Klement Tockner wuchs mit acht Geschwistern in der Steiermark auf, wo seine Eltern einen Bergbauernhof hatten. Der Biologe beschäftigt sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit vor allem mit Flüssen und ihren begleitenden Ökosystemen, er gilt als international führender Süßwasserökologe. Seit 2021 ist der 60-Jährige Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, der größten Forschungseinrichtung der Leibniz-Gemeinschaft mit sieben Instituten und drei Museen in Frankfurt, Dresden und Görlitz. EnergieWinde hat den renommierten Forscher im Vorfeld des Weltnaturgipfels COP15 gesprochen, der am 7. Dezember im kanadischen Montreal beginnt.
Herr Tockner, warum gibt es eigentlich keine Kartoffelbrei-Attacken gegen das Artensterben?
Klement Tockner: Im Vergleich zur Erderwärmung ist das Thema schwieriger zu fassen. Hochwasser, Waldbrände und andere Naturkatastrophen machen anschaulich, dass die Erderwärmung deutlich zu einer Zunahme an Extremereignissen führt. Es gibt somit sehr sichtbare, existenzbedrohende Konsequenzen. Bei der biologischen Vielfalt sind die Änderungen und auch die Auswirkungen schleichender. Aber wenn der Amazonas-Urwald zum Beispiel eine bestimmte kritische Größe unterschreitet, kann er sich nicht mehr selbst erhalten und wandelt sich in eine Steppenlandschaft um – mit drastischen globalen Auswirkungen auf den Wasserhaushalt, die Kohlenstoffspeicherung und die biologische Vielfalt. Diese Entwicklung ist dann unumkehrbar.
Olaf Scholz sagt, der Weltnaturgipfel muss ein Wendepunkt sein für unsere Naturschutzbemühungen. Wie realistisch ist das?
Tockner: Wir können es uns schlichtweg nicht leisten, dass der Gipfel nicht zum Erfolg wird. Wenn wir jetzt nicht die Trendwende schaffen, dann wird es unglaublich schwierig, gegenzusteuern. Die Erhaltung der Biodiversität wird zudem viel, viel aufwändiger werden für die nächsten Generationen, wenn sie überhaupt noch möglich ist.
Werden Sie in Montreal mit am Verhandlungstisch sitzen?
Tockner: Ich werde virtuell dabei sein als Teil der Senckenberg-Delegation. Wir haben einen Beobachter-Status bei der Konferenz, deswegen werden wir wohl nur noch wenig direkt beeinflussen können. Trotzdem können wir natürlich viele Hintergrundgespräche mit den Delegationsmitgliedern führen. Sicher eine spannende Erfahrung.