ob Trident Winds den Zuschlag bekommt. Auch gibt es zahlreiche Einwände von Umweltschützern.
Sicher ist nur, dass die schwimmende Windkraft enormes Potenzial hat. Denn steil abfallende Küsten wie vor Kalifornien gibt es wie Sand am Meer – egal ob rund ums Mittelmeer, in Nordamerika oder Asien.
„Das Potenzial durch die vorhandene Meeresoberfläche ist um ein Vielfaches größer als der globale Energiebedarf“, sagt John Olav Tande vom norwegischen Forschungsinstitut für Offshore-Windkraft. Rund 4000 Terawattstunden betrage das Potenzial allein in Europa, heißt es beim Branchenverband Windeurope. Das entspricht ziemlich genau dem gesamten Bedarf in der EU.
Beeindruckende Zahlen. Doch der Aufwand, der getrieben wird, um Schwimmwindparks zu bauen, ist ebenfalls enorm. Das hat gerade das Projekt Hywind Scotland bewiesen, der weltweit erste Windpark mit schwimmenden Turbinen.
Die fünf jeweils sechs Megawatt starken, getriebelosen Siemens-Anlagen wurden in Norwegen montiert. Am Kai des Hafens von Stord wurden zunächst der 98 Meter hohe Turm, die 360 Tonnen schwere Gondel und die drei je 75 Meter langen Rotorblätter zusammengebaut.
Hywind Scotland ist der erste schwimmende Windpark der Welt
Draußen, im tiefen Wasser des Fjords, wurden in der Zwischenzeit die sogenannten Spar-Bojen vorbereitet. Das sind die Schwimmkörper, die die Windräder tragen. Gebaut wurden die je 91 Meter langen und 3500 Tonnen schweren Stahlröhren in Spanien.
Liegend kamen sie auf einem Transportschiff nach Norwegen. Dort wurden sie aufgerichtet, indem sie mit Wasser geflutet und anschließend mit Ballast gefüllt wurden. Um die Windräder vom Kai zu heben und zu den Substrukturen zu manövrieren, kreuzte die „Saipem 7000“ auf – eines der größten Kranschiffe der Welt.
Als die Substrukturen mit den Turbinen schließlich 253 Meter hohe und rund 12.000 Tonnen schwere Einheiten bildeten, wurden die Anlagen stehend an ihren Aufstellungsort geschleppt – eine nach dem anderen.
Die Reise führte sie rund 500 Kilometer über die Nordsee. Sie dauerte jeweils vier bis fünf Tage und endete im Meeresgebiet Buchan Deep, rund 25 Kilometer vor der schottischen Küste auf der Höhe von Aberdeen.
Hunderte Tonnen schwere Sauganker halten den Windpark an Ort und Stelle
Dort angekommen wurde sofort mit den Verankerungsarbeiten begonnen: Jede Turbine wird von drei je 300 Tonnen schweren Saugankern an Ort und Stelle gehalten. Die Anker ähneln überdimensionalen Eimern, die verkehrt herum in den Meeresgrund gesteckt werden. Anschließend wird ein Unterdruck erzeugt, der die Zylinder in den Grund zieht. Windrad und Anker verbinden drei je 900 Meter lange und 400 Tonnen schwere Eisenketten.
Pilotprojekt: Seit 2011 liefert ein schwimmendes Zwei-Megawatt-Windrad vor der portugiesischen Küste Strom. Betreiber des Prototyps mit dem Namen Windfloat ist das US-Unternehmen Principle Power.
Parallel zu den Ankern wurden in Norwegen die Kabel verladen und nach Buchan Deep gebracht. Zunächst wurde die 33-Kilovolt-Übertragungsleitung zwischen dem Festland und dem ersten der Schwimmwindräder verlegt, anschließend alle fünf Turbinen miteinander verbunden. Zusammen liefern die fünf Anlagen Strom für rund 20.000 Menschen.
Hywind Scotland wurde gerade erst eingeweiht. Gebaut und betrieben wurde die Anlage vom norwegischen Öl- und Gasförderer Statoil. Der Konzern sammelt schon seit 2009 gemeinsam mit Siemens Erfahrungen mit schwimmenden Windrädern und gilt als Pionier: In Norwegen wurde damals eines der ersten schwimmenden Windräder überhaupt installiert.
