Standortvorteil Windenergie

  • Search13.06.2023

„Industrie folgt Energie“

Norddeutschland punktet mit Ökostrom im Überfluss im Wettbewerb um milliardenschwere Industrieansiedlungen. Fabriken von Intel und Northvolt markieren den Anfang, bald dürfte die Wasserstoffwirtschaft folgen.

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    Windräder am Hamburger Hafen: Norddeutschland profitiert von seiner Rolle als Deutschlands Energiedrehscheibe.

     

    Von Volker Kühn

    Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein Techkonzern einen zweistelligen Milliardenbetrag in Deutschland investiert. Entsprechend groß war das Bewerberfeld potenzieller Standorte. Auch in Bayern machte man sich Hoffnung. Doch der Zuschlag für Intels Chipproduktion ging nicht etwa nach München, sondern mehr als 500 Kilometer weiter in den Norden, nach Sachsen-Anhalt. Für 17 Milliarden Euro will der Konzern in Magdeburg eine Fabrik hochziehen und Tausende Jobs schaffen. Zwar galt die Stadt bislang nicht als Techhochburg. Doch Sachsen-Anhalt kann Intel etwas bieten, das Bayern fehlt: grünen Strom im Überfluss.

    Deutschlands industriepolitische Landschaft verschiebt sich gerade, und es ist der Norden, der dabei profitiert. Schleswig-Holstein und Niedersachsen, Brandenburg, und Sachsen-Anhalt: Die Länder, die in den vergangenen Jahren die Windkraft beherzt ausgebaut haben, sind heute für energieintensive Unternehmen besonders attraktiv. Denn Intel ist kein Einzelfall. Auch Teslas Gigafactory in Brandenburg etwa wäre ohne die vielen Windparks in der Region undenkbar gewesen.

    Immer wieder geht es um Milliardensummen. So wie beim Batteriehersteller Northvolt. Erst im März haben die Schweden angekündigt, im schleswig-holsteinischen Heide eine Fabrik mit 3000 Jobs zu bauen, die Batterien für bis zu eine Million Elektroautos produzieren soll. Northvolt hatte einen klaren Grund für die Standortwahl: den Überschuss an Strom aus On- und Offshore-Windkraft im Norden.

    Windenergie nach Bundesländern: Schleswig-Holstein hat mehr Windkraftleistung im Verhältnis zur Landesfläche installiert als alle anderen Flächenländer. Infografik: Benedikt Grotjahn

    „Laptop und Lederhose“, auf diese Formel brachte der damalige Bundespräsident Roman Herzog 1997 den Wandel Bayerns vom Agrar- zum Hightech-Land. Ein Slogan, den CSU-Politiker seither gern hervorholen, um die Verbindung von Traditionsbewusstsein und Wirtschaftskraft in Bayern zu betonen. „Grünstrom und Gummistiefel“ könnte man heute in den windreichen Küstenländern kalauernd dagegensetzen. Oder man formuliert es wie Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies: „Industrie folgt Energie, das war schon immer so.“

    Tatsächlich sind für energieintensive Unternehmen bei der Standortwahl die Fragen wesentlich, wo sie zuverlässig ausreichende Energiemengen finden und wie sauber diese Energie ist. Denn nur, wenn beides gewährleistet ist, können Konzerne aus Branchen wie der Chemie-, Stahl-, Zement- oder Papierherstellung die grüne Transformation meistern.

    Mit beiden Faktoren kann der Norden punkten. Viele Regionen erzeugen schon heute weit mehr Ökostrom, als vor Ort verbraucht wird. Entsprechend hoch ist der Anteil Erneuerbarer in den regionalen Netzen, etwa beim Versorger EWE in Oldenburg. Dessen Chef Stefan Dohler spricht bereits davon, der Nordwesten sei „der Ruhrpott von morgen – nur mit sauberer Luft“.

    Erfolgreiche Industrieansieldung dank der Windenergie: Wirtschaftsminister Robert Habeck (links) begrüßt die Pläne zum Bau einer Batteriefabrik durch Northvolt-Chef Peter Carlsson.

    Windstromfans: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (links) und Northvolt-Chef Peter Carlsson, der in Schleswig-Holstein nachhaltige Batterien für E-Autos produzieren will.

    Zwar werden Unternehmen ihre Standorte im Süden oder Westen der Republik kaum schließen, um in den Norden oder Osten umzuziehen. Doch wann immer es um Neuansiedlungen geht, haben Regionen einen Vorteil, die in der Energiewende schon einen Schritt weiter sind.

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    Die Wasserstoffwirtschaft wird sich dort ansiedeln, wo es hohe Mengen an Ökostrom gibt

    Claudia Kemfert, Energieökonomin am DIW

    Das gilt auch für eine Industrie, die sich gerade erst im Aufbau befindet: „Die Wasserstoffwirtschaft wird sich dort ansiedeln, wo es hohe Mengen an Ökostrom gibt“, erklärt Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) gegenüber EnergieWinde.

    Schon mit Blick auf die Steuerung der Stromnetze ist das sinnvoll. Denn Elektrolyseure können durch die Produktion von grünem Wasserstoff mit Ökostrom Zeiten abpuffern, in denen die Windkraft mehr Energie liefert, als verbraucht wird. Die unterirdischen Gaskavernen, in denen der von Kemfert als „Champagner der Energiewende“ bezeichnete Wasserstoff gespeichert werden kann, gibt es ebenfalls im Norden Deutschlands.

