Neun Gigawatt ausgeschrieben

  • Search01.03.2023

Neustart in der Offshore-Windenergie

Deutschland hat in diesem Jahr mehr neue Windparks auf See ausgeschrieben, als in der vergangenen Dekade insgesamt gebaut wurden. Wer den Zuschlag erhält, entscheidet sich in einem zweiteiligen Verfahren: Wie es funktioniert und wo die Fallstricke liegen.

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    Deutschlands Offshore-Windenergie steht vor einem neuen Boom: Die Bundesnetzagentur hat den Bau von Windparks mit zusammen fast neun Gigawatt ausgeschrieben.

    Mit der Ausschreibung von Parks im Umfang von fast neun Gigawatt steht die Offshore-Windenergie in Deutschland vor einem Boom.

     

    Von Volker Kühn

    Zwölf Jahre hat Deutschland gebraucht, um Offshore-Windparks mit acht Gigawatt zu bauen. Für die nächsten 22 Gigawatt bleiben nur sieben Jahre, denn schon 2030 sollen es insgesamt 30 Gigawatt sein. Um die Herkulesaufgabe zu stemmen, hat die Ampelkoalition eine Novelle des Wind-auf-See-Gesetzes (WindSeeG) beschlossen, die zum Januar in Kraft trat. Seither geht es Schlag auf Schlag:

    • Am 20. Januar legte das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) einen neuen Flächenentwicklungsplan vor, der regelt, wo in der Nord- und Ostsee gebaut wird.
    • Am 31. Januar schrieb die Bundesnetzagentur (BNetzA) den Bau von Windparks mit einer Kapazität von sieben Gigawatt aus.
    • In dieser Woche folgte eine weitere Ausschreibung für Parks mit zusammen 1,8 Gigawatt.
    • 2024 sind zwei Ausschreibungen mit acht bis neun Gigawatt vorgesehen. 2025 und 2026 sollen es jeweils drei bis fünf Gigawatt sein und ab 2027 jeweils vier Gigawatt.
    • Das Ziel ist eine Gesamtkapazität von 40 Gigawatt bis 2035 und von 70 Gigawatt bis 2045.
    Offshore-Windenergie in Deutschland: Die Leistung der Windparks auf See soll von heute 7,8 Gigawatt auf 30 Gigawatt 2030 steigen. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Der Windindustrie wird die Arbeit in den kommenden zwei Jahrzehnten also nicht ausgehen. Über die gesamte Wertschöpfungskette muss künftig alles dreimal, viermal, x-mal schneller gehen. Betreiber, Hersteller und Zulieferer stehen vor einem Boom.

    Doch ob der Ausbau im geplanten Tempo gelingt – und vor allem, zu welchem Preis –, ist aus Sicht der Branche nicht ausgemacht. Denn Details in den Rahmenbedingungen trüben die Euphorie darüber, dass der Stillstand aus Groko-Zeiten endlich ein Ende hat.

    Um die Gründe zu verstehen, muss man sich das Ausschreibungsverfahren ansehen – oder besser die Ausschreibungsverfahren, denn das WindSeeG sieht zwei davon vor: eines für Meeresflächen, die das BSH bereits auf ihre Tauglichkeit für den Bau von Windparks untersucht hat, und eines für Flächen, auf denen die Betreiber das selbst erledigen.

    Windparks auf nicht voruntersuchten Flächen: Marktprämie und Eintrittsgeld

    In diesen Gebieten läuft die Ausschreibung im ersten Schritt wie in der Vergangenheit: Wer einen Park bauen möchte, nennt einen Mindestpreis, zu dem er den Strom des Parks verkaufen würde. Fällt der Preis an der Börse darunter, zahlt der Staat die Differenz, im Fachjargon ist von einer gleitenden Marktprämie die Rede. Wer den niedrigsten Preis bietet, erhält den Zuschlag. Die Idee dahinter ist, dass Haushalte und Industrie den Offshore-Windstrom so günstig wie möglich bekommen.

    Doch es gibt ein Problem: In der Vergangenheit verzichteten die Bieter wiederholt auf einen staatlich garantierten Mindestpreis, sie boten null Cent. Branchenkenner erwarten, dass dies zur Regel werden könnte. Die Betreiber finanzieren sich dann ausschließlich über den Markt, also über die Börse oder Stromlieferverträge mit Großabnehmern (PPAs). Aber wer erhält in der Ausschreibung den Zuschlag, wenn mehrere Null-Cent-Gebote eingehen?

