Boom der Erneuerbaren

  • Search29.06.2025

Chinas CO2-Emissionen auf dem Gipfel

Der CO2-Ausstoß der Volksrepublik ist zuletzt erstmals gesunken, obwohl der Stromverbrauch steigt. Doch ob das Plateau hält, hängt von politischen und technischen Faktoren ab.

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    „Meer der Solarenergie“. In der Kubuqi-Wüste baut China ein Solaranlagen mit einer Kapazität von 100 Gigawatt. Erstmals sinkt der CO2-Ausstoß in China, obwohl der Stromverbrauch steigt.

    Die Kubuqi färbt sich blau: China baut ein gigantisches Solarkraftwerk in die Sandwüste in der Inneren Mongolei.

     

    Von Jörn Petring, Peking

    In der Kubuqi-Wüste in der Inneren Mongolei glitzern endlose Reihen von Solarmodulen, wo einst Sanddünen den Horizont bestimmten. Was früher als „Meer des Todes“ verrufen war, verwandelt sich durch den massiven Ausbau der Fotovoltaik in ein „Meer der Solarenergie“. Die schon heute gigantische Anlage soll bis 2030 auf 100 Gigawatt wachsen und sich über 400 Kilometer erstrecken. Das Projekt steht sinnbildlich für den rasanten Umbruch in Chinas Energiesektor: Die Volksrepublik könnte den Höhepunkt ihrer CO₂-Emissionen bereits jetzt erreicht haben, obwohl das offizielle Ziel „vor“ 2030 vorgibt.

    Tatsächlich sind Chinas energiebedingte CO₂-Emissionen im ersten Quartal 2025 im Vorjahresvergleich um rund 1,6 Prozent gefallen. Und das, obwohl Wirtschaft und Stromnachfrage gewachsen sind. Das geht aus einer aktuellen Analyse des Energieexperten Lauri Myllyvirta hervor. Demnach sanken die Emissionen auch über die vergangenen zwölf Monate um etwa ein Prozent.

    Die Stromnachfrage wächst – aber die Erneuerbaren wachsen schneller

    Das Besondere: Erstmals ist nicht ein Konjunktureinbruch oder eine Pandemie der Grund für einen Emissionsrückgang, sondern der beispiellose Ausbau sauberer Energie. Neue Windparks und Solaranlagen lieferten so viel zusätzlichen Strom, dass die Energie aus Chinas Kohlekraftwerken trotz steigender Nachfrage gedrosselt werden konnte. Auch neue Kernkraftwerke trugen dazu bei, fossilen Strom zu verdrängen. Im Vergleich zu den Erneuerbaren spielen sie aber bestenfalls eine Nischenrolle in der chinesischen Energiepolitik.

    CO2-Ausstoß in China: Obwohl die Stromnachfrage wächst, sind die Emissionen zuletzt gesunken. Ist der Gipfel bereits erreicht? Infografik: Andreas Mohrmann

    China hat in den vergangenen Jahren eine ökologische Kehrtwende eingeleitet, die in ihren Dimensionen weltweit einzigartig ist. Allein 2024 hat das Land Ökostrom-Kapazitäten im Umfang von rund 360 Gigawatt installiert. Noch kein anderes Land hat auch nur annähernd so viel saubere Energie auf einmal zugebaut. China dürfte den Prognosen zufolge bis 2030 etwa 60 Prozent des globalen Ökostrom-Zubaus stemmen. Das Land hat sich damit an die Spitze der weltweiten Energiewende gesetzt. Inzwischen sind landesweit über 1480 Gigawatt an Wind- und Solarleistung installiert. Das ist erstmals mehr als die Kapazität, die alle fossilen Kraftwerke zusammen erreichen.

    Diese Entwicklung zeigt nun Wirkung: Besonders im Stromsektor, der für rund die Hälfte der CO₂-Emissionen steht, sanken die Emissionen in den zwölf Monaten bis März 2025 um zwei Prozent. Hält die Entwicklung an, hätte der Energiesektor seinen Scheitelpunkt bereits überschritten.

    Noch ist der Trend fragil. Ein Konjunkturschub könnte die Emissionen hochtreiben

    Allerdings, so warnt Myllyvirta, liegen Chinas Gesamtemissionen bisher nur ein Prozent unter dem letzten Rekordwert. Ein konjunktureller Impuls könnte sie rasch wieder auf neue Höchststände treiben. Myllyvirta mahnt daher zur Vorsicht: Noch ist ungewiss, ob 2025 tatsächlich den endgültigen Peak markiert.

    Drei-Schluchten-Damm am Jangtse in China: Wasserkraft spielt eine wichtigen Rolle in den chinesischen Klimaplänen. Erstmals sind die CO2-Emissionen des Landes gesunken, obwohl die Stromnachfrage wächst.

    Drei-Schluchten-Damm am Jangtse: Auch Wasserkraft hat großen Einfluss auf Chinas CO2-Emissionen. In regenarmen Jahren liefert sie weniger Strom.

    Chinesische Experten sind zumindest vorsichtig optimistisch. Der bekannte Umweltforscher Ma Jun, Direktor des Institute of Public and Environmental Affairs in Peking, hält die Entwicklung für ermutigend. „In den vergangenen zwölf Monaten gab es einen stabilen oder leicht sinkenden Trend“, sagt er gegenüber EnergieWinde. Ob der Emissionsgipfel wirklich überschritten sei, lasse sich erst sagen, wenn dieser Trend über mindestens fünf Jahre anhält.