    Der letzte Windkraftboom war schnell verpufft. Heute liegen die Dinge anders

    In manchen Regionen muss sich die Aussicht auf einen Aufschwung anfühlen wie ein Déjà-vu. Denn schon in den 2010er-Jahren machten sich Städte und Gemeinden entlang der Küste Hoffnung auf neue Jobs und Steuereinnahmen durch die Energiewende. Vor allem Bremerhaven setzte stark auf die Offshore-Windenergie, zahlreiche Firmen siedelten sich an der Wesermündung an. Doch die meisten waren bald wieder verschwunden. Schuld war das Stop-and-go in der Energiepolitik der Merkel-Regierungen.

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    Man spürt wieder ein Kribbeln in der Stadt

    Nils Schnorrenberger, Wirtschaftsförderer in Bremerhaven

    Jetzt aber herrscht erneut Aufbruchstimmung in Bremerhaven. „Man spürt wieder ein Kribbeln in der Stadt“, sagt Nils Schnorrenberger, Chef der örtlichen Wirtschaftsförderung, im Gespräch mit EnergieWinde. Und diesmal spricht viel dafür, dass der Aufschwung von Dauer ist. Denn Deutschland hat die Ausbauziele für die Offshore-Windenergie drastisch angehoben. Um sie zu erreichen, müssen die Häfen an der Nord- und Ostsee ausgebaut werden, Werften müssen neue Transport- und Arbeitsschiffe bauen, die Fertigungsstätten für Windräder müssen erweitert werden. Arbeit für Jahrzehnte.

    Da passt es ins Bild, dass der Bremer Senat einen zweiten Anlauf für den Bau eines zusätzlichen Hafens nimmt: Über den Energy-Port Bremerhaven sollen grüne Gase wie Wasserstoff oder Ammoniak importiert und Komponenten für Offshore-Windräder verschifft werden. Auch auf den Bau der milliardenschweren Konverterstationen, die Gleichstrom aus Offshore-Windparks in Wechselstrom umwandeln, macht man sich Hoffnung in Bremerhaven.

    Karte der für die Offshore-Windenergie wichtigen Häfen in Deutschland. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Doch so gut die Standortvoraussetzungen im Norden sind, in einem Punkt schneidet er schlechter ab: bei den Energiepreisen. In vielen norddeutschen Regionen zahlen Industrie und Verbraucher mehr für ihren Strom als im Süden. Das liegt am System der Netzentgelte, die Kunden mit ihrer Stromrechnung bezahlen. Sie sind dort, wo viel in den Ausbau der Netze investiert wird, besonders hoch – also ausgerechnet in den Gegenden, in denen viele neue Windräder angeschlossen werden. Die Empfänger des Windstroms im Süden zahlen dagegen in der Regel geringere Netzentgelte.

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    Es kann nicht sein, dass die Menschen hier mit ihren Entgelten für einen windradfreien Himmel im Süden zahlen

    Olaf Lies, Wirtschaftsminister von Niedersachsen

    Aus Sicht des Niedersachsen Lies eine Ungerechtigkeit: „Es kann nicht sein, dass die Menschen hier mit ihren Entgelten für einen windradfreien Himmel im Süden zahlen.“

    Stromüberschüsse bedeuteten eben nicht zugleich günstige Strompreise, sagt der Energieexperte Christoph Podewils, der in seinem Buch „Deutschland unter Strom“ den Umstieg auf erneuerbare Energien skizziert. „Denn durch den heutigen Zuschnitt des Strommarkts spielt es keine Rolle, wie weit eine Kilowattstunde transportiert werden muss – sie kostet überall dasselbe.“

    Wird Deutschland in mehrere Preiszonen geteilt? Die EU diskutiert bereits darüber

    Denn anders als etwa in Italien hat Deutschland eine einheitliche Strompreiszone. Zwar ist das der EU-Regulierungsbehörde ACER ein Dorn im Auge. Sie drängt auf eine Aufteilung in zwei oder mehr Zonen. So sollen Anreize für den Ökostromausbau im Süden geschaffen werden, um das Angebot dort zu erhöhen. Doch zumindest zu Anfang hätte die Teilung zur Folge, dass die Preise im Norden sinken, im Süden aber steigen würden.

    Der Widerstand im Süden ist naturgemäß gewaltig. Wahrscheinlicher ist daher, dass es zunächst zu einer Vereinheitlichung der Netzentgelte kommt. Einen Vorschlag dazu hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck noch für diese Woche angekündigt.

    Für diesen Schritt spricht sich auch die Energieökonomin Kemfert aus. Sie halte eine Aufteilung der einheitlichen Zone nicht für sinnvoll, da die erhofften Preiseffekte kaum zu erwarten seien. „Und das Allerwichtigste, um die Strompreise zu senken, ist ein schnellerer Ausbau von Ökostrom in allen Regionen. Insbesondere im Süden Deutschlands muss der Windenergieausbau schnell und drastisch erhöht werden“, erklärt Kemfert.

    Laptop, Lederhose und Windrad: Für den Süden wäre das ein Weg, um seinen Wettbewerbsnachteil auszugleichen.

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