Strahlenschrott: Zur Finanzierung eines Endlagers für den deutschen Atommüll sind Milliarden nötig. Das Geld soll aus einem Fonds kommen, der nach ökologischen Kriterien anlegt.
Ökologische Geldanlage
- 06.09.2018
Die grüne Macht der Investoren
Von Steven Hanke
Deutschlands erster Staatsfonds hatte einen schweren Start. Vor einem Jahr zahlten die vier deutschen Kernkraftwerksbetreiber zusammen 24 Milliarden Euro ein und entledigten sich so ihrer Verantwortung für die Endlagerung des Atommülls. Die übernahm damit der Bund. Wohl wissend, dass die durch den Atomausstieg finanziell gebeutelten Konzerne mit der Entsorgung überfordert gewesen wären.
Die Manager des Entsorgungsfonds sitzen nun auf einem Berg von Geld, den sie gewinnbringend anlegen müssen – was natürlich Begehrlichkeiten weckt. „Das ist schon eine irre Geschichte“, sagt ein hoher Beamter aus dem Bundeswirtschaftsministerium.
Bislang ist es allerdings keine Erfolgsgeschichte: Erst ein Bruchteil der 24 Milliarden ist investiert, der Fonds schloss das erste Geschäftsjahr gar mit einem Minus ab.
Beim Atomfonds schreibt zum ersten Mal ein deutsches Gesetz Ökokriterien vor
In einer Hinsicht hat der Fonds allerdings bereits etwas bewirkt: Denn mit ihm spielen zum ersten Mal bei Finanzanlagen des Bundes auch ökologische Kriterien und andere Aspekte der Nachhaltigkeit explizit eine Rolle. So nämlich schreibt es das Entsorgungsfondsgesetz vor.
Der Fonds wird demnach nicht in Unternehmen investieren, die Kernkraftwerke betreiben oder daran beteiligt sind. Zudem werden Unternehmen bei einem schweren Verstoß gegen die Nachhaltigkeitsprinzipien von Investitionen durch den Fonds ausgeschlossen. Und überdies hat die Bundesregierung im Koalitionsvertrag angekündigt, alle Beteiligungen staatlicher Fonds an ausländischen Kernkraftwerken konsequent zu beenden.
Die Klimaziele verändern die Finanzströme – zulasten der Öl- und Gasmultis
Damit kommt das Thema Nachhaltigkeit der Finanzwirtschaft, Neudeutsch: Sustainable Finance, endlich auch in Deutschland an. Weltweit gewinnt es seit Jahren an Bedeutung. Banken, Versicherungen und Fondsmanager sind heute gezwungen, sich ernsthaft Gedanken zu machen, welche Auswirkungen politische Entscheidungen wie die Nachhaltigkeitsziele oder das UN-Klimaschutzabkommen auf ihre Geschäftsmodelle haben.
Bohrinsel im Ozean: Will die Weltgemeinschaft ihre Klimaziele erreichen, muss ein großer Teil des Öls unter der Erde bleiben. Viele institutionellen Anleger stellen sich bereits darauf ein finanzieren keine Öl- und Gasprojekte mehr.
Denn falls die Weltgemeinschaft es ernst meint mit ihrer Absicht, die Erderwärmung auf unter zwei oder sogar 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, muss ein Großteil der fossilen Ressourcen im Boden bleiben. Damit wären die Öl- und Gasmultis, deren wichtigste Vermögenswerte diese Ressourcen sind, massiv überbewertet. Sie würden durch eine ehrgeizige Klimaschutzpolitik entwertet, mit drastischen Folgen für ihre Geldgeber und das Finanzsystem insgesamt.
Noch stecken Billionen Dollar in fossilen Rohstoffen. „Totes Kapital“, meint Trittin
„Wir haben es mit einer Kohlenstoffblase zu tun“, warnt Jürgen Trittin. Auf sieben Billionen Dollar belaufe sich der Wert fossiler Rohstoffe allein in den Büchern börsennotierter Konzerne. „Wahrscheinlich sind es bei den nicht gelisteten mindestens noch mal so viel“, sagt der Ex-Bundesumweltminister. Denn viele Explorationsfirmen sind in staatlicher Hand und nicht an der Börse.
Für Trittin, der in der Atomkommission des Bundes am Konzept Finanzierung des Ausstiegs mitgewirkt hat, sind diese Billionen im Lichte der UN-Klimaschutzziele sind „totes Kapital“. Er fürchtet deshalb einen neuerlichen Börsencrash.
Umweltschützer sehen das ähnlich: „Ignoriert die Finanzwelt diesen Wandel, baut sich die nächste weltweite Finanzkrise auf, die nicht mehr durch Steuergelder gelöst werden kann“, warnt Matthias Kopp, der den Bereich Sustainable Finance beim WWF Deutschland leitet.
Platzt die CO2-Blase, verlieren Ölkonzerne an Wert. Leidtragende: Pensionskassen
Es sind längst nicht nur Umweltschützer oder grüne Aktivisten, die diese Bedrohung erkennen. Teile der Finanzbranche selbst und die Politik sind sich dessen ebenso bewusst. So warnten die britische Großbank HSBC und die Bank of England schon 2013, bei einem Platzen der Blase könnten die Öl- und Gasunternehmen rund die Hälfte ihres Börsenwertes einbüßen.
