Gärtner der Meere: Blauwale bringen mit ihren Ausscheidungen das Leben in den Ozeanen zum Erblühen.
Von Volker Kühn
Die Geschichte des wohl größten Tieres, das die Erde je hervorgebracht hat, ist schrecklich und wunderbar zugleich. Sie ist eine Tragödie und eine Erzählung der Hoffnung, sie berichtet von der Gier des Menschen und von seiner Fähigkeit zur Einsicht, und sie zeigt, wie alles auf diesem Planeten mit allem verbunden ist. Es ist die Geschichte des Blauwals.
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I. Blauwal, Krill und Phytoplankton: Artenschutz ist Klimaschutz
Die majestätischen Riesen durchziehen die Ozeane seit vier Millionen Jahren, manche 30 Meter lang und 200 Tonnen schwer. Hunderttausende von ihnen gab es zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Schleuderten Walfänger von ihren wackeligen Booten Harpunen nach ihnen, entkamen die schnellen Tiere meist.
Das industrielle Abschlachten begann erst, als ein Norweger 1864 die Harpunenkanone erfand. Sie feuerte Sprengladungen ab, die im Walkörper explodierten und Schwefelsäure freisetzten, woran der Wal verendete. Den Kadaver pumpten die Jäger mit Druckluft auf, damit er nicht versank.
Mindestens 380.000 Blauwale wurden so allein im 20. Jahrhundert erlegt, dazu rund eineinhalb Millionen anderer Großwale. Ihre Körper lieferten Fleisch, vor allem aber Tran für Lampenöl, Schmierstoffe, Margarine oder Seife. In den 1960er-Jahren gab es höchstens noch 3000 Blauwale. Es schien nur eine Frage der Zeit, bis die Art ausgerottet sein würde.
Dass es nicht dazu kam, hat zwei Ursachen; die eine ist ernüchternd, die andere ermutigend. Zum einen lohnte sich der Aufwand für die kommerzielle Jagd umso weniger, je seltener die Wale wurden. Zum anderen nahm die erwachende Umweltbewegung den Kampf für das Überleben der intelligenten Tiere mit ihrem ausgeprägten Sozialverhalten auf. Sie machte den Wal zum Symboltier für den Naturschutz; das Massenschlachten in den Meeren ließ sich öffentlich bald kaum noch vermitteln. Beides führte 1986 zum Stopp des Walfangs.
Seither erholen sich die Bestände. Heute ziehen wieder bis zu 25.000 Blauwale umher, die Großwale insgesamt werden auf 1,3 Millionen geschätzt. Ihre Rückkehr belegt, mit welch unbändiger Kraft sich die Natur regeneriert, wenn der Mensch ihr den Raum dazu lässt. Es ist ein hoffnungsvolles Zeichen für den Artenschutz.
Und für den Klimaschutz.
Denn der Blauwal hält noch weitere Lehren bereit, die erst allmählich verstanden werden. Der Biologe und Autor Lothar Frenz schildert sie in seinem wunderbaren Buch „Wer wird überleben? Die Zukunft von Natur und Mensch“.
Für Frenz sind Blauwale „die Gärtner der Meere“. Vor Beginn der industriellen Jagd haben sie jährlich 150 Millionen Tonnen Krill vertilgt. Das übertrifft die Biomasse der gesamten jährlichen Fischerei. Nach dem Tod Hunderttausender Blauwale vermehrte sich der Krill aber nicht etwa, wie es beim Verschwinden des größten Krillvertilgers zu vermuten gewesen wäre. Zur allgemeinen Überraschung nahm die Menge ab.