Die Krimmler Wasserfälle in Österreich: Das Land bietet ideale Voraussetzungen, um CO2-freien Strom aus Wasserkraft zu erzeugen. Ob das der Natur eher schadet oder hilft, ist umstritten.
Nachhaltige Finanzwirtschaft
- 08.01.2021
Alles muss fließen
Von Volker Kühn
Leoben ist eine Stadt in der Steiermark, zu deren Attraktionen die Murschleife zählt: ein Bogen, in dem sich die Mur um die Altstadt zieht. Auf halber Strecke spannt sich ein Wasserkraftwerk über den Fluss. Mit seiner Zehn-Megawatt-Turbine erzeugt es Strom für 10.000 Haushalte; 33.000 Tonnen CO2 wurden so bereits eingespart. Fische wie der Dreistachlige Stichling finden dank einer Wanderhilfe am Kraftwerk vorbei.
Österreich setzt wie kaum ein anderer EU-Staat auf Wasserkraft, sie liefert mehr als 60 Prozent seines Stroms. Die geologischen Bedingungen in dem bergigen Land mit vielen Flüssen sind günstig. Sollte die EU folglich Verordnungen erlassen, damit künftig noch mehr Geld in den Ausbau fließt? Auf jeden Fall, sagen Politiker, nur so könne Österreich die Energiewende schaffen. Bloß nicht, rufen Naturschützer. Sie sehen in gezähmten Flüssen eine Gefahr für die Artenvielfalt, die auch mit noch so vielen Wanderhilfen entlang der Flüsse nicht kleiner werde.
Der Streit geht weit über Österreich hinaus. An ihm lässt sich erklären, warum es so schwierig ist, einen Gesetzesrahmen für die finanzielle Förderung des Klimaschutzes zu schaffen. Zu oft haben vermeintlich saubere Technologien unerwünschte Nebenwirkungen. Genau damit beschäftigt sich die EU derzeit.
Die EU entwirft eine Taxonomie – eine Liste für klimafreundliche Investitionen
Brüssel sucht einen Weg, um Ströme abzuschöpfen, neben denen selbst mächtige Flüsse verblassen: die internationalen Finanzströme. Jeden Tag fließen Milliardensummen um die Welt. Sie stammen von Banken, Versicherungen, Fondsgesellschaften und vielen anderen Investoren, die ihr Geld anlegen, um damit Gewinne zu erwirtschaften. Wenn es gelingt, dieses Geld so umzuleiten, dass möglichst viel davon in nachhaltige Projekte fließt, kann es ein gewaltiger Hebel für den Klimaschutz sein.
Dazu muss allerdings zuerst definiert werden, was genau nachhaltige Projekte sind. Das ist die Aufgabe der sogenannten EU-Taxonomie. Dahinter verbirgt sich eine EU-Verordnung, die klassifizieren soll, welche Anlageformen dem Klimaschutz dienen und welche nicht. Am Ende soll eine Art Liste stehen, die Investoren hilft, saubere Ziele für ihr Geld zu finden.
Biomassekraftwerke gelten als klimaneutral. Aber sind sie wirklich nachhaltig?
Wie immer, wenn es um Milliardensummen geht, ist auch bei dieser Liste umstritten, was gefördert werden sollte. Zu gegensätzlich sind die Interessen der Lobbyverbände, zu weit gehen mitunter selbst unter Klimaschützern die Meinungen auseinander. Das zeigt das Beispiel Wasserkraft: Die Betreiber preisen sie als saubere Energiequelle, die auch dann sprudelt, wenn bei einer Dunkelflaute weder Wind- noch Solarparks Strom liefern. Naturschutzverbände wie der WWF und der Nabu dagegen verweisen auf die 1,2 Millionen Dämme, Wehre, Kraftwerke und Furten, die Europas Flüsse heute schon unterbrechen. Darunter leide nicht nur die Artenvielfalt, auch der Mensch sei gefährdet, weil Flussauen als Schutz vor Überschwemmungen verloren gingen.
Es gibt weitere Beispiele wie die Wasserkraft. Atomkraftwerke stoßen im Betrieb ebenfalls kein CO2 aus. Sind sie deshalb nachhaltig, trotz der Strahlengefahr und der ungelösten Endlagerfrage? Und was ist mit Biomassekraftwerken, die Holz verfeuern? Die Betreiber nennen sie klimaneutral, weil sie nur das CO2 freisetzen, das die Bäume zuvor der Atmosphäre entzogen haben. Doch diese Bäume fehlen als CO2-Speicher im Kampf gegen die Erderhitzung; bis neue Wälder nachgewachsen sind, vergehen Jahrzehnte.
Naturschützer fordern strenge Kriterien. Andere halten das für kontraproduktiv
Um Kriterien für ihre Taxonomie festzulegen, hat die EU-Kommission 2018 eine unabhängige Technische Expertengruppe (TEG) einberufen. Sie hat im März 2020 einen Katalog nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten vorgelegt. Atomkraftwerke tauchten darin genauso wenig auf wie das Verbrennen von Biomasse zur Stromgewinnung. Und auch kleine Wasserkraftwerke mit einer Kapazität von unter zehn Megawatt stufte die TEG nicht als nachhaltig ein – Wasserkraft betrachteten die Experten lediglich als Übergangslösung.
Bei Naturschützern stieß der Katalog auf viel Zustimmung. Sie sprechen sich für möglichst strenge Vorgaben zugunsten des Klimas aus, nur dann könne die Taxonomie zu einem wirklich scharfen Schwert werden. Doch nicht alle folgen dieser Sicht. Institutionelle Investoren wie etwa Versicherungen warnen vor einem engen Korsett. Sie sehen die Gefahr einer Blase an den Märkten, wenn die Finanzströme zu stark kanalisiert werden. Zudem fürchten sie, nicht mehr die Renditen erwirtschaften zu können, die nötig sind, um etwa Lebensversicherungen auskömmlich zu verzinsen. Dabei sehen sich Versicherer grundsätzlich auf Seiten der Klimaschützer – schon weil oft sie es sind, die für Schäden durch die Zunahme von Extremwetterereignissen aufkommen müssen.
Ende 2020 hat die EU einen Gesetzentwurf vorgelegt. Kritikern reicht er nicht aus
Auch aus Österreich kam Protest gegen die Ergebnisse der Expertengruppe. „EU plant, Wasserkraft den Hahn abzudrehen“, titelte die „Kronen-Zeitung“. Die Taxonomie gefährde die Klimaziele Österreichs und Europas, hieß es aus dem Energieministerium, das sich mit einem Schreiben an die zuständige EU-Kommissarin Mairead McGuinness wandte.
Ob es am Brief aus Wien lag, ist nicht bekannt, fest steht aber, dass die Kommission den Empfehlungen ihrer Expertengruppe nur in Teilen gefolgt ist. In ihrem Gesetzentwurf vom November werden auch Biomasse- und kleine Wasserkraftwerke als nachhaltig eingestuft. Darauf wiederum reagierte ein Bündnis von 130 Umweltschutzorganisationen Mitte Dezember mit einem Zehn-Punkte-Papier. Sie fordern die Kommission auf, dringend nachzubessern.
An der Mur in Leoben laufen währenddessen die Planungen zu einem weiteren Wasserkraftwerk. Es soll im Osten der Stadt entstehen und acht Megawatt Strom erzeugen. Es wäre ein Beitrag zur Dekarbonisierung der lokalen Industrie. Ob es nachhaltig im Sinne der EU-Taxonomie wäre, muss sich noch zeigen.