Dabei ist zu beachten, dass britische Banken relativ stark in Unternehmen der fossilen Energiewirtschaft investiert haben. Nicht bei allen Großbanken ist das so. Im Schnitt würden die Top-Banken nur zwischen einem und sieben Prozent ihres Kapitals verlieren und bräuchten sich daher nicht vor der Klimapolitik fürchten, fand ein internationales Forscherteam unter Leitung der Uni Zürich heraus.
Besonders groß wären die Verluste ihren Angaben zufolge in Aktienportfolios: Sie würde 45 bis 47 Prozent ihres Wertes verlieren. Zu leiden hätten somit vor allem Aktionäre und Pensionskassen.
Eine Studie rät: Banken sollten ihr Portfolio schrittweise auf grün trimmen
Deutsche Banken haben nach Regierungsangaben nur zwei Prozent ihrer Kredite an Öl- und Gasunternehmen und die übrige Energiewirtschaft vergeben. Deshalb sehe die deutsche Bankenaufsicht hier kein erhöhtes Risiko.
Ein abruptes Divestment wäre voraussichtlich mit Finanzstabilitätsrisiken verbunden
Studie des Bundesfinanzministeriums
Immerhin: Nach Angaben des Bundesfinanzministeriums lassen fast alle wichtigen Finanzmarktakteure das Thema Nachhaltigkeit bereits in ihre Geschäftsmodelle einfließen. Banken und Versicherungen nutzen in ihren langfristigen Szenarien sogenannte CO2-Schattenpreise als Parameter, um Investitionen in fossile Kraftwerke zu bewerten.
Und rund 250 Unternehmen, die ein Anlagevermögen von insgesamt 90 Billionen US-Dollar verwalten, haben Vorschläge zur freiwilligen Offenlegung von klimabezogenen Finanzrisiken unterzeichnet.
Brüssel will den Finanzmarkt in die Pflicht nehmen. In Paris ist man längst so weit
Diese Initiativen beruhen wohlgemerkt auf Freiwilligkeit. Eine regulatorische Verpflichtung zur nachhaltigen Finanzierung gibt es bislang nicht. Zwar waren die Finanzminister der G20 laut dem WWF im Frühjahr 2017 drauf und dran, sich für eine Verankerung des Klimaschutzes stark zu machen. Doch dieses Bekenntnis schaffte es dann doch nicht in ein gemeinsames Papier. Und auch im UN-Klimaschutzabkommen von 2015 findet sich keine entsprechende Verpflichtung.
Einen kleinen Schritt weiter ist inzwischen die EU. Sie will den Finanzmarkt stärker in die Pflicht nehmen. Im Frühjahr dieses Jahres beschloss die Kommission einen Aktionsplan, den sie Ende Mai konkretisierte: Für institutionelle Investoren wie Vermögensverwalter, Versicherer, Pensionsfonds und Anlageberater soll es eine Pflicht zur Offenlegung geben, wie sie Nachhaltigkeitsfaktoren wie Umwelt und Soziales bei ihren Investments berücksichtigen.
Die Vorschriften will die Kommission zu einem späteren Zeitpunkt per Verordnung erlassen. Frankreich verpflichtet Unternehmen und Finanzmarktakteure schon heute, Klima- und Nachhaltigkeitsrisiken offenzulegen.
Was genau bedeutet Nachhaltigkeit? Die EU dringt auf eine Definition
Ein weiterer entscheidender Punkt in dem Aktionsplan der EU ist die Klärung, was Nachhaltigkeit überhaupt bedeutet. Denn bislang gibt es keine einheitliche, zentral festgelegte und klare Definition für nachhaltige Finanzen.
Bau eines Windparks in Süddeutschland: Projekte wie dieses könnten profitieren, wenn institutionelle Anleger mehr Geld nach ökologischen Kriterien investieren.
Geplant ist daher ein EU-weit harmonisiertes Klassifikationssystem („Taxonomie“). Es soll Anleger darüber aufklären, welchen Anlagen umweltfreundlich sind und welche nicht. Die Kommission will Schritt für Schritt festlegen, welche Tätigkeiten als nachhaltig zu betrachten sind. Alle Finanzunternehmen müssen das System anwenden.
Die Klassifizierung könne die Grundlage sein für die Einführung von Normen und Kennzeichen für nachhaltige Finanzprodukte. Ein solches Öko-Label für Finanzprodukte könnte dem Vernehmen nach Ende 2019 vorliegen. Damit will man auch dem „Green-Washing“ von Finanzprodukten begegnen. Die Branche hat bereits einige neue Finanzinstrumente entwickelt, die das grüne Abzeichen tragen. Am wichtigsten sind sogenannte Green Bonds, grüne Anleihen. Dieser Markt wächst rasant. Zehn Jahre nach Auflage des ersten Green Bonds beträgt das weltweite Emissionsvolumen bereits 156 Milliarden Dollar.