Windkraft und Wärmewende

  • Search02.05.2022

Was Dänemark in der Energiewende besser macht

Die Dänen haben früher als andere auf die Windenergie an Land und auf See gesetzt. Das beschert ihnen heute einen Spitzenplatz im globalen Klimaschutz. Die nächsten Öko-Großprojekte sind bereits in Planung.

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    Offshore-Windpark im Großen Belt in Dänemark: Das Land hat einen Spitzenplatz in Klimaschutz und Energiewende weltweit.

    Ruhiges Fahrwasser: Offshore-Windpark im Großen Belt, der Meeresstraße zwischen den dänischen Inseln Fünen und Seeland.

     

    Von Kathinka Burkhardt

    Ein kleines Land hat Großes vor: Um bis 2050 klimaneutral zu sein, will Dänemark 80 Kilometer vor seiner Küste für schätzungsweise 28 Milliarden Euro eine riesige künstliche Insel als Drehkreuz für Ökostrom in die Nordsee bauen. In dem Energie-Hub soll der Strom mehrerer Offshore-Windparks gebündelt und nach Dänemark und in andere Länder weitergeleitet werden. Zusätzliche Power-to-X-Anlagen sollen überschüssige Energie in grüne Gase wie Wasserstoff oder Ammoniak umwandeln und auf diese Weise speicherbar machen. Gleichzeitig wollen die Dänen Bornholm zu einem weiteren Knotenpunkt der Energieversorgung im Ostseeraum ausbauen. Zusammen sollen sie zunächst drei und später bis zu zehn Millionen Haushalte versorgen. Es sind gigantische Pionierprojekte.

    Bis sich die künstliche Insel in einem Umfang von 65 Fußballfeldern vor Jütland erstreckt, müssen noch viele Fragen geklärt werden, nicht zuletzt, wie der Strom später nach Europa weitergeleitet wird. Selbst wenn die planerischen, finanziellen und naturschutzrechtlichen Hürden genommen sind, könnte sich die für 2033 geplante Fertigstellung durch Wetter, Baustoffknappheit oder andere Unwägbarkeiten bei derlei Großprojekten noch verzögern.

    Und trotzdem: Während in Deutschland die Ampelkoalition die Energiewende nach Jahren des Auf-der-Stelle-Tretens gerade erst wieder anstößt, stürmt das viel kleinere Dänemark mit konkreten Mammutvorhaben voran und untermauert seine Position als eines der führenden Länder im Kampf gegen die Klimakrise. Wie schaffen unsere Nachbarn das?

    Raus aus den Fossilen: Die Idee kam in Dänemark schon in den Siebzigern auf

    Um das zu verstehen, hilft ein Blick in die Kleinstadt Ulfborg. Dort steht das weltweit älteste noch laufende Windrad der Megawattklasse, erbaut von Lehrern, Schülern und vielen Freiwilligen. Und das kam so: Wie viele europäische Länder wurde Dänemark 1973 von der Ölkrise getroffen und suchte danach einen Weg aus der Abhängigkeit von der fossilen Energie. Die Politik diskutierte einen Einstieg in die Atomkraft, was jedoch viele Dänen ablehnten – so auch die Teilnehmer eines Lehrerseminars an der Tvind-Schule in Ulfborg.

    Das älteste noch laufende Windrad der Welt heißt Tvind und steht am Ringkøbing Fjord, an Dänemarks Westküste.

    Leuchtturm der dänischen Energiewende: Tvind, das älteste noch laufende Windrad der Megawattklasse, steht am Ringkøbing Fjord im Westen des Landes.

    Um ein Zeichen gegen die Atomdebatte zu setzen, planten sie auf dem Schulgelände den Bau des damals größten Windrads der Welt. Via Zeitungsanzeigen suchte die Schule weltweit Gleichgesinnte mit technischem Know-how und fand sie: Ab 1975 werkelten rund 400 Lehrer, Schüler und Freiwillige mit viel Idealismus und Geduld an dem Projekt, machten Pläne, verwarfen sie wieder, experimentierten mit Materialien und funktionierten Second-Hand-Komponenten aus anderen Industrien um. 1978 schließlich ging das Zwei-Megawatt-Windrad in Betrieb. Es wurde zum Symbol der dänischen Energiewende und läuft noch heute.

    „Es gab damals viele kleine Projekte Richtung Windkraft, auch in Unternehmen. Aber erst durch diesen öffentlichkeitswirksamen Erfolg wurde die im Vergleich zu anderen Staaten frühe Transformation der Energiepolitik Dänemarks angestoßen“, sagt Peter Hauge Madsen, Leiter des Wind-Departements an Dänemarks Technischer Universität (DTU). So stieg etwa der dänische Konzern Vestas, der zuvor auf Landmaschinen spezialisiert war, 1979 in die Herstellung von Windturbinen ein und gehört heute zu den Großen der Branche.

