Atomenergie

  • Search20.09.2023

Warum Kernkraft das Klima nicht retten kann

Der Ausstieg ist vollzogen, doch die Atomdebatte schwelt weiter. Dabei würden neue Reaktoren weder das Klima retten noch die Stromversorgung stützen – weil Kernkraftwerke zu teuer und träge sind.

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    Atomkraftwerk Hinkley Point C in England: Der Bau verzögert sich um Jahre und verteuert sich laufend.

    Atomkraftwerk Hinkley Point C in England: Der Bau verzögert sich um Jahre und verteuert sich laufend.

     

    Von Kathinka Burkhardt

    Folgt man Teilen der öffentlichen Debatte, könnte man meinen, Deutschland beschreite mit dem Atomausstieg einen Sonderweg, während überall sonst auf der Welt neue Kernkraftwerke gebaut würden: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kritisiert die Abschaltung der letzten Meiler genauso wie die schwedische Regierung, FDP und Union denken lautstark über einen Wiedereinstieg in die Atomkraft nach und die EU klassifiziert Atomstrom sogar als grün. Liegt Deutschland folglich falsch?

    Eher nicht. Denn obwohl viele Industrienationen angesichts des wachsenden Strombedarfs und der Abkehr von fossilen Energieträgern weiterhin (auch) auf Atomstrom setzen, birgt die Technologie eine ganze Reihe unbestreitbarer Nachteile. Das gilt selbst dann, wenn man die wohl gefährlichsten Risiken ausblendet: die Gefahr von Reaktorkatastrophen, die sich in Tschernobyl oder Fukushima auf schreckliche Weise gezeigt hat, und die ungeklärte Endlagerfrage.

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    Unter reinen Marktbedingungen ist Atomenergie völlig unrentabel

    Claudia Kemfert, Energieökonomin

    Schon aus wirtschaftlicher Perspektive lohnt sich Atomstrom nicht. „Er muss stets subventioniert werden“, erklärt die Energie- und Wirtschaftsexpertin Claudia Kemfert gegenüber EnergieWinde. „Unter reinen Marktbedingungen ist Atomenergie völlig unrentabel.“

    Auch deshalb wächst die Kapazität der globalen Wind- und Solarenergie seit Jahrzehnten um ein Vielfaches schneller als die der weltweiten Kernkraft: Strom aus Wind und Sonne ist unschlagbar günstig und zieht entsprechend Investitionen an, während Atomkraftwerke nur gebaut werden, wenn der Staat mit üppigen Subventionen an Bord ist.

    Erneuerbare Energien werden um ein Vielfaches schneller ausgebaut aus die Atomenergie, Die Infografik zeigt die weltweite Entwicklung seit 2000. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Das räumte 2021 selbst FDP-Chef Christian Lindner ein: „Wo gibt es private Betreiber? Wo gibt es privates Kapital? Wo gäbe es einen privaten Versicherer, der das Risiko der Kernenergie im Markt versichern würde? Das gelingt nur mit Staatshaftung“, sagte er. „Für einen Marktwirtschaftler ist das bereits ein Anzeichen, dass Kernenergie auch ordnungspolitisch nicht vertretbar ist.“

    Die Kostenspirale beginnt lange vor dem Betrieb: Jedes Reaktorprojekt ist aufgrund technischer Hürden, unterschiedlicher Standortgegebenheiten und hoher Sicherheitsauflagen komplex, aufwendig und finanziell wie zeitlich unkalkulierbar. So hat trotz erprobter Technik und jahrzehntelanger Erfahrung der Bau des kürzlich in Betrieb genommenen Reaktors Olkiluoto III im Technologiestaat Finnland 18 Jahre gedauert – dreimal so lang wie geplant.

    Inbetriebnahmen und Stilllegungen von Atomreaktoren weltweit seit 1954: Nach dem Höhepunkt in den 1980er-Jahren ist der Atomboom abgeebbt. Infografik: Benedikt Grotjahn

    All das führt dazu, dass die Zahl der weltweit betriebenen Reaktoren seit Jahrzehnten kaum noch wächst. In vielen Jahren gehen sogar mehr Anlagen vom Netz, als neu angeschlossen werden. Allein der Neubau in China schönt die Bilanz.

