Biodiversität in der Landwirtschaft

  • Search28.10.2022

Artenvielfalt im Anflug

Die konventionelle Landwirtschaft bedroht Tier- und Pflanzenarten. Von schonenden Anbauformen dagegen profitieren Insekten, Frösche, Vögel und das Klima. Vier Projekte mit Vorbildcharakter.

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    Wie Landwirte mit schonenden Verfahren die Biodiversität fördern: Vier vorbildliche Projekte, die Ackerbau, Viehzucht und Artenschutz vereinen. #artenvielfalt

     

    Von Julia Graven

    Tag für Tag verschwinden unzählige Tier- und Pflanzenarten für immer von der Erde. In Deutschland ist die konventionelle Landwirtschaft eine der größten Bedrohungen für die Vielfalt auf den Feldern. In endlosen Monokulturen finden Insekten und Vögel zu wenig zu fressen, unerwünschte Pflanzen werden weggespritzt. Doch das muss nicht so sein: Die folgenden vier Pioniere zeigen, wie eine Landwirtschaft im Einklang mit der Natur funktioniert.

    Christian Ringenberg: Inseln für den Moorfrosch

    Was er auf seinem Land in der Nähe von Greifswald anbaut, weiß Landwirt Christian Ringenberg genau: Raps, Weizen, Gerste, Mais, ein paar Zuckerrüben. Durch die Mitarbeit in der Greifswalder Agrarinitiative, in der Pächter und Landbesitzer seit einigen Jahren gemeinsam nachhaltiger werden wollen, wuchs Ringenbergs Neugier auf all das, was abseits der Fruchtfolge auf seinen Feldern los ist.

    Mit Naturschutzberaterin Nathalie Soethe aus dem Beirat der Agrarinitiative streifte er über seine Äcker. „Da wirtschaftet man jahrelang auf einer Fläche und weiß doch gar nicht, was da wächst“, erzählt der studierte Landwirt. „Das fand ich spannend.“ Sie setzten sich auf einem Rapsfeld an eines der Toteislöcher aus der Eiszeit. Lange waren sie still, dann hörten sie Rufe am Teich. Agrarwissenschaftlerin Soethe hatte die Tiere noch nie in der Natur gesehen, erkannte sie aber sofort: Moorfrösche.

    Ein Moorfrosch in einem Tümpel: Christian Ringenberg lässt auf seinen Feldern Moorfrosch-Inseln stehen, in denen die Tiere sich wohlfühlen.

    Nur wenige Tage im Frühjahr fallen die Moorfrosch-Männchen aus ihrer unscheinbaren Rolle: Zur Laichzeit färbt ihre Haut sich in einem intensiven Himmelblau – warum, wissen Biologen nicht genau.

    Die Zerstörung ihres Lebensraums durch den Menschen hat die Population dezimiert, sie stehen auf der Roten Liste. Zu DDR-Zeiten hatten die LPGs hier große, zusammenhängende Flächen geschaffen, die sich effektiv bewirtschaften lassen. Viele Sölle wurden eingeebnet und umgepflügt, doch einige Flächen blieben übersät von kleinen Wasserlöchern. An dreien von ihnen haben jetzt die Moorfrösche das Sagen. Rund um die Sölle stehen Randstreifen, sechs Meter breit, auf denen Sämaschine, Dünger und Pestizide tabu sind. Mit einem Crowdfunding auf dem Naturschutz-Marktplatz Agora Natura sucht Ringenberg Unterstützer, die sich an den Kosten dafür beteiligen, dass er acht Hektar Fläche aus der Nutzung nimmt.

    Die Moorfroschinseln haben das Denken des konventionell wirtschaftenden Landwirts verändert. „Es macht Spaß, gezielt etwas für die Natur zu tun“, erzählt er. Er freut sich an den Wildbienen und Hummeln, die dort unterwegs sind. Und es sei auch gut, mit Naturschützern, anderen Landwirten und Landbesitzern gemeinsame Lösungen zu finden. Auch wenn in dieser Gegend jeder Landwirt als verdächtig gilt, der mit den Grünen redet.

    Für die Moorfrösche lief es dieses Jahr nicht gut, erzählt Nathalie Soethe. Viele Kleingewässer und Gräben seien ausgetrocknet, auf freier Fläche habe sie keine Frösche mehr gefunden. „Ein Trauerspiel“, seufzt sie. Umso mehr müsse man darüber nachdenken, wie die Böden feucht bleiben. Sonst verschwänden nicht nur die Moorfrösche, sondern mit ihnen auch die Kraniche, die Insekten und die Wildkräuter.

