Wind-auf-See-Gesetz

  • Search20.07.2022

Industrie fürchtet Mehrkosten für Offshore-Wind

Der Bund will den Ausbau der Windkraft auf See drastisch beschleunigen. Doch das gewählte Verfahren verteuert den Strom unnötig, warnt die Branche. Vor allem ein Punkt verunsichert sie.

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    Derzeit befindet sich nur ein Offshore-Windpark in deutschen Gewässern in Bau: das Projekt Kaskasi, für das ein Schiff der DEME Group hier ein Fundament installiert.

    Mit den Arbeiten am Offshore-Windpark Kaskasi nimmt der Ausbau in Deutschland wieder Fahrt auf. Die Novelle des Wind-auf-See-Gesetzes trübt die Stimmung in der Branche allerdings.

     

    Von Volker Kühn

    Nach anderthalb Jahren Stillstand kommt wieder Schwung in die deutsche Offshore-Windenergie. Der belgische Betreiber Parkwind hat in der Ostsee mit dem Projekt Arcadis Ost 1 begonnen, RWE baut in der Nordsee den Park Kaskasi. Damit endet eine Phase, die der Branche schwer zugesetzt hat. Vor allem die Zulieferer brachte der von der Politik verursachte Ausbaustopp ins Straucheln.

    Ein ähnlicher Fadenriss dürfte in den kommenden Jahren ausgeschlossen sein. Der Bundestag hat Anfang Juli eine Novelle des Windenergie-auf-See-Gesetzes beschlossen, die Deutschlands Offshore-Wind-Kapazität bis 2045 auf 70 Gigawatt katapultieren soll. Doch während das Ziel einhellig begrüßt wird, trüben einige Last-Minute-Änderungen an dem Gesetz die Stimmung in der Branche. Das betrifft vor allem das Verfahren, nach dem Betreiber den Zuschlag zum Bau eines Windparks erhalten.

    Offshore-Windenergie in Deutschland: Die Leistung der Windparks auf See soll von heute 7,8 Gigawatt auf 30 Gigawatt 2030 steigen. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Das Gesetz sieht dafür zwei verschiedene Ausschreibungsverfahren vor. Das erste betrifft Meeresflächen, die vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) auf ihre Tauglichkeit für den Bau von Windparks zentral voruntersucht werden. Das zweite gilt für Flächen, auf denen die Betreiber diese Erkundungsarbeiten selbst vornehmen. Auf beide Flächen soll jeweils die Hälfte der ausgeschriebenen Windparks entfallen.

    Ab 2023 wird es jährlich zwei Ausschreibungen geben, entweder durch die Bundesnetzagentur (BNetzA) oder durch das von ihr damit beauftragte BSH. In den Jahren 2023 und 2024 ist dabei eine Gesamtkapazität von je acht bis neun Gigawatt vorgesehen. 2025 und 2026 sollen es jeweils drei bis fünf Gigawatt sein und ab 2027 jeweils vier Gigawatt.

    Offshore-Windparks auf voruntersuchten Flächen: Geldgebot und Qualität

    Die Ausschreibung voruntersuchter Flächen umfasst zwei Komponenten: Zum einen müssen die Bieter eine Summe nennen, die sie für das Recht zum Bau eines Windparks zu zahlen bereit sind, oft ist von einem „Eintrittsgeld“ die Rede. Zum anderen werden vier qualitative Kriterien bewertet:

    • Kapazität: Betreiber, die einen hohen Anteil der Energie des Windparks über Lieferverträge (PPAs) an feste Abnehmer verkaufen, werden besser bewertet. Das Gebot mit dem höchsten Anteil erhält zehn Punkte.
    • Naturschutz: Wie schonend sind die Verfahren, mit denen die Fundamente der Windräder gesetzt werden? Punkte gibt es für den Verzicht auf das sogenannte Impulsrammen und Schwergewichtsgründungen, unter denen Meerestiere leiden könnten. (Maximal zehn Punkte.)
    • CO2-Fußabdruck: Wie viel Ökostrom wird im Herstellungsprozess eingesetzt? (Maximal fünf Punkte. In späteren Auktionen könnte der Anteil grünen Wasserstoffs mit weiteren fünf Punkten berücksichtigt werden.)
    • Ausbildungsquotient: Wie hoch ist der Anteil von Auszubildenden bei den Windparkbetreibern und künftigen Servicedienstleistern? Die Ausschreibung belohnt einen hohen Azubi-Anteil, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. (Maximal zehn Punkte.)