    Um möglichst nicht per Los entscheiden zu müssen, hat der Bund einen zweiten Schritt eingeführt, das sogenannte dynamische Gebotsverfahren. Dabei bieten die Betreiber Geldsummen, in der Branche ist mitunter von einem „Eintrittsgeld“ die Rede. Die Auktion läuft – vereinfacht dargestellt – wie folgt:

    • Geboten wird nicht frei, sondern in festgelegten Preisstufen.
    • Die Preisstufen haben eine Höhe von 30.000 Euro pro ausgeschriebenem Megawatt.
    • Es sind Zwischenrunden möglich, in denen Bieter ein letztes Gebot unterhalb der 30.000 Euro nennen können.
    • Geboten wird so lang, bis nur noch ein Bieter übrig ist.
    • Gelost wird nur, wenn kein verbleibender Teilnehmer ein höheres Gebot abgibt.
    Seit 2010 wurden in Deutschland 29 Offshore-Windparks gebaut. Die Infografik zeigt alle Windparks mit Name, Baudatum und Leistung. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Nach diesem Verfahren vergibt die Bundesnetzagentur die sieben Gigawatt, die sie Ende Januar ausgeschrieben hat. Sie verteilen sich auf drei Flächen à zwei Gigawatt in der Nordsee und eine Ein-Gigawatt-Fläche in der Ostsee. Potenzielle Bauherren dürfen einen Mindestpreis von bis zu 6,2 Cent je Kilowattstunde Strom verlangen und müssen ihre Gebote bis Juni abgeben. Bei mehreren Null-Cent-Geboten beginnt anschließend das dynamische Gebotsverfahren. 2030 sollen die Parks ans Netz gehen.

    Kritik der Branche: Das Eintrittsgeld verteuert den Strom

    In der Offshore-Windindustrie stellt man sich darauf ein, dass das dynamische Gebotsverfahren und die Zahlung eines Eintrittsgelds zum Regelfall werden. Damit drohten den Verbrauchern unnötig hohe Strompreise, schließlich müssten die Betreiber diese Summe refinanzieren. Stefan Thimm, Geschäftsführer des Bundesverbands der Windparkbetreiber Offshore (BWO), hatte daher wiederholt gefordert, die Gebote nach oben zu deckeln. Darauf ließ sich der Gesetzgeber allerdings nicht ein.

    Auch Karina Würtz, Geschäftsführerin der Stiftung Offshore-Windenergie, kritisiert die starke Betonung der monetären Komponente in der Ausschreibung. Man werde erst in der Praxis sehen, wie belastbar und zukunftsorientiert das Ausschreibungsdesign ist. „Ob die Befürchtungen zutreffen, werden uns die kommenden Monate zeigen“, so Würtz.

    Immerhin erreichte die Branche eine Reduzierung der Gebotsstufen: Ursprünglich waren Sprünge von 150.000 Euro statt der jetzt festgelegten 30.000 Euro vorgesehen.

    Windparks auf voruntersuchten Flächen: Eintrittsgeld und Nachhaltigkeit

    Die Vergabe von Arealen, die bereits durch das BSH erkundet wurden, erfolgt nach einem Punkteverfahren. Zum einen müssen potenzielle Bauherren dabei eine Summe nennen, also ein Eintrittsgeld. Das Höchstgebot erhält 60 Punkte, die nachfolgenden anteilig weniger. Bis zu 40 Punkte werden daneben für vier Kriterien vergeben, in denen die Nachhaltigkeit der Projekte bewertet wird:

    • Kapazität: Betreiber, die einen hohen Anteil der Energie des Windparks über Lieferverträge (PPAs) an feste Abnehmer verkaufen, werden besser bewertet. Das Gebot mit dem höchsten Anteil erhält zehn Punkte.
    • Naturschutz: Wie schonend sind die Verfahren, mit denen die Fundamente der Windräder gesetzt werden? Punkte gibt es für den Verzicht auf das sogenannte Impulsrammen und Schwergewichtsgründungen, unter denen Meerestiere leiden könnten. (Maximal zehn Punkte.)
    • CO2-Fußabdruck: Wie viel Ökostrom wird im Herstellungsprozess eingesetzt? (Maximal fünf Punkte. In späteren Auktionen könnte der Anteil grünen Wasserstoffs mit weiteren fünf Punkten berücksichtigt werden.)
    • Ausbildungsquotient: Wie hoch ist der Anteil von Auszubildenden bei den Windparkbetreibern und künftigen Servicedienstleistern? Die Ausschreibung belohnt einen hohen Azubi-Anteil, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. (Maximal zehn Punkte.)