    Martin Geng: Obstparadies ohne Spritzmittel

    Ein grauer Oktoberabend, die meisten sitzen wohl schon vor dem Fernseher. Martin Geng sitzt im Auto, um noch schnell Schrauben zu kaufen. „Unsere Saftpresse hat heute den Geist aufgegeben, morgen früh um sieben muss sie aber wieder laufen“, erzählt der Obstbauer aus Staufen südlich von Freiburg.

    Die Apfelernte im Markgräflerland ist in vollem Gange, rund 100 Tonnen Äpfel erntet Geng im Jahr. Was den Obstbauern dabei von den meisten Kollegen unterscheidet: Er spritzt nicht. Keine Mittel gegen Pilze, Unkraut und gefräßige Insekten? Keine der rund 30 Spritzkuren jährlich, mit denen deutsche Apfelbauern ihre Bäume im Schnitt behandeln? „Gar nichts“, sagt Geng.

    Streuobstwiese in Baden-Württemberg: Martin Geng zeigt, wie man Obst ohne Spritzmittel anbauen kann. Der Ertrag ist geringer, dafür gedeiht die Artenvielfalt.

    Streuobstwiese in Baden-Württemberg: Mit einem Marktanteil von 0,5 Prozent, erzählt Martin Geng, hat ungespritztes Obst im Handel Seltenheitswert – selbst bei Bio-Ware.

    Als Martin Geng nach fast drei Jahrzehnten in der Baubranche einige verwahrloste Streuobstwiesen aufkaufte und Obstbauer wurde, fragte er andere Landwirte, ob es nicht auch ohne Chemie gegen Schorf oder Blattläuse gehe. „Vergiss es“, haben die gesagt. „Ohne Spritzmittel funktioniert’s nicht.“ Hilfe fand der ahnungslose Quereinsteiger in alten Fachbüchern aus den Zeiten vor Glyphosat. „Damals war schließlich alles regional und bio“, sagt er. Im Buch „Die Freunde des Obstbauern“, erschienen 1907, fand er etwa heraus, dass gegen behaarte Raupen einzig und allein der Kuckuck hilft.

    Artenvielfalt ist für den Obstbauern mehr als schönes Beiwerk. Er könnte ohne tierische Unterstützung nicht überleben. Was die Nützlinge brauchen, sind Unterkunft, Versteck und Nahrung. Im Obstparadies Staufen hängen daher Hunderte von Nisthilfen für 40 Vogelarten und Fledermäuse. Umgedrehte Tontöpfe an den Ästen beherbergen Ohrenkneifer und Marienkäfer. Totholzplätze, blühende Wildobsthecken und angelegte Teiche ziehen Käfer, Schmetterlinge und Eidechsen an. Für die Bestäubung sorgen Hummeln und Wildbienen, die in abgestorbenen Bäumen ein Zuhause finden.

    Trotz aller Mühen sind die Erträge des Bioland-Betriebs deutlich niedriger als die der Apfelbarone in Südtirol oder am Bodensee, die bis zu 80 Tonnen pro Hektar ernten. Geng schafft mit seinen 5000 großkronigen Bäumen bestenfalls ein Fünftel der Menge. Doch er braucht für seine 30 Hektar auch weniger Maschinen, Diesel und Bewässerungstechnik – und keinen teuren Stickstoffdünger. Außerdem vermarktet der Familienbetrieb sein Obst von der Aprikose über die Indianerbanane bis zur Zwetschge selbst und geht so dem Preisdumping und den Ansprüchen der Handelsketten an makellose Früchte aus dem Weg.

    Christine Bajohr: Ganzheitliche Weidewirtschaft

    Kühe rülpsen Methan. Aber sind sie wirklich Klimakiller oder können sie vielleicht dazu beitragen, Klimafolgen abzufedern? Landwirtin Christine Bajohr aus dem Allgäu will das zusammen mit anderen Milchviehhaltern und Wissenschaftlern herausfinden. Der kleine Demeter-Betrieb, den sie mit ihrem Mann bewirtschaftet, liegt an einem Berghang. Ackerbau ist in der Grünlandregion nicht erlaubt und drei Viertel der Flächen sind so steil, dass er auch unmöglich wäre. Nach Regenperioden bricht dort immer wieder stellenweise Boden ein, weil der Hang die Wechsel von Dürre und extremen Niederschlägen nicht verträgt. Mit ihrem Projekt Kuh Pro Klima wollen sie Strategien testen, mit denen das Grünland resilienter für die Zukunft aufgestellt ist.

    „Funktionierende Grünlandökosysteme sind wichtige Kohlenstoffsenken“, sagt Bajohr. Aber dazu brauche es Kühe, Insekten und andere Lebewesen, die sich allesamt mit oder in Graslandschaften entwickelt haben. Neben der Produktion von Milch und Fleisch wird die Herde auch gezielt zur Verbesserung des Bodens, des Pflanzenbestands und der Lebensräume für Wildtiere eingesetzt.