    Von entscheidender Bedeutung für die Gebote ist dabei der Geldbetrag, der mit 60 Prozent in die Bewertung einfließt. Auf die anderen Komponenten entfallen je zehn Prozent. Dabei ist nicht die Qualität der vier Kriterien an sich entscheidend, sondern die Frage, wie sie im Verhältnis zu den Geboten anderer Ausschreibungsteilnehmer ausfällt. Wer in einem Bereich am besten abschneidet, erhält die volle Punktzahl.

    Sollte es zu einem Gleichstand mehrerer Gebote kommen, müssen die Bieter in weiteren Runden höhere Summen aufrufen. Die Absicht des Gesetzgebers dabei ist klar: Er will einen Teil der erwarteten Gewinne der Betreiber abschöpfen, ähnlich wie bei der Versteigerung von Mobilfunklizenzen vor einigen Jahren.

    Das Geld wird zweckgebunden eingesetzt: 90 Prozent der Summe werden für die Senkung der Offshore-Netzumlage verwendet, die Verbraucher über ihre Stromrechnung zahlen. Je fünf Prozent fließen in den Meeresschutz und in die Stärkung der Fischerei. So sollen Einschränkungen durch den Bau der Windparks ausgeglichen werden.

    Windparks auf nicht voruntersuchten Flächen: Marktprämie und Geldgebot

    Bei der Ausschreibung nicht voruntersuchter Flächen greift der Gesetzgeber im ersten Schritt auf ein altbekanntes Modell zurück: die sogenannte gleitende Marktprämie. Dabei nennen die Bieter einen Betrag je Kilowattstunde, zu dem sie den Strom aus ihren Offshore-Windparks verkaufen würden. Liegt der Preis an der Strombörse unter diesem Betrag, zahlt der Staat die Differenz. Ist der Börsenpreis höher, dürfen die Betreiber die Mehrerlöse behalten. Wer den niedrigsten Preis aufruft, gewinnt.

    Offshore-Windpark in der deutschen Nordsee: Mit dem Wind-auf-See-Gesetz soll der Ausbau drastisch beschleunigt werden. Aus der Branche gibt es allerdings auch Kritik.

    Offshore-Windpark in der Nordsee: Wenn mehrere Bieter auf eine garantierte Vergütung für ihren Strom verzichten, erhält derjenige den Zuschlag, der am meisten zahlt.

    In vergangenen Ausschreibungen haben zum Teil allerdings mehrere Betreiber null Cent geboten. Das heißt, dass sie auf einen garantierten Ertrag verzichten und ihren Strom ausschließlich zum schwankenden Marktpreis verkaufen. Um zu entscheiden, welcher Bieter bei mehreren Null-Cent-Geboten den Zuschlag erhält, führt der Gesetzgeber eine zweite Komponente ein, das sogenannte dynamische Gebotsverfahren. Dabei bieten die Betreiber wie in der Ausschreibung für voruntersuchte Flächen Geldbeträge, die sie für den Bau des Parks zahlen wollen.

    Viele Experten halten es für wahrscheinlich, dass es in Zukunft häufig zu Null-Cent-Geboten kommen wird. Die Zahlung eines Eintrittsgeldes könnte damit auf beiden Flächentypen zur Regel werden.

    Die Kritik der Industrie: Das Eintrittsgeld verteuert den Offshore-Windstrom

    So groß die Begeisterung in der Branche über die deutliche Anhebung der Ausbauziele ist, so offenkundig ist die Enttäuschung über das gewählte Ausschreibungsverfahren. „Das Eintrittsgeld treibt die Kosten für den Bau von Windparks in die Höhe. Dieses Geld müssen die Betreiber über den Strompreis refinanzieren. Die Zeche dafür zahlt am Ende immer der Verbraucher“, erklärte Stefan Thimm, Geschäftsführer des Bundesverbands der Windparkbetreiber Offshore (BWO).