    Strommix in Dänemark und Deutschland in Vergleich: Während die Dänen fast die Hälfte ihres Stroms mit Windrädern erzeugen, sind es in Deutschland gut 20 Prozent. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Während die Dänen schon fast die Hälfte ihres Stroms aus Wind erzeugen, ist es in Deutschland ein Fünftel.

    Es waren zwei Gründe, die die dänische Politik dazu brachten, die Atomkraft zu verwerfen und stattdessen die aufstrebende Windindustrie zu unterstützen sowie den Bau von Windrädern im eigenen Land voranzutreiben. Zum einen ist Dänemark mit seinen vielen Küstenabschnitten und dem flachen Hinterland perfekt beschaffen für überdurchschnittliche Winderträge. Zum anderen entschieden sich Anfang der Achtzigerjahre die Planer im US-Staat Kalifornien, beim Bau des in der Windenergie-Szene legendären Windparks am San-Gorgonio-Pass für den dänischen Windkrafttyp. Damit bescherte Dänemarks junger Industrie ein riesiges Auftragsvolumen – und damit verbunden viele Arbeitsplätze.

    „Die Dänen sind nicht unbedingt von jeher Klimaschützer. Die frühe Energiewende hatte viel damit zu tun, dass die Windkraft fürs Land und die Menschen wirtschaftlich von Vorteil war“, sagt Experte Madsen.

    Windenergie in Dänemark

     

    Ein Windsurfer hält auf den Strand von Hvide Sande zu. Im Hintergrund erheben sich Windräder.

    Auch in Dänemark gibt es Proteste gegen Windräder. Doch insgesamt stehen in dem auf Konsens ausgerichteten skandinavischen Land weite Teile der Gesellschaft dahinter. Dänemark hat früher als andere auf die Technologie gesetzt. Seine führende Rolle in der Windenergie verdankt es allerdings nicht zuletzt ...

    Windräder am San-Gorgonio-Pass in Kalifornien (USA): Der in den Achtzigerjahren gebaute Windpark war entscheiden beim Aufstieg der dänischen Windindustrie.

    ... den USA. Als in den Achtzigerjahren am San-Gorgonio-Pass in Kalifornien einer der damals größten Windparks der Welt gebaut wurde, entschieden sich die Betreiber für einen Anlagentyp aus Dänemark. Das verschaffte der dänischen Windindustrie enormen Schub. Bereits Anfang der Neunziger wagten dänische Hersteller ...

    Vindeby ist der erste Offshore-Windpark der Welt. Er geht 1991 vor der Küste von Lolland in Dänemark in Betrieb.

    ... den Schritt vom Land aufs Wasser. Vor Vindeby auf der Insel Lolland entstand der erste Offshore-Windpark der Welt. Die Anlagen befanden sich nur wenige Hundert Meter vor der Küste, lieferten aber wichtige Erkenntnisse für den Bau heutiger Offshore-Windparks weit draußen auf See. Zahlreiche große Unternehmen ...

    Offshore-Windrad-Bauteile warten im Hafen von Esbjerg auf die Verschiffung: Dänemark war das erste Land der Welt, in dem Windräder auf See gebaut wurden.

    ... der weltweiten Windindustrie haben ihre Wurzeln in Dänemark und produzieren weiterhin dort. Arbeitsplätze entstehen nicht nur in der Branche selbst, sondern auch in nachgelagerten Bereichen. Am Hafen Esbjerg etwa hat sich die Verschiffung von Windrad-Komponenten zu einem wichtigen Standbein entwickelt. Große Bedeutung ...

    Peter Hauge Madsen auf dem Windenergie-Testfeld von Dänemarks Technischer Universität (DTU).

    ... hat zudem die Forschung wie hier am Windenergie-Department von Dänemarks Technischer Universität. Dessen Leiter Peter Hauge Madsen führt den frühen Beginn der Energiewende in seinem Land darauf zurück, dass die wirtschaftlichen Vorteile der Windenergie vielen Dänen früh bewusst waren. Dieser Prototyp  ...

    Windrad an der dänischen Nordseeküste nahe Esbjerg.

    ... eines Offshore-Windrads mit einer Acht-Megawatt-Turbine von Vestas steht südlich von Esbjerg an der dänischen Nordseeküste. Die gewaltigen Dimensionen der Anlage werden deutlich, wenn man das kleine Auto sieht, das direkt an ihrem Fuß parkt. Die Regierung in Kopenhagen ...

    Windräder am Stran von Hvide Sande im Westen Dänemarks. Foto: Volker Kühn

    ... plant, die Kapazität der Windräder und Solarparks in Dänemark bis 2030 zu vervierfachen. Das soll dem Land nicht nur helfen, seine Klimaziele zu erreichen, sondern auch die Abhängigkeit vom Import fossiler Energien aus Russland verringern. Bis zur Mitte des Jahrhunderts will Dänemark klimaneutral sein.

