Umweltverträglichkeitsprüfung

  • Search19.04.2024

Gründlich ist schneller

Um Offshore-Windparks rascher ans Netz zu bringen, soll die Umweltverträglichkeitsprüfung entfallen. Dagegen formiert sich Widerstand: von Naturschützern – und von den Betreibern.

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    Offshore-Windpark im Bau: Die Industrie und Umweltschützer setzen sich gemeinsam für die Beibehaltung der Umweltverträglichkeitsprüfung in ihrer bisherigen Form ein.

    Wie kommt mehr Tempo in den Offshore-Wind-Ausbau? Nicht durch Abstriche beim Umweltschutz, sagen Betreiber.

     

    Von Volker Kühn

    Dass Naturschutz und Klimaschutz zwei Seiten derselben Medaille sind, bestreitet in der Theorie kaum jemand. Beides ist für einen lebenswerten Planeten essenziell. In der Praxis aber kommt es immer wieder zu Konflikten. Naturschützer wünschen sich im Zweifel weniger Wind- und Solarparks, die Ökostrombranche mehr. Oft ist von einem „grünen Dilemma“ die Rede.

    Wenn beide Seiten bewusst an einem Strang ziehen, wie derzeit bei der Windkraft auf See, ist das daher zumindest bemerkenswert.

    In einem gemeinsam veröffentlichten „Schulterschluss für Offshore-Windenergie“ wandten sich Ende Februar die Umweltverbände Nabu, WWF und Deutsche Umwelthilfe sowie die Windparkbetreiber, RWE, Vattenfall und Ørsted an die Bundesregierung. Ziel ihres Vorstoßes: Die vor dem Bau von Offshore-Windparks vorgeschriebene Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) soll in ihrer bisherigen Form erhalten bleiben.

    Die EU macht Druck: Genehmigungen sollen schneller kommen

    Das Bundeswirtschaftsministerium hingegen plant, die UVP zu streichen. Genauer gesagt: Die bislang für jeden einzelnen Windpark obligatorische Prüfung soll durch eine strategische Umweltprüfung (SUP) ersetzt werden. Dabei prüft das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) auf übergeordneter Ebene, ob sich Meeresgebiete für Offshore-Windenergie eignen. Wird in für tauglich befundenen Gebieten später gebaut, entfällt die Pflicht zu einer spezifisch auf das jeweilige Projekt abgestimmten UVP.

    Seetaucher zählen zu den Tierarten, deren Lebensraum durch Offshore-Windparks bedroht ist. Umweltschützer verlangen deshalb strikte Schutzmaßnahmen.

    Strategische Umweltprüfungen reichen aus Sicht von Naturschützern nicht aus, um die Auswirkungen von Offshore-Windparks auf Vögel wie den Seetaucher einzuschätzen.

    Das Wirtschaftsministerium möchte mit der Streichung der UVP die Genehmigungsverfahren abkürzen und den Offshore-Wind-Ausbau antreiben. Es stützt sich dabei auf die von der EU verabschiedete Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED III). Sie fordert die Mitgliedsstaaten dazu auf, sogenannte Beschleunigungsgebiete auszuweisen. Sie müssen groß genug sein, um die jeweiligen Ziele für erneuerbare Energien zu erreichen. Der Bau von Windrädern, Solarparks oder anderen Anlagen zur Erzeugung von Ökostrom soll in diesen Gebieten einfacher und schneller möglich sein. Die Richtlinie sieht dafür lediglich eine strategische Umweltprüfung vor. Die Genehmigungsverfahren dürfen in der Regel nicht mehr als 24 Monate dauern.

    Die UVP schaut genauer hin. Das erleichtert eine naturverträgliche Planung

    In der Windenergie an Land sind die Beschleunigungsgebiete in Verbindung mit Ausgleichsmaßnahmen zum Schutz der Biodiversität weitgehend akzeptiert. Auf See hingegen genügen strategische Umweltprüfungen aus Sicht von Naturschützern nicht. „Mit einer SUP ist es nicht möglich, die konkreten Auswirkungen eines einzelnen Offshore-Windparks auf die Meeresumwelt fundiert einzuschätzen“, sagt Carla Langsenkamp, politische Beraterin für Meeresschutz beim WWF.