Die Anlage in Norwegen ist mit 200 Messpunkten bestückt und hat bewiesen, dass sie selbst Orkanen und Wellen von bis zu 19 Metern trotzt
Stephen Bull, Statoil
Hywind Scotland ist nun gewissermaßen die Fortsetzung des Prototyps vor Norwegen, nur eben eine Nummer größer. Man will testen, wie sich große schwimmende Anlagen im Verbund verhalten. So kann man vergleichen und Schlüsse ziehen.
An den Erkenntnissen ist der Windradhersteller Siemens genauso interessiert wie der Energiekonzern. Wobei sich Michael Hannibal, bis November 2017 Geschäftsführer Offshore Wind bei Siemens, euphorisch zeigte: „Unsere Technologie kann man bereits als vorkommerziell bezeichnen. Wir erwarten im Bereich der schwimmenden Windkraftanlagen weitere Kostensenkungen, die den Ausbau vorantreiben.“
Für Po Wen Cheng, Windkraftexperte an der Universität Stuttgart, hat der kleine Windpark vor Schottland vor allem eines: „Signalwirkung. Die wollen der Welt zeigen, dass sie das können.“
Noch sind schwimmende Windparks teuer. Doch die Preise dürften fallen
Den Bau des Parks ließ sich Statoil stolze 200 Millionen Euro kosten – das sind 6,6 Millionen je installiertem Megawatt und damit deutlich mehr, als Offshore-Windparks mit konventioneller Technik kosten. Doch auf diesem Preisniveau wird die Technologie nicht bleiben, da ist sich die Fachwelt einig.
Laut Francisco Boshell, Analyst bei der Internationalen Agentur für erneuerbare Energien (Irena), haben schwimmende Fundamente das Zeug, die Windkraftindustrie vollkommen zu verändern: „Indem man in tiefere Gewässer vorstößt und größere Windressourcen erschließt, könnten schwimmende Windräder eine signifikante Expansion der Windkraft erlauben – und das konkurrenzfähig.“
Dreieckige Schwimmkörper wie bei dieser Pilotanlage vor Portugal brauchen viel teuren Stahl. Dafür ist die Wartung simpel: Die Anlagen können einfach komplett ins Trockendock geschleppt werden.
Angesichts der guten Aussichten arbeiten inzwischen weltweit Unternehmen und Forschungseinrichtungen an Schwimmwindrädern. Und daran, die Preise zu senken. Etwa Vestas, General Electric, Mitsubishi Heavy Industries und weitere.
So soll vor Portugal noch in diesem Jahr ein weiterer Demo-Offshore-Park entstehen. Ein Konsortium um das portugiesische Ökostromunternehmen EDPR will Anlagen mit zusammen 25 Megawatt aufbauen. Später soll der Park dann auf 150 Megawatt erweitert werden.
Röhren, Stahlgerüste oder Betonträger – die Konzepte sind verschieden
Auch hier testet man die Technik seit Jahren. Der Prototyp im Atlantik namens Windfloat erzeugt mit einem Zwei-Megawatt-Vestas-Windrad seit 2011 Strom – „selbst in extremem Wetter“, wie es bei Principle Power heißt, jenem US-Unternehmen, das den Schwimmer baut.
Die hier eingesetzte Halbtaucherplattform ist ein aufwendig konstruiertes, dreieckiges Stahlgerüst. Dieselben Fundamente sollen auch vor der Küste Kaliforniens im Projekt von Trident Winds zum Einsatz kommen.
Vorteilhaft an diesem Konzept ist, dass man die Turbinen im Trockendock errichten und das gesamte Gebilde anschließend auf See schleppen kann – Plug-and-play. Auch im Fall einer Reparatur werden sie ins Dock gezogen. Der Nachteil der Konstruktion: Sie verschlingt viel teuren Stahl.
Die französische Lösung: Der Prototyp des Unternehmens Ideol aus Saint-Nazaire hat einen Schwimmkörper aus Beton.
Diesem Problem will der französische Hersteller Ideol auf simple Weise begegnen: mit Beton. Ideol bereitet gerade den ersten Prototypen für den Einsatz vor der Atlantikküste vor. Das Konzept mit dem Namen Floatgen sieht flache Schwimmkörper vor, die ebenfalls im Trockendock errichtet und komplett aufgebaut werden.
Wobei auch hier die Maße gigantisch sind: 36 mal 36 Meter. Zur Errichtung dieser schwimmenden Demo-Anlage haben sich europaweit sieben Partner zusammengefunden, darunter auch Einrichtungen aus Deutschland. Laut Ideol ist der Schwimmer der „einfachste, kompakteste und wettbewerbsfähigste am Markt“ und eigne sich für Anlagen bis 15 Megawatt.
