Megaprojekt in China

  • Search10.09.2025

Ein Wasserkraftwerk, so stark wie alle Atomkraftwerke Frankreichs

In Tibet baut China ein Wasserkraftwerk, das in seiner Dimension selbst den Drei-Schluchten-Damm übertrifft. Das Projekt begeistert Ingenieure, zieht aber auch Kritik auf sich.

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    Lhasa in Tibet: China plant in der Region das mit Abstand stärkste Wasserkraftwerk der Welt.

    Lhasa in Tibet: Der Bau des Kraftwerks verändert die Region bereits heute – dabei soll es erst in gut fünf Jahren in Betrieb gehen.

     

    Von Jörn Petring, Peking

    Auf dem Dach der Welt beginnt gerade eines der ambitioniertesten Bauprojekte der Menschheitsgeschichte. In der tief eingeschnittenen Yarlung-Tsangpo-Schlucht im Südosten Tibets hat China im Juli offiziell mit dem Bau eines Mega-Wasserkraftwerks begonnen. Es übertrifft selbst die Dimensionen des Drei-Schluchten-Damms, des stärksten Kraftwerks der Erde, noch einmal deutlich.

    Das neue Wasserkraftwerk in der Region Mêdog soll bis zu 70 Gigawatt Strom erzeugen und jährlich rund 300 Terawattstunden liefern. Das ist so viel wie ganz Großbritannien verbraucht und in etwa die Leistung aller Atomkraftwerke in Frankreich.

    Dafür werden nach Schätzungen der Finanzagentur Bloomberg 60-mal so viel Zement wie für Amerikas berühmten Hoover Dam verbaut, mehr Stahl als in 116 Empire State Buildings und genug Beton, um die Erde fünfmal mit einer zweispurigen Straße zu umspannen.

    Der Yarlung Tsangpo, in Indien Brahmaputra genannt, windet sich bei Nyingchi und Mêdog durch eine der spektakulärsten Landschaften der Erde. Genau dieses Naturtheater wollen die Chinesen in Energie verwandeln.

    Der Yarlung Tsangpo ist einer der längsten Flüsse der Welt. Sein Oberlauf in Tibet gilt zudem ...

    Die Schluchten des Yarlung Tsangpo in Tibet bieten spektakuläre Panoramen. China plant in der Region das stärkste Wasserkraftwerk der Welt.

    ... mit einer mittleren Höhenlage von 4000 Metern als der am höchsten verlaufende Fluss der Welt. Der Stausee ...

    Fluss Yarlung Tsangpo in Tibet: China plant in der Region ein Wasserkraftwerk, dessen Leistung alles bisher Gekannte in den Schatten stellt.

    ... am Yarlung Tsangpo wird kleiner sein als der des berühmten Drei-Schluchten-Staudamms am Jangtse. Doch die Leistung ...

    Yarlung Tsangpo: China baut an dem Fluss in Tibet das mit Abstand stärkste Wasserkraftwerk der Welt.

    ... der Turbinen am Yarlung Tsangpo wird bedeutend höher sein. China überzieht die Autonome Region Tibet ...

    ... mit einer Serie von Infrastrukturprojekten. Dazu zählen neben einem Hochgeschwindigkeitszug am Yarlung Tsangpo ...

    ... auch Investitionen in die Windenergie. Im Himalaya hat China den höchstgelegenen Windpark der Welt errichtet. Weiter südlich in Indien ...

    Zeremonie am Brahmaputra: Indien befürchtet durch den Bau eines Wasserkraftwerks in Tibet Einschränkungen an dem von Hinduisten verehrten Fluss.

    ... stoßen Chinas Wasserkraftpläne auf Skepsis. Dort trägt der Fluss den Namen Brahmaputra und genießt im Hinduismus hohe religiöse Bedeutung.