    In diesem Verfahren hat die Bundesnetzagentur diese Woche 1,8 Gigawatt ausgeschrieben, die sich auf vier Flächen in der Nordsee verteilen. Gebote können bis August eingereicht werden, die Inbetriebnahme der Parks sieht der Flächenentwicklungsplan des BSH für 2028 vor.

    Auf drei der vier Flächen existieren sogenannte Eintrittsrechte: Sie waren bereits in einem früheren Vergabeverfahren an Unternehmen verteilt worden, mussten dann aber an den Staat zurückgegeben werden. Die früheren Besitzer haben nun das Recht, die Flächen von den Gewinnern des aktuellen Ausschreibungsverfahrens zu übernehmen, und zwar zu den finanziellen Konditionen, zu denen jetzt der Zuschlag erteilt wurde.

    Kritik der Branche: Die Kriterien sind nicht eindeutig

    Für die qualitativen Kriterien wird oft der Begriff „Beauty Contest“ („Schönheitswettbewerb“) verwendet, was der Sache allerdings nicht gerecht wird. Es gehe nicht darum, wie hübsch ein Windpark ist, sondern um seine Nachhaltigkeit, heißt es beim Branchenverband WAB. Dort hätte man sich gewünscht, dass diese qualitativen Kriterien ein höheres Gewicht im Verhältnis zum Preis bekämen.

    Zudem plädiert WAB-Chefin Heike Winkler dafür, den CO2-Fußabdruck nicht nur im Herstellungsprozess, sondern über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg zu berücksichtigen. Das wäre vor allem deutschen und europäischen Unternehmen zugutegekommen, weil sie aufgrund kürzerer Wege und oft klimafreundlicherer Produktionsprozesse weniger CO2 als Wettbewerber in Fernost verursachen. Dies sei aber als unpraktikabel und nicht rechtssicher abgelehnt worden. Auf ein Angebot zum Dialog mit der WAB habe man nicht reagiert.

    Ende 2022 ging nach einer langen Phase des Stillstands in der Nordsee wieder ein neuer Windpark in Betrieb. Anfang dieses Jahres folgte ein Projekt in der Ostsee.

    In Gesprächen der Branche mit der BNetzA wurden zudem zahlreiche Unklarheiten in den Ausschreibungsbedingungen deutlich. Ein Beispiel ist die Ausbildungsquote: Erst auf Nachfrage stellte sich heraus, dass dabei nicht nur Azubis in Deutschland berücksichtigt werden, sondern weltweit. Sie müssen zudem keinen Bezug zur Windenergie haben – auch Azubis in der Betriebskantine zählen mit.

    Dass solche Fragen lange offenblieben, dürfte dem Entstehungsprozess des Wind-auf-See-Gesetzes geschuldet sein, denn die Nachhaltigkeitskritieren sollen kurz vor der Verabschiedung noch mal verändert worden sein. Zeit für Detailarbeit blieb offenbar nicht. Erst die BNetzA sorgte im Nachgang für Klarheit.

    Dafür immerhin gab es Lob aus der Branche: „Die Bemühungen der Bundesnetzagentur, die qualitativen Kriterien in den vergangenen Monaten ausschreibungssicher und klar zu gestalten, begrüßen wir“, erklärte Karina Würtz von der Stiftung Offshore-Windenergie.

    Die Frage ist, wie lang die Nachhaltigkeitskriterien Bestand haben. Nach der Ausschreibung wird es ein Resümee geben. Als möglich gilt eine Überarbeitung der Kriterien, etwa im Zuge einer europäischen Vereinheitlichung. Womöglich fallen sie im Zuge der Einführung eines sogenannten Industriestrompreises allerdings auch weg.

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