Schwimmende Windkraft ist auf dem Stand der Offshore-Windkraft vor 15 Jahren
Und auch in Fernost treiben erste Prototypen in der See. Vor Japan, genauer gesagt bei Fukushima, wo sich 2011 eine der schwersten Reaktorkatastrophen überhaupt ereignete, testet ein Konsortium derzeit drei verschiedene Windräder auf unterschiedlichen Schwimmertypen. An anderer Stelle in Japan ist auch Ideol aktiv.
Noch beschränkt sich die Schwimmwindkraft also auf Prototypen, wenn auch im Fall von Hywind schon in einem sehr fortgeschrittenen Stadium. Große Windparks aufzubauen wagt derzeit noch keiner. Letztlich, „weil die Investoren der Meinung sind, dass noch nicht alle technologischen Hürden überwunden sind. Wir sind auf dem Stand der Offshore-Windenergie von vor 15 Jahren“, erinnert Po Wen Cheng.
Außerdem: Die Windkraft an Land hat noch riesiges Potenzial. Genauso auf See. Denn letztlich sind die Standorte für bodengestützte Fundamente noch lange nicht erschöpft. Zudem kennt auch die Schwimmwindkraft Grenzen: Je größer die Entfernung zur Küste, desto teurer wird der Netzanschluss.
Noch liegt das Floatgen-Windrad am Pier. In wenigen Wochen soll es hinaus in den Atlantik gezogen werden. Parallel erprobt der Hersteller die Technik auch in Japan.
Und in ein Meer, dass Tausende Meter tief ist, wird wohl auch keiner Schwimmwindräder pflanzen wollen: Auch in diesem Fall ist das Verlegen der Übertragungsleitungen und der Befestigungsleinen viel zu aufwendig.
Die Energieagentur Irena erwartet den Durchbruch zwischen 2020 und 2025
Zudem hängt die Messlatte hoch: Onshore-Strom wird schon heute für unter zehn Cent je Kilowattstunde produziert. Schwimmwindstrom dagegen kostet rund das Doppelte. Noch. Doch während das Kostensenkungspotenzial an Land praktisch ausgereizt ist, ist auf See noch reichlich Luft: Eine Studie des britischen Energy Technologies Institute prognostiziert, dass die Kilowattstunde 2020 nur noch 11,6 Cent kostet – und damit ungefähr gleichauf mit Kohlestrom wäre.
Den Preissturz in der Offshore-Windkraft demonstriert auch die Tatsache, dass Hersteller mehrerer geplanter Parks komplett auf eine feste Einspeisevergütung verzichten wollen, etwa EnBW und Ørsted.
Entsprechend macht sich die Branche bereit. Sowohl vor Schottland als auch vor Irland sollen in den nächsten Jahren weitere Schwimmwindparks entstehen. „Wir erwarten die Kommerzialisierung der Branche zwischen 2020 und 2025“, sagt Francisco Boshell.
Dass die Kosten sinken, davon gehen so ziemlich alle Fachleute aus. Auch Po Wen Cheng: „Mit der Anlagengröße spielt die Schwimmwindkraft ihre Vorteile immer mehr aus, da die Lasten vereinfacht gesagt nicht alle in den Meeresgrund abgeleitet werden müssen, sondern die Plattform durch Hydrodynamik, Ballast und Vertäuungssysteme stabilisiert wird. Das macht die schwimmenden Fundamente bei wachsender Anlagengröße und Wassertiefe gegenüber festen Fundamente immer günstiger.“
Zehn Megawatt starke Maschinen werden bereits bei fest installierten Windrädern getestet, noch größere sind in Planung. Für Andreas Schröter vom Energieberatungs- und Zertifizierungsunternehmen DNV GL sind „20 Megawatt durchaus denkbar“.
Neben dem klassischen Upscaling, also dem Größerbauen der Anlagen, könnten auch völlig neue Schwimmerkonzepte für radikale Preisstürze sorgen. Auch die sind bereits in Arbeit. So hat Windkraftikone Henrik Stiesdal vor zwei Jahren sein Projekt In-Float vorgestellt: einen radikal vereinfachten und industrialisierten Schwimmer, der die Kosten je Kilowattstunde auf sagenhafte fünf Cent drücken soll.