Artenschutz in Unternehmen

  • Search14.11.2022

Auf klimaneutral folgt biodiversitätsneutral

Die Wahrung der Artenvielfalt spielt in der Wirtschaft eine Nischenrolle. Doch das könnte sich im Zuge von Weltnaturgipfel und EU-Taxonomie ändern: Warum „Biodiversitätsneutralität“ genauso wichtig ist wie CO2-Neutralität.

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    Schmetterling-Streetart an einer Hausfassade: Gibt es Artenvielfalt bald nur noch auf Gemälden?

    In der Natur werden Schmetterlinge seltener. Zumindest an dieser Hausfassade haben sie einen Platz.

     

    Von Kathinka Burkhardt

    Es muss nicht immer der Eisbär sein. Wer ein Beispiel für bedrohte Arten sucht, muss nur auf die Lieblingsblume vieler Kinder schauen: den Löwenzahn. 400 Kleinarten davon gibt es, 30 stehen in Deutschland auf der Roten Liste und gelten als vom Aussterben bedroht. Eine ist der Deutsche Löwenzahn, den man nur noch in Hessen und Bayern findet. Er liebt stickstoffarme sumpfige Wiesen, doch die verschwinden zunehmend unter Siedlungen, Industriegebieten und Stickstoffdünger.

    Nun könnte man sagen: Was soll's, es gibt genügend andere Löwenzahnarten. Doch das wäre zu kurz gedacht. Denn Arten sterben fast nie für sich allein. Sie beeinflussen ganze Ökosysteme. Stirbt der Deutsche Löwenzahn, hungern die Insekten, die er mit Nektar versorgt hat. Im besten Fall wandern sie ab, im schlimmsten sterben die Arten ebenfalls aus.

    Und so wird es leerer auf der Erde. Eine Million Tier- und Pflanzenarten könnten in den nächsten Jahrzehnten weltweit aussterben, warnt der Weltbiodiversitätsrat IPBES, das Pendant zum Weltklimarat IPCC. Dabei ist die Zerstörung der Ökosysteme mindestens genauso gefährlich wie die Erderwärmung. Denn der Mensch riskiert damit seine eigene Lebensgrundlage. Nur ein Beispiel: Jahr um Jahr sinken die Weizenerträge in Europa leicht, weil die Böden durch intensive Bewirtschaftung und schwindende Artenvielfalt weniger leistungsfähig sind.

    Selbst ein Überlebenskünstler wie der Löwenzahn findet immer weniger Platz, auch wenn ihm wenig Raum wie hier zwischen Gehwegsteinen genügt.

    Überlebenskünstler? Der Löwenzahn hat es schwer in zugebauten Landschaften.

    Doch während sich Politik und Gesellschaft seit Jahrzehnten auf den Klimaschutz konzentrieren und immer mehr Unternehmen CO2-Strategien entwickeln, spielt der Artenschutz gerade in der Wirtschaft bislang kaum eine Rolle.

    Allmählich jedoch zeichnet sich ein Wandel ab. Künftig wird es für Unternehmen nicht allein um Klimaneutralität gehen. Immer öfter ist von einer „Nature-positive Economy“ die Rede, von einer Wirtschaftsform, von der die Natur profitieren soll. Im Deutschen fällt zunehmend auch der Begriff der „Biodiversitätsneutralität“, wenn es um Investitionen geht. Welchen Einfluss hat der Bau einer Konzernzentrale oder einer Fabrik auf das Ökosystem vor Ort? Wie lang lässt sich ein Lebensmittel auf einer Fläche anbauen? Welche Lebensräume werden durch die Förderung eines Rohstoffes zerstört? Fragen, die früher kaum jemanden interessierten, finden Einzug in die Unternehmensstrategie.

    Klimaneutralität ist bekannt. Aber was ist Biodiversitätsneutralität?

    Doch was genau meint der Begriff Biodiversitätsneutralität? Und wie misst man Fortschritte auf dem Weg zu diesem Ziel? Jedwede Veränderung eines Ökosystems hat unumkehrbare Auswirkungen wie das Beispiel Löwenzahn zeigt. Anders als der CO2-Ausstoß lassen sich diese Auswirkungen aber nicht in Zahlen fassen. Trotzdem lässt sich das Ziel klar definieren, wie die Nachhaltigkeitsexpertin Angela McClellan von der Unternehmensberatung PwC erklärt: „Während das Ziel für das Klima lautet, durch CO2-Neutralität die globale Erwärmung unter zwei Prozent zu halten, wäre ein gleichwertiges Ziel in Bezug auf Biodiversität, bis 2030 ,netto-natur-positiv‘ zu sein, das heißt den Verlust der Artenvielfalt und Biosysteme komplett zu stoppen, um dann bis 2050 eine Erholung der Biodiversität zu erreichen“, sagt McClellan.