    Auch Sven Utermöhlen, BWO-Vorstand und Chef des Offshore-Wind-Geschäfts von RWE, kritisierte das Verfahren: „Entlang der gesamten Wertschöpfungskette müssen in den kommenden Jahren viele Hundert Millionen Euro in Produktionskapazitäten, in Ausbildung von Fachkräften und in Infrastruktur investiert werden. Dieses Geld wird nun knapper.“

    Im schlimmsten Fall könnte das Eintrittsgeld zu einem fatalen Bieterwettbewerb führen, heißt es aus der Branche – zumal die Höhe der Gebote nicht gedeckelt ist, wie es etwa bei Windpark-Ausschreibungen in den Niederlanden der Fall ist.

    „Wir hätten uns gewünscht, dass der Gesetzgeber die jetzt erforderlichen Konzessionszahlungen nach oben begrenzt“, sagte Jörg Kubitza, Deutschland-Chef des Windparkbetreibers Ørsted, der auch hinter dem Portal EnergieWinde steht. „Es besteht das begründete Risiko, dass nicht nur der Kostendruck an die ohnehin in Schräglage befindliche Zulieferindustrie weitergegeben wird, sondern dadurch bedingt der finanzielle Spielraum für Innovation reduziert wird“, so Kubitza, der ansonsten lobende Worte für das Gesetz findet und sogar von einem „großen Wurf“ spricht.

    Das Wunschmodell der Industrie: Contracts for Difference (CfD)

    Zahlreiche Windparkbetreiber hatten in der Vergangenheit für einen anderen Weg getrommelt: sogenannte Differenzverträge oder Contracts for Difference (CfD). Auch große Stromkunden etwa aus der Chemie- und Aluminiumbranche hatten sich für dieses Modell stark gemacht, da sie sich davon niedrigere und berechenbare Strompreise versprechen. CfD funktionieren ähnlich wie die gleitende Marktprämie. Auch hier erstattet der Staat den Betreibern die Differenz zum Gebotspreis, wenn der Strompreis an der Börse darunter liegt. Der große Unterschied: Steigt der Börsenpreis über den Gebotspreis, fließen die Mehreinnahmen an den Staat zurück.

    In den Entwürfen zur Novelle des WindSeeG spielten CfD noch eine Rolle. Kurz vor dem Bundestagsbeschluss wurden sie allerdings gestrichen, offenbar vor allem auf Druck der FDP. Sie sieht in dem Modell einen Eingriff in den freien Markt, ähnlich wie eine Übergewinnsteuer. Die Branche soll noch versucht haben, der FDP das Modell unter einem neuen Namen schmackhaft zu machen, doch auch für einen „marktorientierten Ausgleichsmechanismus“ konnten sich die Liberalen offenbar nicht erwärmen.

    Möglicher Ausweg: Differenzverträge für Industriekunden

    An einer Stelle finden sich die CfD allerdings auch in der jetzt beschlossenen Fassung des Gesetzes. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klima (BMWK) kann Differenzverträge auf dem Weg einer Verordnungsermächtigung bei Ausschreibungen auf voruntersuchten Flächen einführen. Dabei hat die Bundesregierung Unternehmen aus Branchen mit hohem Energiebedarf im Blick. „Die steigenden Strompreise bei dem gleichzeitigen Bedürfnis nach Dekarbonisierung der Industrie erfordern es, einen Industriestrompreis zu ermöglichen“, heißt es im Gesetz zur Begründung. Allerdings muss der Bundestag einer etwaigen Verordnung zustimmen – ein durchaus ungewöhnlicher Weg im legislativen Prozess.

    Wie das CfD-Verfahren konkret ausgestaltet werden könnte, ist derzeit unklar. Beim BWO hofft man auf „einen ersten Schritt zur Schadensbegrenzung“. Und die Stiftung Offshore-Windenergie kommentiert: „Nach der Novelle ist vor dem Reparaturgesetz.“

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