    Eine strategische Prüfung erfasse die Auswirkungen der verschiedenen Nutzer der Nord- und Ostsee lediglich in ihrer Gesamtheit auf übergeordneter Planungsebene, so Langsenkamp im Gespräch mit EnergieWinde. Es sei aber nötig, sich die einzelnen Projekte anzuschauen und konkrete Daten vor Ort zu erheben. Nur damit sei es möglich, Umweltauswirkungen zu bewerten, zu vermeiden oder zu minimieren, beispielsweise durch eine veränderte Anordnung der Windräder innerhalb eines Parks oder effektive Schallschutzmaßnahmen bei seinem Bau.

    Die Bundesregierung setze am falschen Punkt an, sagen Befürworter der UVP

    Naturschützer und Vertreter der Windindustrie kritisieren die geplante Streichung der Umweltverträglichkeitsprüfung allerdings auch aus einem anderen Grund: Sie verfehle ihr Ziel. „Ohne UVP würde kein Windpark schneller ans Netz gehen. Aber es steigt das Risiko, dass es später im Verfahren zum Beispiel durch Klagen zu Verzögerungen kommt“, sagt Langsenkamp.

    Ähnlich argumentiert Anne Böhnke-Henrichs, Referentin für Meeresschutz beim Nabu: Der aktuelle behördliche Ausbauplan auf dem Weg zum 70-Gigawatt-Ziel, der noch eine flächendeckende Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung vorsieht, zeige, dass die Ziele erreichbar seien, schrieb Böhnke-Henrichs Mitte Februar in einem Gastbeitrag für Tagesspiegel Background. Die Gründe für Verzögerungen lägen nicht in der UVP, sondern vor allem im schleppenden Netzausbau.

    Die größte Hürde aus Sicht der Branche: fehlende Produktionskapazitäten

    Im erwähnten „Schulterschluss“ der Umweltverbände und der Betreiber heißt es dazu, die Genehmigungsverfahren könnten durch mehr Personal und eine Digitalisierung der Prozesse verkürzt werden. Hingegen stelle die Prüfung der Umweltverträglichkeit kein Hemmnis für einen fristgerechten Ausbau dar. Limitierende Faktoren seien vielmehr begrenzte Produktionskapazitäten sowie Engpässe in der Lieferkette.

    Der Offshore-Windpark Butendiek hätte aus Sicht von Umweltschützern nicht gebaut werden dürfen: Der Standort gefährde Seevögel. Der NABU klagt gegen das Projekt.

    Der Offshore-Windpark Butendiek ging 2015 in Betrieb. Naturschützer haben gegen das Projekt geklagt.

    Branchenvertreter weisen seit Langem darauf hin, dass vor allem der Mangel an Hafenflächen und Fabriken für Offshore-Wind-Komponenten die Windkraft ausbremsen könnte. Die UPV hingegen füge sich weitgehend nahtlos in den Planungsprozess ein.

    Deutlich größer als der Prüfaufwand erscheint den Betreibern die Sorge vor Rechtsunsicherheiten und Klagen, wie sie der Nabu gegen den Offshore-Windpark Butendiek erhoben hat. „Das Beschleunigungsansinnen darf nicht zulasten von Rechts- und Planungssicherheit gehen“, erklärte Stefan Thimm, Geschäftsführer des Bundesverbands der Windparkbetreiber Offshore (BWO), im Februar. „Dementsprechend müssen die Regeln auch für die Betreiber über einen langen Zeithorizont hinaus Bestand haben. Niemand investiert, wer einen Rechtsstreit mit unsicherem Ausgang einplanen muss.“

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    Transparenzhinweis: Ørsted als Mitinitiator der Initiative zur Beibehaltung der UVP steht auch hinter dem journalistischen Angebot von EnergieWinde.

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