    Die Schluchten des Yarlung Tsangpo in Tibet bieten spektakuläre Panoramen. China plant in der Region das stärkste Wasserkraftwerk der Welt.
    Fluss Yarlung Tsangpo in Tibet: China plant in der Region ein Wasserkraftwerk, dessen Leistung alles bisher Gekannte in den Schatten stellt.
    Yarlung Tsangpo: China baut an dem Fluss in Tibet das mit Abstand stärkste Wasserkraftwerk der Welt.
    Zeremonie am Brahmaputra: Indien befürchtet durch den Bau eines Wasserkraftwerks in Tibet Einschränkungen an dem von Hinduisten verehrten Fluss.

    Am „Great Bend“ macht der Fluss eine enge Schleife um das gewaltige Namcha-Barwa-Massiv. Oben liegt er noch hoch im Gebirge, weiter unten rauscht er Tausende Meter tiefer durchs Tal. Diesen Höhenunterschied wollen Ingenieure nutzen: Sie bohren Tunnel durch den Berg, setzen Turbinen hinein – das Wasser stürzt hindurch, treibt die Generatoren an und fließt danach wieder zurück in sein Bett.

    Anders als beim Drei-Schluchten-Damm entsteht so kein riesiger Stausee, sondern ein Kraftwerk im Innern des Berges.

    Für die Regierung fügt sich die Mega-Anlage in eine große Strategie. China peilt den Höhepunkt seiner Treibhausgasemissionen bis 2030 an, bis 2060 will das Land klimaneutral werden. Es gibt sogar Hinweise, dass China den Zenit des CO2-Ausstoßes durch seinen beispiellosen Ausbau der Erneuerbaren bereits erreicht hat. Das Kraftwerk in Tibet soll über eine neue Stromtrasse die wirtschaftsstarken Regionen Hongkong, Shenzhen und Guangzhou versorgen. Doch es braucht stabile Ergänzungen zu Wind- und Solarstrom, die zwar rasant wachsen, aber wetterabhängig bleiben.

    Viele Umweltschützer lehnen Wasserkraft ab. In China ist man weniger kritisch

    Dabei spielt Wasserkraft eine zentrale Rolle. Zwar ist sie unter Umweltschützern umstritten. Doch in China gilt sie als grün. „Obwohl es heute viele erneuerbare Energien gibt, sollte anerkannt werden, dass Wasserkraft die grünste Form von grüner Energie ist“, sagt Victor Gao, stellvertretender Direktor des chinesischen Thinktanks CCG, gegenüber EnergieWinde.

    „In Norwegen ist Wasserkraft sehr verbreitet, dort wird Strom fast gar nicht mehr mit Kohle, Öl oder Gas erzeugt. Auch Japan setzt wegen seiner kurzen und reißenden Flüsse stark auf Wasserkraft.“ Wenn die Wasserkraft auch in China weiter zunehme, könne die Kohleverstromung noch schneller sinken und auch das Wachstum der Gasverstromung gebremst werden, ist Gao überzeugt.

    Das Kraftwerk soll nicht nur dem Klima helfen – sondern auch der Bauindustrie

    Doch ebenso eindeutig scheint, dass es China nicht nur um den grünen Effekt geht, sondern um eine gewaltige Konjunkturmaßnahme.
    Analysten erwarten bis zu 200.000 neue Jobs pro Jahr und ein zusätzliches Wachstum des Bruttoinlandsprodukts um 0,1 bis 0,2 Prozentpunkte. Die Baukosten werden nach Schätzungen rund 1,2 Billionen Yuan (etwa 140 Milliarden Euro) betragen. Gleichzeitig hilft das Projekt, Überkapazitäten in der chinesischen Bau- und Schwerindustrie zu binden, ähnlich wie frühere Großprojekte, die ganze Branchen am Laufen hielten.

    Spürbar ist das schon vor Ort: In den Städten und Dörfern der Region, die lange schwer zugänglich war, steigen die Mieten, Grundstücke verteuern sich. Neue Straßen, Schienen und Versorgungsleitungen sind im Bau.