    Auf den Weiden von Christine Bajohr gedeiht die Artenvielfalt: Im Projekt Kuh Pro Klima sucht die Landwirtin Wege, um Kühe klimafreundlich zu halten.

    „Funktionierende Grünlandökosysteme sind wichtige Kohlenstoffsenken“, sagt Christine Bajohr. Für dieses Grünland sorgt sie mit ihren Kühen.

    Das Konzept nennt sich „ganzheitlich geplante Beweidung“ und wird propagiert vom simbabwischen Ökologen Allan Savory. Es orientiert sich am natürlichen Weideverhalten von Herden. Meist bleiben die Kühe nur sehr kurz auf einer Parzelle. So wird Überweidung vermieden und es bleibt relativ viel Blattmasse stehen, die die Fotosynthese fördert und humusbildende Mikroorganismen versorgt. Die Kuhfladen sind ein Paradies für Würmer, Käfer und andere Insekten und bieten so Nahrung für Vögel.

    „Wenn wir wollen, dass unsere Kühe da draußen wirksam ihrer Arbeit nachgehen, müssen wir das richtige Habitat schaffen: Schutz, Schatten und ein vielfältiges Nahrungsangebot“, sagt Bajohr. „Das kommt der Artenvielfalt zugute, aber auch uns, weil wir dadurch Zeit, Geld und weitere Ressourcen sparen und gleichzeitig wichtige Ökosystemprozesse verbessern.“

    Margit Ziegler: Biogas-Blühfelder mit Hanf

    Einige Pflanzen musste Margit Ziegler selbst erst einmal nachschlagen. Vom Herzgespann hatte sie noch nie gehört. Auch die Eselsdistel oder die Schwarze Königskerze gehören nicht gerade zum Standardprogramm in der Landwirtschaft. Mittlerweile kennt die Landwirtin alle 30 mehrjährigen Wildpflanzen, die gemeinsam mit THC-freiem Hanf auf den Biogas-Blühfeldern stehen, die sie seit fünf Jahren mit ihrem Mann in Unterfranken bewirtschaftet.

    Früher haben sie auf den sieben Hektar Mais als Energiepflanze angebaut, konventionell. Bei der Suche nach Alternativen hörte Margit Ziegler von dem Blühflächen-Projekt der Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau. Sie war schnell überzeugt – mehr Biodiversität und Artenschutz klangen gut für sie. Auch die Tochter, die in den Betrieb einsteigen will, war begeistert. Als die Felder aber nach einigen trockenen Monaten immer noch ziemlich trostlos dastanden, empfahl die Beraterin: „Umbrechen, das wird nichts mehr.“ Und Zieglers Mann schimpfte: „Ihr Frauen mit euren Blumen, da muss man sich ja schämen, wie das aussieht.“

    Eine Holzbiene landet auf einer Eselsdistel: Margit Ziegler baut Blühpflanzen samt Hanf für Biogas-Anlagen an, in denen die Artenvielfalt gedeiht.

    Die Blaue Holzbiene fühlt sich auf der Eselsdistel viel wohler al in einer Mais-Monokultur.

    Margit Ziegler aber tat nichts – und nach ein paar Wochen des Abwartens und ein wenig Regen wuchs die Blühmischung doch. Es waren schließlich Pflanzen, die mit der Trockenheit in der Region gut zurechtkommen. Im zweiten Jahr riefen schon etliche Leute begeistert an und fragten: Was blüht denn da? Auch Zieglers Mann freut sich mittlerweile über 40 Vogelarten, Insekten, Wildbienen, Rebhühner – und Honig vom eigenen Blühfeld. Der BUND Naturschutz, nicht gerade für seine große Liebe zu Biogasanlagen bekannt, unterstützt die Blühfelder. Der bayerische Vorsitzende Kai Frobel ist überrascht von den positiven Ergebnissen: „Es gibt keine landwirtschaftliche Kultur, die so viel Artenreichtum und so viel Leben hervorbringt wie diese“, sagt er.

    Einmal im Jahr wird geerntet, dann landet das blühende und duftende Grünzeug in der Biogasanlage. „Da riecht es dann wie verrückt – nach ätherischen Ölen“, erzählt Margit Ziegler begeistert. Doch leider zeige sich hier auch der Haken an der Sache: Die Blühmischung ist weniger ergiebig als der verpönte Mais. „Man erntet weniger Biomasse und auch die Gasausbeute ist deutlich geringer“, erklärt Margit Ziegler. Damit sich der Anbau trotzdem lohnt, wird der Hanfmix 2023 im Bayerischen Kulturlandschaftsprogramm gefördert.

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