Konzept für schnelleren Offshore-Wind-Ausbau

  • Search29.10.2021

Drehscheibe für Nordsee-Strom

Der Netzbetreiber Tennet will ein Verteilkreuz für Strom aus Offshore-Wind bauen. Neue Parks sollen damit schneller, effizienter und günstiger realisiert werden. Die Küstenländer versprechen sich einen Schub für die Produktion von grünem Wasserstoff.

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    Offshore-Windpark Gode Wind 1 in der deutschen Nordsee: Die Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bremen haben mit dem Netzbetreiber Tennet ein Konzept vorgelegt, um den Ausbau der Offshore-Windenergie zu beschleunigen: den Windstrom-Booster.

    Boostern, wir haben ein Problem! Die Vernetzung von Offshore-Windparks soll helfen die Ökostromlücke zu schließen.

     

    Von Volker Kühn

    Wenn Wünsche und Taten nicht in Einklang stehen, sprechen Psychologen von kognitiver Dissonanz. Ein Beispiel liefert die Offshore-Windenergie: Seit Jahren betont die Bundesregierung die Bedeutung der Stromerzeugung auf See für Deutschlands Klimaziele. Zugleich unternimmt sie wenig, um den Ausbau zu beschleunigen, im Gegenteil: Sie bremst ihn eher aus.

    Der Übertragungsnetzbetreiber Tennet hat nun mit den Küstenländern Niedersachsen, Bremen und Schleswig-Holstein ein technologisches Konzept vorgestellt, um für neuen Schwung zu sorgen: den „Windstrom-Booster“. Damit soll es möglich sein, Windparks mit einer Kapazität von sechs Gigawatt drei Jahre früher als geplant ans Netz zu bringen. Aktuell verfügt Deutschland über knapp acht Gigawatt.

    Der Strom kommt gebündelt an Land: in Wilhelmshaven, Heide und Bremen

    Bislang werden die Netzanschlüsse von Offshore-Windparks als Punkt-zu-Punkt-Verbindungen mit dem Festland konzipiert. Das Tennet-Konzept sieht im Unterschied dazu vor, drei geplante Anschlusssysteme auf See zu verbinden und ihre Energie gebündelt abzutransportieren. Dazu soll ein Verteilkreuz in der Nordsee entstehen; Tennet spricht in einem Erklärvideo von einer „Mehrfachsteckdose“. Ähnlich funktionieren die Konzepte für eine Energieinsel vor Dänemark oder für künstliche Inseln auf der Doggerbank zwischen England und den Niederlanden.

    Als Standort ist das sogenannte LanWin-Cluster vorgesehen. Das Gebiet liegt etwa 120 bis 130 Kilometer vor den schleswig-holsteinischen Inseln und 150 Kilometer vor der niedersächsischen Küste. Ob dort eine im Meeresboden verankerte Konstruktion entstehen oder eine Insel aufgeschüttet werden würde, steht noch nicht fest. Von diesem Verteilkreuz, LanWin-Hub genannt, soll der Strom über drei Zwei-Gigawatt-Leitungen ans Festland geschickt werden: nach Heide in Schleswig-Holstein, nach Wilhelmshaven in Niedersachsen und an einen noch zu findenden Ort im Norden von Bremen.

    Bessere Netzauslastung, schnellere Umsetzung: die Vorteile des „Boosters“

    Tennet-Geschäftsführer Tim Meyerjürgens verspricht sich von dem Konzept kürzere Genehmigungs- und Bauzeiten. Das Konzept ermögliche es, drei bereits im Netzentwicklungsplan bis 2035 vorgesehenen Offshore-Windparks schon bis 2032 zu realisieren. Darin sieht Meyerjürgens auch ein Angebot an die Verhandlungsführer einer möglichen Ampelkoalition, die derzeit nach Wegen suchten, um die Energiewende zu beschleunigen.

    In einem späteren Schritt könnten weitere Offshore-Windparks aus den Nachbarländern an das Verteilkreuz angeschlossen werden. Das ermögliche eine bessere Auslastung der Netze und eine effizientere Nutzung der in den verschiedenen Regionen verfügbaren Windstrommengen. „Wir müssen zu einem internationalen vermaschten Gleichstromnetz kommen“, sagte der Tennet-Manager.

    Offshore-Windenergie weltweit: Die Statistik zeigt die installierte Leistung und die im Bau befindlichen Windparks nach Ländern. Großbritannien liegt vor China, Deutschland ist auf Rang drei zurückgefallen. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Deutschland ist im Ranking der Länder mit den größten Kapazitäten in der Offshore-Windenergie auf Rang drei zurückgefallen. Erst Ende des Jahres sollen die Arbeiten am nächsten Projekt beginnen, dem Windpark Kaskasi nördlich von Helgoland.

    Ein weiterer Vorteil der Pläne liegt aus Sicht von Meyerjürgens darin, dass sie Eingriffe in die Natur reduzierten, sowohl auf See als auch an Land. Die Zahl der benötigten Konverterstationen etwa sei geringer. Ein Punkt, den auch Schleswig-Holsteins Energiewendeminister Jan Philipp Albrecht (Grüne) bei der Vorstellung der Pläne betonte: Gerade in den Nationalparks müssten die Erneuerbaren so schonend wie möglich ausgebaut werden.

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    Wir haben kein Interesse daran, ein reines Durchleitungsland für den Strom zu sein. Die Regionen vor Ort müssen von der Energiewende profitieren

    Olaf Lies (SPD), Energieminister von Niedersachsen

    Ein Teil des Windstroms soll in die Verbrauchszentren im Westen und Süden Deutschlands weitergeleitet werden. Große Vorteile versprechen sich die Beteiligten daneben für die Wirtschaft in den Küstenländern. „Wir haben kein Interesse daran, ein reines Durchleitungsland für den Strom zu sein. Die Regionen vor Ort müssen von der Energiewende profitieren“, sagte Niedersachsens Energieminister Olaf Lies (SPD). Er rechne fest damit, dass sich energieintensive Unternehmen in Zukunft verstärkt dort ansiedeln werden. „Industrie folgt Energie“, sagte Lies. Die Wirtschaft lechze nach grüner Energie, ergänzte Albrecht. „Die Unternehmen stehen Schlange.“

    Es geht um grüne Elektronen und grüne Moleküle: um Wasserstoff und Ökostrom

    Dabei steht neben der reinen Elektrizität die Erzeugung von grünem Wasserstoff im Fokus. An den Standorten in Wilhelmshaven und Heide gibt es bereits weit fortgeschrittene Pläne dafür. Auch in Bremen sei man sehr daran interessiert, erklärte Kai Stührenberg, Staatsrat der Bremer Wirtschaftssenatorin. Gerade für die bremischen Stahlwerke sei grüner Wasserstoff auf dem Weg in die Klimaneutralität unverzichtbar.

    Die Stahlkonzerne ArcelorMittal und Salzgitter AG haben bereits Unterstützung für das Tennet-Konzept signalisiert. Auch andere große Unternehmen stehen dahinter, etwa die Energieversorger Uniper und EWE, die Raffinerie Heide, der Zementhersteller Holcim und der Offshore-Wind-Konzern Ørsted (der Betreiber des Portals EnergieWinde).

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