Boostern, wir haben ein Problem! Die Vernetzung von Offshore-Windparks soll helfen die Ökostromlücke zu schließen.
Von Volker Kühn
Wenn Wünsche und Taten nicht in Einklang stehen, sprechen Psychologen von kognitiver Dissonanz. Ein Beispiel liefert die Offshore-Windenergie: Seit Jahren betont die Bundesregierung die Bedeutung der Stromerzeugung auf See für Deutschlands Klimaziele. Zugleich unternimmt sie wenig, um den Ausbau zu beschleunigen, im Gegenteil: Sie bremst ihn eher aus.
Der Übertragungsnetzbetreiber Tennet hat nun mit den Küstenländern Niedersachsen, Bremen und Schleswig-Holstein ein technologisches Konzept vorgestellt, um für neuen Schwung zu sorgen: den „Windstrom-Booster“. Damit soll es möglich sein, Windparks mit einer Kapazität von sechs Gigawatt drei Jahre früher als geplant ans Netz zu bringen. Aktuell verfügt Deutschland über knapp acht Gigawatt.
Der Strom kommt gebündelt an Land: in Wilhelmshaven, Heide und Bremen
Bislang werden die Netzanschlüsse von Offshore-Windparks als Punkt-zu-Punkt-Verbindungen mit dem Festland konzipiert. Das Tennet-Konzept sieht im Unterschied dazu vor, drei geplante Anschlusssysteme auf See zu verbinden und ihre Energie gebündelt abzutransportieren. Dazu soll ein Verteilkreuz in der Nordsee entstehen; Tennet spricht in einem Erklärvideo von einer „Mehrfachsteckdose“. Ähnlich funktionieren die Konzepte für eine Energieinsel vor Dänemark oder für künstliche Inseln auf der Doggerbank zwischen England und den Niederlanden.
Als Standort ist das sogenannte LanWin-Cluster vorgesehen. Das Gebiet liegt etwa 120 bis 130 Kilometer vor den schleswig-holsteinischen Inseln und 150 Kilometer vor der niedersächsischen Küste. Ob dort eine im Meeresboden verankerte Konstruktion entstehen oder eine Insel aufgeschüttet werden würde, steht noch nicht fest. Von diesem Verteilkreuz, LanWin-Hub genannt, soll der Strom über drei Zwei-Gigawatt-Leitungen ans Festland geschickt werden: nach Heide in Schleswig-Holstein, nach Wilhelmshaven in Niedersachsen und an einen noch zu findenden Ort im Norden von Bremen.
Bessere Netzauslastung, schnellere Umsetzung: die Vorteile des „Boosters“
Tennet-Geschäftsführer Tim Meyerjürgens verspricht sich von dem Konzept kürzere Genehmigungs- und Bauzeiten. Das Konzept ermögliche es, drei bereits im Netzentwicklungsplan bis 2035 vorgesehenen Offshore-Windparks schon bis 2032 zu realisieren. Darin sieht Meyerjürgens auch ein Angebot an die Verhandlungsführer einer möglichen Ampelkoalition, die derzeit nach Wegen suchten, um die Energiewende zu beschleunigen.
In einem späteren Schritt könnten weitere Offshore-Windparks aus den Nachbarländern an das Verteilkreuz angeschlossen werden. Das ermögliche eine bessere Auslastung der Netze und eine effizientere Nutzung der in den verschiedenen Regionen verfügbaren Windstrommengen. „Wir müssen zu einem internationalen vermaschten Gleichstromnetz kommen“, sagte der Tennet-Manager.