Solarboom und Stromnetz

  • Search09.05.2025

Sonne satt

Gefährdet der Solarboom das Stromnetz? Darüber wird nicht erst seit dem Blackout in Spanien diskutiert. Forscher beurteilen das Risiko unterschiedlich. Einig sind sie sich, dass es bessere Lösungen gibt, als PV-Anlagen abzuschalten.

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    Drohen bei zu viel Solarstrom Blackouts? Darüber wird nicht erst seit dem Netzausfall in Spanien und Portugal diskutiert. Forscher beurteilen das Risiko unterschiedlich, halten ähnliche Ausfälle in Deutschland aber für unwahrscheinlich.

    Solarpark in Baden-Württemberg: Währen große Anlagen in der Regel steuerbar sind, lassen sich kleinere oft nicht aus der Ferne abschalten, wenn eine Überlastung des Stromnetzes droht.

     

    Von Volker Kühn

    Im Frühsommer 2011 wird der Präsident der Bundesnetzagentur deutlich: Um die Sicherheit der Stromversorgung stehe es schlecht, sagt Matthias Kurth der „Rheinischen Post“. Schon an den bevorstehenden Pfingstfeiertagen könne es kritisch werden. Denn dann stünden die Fabriken still, und die Stromnachfrage sei gering. Fließe bei sonnigem Wetter zugleich viel Strom aus PV-Anlagen in die Leitungen, werde es ernst: „Die Netze sind dann unter Stress. Das kann zu Schwierigkeiten führen“, sagt Kurth.

    Das Wort „Blackout“ nimmt er zwar nicht in den Mund, doch bald schon ist es in der Welt. Der „Stern“ etwa beschreibt die „Angst vorm Pfingst-Blackout“.

    Als Bruno Burger in Freiburg davon hört, ärgert er sich. Er arbeitet am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) und hält die Debatte für Hysterie. Kurzentschlossen veröffentlicht er eine Grafik mit Zahlen zur Stromversorgung. Sie soll belegen, dass die Warnung aus der Luft gegriffen ist. Und tatsächlich: Die Netze bleiben an den Feiertagen stabil.

    „Die Blackout-Warnungen gibt es jedes Jahr zu Ostern und Pfingsten“, sagt Burger. Er hat als Reaktion auf die Debatte von 2011 das Portal Energy-Charts aufgebaut. Es liefert eine Fülle von Daten zu diversen Aspekten der Stromversorgung, für jeden kostenlos abrufbar. Immer wenn im Frühjahr die Debatte aufflammt, veröffentlicht er Grafiken daraus, die Entwarnung geben sollen. „Passiert ist wirklich nie etwas“, sagt Burger.

    Aber muss das auch so bleiben?

    Das Stromsystem ist heute schließlich ein anderes als 2011. Damals kam die Solarenergie auf eine Gesamtkapazität von gut 25 Gigawatt. Inzwischen liegt sie viermal so hoch, und jedes Jahr kommen um die 15 Gigawatt hinzu. Ist das Risiko nicht folglich gewachsen? Der großflächige Blackout in Spanien und Portugal Ende April hat die Debatte zusätzlich befeuert. Energiewendekritiker hatten schnell die Solarenergie als Schuldigen ausgemacht, auch wenn das bislang unbelegt ist.

    Nach dem Blackout in Spanien und Portugal haben viele die Solarenergie als Schuldigen ausgemacht, ohne allerdings Belege vorlegen zu können.

    Nach dem Blackout in Spanien und Portugal haben viele die Solarenergie als Schuldigen ausgemacht, ohne allerdings Belege vorlegen zu können.

    Doch auch Befürworter der Umstellung auf erneuerbare Energien sorgen sich um den Zustand der Stromnetze. Lion Hirth etwa, Professor für Energiepolitik an der Hertie School in Berlin, erklärte auf Anfrage Ende März zwar, dass er einen flächendeckenden Blackout in Deutschland für praktisch ausgeschlossen halte. Doch das Risiko, dass an der Strombörse Angebot und Nachfrage nicht mehr in Einklang gebracht werden können, schätze er auf „fünfzig-fünfzig“. Das hieße, dass selbst bei Strompreisen von minus 500 Euro je Megawattstunde – dem zulässigen Tiefstwert im Day-Ahead-Handel an der Börse – niemand bereit wäre, den Strom abzunehmen. Schlimmstenfalls könne es in der Folge sogar zu lokal begrenzten Ausfällen im Verteilnetz kommen.

