Debatte um Strompreiszonen

  • Search27.09.2022

Sezession im Stromnetz

Der Norden erzeugt Strom im Überfluss, zahlt dafür aber mehr als der Süden. Mit getrennten Preiszonen wollen die Nordländer das ändern. Der Schritt könnte einige Probleme lösen, stößt aber auf Widerstand. Doch es gibt Alternativen.

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    Strommasten in Deutschland: Geht es nach dem Willen der Nordländer und der EU-Regulierungsbehörder ACER, wird das Land in mehrere Strompreiszonen aufgeteilt.

    Strommasten im Morgenrot: Die EU-Regulierungsbehörde Acer schlägt vor, Deutschland in zwei bis fünf Strompreiszonen zu teilen.

     

    Von Volker Kühn

    Von der EU-Agentur Acer dürften die Wenigsten gehört haben. Die Behörde mit Sitz im slowenischen Ljubljana hat die Aufgabe, Europas Energiemarkt zu regulieren. Ein sprödes Thema, weshalb Mitteilungen von Acer selten über die Fachkreise hinausdringen. Das gilt auch für ein brisantes Dokument, das die Behörde vor sechs Wochen veröffentlicht hat. Acer schlägt darin vor, den bislang einheitlichen Strommarkt in Deutschland in zwei bis fünf Strompreiszonen aufzuteilen.

    Die Folgen wären gravierend. Bislang ist Strom, der an der Börse gehandelt wird, überall in Deutschland gleich teuer. Damit wäre es bei einer Aufteilung vorbei. Nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage würde der Preis in Regionen, die mehr Strom erzeugen als verbrauchen, deutlich fallen. In Regionen mit zu wenig eigenem Strom stiege er dagegen. Profiteur wären vor allem die norddeutschen Bundesländer, die in den vergangenen Jahren ihre Windstromproduktion massiv ausgebaut haben. Die Südländer hätten das Nachsehen.

    Windenergie nach Bundesländern: Schleswig-Holstein hat mehr Windkraftleistung im Verhältnis zur Landesfläche installiert als alle anderen Flächenländer. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Entsprechend groß war der Aufschrei in Bayern, als sich Vertreter von Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern den Acer-Vorschlag jüngst zu eigen machten und die Schaffung mehrerer Preiszonen forderten. Bayern habe mehr als 15 Jahre lang den Ausbau von Stromnetzen und der Windenergie sabotiert, begründete Schleswig-Holsteins Energiewendeminister Tobias Goldschmidt (Grüne) den Vorstoß. Es sei den Menschen im Norden nicht mehr zu vermitteln, warum sie dafür die Zeche in Form unnötig hoher Strompreise zahlen müssten. Und sein niedersächsischer Kollege Olaf Lies (SPD) erklärte: „Wenn ich da lebe, wo die Energie produziert wird, muss diese Energie auch günstiger sein.“

    Hohe Entgelte, teure Netzeingriffe: Das Nord-Süd-Gefälle ist ein Problem

    Dass der Vorstoß gerade jetzt kommt, dürfte dem Wahlkampf geschuldet sein: Niedersachsen stimmt am 9. Oktober über einen neuen Landtag ab. Doch es gibt auch handfeste ökonomische Gründe, den Strommarkt in Deutschland neu zu organisieren. Denn das Nord-Süd-Gefälle in der Stromerzeugung verursacht auf gleich zwei Ebenen immense Kosten:

    • Zum einen steigen die Netzentgelte in Teilen Norddeutschlands. Weil dort besonders viele Windparks angeschlossen werden, müssen die Netzbetreiber stark in den Ausbau der Leitungen investieren. Die Kosten dafür werden auf die regionalen Verbraucher umgelegt – selbst wenn die Leitungen vor allem dazu dienen, den Strom in den Süden und Westen Deutschlands abzutransportieren. Aus Sicht von Olaf Lies eine Ungerechtigkeit: „Es kann nicht sein, dass die Menschen hier mit ihren Entgelten für einen windradfreien Himmel im Süden zahlen.“
    • Zum anderen steigen die Kosten für das sogenannte Redispatch- und Engpassmanagement. Dahinter verbergen sich die Maßnahmen der Netzbetreiber, um Stromangebot und -nachfrage in Einklang zu halten und so einen Kollaps zu verhindern. Weil es noch immer nicht genügend Leitungen gibt, um zu jeder Zeit ausreichende Mengen billigen Windstroms aus dem Norden in den Süden zu schicken, müssen häufig Windparks in den Küstenländern abgeschaltet und teure Kraftwerke im Süden hochgefahren werden. Für die Abschaltung ihrer Windparks werden die Betreiber entschädigt. Die Kosten dafür werden auf alle Verbraucher umgelegt.

    Mit den stark gestiegenen Börsenstrompreisen verteuern sich allerdings auch die Eingriffe ins Stromnetz drastisch. 2021 lagen die Kosten dafür bereits laut dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) bei 2,3 Milliarden Euro, davon 590 Millionen Euro für den Redispatch. Für das laufende Jahr wird eine regelrechte Kostenexplosion erwartet. Amprion, einer der vier Betreiber der deutschen Übertragungsnetze, sprach jüngst von einer Versechsfachung.