    Ein Windsurfer hält auf den Strand von Hvide Sande zu. Im Hintergrund erheben sich Windräder.
    Windräder am San-Gorgonio-Pass in Kalifornien (USA): Der in den Achtzigerjahren gebaute Windpark war entscheiden beim Aufstieg der dänischen Windindustrie.
    Vindeby ist der erste Offshore-Windpark der Welt. Er geht 1991 vor der Küste von Lolland in Dänemark in Betrieb.
    Offshore-Windrad-Bauteile warten im Hafen von Esbjerg auf die Verschiffung: Dänemark war das erste Land der Welt, in dem Windräder auf See gebaut wurden.
    Peter Hauge Madsen auf dem Windenergie-Testfeld von Dänemarks Technischer Universität (DTU).
    Windrad an der dänischen Nordseeküste nahe Esbjerg.
    Windräder am Stran von Hvide Sande im Westen Dänemarks. Foto: Volker Kühn

    In der ersten Phase ihrer Energiewende haben die Dänen erlebt, wie ihre Produkte zu Exportschlagern wurden, Tausende Arbeitsplätze und neue Industriefelder entstanden. Nachdem 1991 der erste Offshore-Windpark der Welt in Vindeby vor der Insel Lolland in Betrieb ging, war auch der Grundstein für den Schritt vom Festland aufs Wasser getan. Heute verzeichnet Dänemark mit die weltweit höchsten Exportraten von Umwelt- und Erneuerbaren-Technologien; neben der IT-Branche ist Green Tech ein Wachstumstreiber der dänischen Wirtschaft. Ihre Modernisierung durch die Energiewende hat das Land und die Gesellschaft nachhaltig geprägt.

    Die dänische Gesellschaft sucht den Konsens: ein Vorteil für die Energiewende

    „Die Dänen stehen Innovationen sehr offen gegenüber. Sie wissen, dass man als First Mover die Möglichkeit hat, Technologien zu exportieren und davon wirtschaftlich zu profitieren“, sagt Reiner Perau, Geschäftsführer der Deutsch-Dänischen Handelskammer. Er hält die Mentalität für einen Erfolgsfaktor: „Die Menschen hier haben ein im Vergleich zu anderen Ländern hohes Vertrauen in politische Entscheidungen und tragen diese entsprechend stärker mit. Gleichzeitig ist den Skandinaviern generell am gesellschaftlichen Konsens gelegen“, sagt Perau.

    Deutschland deckt knapp zehn Prozent seines gesamten Energieverbrauchs mit erneuerbaren Energien. In Dänemark sind es gut 25 Prozent. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Knapp ein Viertel des gesamten Energieverbrauchs in Dänemark beruht auf der Windkraft. In Deutschland sind es nicht einmal zehn Prozent.

    Anwohnerproteste gegen Windräder an Land gibt es heute zwar auch in Dänemark. Doch sie entwickeln längst nicht die Bremskraft wie in Deutschland. Und so lässt sich erklären, dass der Beschluss für die geplanten Energieinseln in der Nord- und Ostsee im Februar parteiübergreifend gefasst und als wegweisender Schritt für Dänemark gefeiert wurde.

    Zwar lässt sich die Energiewende in Deutschland nicht ohne Weiteres mit der dänischen vergleichen; zu unterschiedlich ist die Ausgangslage. So verfügt Dänemark über viele dezentrale Heizkraftwerke mit einem hohen Anteil an erneuerbarer Energie. Zudem ist der Energiebedarf in Deutschland aufgrund einer anderen industriellen Struktur ungleich höher. Dennoch lässt sich von den Dänen lernen.

    „Die Dänen haben bereits hohe Standards und sich in Sachen Klimawende ehrgeizige Ziele gesetzt, um im Energiebereich exportfähig zu werden – das treibt sie an“, sagt Reiner Perau.

    Entwicklung der Treibhausgasemissionen (CO2-Äquivalente) in Deutschland und Dänemark im Vergleich. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Deutschland hat nicht nur fast 15-mal mehr Einwohner als Dänemark, sondern auch eine CO2-intensivere Industrie. Entsprechend hoch liegen die Emissionen hier.

    Bis 2030 will die Regierung in Kopenhagen den Kohleausstieg vollzogen und den CO2-Ausstoß um 70 Prozent im Vergleich zu 1991 gesenkt haben, was im europäischen Vergleich besonders ambitioniert ist. Gleichzeitig sollen bis dahin 55 Prozent des Energieverbrauchs aus Erneuerbaren stammen; ein Ziel, das Deutschland mit derzeit bereits knapp 50 Prozent auch erreichen dürfte.

    Weiterhin hält Dänemark daran fest, aus seiner Gas- und Ölförderung bis 2050 komplett auszusteigen, obwohl die Regierung aufgrund des Krieges in der Ukraine diese kurzfristig hochgefahren hat, um bis Ende des Jahres unabhängig von russischen Lieferungen zu sein. Zum Ausgleich will die Regierung aber den Ausbau von Wind- und Solaranlagen fördern und deren Zahl bis 2030 vervierfachen. „Langfristig könnte das Streben nach energietechnischer Unabhängigkeit der Energiewende einen neuen Schub geben“, sagt Experte Madsen von Dänemarks Technischer Universität.

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