    Ma verweist auf weitere Unsicherheiten. So könnten neu zugebaute Solaranlagen teilweise noch nicht effizient ins Netz eingespeist werden, weil die Infrastruktur fehlt. Ein häufig übersehener Faktor ist aus seiner Sicht das Wetter. Damit spielt Ma auf die Wasserkraft an, neben Wind und Solar eine weitere wichtige Säule für Chinas grünen Energiemix. „Wenn die Niederschläge stabil bleiben, hat das großen Einfluss auf die Wasserkraft“, erklärt er. Nach extremer Trockenheit im Jahr 2022 sei die Lage inzwischen besser, die Stromerzeugung durch Wasserkraft habe zugenommen. Doch der Bereich bleibe anfällig.

    Chinas E-Auto-Markt wächst rasch. Der Verkehrssektor wird sauberer

    Positiv hebt Ma hervor, dass sich China immer weiter elektrifiziere. Die Hälfte aller Neuwagen sei bereits elektrisch. Der Energiebedarf im Verkehrssektor wachse zwar weiter, aber nicht mehr automatisch mit CO₂-Ausstoß.

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    Der CO₂-Peak der Energiebranche bestimmt den Zeitpunkt des Emissionsgipfels des gesamten Landes

    Gao Yuhe, Projektleiterin bei Greenpeace in Peking

    Die chinesische Greenpeace-Expertin Gao Yuhe sieht den Stromsektor als entscheidenden Hebel. „Der CO₂-Peak der Energiebranche bestimmt den Zeitpunkt des Emissionsgipfels des gesamten Landes“, sagt sie. Der Energiesektor könnte tatsächlich bereits dieses Jahr seinen Emissionshöhepunkt erreichen. Doch auch sie warnt: In einigen Provinzen werde Kohle noch immer als Garant für Versorgungssicherheit betrachtet. Von 2021 bis Anfang 2025 wurden in China neue Kohlekraftwerke mit insgesamt 289 Gigawatt genehmigt. Werden all diese Projekte realisiert, drohen entweder steigende Emissionen oder massive Überkapazitäten. Beides würde den Übergang zu sauberer Energie bremsen.

    Neben technischen gilt es auch politische Hürden zu meistern. Zwar hat Peking klare Klimaziele verkündet – CO₂-Peak vor 2030, Klimaneutralität vor 2060 – doch bis 2030 darf der Ausstoß offiziell noch steigen. Einige Regionen könnten versucht sein, vorher noch möglichst viele fossil basierte Projekte hochzuziehen, was den Nutzen eines frühen Peaks unterlaufen würde.

    Unwägbarkeiten bringt auch eine jüngste Strommarktreform. Seit Juni entfallen feste Einspeisetarife für neue Wind- und Solarparks. Projekte müssen sich also über den Markt finanzieren. Kurzfristig hat das einen Bauboom ausgelöst. Viele Anlagen sollten noch vor der Deadline ans Netz.

    Arbeiter installieren Solarmodule in China: Seit Juni entfallen feste Einspeisetarife für PV-Anlagen. Das hat in den Monaten davon einen Bauboom ausgelöst.

    Bau eines Solarparks: Viele Projekte wurden noch schnell vor der Umstellung der Förderpolitik hochgezogen.

    Soll das Plateau in einen nachhaltigen Abstieg übergehen, muss Peking den eingeschlagenen Kurs entschlossen fortsetzen, sagen Experten. Der nächste, ab 2026 geltende Fünfjahresplan für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes werde richtungsweisend sein. Klimaschützer fordern, darin ein klares Enddatum für den Neubau von Kohlekraftwerken zu setzen. Die Ziele für die Wind- und Solarenergie müssten noch ambitionierter werden. Kritiker bemängeln zudem, dass China ein kohärenter Zwischenfahrplan fehle. Zwar werde etwa ein Emissionshandel in einigen Pilotprojekten getestet, doch weite Teile der Industrie unterliegen keinen verbindlichen Klimavorgaben.

    So beeindruckend der Fortschritt ist – der härteste Part kommt erst noch

    Und noch einen Vorwurf gibt es an Peking: Ein Etappenziel dürfte China in diesem Jahr verfehlen: Die Regierung hatte sich vorgenommen, die Menge an CO₂-Ausstoß pro Einheit Wirtschaftsleistung – die sogenannte CO₂-Intensität – bis 2025 um 18 Prozent gegenüber 2020 zu senken. Tatsächlich lag der Rückgang zuletzt aber noch deutlich niedriger.

    Ma Jun sieht dennoch einen „gangbaren Pfad“ zur Klimaneutralität. Doch er warnt, dass China weniger Zeit habe als andere große Volkswirtschaften. Selbst wenn der Peak schon jetzt erreicht wird, bleiben nur 35 Jahre bis zum Zieljahr 2060. „Das macht den Abstiegsweg besonders steil.“ Deutschland etwa gibt sich 55 Jahre, von 1990 bis 2045. Es scheint also: Nach dem Gipfel beginnt bald der schwierigste Teil der Klettertour.

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