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    Eine Aufteilung würde die Redispatch-Kosten senken, da es einfacher wäre, Angebot und Nachfrage innerhalb einer Strompreiszone zur Deckung zu bringen

    Andreas Jahn, Energieexperte beim Regulatory Assistance Project (RAP)

    Umso drängender werden gesetzliche Maßnahmen, um die Kosten in den Griff zu bekommen. Darauf zielt die von Acer vorgeschlagene Zerschneidung der Stromnetze ab. „Der Schritt ist überfällig“, sagt Andreas Jahn vom Regulatory Assistance Project (RAP), einer Organisation, die Regierungen bei der Transformation ihrer Energieversorgung berät. „Eine Aufteilung würde den Redispatch-Aufwand senken, da es einfacher wäre, Angebot und Nachfrage innerhalb einer Gebotszone zur Deckung zu bringen“, erklärt Jahn im Gespräch mit EnergieWinde.

    Die Kosten würden sich in Regionen mit zu geringem Stromangebot verschieben. Diese Strompreiszonen hätten damit einen starken Anreiz, die erneuerbaren Energien auszubauen, um ihren Strombedarf zu decken. Insgesamt würden die Systemkosten aber sinken, betont Jahn.

    Dänemark hat zwei Strompreiszonen, Italien sogar sieben

    Europaweit sind geteilte Strompreiszonen, im Fachjargon Gebotszonen genannt, nicht ungewöhnlich. Dänemark etwa ist in zwei Zonen geteilt, Norwegen in fünf, Italien sogar in sieben. In Schweden setzte Acer vor einigen Jahren eine Teilung in vier Zonen durch.

    Die Karte zeigt die Aufteilung der EU in Strompreiszonen (Gebotszonen). Deutschland bildet (noch) eine einheitliche Zone mit Luxemburg. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Wo genau die Grenzen bei einer Aufteilung Deutschlands gezogen würden, wäre laut Jahn „das Ergebnis einer Gemengelage aus Physik und Politik“. Rein physikalisch betrachtet, müssten die Grenzen aus seiner Sicht eng gezogen werden, da das Netzmanagement in kleinen Gebieten einfacher wäre.

    Mit der Union war eine Aufteilung nicht zu machen. Und mit der Ampel?

    Die Probleme der einheitlichen Preiszone sind in der Politik schon länger bekannt. Angetastet wurde sie jedoch nie. Nicht zuletzt unter dem Druck der CSU schrieb die Groko in ihrem Koalitionsvertrag den Fortbestand fest. Unter der Ampel-Regierung stünden die Chancen zu einer Reform besser, glaubt Jahn.

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    Statt diejenigen zu bestrafen, die die Energiewende aktiv umsetzen, sollten die Netzentgelte bundeseinheitlich gleich sein

    Claudia Kemfert, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)

    Doch nicht alle Experten halten eine Zerschlagung der Strompreiszone für nötig oder sinnvoll, um den Netzausbau zu beschleunigen und für mehr Windparks im Süden zu sorgen. Die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sprach sich auf Anfrage von EnergieWinde dagegen aus. Sie fordert vielmehr, Barrieren für den Ausbau der Erneuerbaren aus dem Weg zu räumen und endlich genügend Flächen für die Windenergie im Süden auszuweisen. Zudem müsse das System der Kosten für den Netzausbau reformiert werden. „Statt diejenigen zu bestrafen, die die Energiewende aktiv umsetzen, sollten die Netzentgelte bundeseinheitlich gleich sein“, so Kemfert.

    Es gibt Alternativen zu einer Zerschlagung – etwa ein Bonus-Malus-System

    Andreas Löschel, Energieökonom an der Ruhr-Universität Bochum, hält eine Spaltung der Preiszone zwar für einen möglichen Weg, um das Nord-Südgefälle in der Stromerzeugung auszugleichen. Er empfiehlt stattdessen aber ein Bonus-Malus-System, das Netzengpässe adressiert, indem für ein höheres Stromangebot im Süden und eine höhere Nachfrage im Norden gesorgt wird. Das Prinzip ist simpel: In Regionen vor Netzengpässen, in denen zu viel Strom vorhanden ist und aus denen er schlecht abtransportiert werden kann, wird eine zusätzlich eingespeiste Kilowattstunde geringer vergütet. In Regionen hinter den Engpässen, in denen zu wenig Strom vorhanden ist, gibt es dagegen eine höhere Vergütung. Die Grenze für die Netzengpässe verschiebt sich gerade Richtung Norden und wird von Löschel derzeit in Höhe des Ruhrgebiets verortet.

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    Das System ließe sich zielgenauer steuern und an sich verändernde Gegebenheiten anpassen

    Andreas Löschel, Energieökonom, über ein Bonus-Malus-System

    Wie bei der Teilung der Preiszone käme es auch hier zu niedrigeren Strompreisen im Norden und höheren im Süden. „Das System ließe sich aber zielgenauer steuern und an sich verändernde Gegebenheiten anpassen“, sagt Löschel im Gespräch mit EnergieWinde. Eine Zerschlagung sei im Vergleich dazu ein gröberer Eingriff, der sich unter Umständen auch schlechter korrigieren ließe.

    Löschel rechnet damit, dass die Bundesregierung das Problem noch in diesem Jahr auf die eine oder andere Weise im Zuge ihrer geplanten Reform des Strommarktdesigns angehen wird. Schon weil der Druck der steigenden Preise so hoch sei.

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