Kohleboom in China

  • Search13.09.2023

Die zwei Gesichter von Pekings Energiepolitik

China investiert massiv in Erneuerbare – und Kohlekraftwerke. Vor allem die Lokalregierungen befeuern den fossilen Boom. Trotzdem glauben Energieexperten, dass das Land sein Klimaziel erreichen kann.

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    Chinas Behörden genehmigen neue Kohlekraftwerke in Serie. Wie lang die Meiler laufen werden, ist allerdings offen.

    China beginnt den Bau neuer Kohlekraftwerke im Wochentakt. Ob die Anlagen lange laufen werden, ist allerdings offen.

     

    Von Jörn Petring, Peking

    Majestätisch erhebt sich das Kraftwerk Tuoketuo nahe der nordchinesischen Stadt Hohhot aus der Weite der Inneren Mongolei. Aus mehr als einem Dutzend Schornsteinen steigt weißer Rauch auf, während Lastzüge ständig Kohle zur Verbrennung anliefern. Mit zwölf Blöcken und einer Leistung von 6,72 Gigawatt ist es das größte Kohlekraftwerk der Welt. Der hier erzeugte Strom fließt über Leitungen nach Peking und trägt wesentlich zur Stromversorgung der chinesischen Hauptstadt bei.

    Doch eigentlich darf es so nicht weitergehen. China ist dringend darauf angewiesen, seine Abhängigkeit von der Kohle zu verringern. Schließlich ist die Volksrepublik der weltweit größte Emittent von Treibhausgasen und hat mehrfach angekündigt, ihr schmutziges Image loswerden zu wollen.

    Im Schnitt genehmigen Chinas Behörden zwei neue Kohlekraftwerke – pro Woche

    Dennoch erlebt China derzeit einen kaum vorstellbaren Bauboom. Allein im vergangenen Jahr wurde im Schnitt jede Woche mit dem Bau eines neuen Kohlekraftwerks begonnen. Gleichzeitig wurden durchschnittlich zwei neue Kraftwerke pro Woche genehmigt.

    Dieser Trend setzt sich auch in diesem Jahr fort: Von Januar bis Juni gingen neue Kohlekraftwerke mit einer Leistung von 37 Gigawatt in Bau. Darüber hinaus wurde in diesem Zeitraum der Bau von 52 Gigawatt neuer Kohlekapazitäten genehmigt.

    Xi Jinping hat Klimaneutralität bis 2060 versprochen. Der Ruf der KP hängt daran

    Dennoch bedeutet diese Entwicklung nicht, dass China von seinen Klimazielen abrückt. Staats- und Parteichef Xi Jinping hat versprochen, die Kohlenutzung zu reduzieren und den Höhepunkt der CO2-Emissionen bis 2030 zu erreichen. Bis 2060 soll das Land klimaneutral sein.

    Das sind Versprechen auf höchster Ebene. Sollten sie nicht eingehalten werden, würde dies einen massiven Ansehensverlust für die Kommunistische Partei bedeuten. Die meisten Klimaexperten gehen daher davon aus, dass Peking seine Zusagen einhalten wird.

    „Das politische Engagement für die aktuellen Ziele ist sehr stark, also denke ich, dass wir darauf vertrauen können“, sagt Lauri Myllyvirta, Analyst beim Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA), im Gespräch mit EnergieWinde.

    Gesamtkapazität von Kohlekraftwerken in China in Gigawatt von 2000 bis 2040 sowie Inbetriebnahmen und Stilllegungen. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Klar sei aber auch, so Myllyvirta, dass China ohne den Kohleboom seine Ziele schneller erreichen würde. In einer gerade veröffentlichten Analyse rechnen er und seine Kollegen vor: Hält der derzeitige Genehmigungsprozess für Kohlekraftwerke in China an, würde die installierte Gesamtkapazität im Jahr 2029 einen Spitzenwert von 1450 Gigawatt erreichen. Würde China dagegen sofort einen Genehmigungsstopp verhängen, würde die installierte Leistung schon früher sinken und 2027 mit 1340 Gigawatt ihren Höhepunkt erreichen.

    Zuletzt musste China Strom rationieren. Das soll sich nicht wiederholen

    Offiziell wird vor allem die Sicherung der Energieversorgung als Argument für den Bauboom angeführt: Tatsächlich kam es im Herbst 2021 zu wochenlangen Stromausfällen und Rationierungen. In einigen chinesischen Provinzen mussten Industriebetriebe ihre Produktion drosseln. Das sollte sich nicht wiederholen und wird nun von Kohlebefürwortern als Argument genutzt. Ebenso wie eine Hitzewelle im Sommer 2022, als in Teilen des Landes plötzlich Strom rationiert werden musste. Die in einigen Regionen Chinas weit verbreiteten Wasserkraftwerke stießen wegen Trockenheit und niedriger Wasserstände an ihre Grenzen.