    Das Problem aus seiner Sicht: „Der Großteil der Solaranlagen reagiert nicht auf Preissignale ,und ein guter Teil davon ist darüber hinaus auch im Notfall durch den Netzbetreiber nicht abregelbar.“ Bei einer Überlastung hätten die Netzbetreiber keine Möglichkeit, sie herunterzufahren.

    Auf Energy-Charts finden Bruno Burger und sein Kollege Leonhard Probst mit wenigen Klicks auch zu dieser Frage eine Grafik: „Installierte Solarleistung in Deutschland nach Fernsteuerbarkeit“. Von den exakt 101,3 Gigawatt, die Mitte Februar am Netz waren, sind demnach 39,9 Gigawatt nicht steuerbar. Wobei die von ihnen zu erwartende maximale Einspeisung zur Mittagsspitze bei 22 Gigawatt liege, wie Probst erklärt – also unter dem, was üblicherweise zu dieser Zeit verbraucht wird. Bei den übrigen 61,4 Gigawatt haben der Netzbetreiber, der Direktvermarkter der Anlagen oder beide Zugriff.

    Die Grafik zeigt das Wachstum der Solarenergie in Deutschland und den Anteil der fernsteuerbaren und nicht fernsteuerbaren Anlagen. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Sofern die Fernsteuerung denn funktioniert. Unter der Hand ist von Netzbetreibern zu hören, dass das oft nicht der Fall sei. Doch selbst wenn das zutreffen sollte, halten Burger und Probst die Gefahr derzeit für gering. Schließlich speisten nie alle Module zur selben Zeit mit voller Leistung ein, etwa weil sie unterschiedlich zur Sonne stünden oder mit ihrem Strom gerade Heimspeicher oder E-Autos lüden. „Trotzdem müssen die Netzbetreiber natürlich dafür sorgen, dass die Steuerungseinrichtungen funktionieren“, sagt Burger.

    Doch besser, als Anlagen auszuschalten, ist ohnehin etwas anderes, da sind sich die drei Energiewissenschaftler einig. „Der Königsweg ist, Solarstrom zu nutzen, statt ihn abzuregeln“, sagt Hirth. Der Schlüssel dazu sei, den Verbrauch von Strom immer dann anzureizen, wenn er im Überschuss vorhanden ist. Fabriken etwa müssten dafür belohnt werden, in solchen Zeiten die Produktion hochzufahren oder Strom- und Wärmespeicher zu füllen, um die Energie später zu nutzen.

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    Wir belohnen Großverbraucher in der Industrie mit Rabatten auf die Netzentgelte von bis zu 90 Prozent, wenn sie möglichst gleichmäßig Strom verbrauchen und damit gerade nicht auf Solarspitzen reagieren

    Lion Hirth, Professor für Energiepolitik an der Hertie School in Berlin

    Derzeit passiere allerdings das Gegenteil: „Wir belohnen Großverbraucher in der Industrie mit Rabatten auf die Netzentgelte von bis zu 90 Prozent, wenn sie möglichst gleichmäßig Strom verbrauchen und damit gerade nicht auf Solarspitzen reagieren“, sagt Hirth. Auch der Ausbau von Smart Metern, über die Privathaushalte ihren Verbrauch an schwankende Strommengen anpassen können, komme nicht voran.

    Hirth plädiert zudem dafür, von Anreizen für den Bau kleiner PV-Anlagen abzusehen, da sie relativ betrachtet teurer als Großanlagen seien, die sich überdies steuern lassen. Zudem müssten alle Anlagen und auch Speicher von einer gewissen Größe an so ausgestattet sein, dass sie auf Preissignale des Strommarkts reagieren. „Bei Balkonkraftwerken ist das verzichtbar, aber Anlagen ab einer Leistung von zwei oder fünf Kilowatt sollten automatisch abschalten, wenn der Strompreis ins Negative dreht“, sagt Hirth.

    2026 gibt es eine Sonnenfinsternis – und vermutlich eine neue Solardebatte

    Bruno Burger dagegen warnt davor, es mit der Regulierung zu übertreiben und bürokratische Hürden aufzubauen. Schon dass digitale Stromzähler alle fünf Jahre ausgetauscht werden müssten, sei ein absurder Aufwand.

    Er stellt sich derweil schon auf die nächste Blackout-Debatte ein: Am 12. August 2026 gibt es eine partielle Sonnenfinsternis in Deutschland. Sollte es dann wolkenlos sein, wird es einen vorübergehenden Knick in der Solarstromeinspeisung geben.

    Und was bedeutet das für die Netze? „Nichts“, sagt Burger. „Wir haben genügend Zeit und können uns vorbereiten.“

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