    Die technische Lösung, auf einen Damm zu verzichten und das Wasser durch Tunnel zu zwingen, wird von Ingenieuren gelobt. Der Standort liegt jedoch in der Region vom Epizentrum des Assam-Tibet-Erdbebens von 1950, einem der stärksten Beben, die je an Land gemessen wurden. Das Risiko für Erdbeben ist weiterhin groß.

    Das Megaprojekt kostet 140 Milliarden Euro. Solar- und Windkraft sind günstiger

    Kritiker im In- und Ausland fragen, ob der Damm überhaupt nötig ist. Solar- und Windkraft sind heute in China viel billiger, schneller zu installieren und einfacher skalierbar. Wäre das Geld nicht besser in Speicher oder Pumpkraftwerke investiert?

    Gao widerspricht: „Solar, Wind und Wasser sollten parallel wachsen.“

    Wasserkraft sichere die Grundlast und biete Strom, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Zudem könnten die neuen Kapazitäten in Tibet künftig für datenhungrige Industrien genutzt werden: Rechenzentren, Cloud-Speicher, künstliche Intelligenz. Tibet mit seiner kühlen Luft, dünnen Bevölkerung und sicheren Stromversorgung könne so zu einem Technologiestandort werden.

    Indien ist besorgt: Der Fluss ist die Lebensgrundlage von Millionen Menschen

    Während Peking das Projekt als interne Angelegenheit darstellt, sehen die Nachbarn die Dinge anders. In Indien wächst die Sorge, China informiere nicht ausreichend und gefährde so die Lebensgrundlage von Millionen Menschen, die am Brahmaputra von Landwirtschaft und Fischerei abhängen. In Neu-Delhi heißt es, Peking könne den Fluss im Konfliktfall sogar als politisches Druckmittel einsetzen.

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    Es gibt die Sorge, dass die Umleitung des Flusses in China die Sedimentablagerungen verringern könnte

    Mark Giordano, Wasserexperte an der Georgetown University

    Bangladesch wiederum fürchtet um seine Küsten. Mark Giordano, Geographie-Professor und Wasserexperte an der Georgetown University, bestätigt gegenüber EnergieWinde zumindest Teile dieser Bedenken: „Es gibt die Sorge, dass die Umleitung des Flusses in China die Sedimentablagerungen verringern könnte. Bangladesch ist als Tiefland auf Sedimente angewiesen, um neues Land aufzubauen und das Vordringen von Meerwasser zu verhindern“, sagt er.

    Solang der Damm aber wie angekündigt ohne großes Reservoir gebaut werde, dürfte sich zumindest nichts an der Wassermenge ändern, die in den anderen Ländern ankommt.

    Überschwemmungsgebiet von Brahmaputra und Ganges: Gefährdet Chinas Megaprojekt die dringend nötigen Sedimentablagerungen vor der Küste?

    Überschwemmungsgebiet von Brahmaputra und Ganges: Gefährdet Chinas Megaprojekt die dringend nötigen Sedimentablagerungen vor der Küste?

    Das Vertrauen ist dennoch begrenzt. Ein früheres Abkommen über den Austausch hydrologischer Daten, das Indien und Bangladesch bei Hochwasserschutz und Planung unterstützte, ist ausgelaufen. Zwar betont Peking, man halte den Dialog aufrecht, doch die Nachbarn pochen auf eine Verlängerung, bisher ohne Ergebnis.

    Ökologisch bleibt das Vorhaben heikel. Tibet gilt als „dritter Pol“, ein Klima- und Wasserspeicher von globaler Bedeutung, Heimat seltener Arten wie Schneeleoparden und roter Pandas. Kritiker warnen auch, dass Fische bedroht sind, wenn der natürliche Wasserfluss gestört wird.

    Für Tibeter hat der Fluss zudem spirituelle Bedeutung, mögliche Umsiedlungen nähren Kritik an fehlender Transparenz. Chinas Führung verweist auf das innovative Design, das Eingriffe begrenzen soll. Mit dem Megaprojekt in Tibet schreibt Peking an einem Projekt, das technisches Meisterstück, ökonomischer Stimulus und geopolitische Herausforderung zugleich ist.

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