    Verladung von Kohle im Hafen von Rugao (China): Die Volksrepublik muss ihre Abhängigkeit von dem fossilen Rohstoff dringend reduzieren.

    Bagger verladen importierte Kohle am Hafen von Rugao: Chinas Hunger nach dem fossilen Rohstoff ist kaum zu stillen.

    Daraufhin wurden den chinesischen Lokalregierungen und Energieunternehmen wieder mehr Freiheiten beim Bau neuer Kohlekraftwerke eingeräumt. Die offizielle Marschroute lautet seitdem: Kohle soll den Übergang zu erneuerbaren Energien „unterstützen“ und für Stabilität im Stromnetz sorgen.

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    Die Energieversorger hoffen, dass die neuen Kraftwerke einfach weiter genutzt werden, wenn sie erst einmal gebaut sind

    Regierungsberater in Peking

    Doch sowohl Lokalregierungen als auch Energiekonzerne nutzten die lockere Politik offenbar für ihre eigenen Zwecke. Während Lokalpolitiker mit dem Bau neuer Kraftwerke das Wachstum in ihren Regionen befeuern, sahen einige Unternehmen darin ihre letzte Chance, im Kohlegeschäft zu bleiben. „Die Energieversorger hoffen, dass die neuen Kraftwerke einfach weiter genutzt werden, wenn sie erst einmal gebaut sind“, sagt ein Regierungsberater in Peking.

    Doch diese Strategie ist riskant. Sollte der Ausbau der Kohlekraftwerkskapazitäten in China in diesem Tempo weitergehen, würde dies laut CREA zu einem massiven Anstieg der Kohleverstromung und damit der Emissionen führen – oder zu erheblichen Verlusten für die Betreiber, falls die Kraftwerke schon nach wenigen Jahren wieder vom Netz gingen.

    Werden die neuen Meiler einfach stillgelegt? Durchaus möglich, sagen Experten

    Beobachter in Peking schließen nicht aus, dass die Führung dem Treiben noch eine Weile zuschauen, dann aber mit einem Crackdown gegen die Industrie reagieren und unnötig gebaute Kohlekraftwerke einfach wieder schließen könnte. Denkbar sei auch, dass die Führung die Kohlekraftwerksbetreiber für den Kapazitätsabbau entschädigt.

    Klar sei jedenfalls, so Myllyvirta, dass China nicht von seinem Kurs der grünen Energiewende abweiche. Es werden zwar neue Kohlekraftwerke gebaut, aber der Ausbau der erneuerbaren Energien geht deutlich schneller voran. Hier ist China seinen Zielen bereits weit voraus.

    Chinas Solarkapazität explodiert förmlich. Auch die Windkraft wächst rasant

    Allein in diesem Jahr dürften laut der Analyseagentur Bloomberg NEF Solaranlagen mit zusammen 154 Gigawatt installiert werden. Zum Vergleich: Alle EU-Länder zusammen haben es bis Ende 2022 auf 209 Gigawatt gebracht. Damit nicht genug: Der Anteil von Solar- und Windenergie an der chinesischen Stromerzeugung könnte sich in den nächsten zwei Jahren verdoppeln. Nach Berechnungen des Global Energy Monitor würden die Kapazitäten im Jahr 2025 ausreichen, um 1371 Gigawatt Leistung zu erzeugen. Gelingt dies, hätte China sein für 2030 gestecktes Ziel deutlich früher erreicht und obendrein übertroffen. Auch in der Offshore-Windenergie stellt der Ausbau in China den im Rest der Welt in den Schatten.

    Solarpark in China: Das Land hat seine Ausbauziele in der Solarenergie bei Weitem übertroffen.

    Auf 1200 Gigawatt sollte die Leistung von Chinas Solarparks bis 2030 wachsen. Das Ziel dürfte schon 2025 übertroffen werden.

    Grundsätzlich ist Energieexperte Myllyvirta der Meinung, dass China sogar zu noch größeren Schritten in der Lage wäre. Die derzeitigen Ziele seien nicht ehrgeizig. Es gebe noch zu viel Spielraum für einen Anstieg der Emissionen in diesem Jahrzehnt. „Da die globalen Emissionen dringend ihren Höhepunkt erreichen und bis 2030 deutlich reduziert werden müssen, ist ein weiterer Anstieg der chinesischen Emissionen absolut unvereinbar mit den Zielen des Pariser Abkommens“, sagt Myllyvirta. China müsse daher weit mehr tun, als in seinen aktuellen Zielen als Minimum vorgesehen ist.

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