    Die CO2-Emissionen müssen jetzt runter. Neue Reaktoren kommen dafür zu spät

    Käme es jetzt tatsächlich zu der oft beschworenen „Renaissance der globalen Atomenergie“, wären die neuen Reaktoren zudem zu spät betriebsbereit, um beim Erreichen der Klimaziele zu helfen. Denn dazu müssen die Emissionen schon kurzfristig stark sinken. „Jedes Projekt benötigt mindestens zehn, wenn nicht 15 Jahre bis zur Fertigstellung. In diesem Zeitraum muss aber die Energiewende eigentlich abgeschlossen sein“, erklärt Kemfert. „Der Bau von erneuerbaren Energien geht nicht nur schneller, sondern ist deutlich billiger.“

    Die Liste der Beispiele für nukleare Kostenexplosionen ist lang. Die im US-Bundesstaat Georgia gebauten Atomreaktoren Vogtle 3 und 4 etwa, von denen erst einer seit diesem Jahr in Betrieb ist, haben mit 30 Milliarden Dollar mehr als doppelt so viel gekostet wie geplant. Zwischenzeitlich sorgten sie sogar für die Insolvenz des Atomkonzerns Westinghouse. Derzeit diskutiert der Staat eine Kostenumlage, mit der die Verbraucher die Kosten für das Atomkraftwerk tragen müssten.

    Überall explodieren die Baukosten. Und der Betrieb verschlingt Milliarden

    Auch der neue Reaktor im französischen Atomkraftwerk Flamanville 3 schlug über die 16-jährige Bauzeit mit satten 12,7 Milliarden Euro zu Buche – anvisiert waren lediglich 3,2 Milliarden.

    Und auf der anderen Seite des Kanals rechnet die britische Kontrollbehörde National Audit Office für die beiden neuen Reaktoren im Kernkraftwerk Hinkley Point C vor, dass der Betrieb über die gesamte Laufzeit mit rund 35 Milliarden Euro subventioniert werden muss und dass Investitionen in Wind- und Solarenergie deutlich günstiger für den Steuerzahler ausgefallen wären.

    Nicht ohne Grund werden im Vorwege für den Betrieb von Atomkraftwerken feste Stromabnahmepreise vereinbart, die nicht mit dem Strom aus den immer günstiger werdenden erneuerbaren Energien konkurrieren können.

    Bau eines Atomkraftwerks im in der Provinz Liaoning: Ein Großteil neuen Reaktoren weltweit entstand in den vergangenen Jahren in China.

    Atomkraftwerk in der chinesischen Provinz Liaoning: Ein Großteil neuen Reaktoren weltweit entstand in den vergangenen Jahren in China

    Zur Gesamtbilanz der Atomenergie gehören aber nicht nur Bau und Betrieb, sondern auch der spätere Rückbau und die Einlagerung des Atommülls. Letzteres wird kommende Generationen noch Jahrhunderte beschäftigen. 24,1 Milliarden Euro haben die deutschen Energieversorger in einen Fonds zur Finanzierung kerntechnischer Folgen eingezahlt. Die Verantwortung für alle atomaren Spätfolgen haben sie damit an den Staat abgegeben. Das Geld soll so klug gemanagt werden, dass es sich bis 2100 auf 170 Milliarden Euro vermehrt – in dieser Größenordnung setzte das Bundeswirtschaftsministerium 2019 die zu erwartenden Atomentsorgungskosten an. Ob die Rechnung in Zeiten von Inflation, Zinswenden und Energiekrise aufgeht, ist allerdings fraglich.

    Atomkraftwerke passen nicht in ein grünes Stromsystem: Sie sind zu träge

    So oder so: Die Kernenergie passt ohnehin nicht zu der von Deutschland und vielen anderen Staaten eingeschlagenen Klimawende – auch nicht als Rückfalloption bei einer Dunkelflaute. „Atomkraftwerke sind unflexibel, da sie auf einen Dauerbetrieb ausgelegt sind. Dadurch stehen sie den flexiblen, intelligenten und smarten Systemen der erneuerbaren Energien im Weg“, so Ökonomin Kemfert. Ein einfaches, schnelles Hochfahren bei zu wenig Wind oder Sonne? Unmöglich. „Der billigste Strom ist der aus erneuerbaren Energien, und dieser wird auch weiterhin ein Exportschlager sein“, sagt Kemfert.

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