    Dieses Ziel ist im Grunde noch dringlicher als der Klimaschutz. Denn während die menschengemachte Erderwärmung zumindest in der Theorie umkehrbar ist, indem Treibhausgase aus der Atmosphäre geholt werden, sind einmal ausgestorbene Arten für immer verloren.

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    Was uns die Natur gibt, also die sogenannten Ökosystemdienstleistungen, sind die Dividenden oder Zinsen der Natur. Von ihnen leben wir

    Angela McClellan, Nachhaltigkeitsexpertin bei PwC

    Artenschutz ist dabei mehr als eine moralische Verpflichtung des Menschen, er ist auch ein Gebot ökonomischer Vernunft. „Wir sprechen gerne von der Natur und ihren endlichen sowie unendlichen Ressourcen als eine Art Treuhandfonds“, sagt McClellan. „Was uns die Natur gibt, also die sogenannten Ökosystemdienstleistungen wie Lebensmittel, sauberes Wasser oder Baumaterialien, sind die Dividenden oder Zinsen der Natur. Von ihnen leben wir“, sagt McClellan.

    Entnehmen die Menschen zu viel Naturkapital, indem sie etwa zu viele Bäume abholzen oder die Meere leer fischen, gibt es keine Dividende mehr und auch das Kapital schrumpft. Damit bliebe für alle Menschen immer weniger übrig und die Lebensverhältnisse verschlechterten sich, so die PwC-Expertin.

    In drei Wochen beginnt der Weltnaturgipfel – ein Meilenstein im Artenschutz?

    Genau das soll ab dem 7. Dezember im kanadischen Montreal auf dem Weltnaturgipfel verhindert werden, offizieller Titel: 15. Vertragsstaatenkonferenz (COP15) der Konvention über Biologische Vielfalt. 190 Mitgliedsstaaten wollen sich dann auf ein global verbindliches Rahmenabkommen zum Schutz der Ökosysteme und zur nachhaltigen Nutzung der Natur einigen, ähnlich dem Pariser Abkommen.

    Montreal ist Tagungsort des Weltnaturgipfels COP-15 im Dezember 2022: Einigt sich die Staatengemeinschaft dort auf ein verbindliches Abkommen?

    Im Dezember kommen im kanadischen Montreal Vertreter von 190 Staaten zum Weltnaturgipfel (COP 15) zusammen. Naturschützer erhoffen sich ein verbindliches Abkommen, ähnlich dem Pariser Klimagipfel von 2015.

    Unter anderem soll die Verwendung von Pestiziden bis 2030 um zwei Drittel verringert und die Belastung der Umwelt durch Plastikmüll gestoppt werden. Ein zentraler Punkt ist, 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen zu gleichen Teilen unter Schutz zu stellen, gesunde Ökosysteme und Wildgebiete zu erhalten und diejenigen, die aus dem Gleichgewicht gekommen sind, instand zu setzen. Daraus werden Maßnahmen in den einzelnen Mitgliedsstaaten folgen – wobei die EU schon begonnen hat, Biodiversität besser zu schützen.

    Erst vergangene Woche hat das EU-Parlament die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) mit großer Mehrheit beschlossen, durch die bereits ab 2024 alle großen Unternehmen der EU mit mehr als 500 Mitarbeitern ihre Geschäftsaktivitäten nun auch mit Blick auf Biodiversität darlegen müssen. „Das ist sehr weitreichend, weil die CSRD das Prinzip der doppelten Materialität anwendet, das heißt: Unternehmen müssen nicht mehr nur die Risiken ihrer Geschäfte in Bezug auf ESG-Kriterien und somit auch Biodiversität offenlegen, sondern auch wie groß der Einfluss ihrer eigenen Aktivitäten auf Menschen und Umwelt ist“, erklärt McClellan.

    Die Taxonomie wird strenger: Sie macht Biodiversität zum Thema am Finanzmarkt

    Gleichzeitig rückt der Schutz der Biodiversität durch die EU-Taxonomie in den Fokus. Das Regelwerk soll mehr Geld in nachhaltige Geschäfte lenken. Seit Anfang des Jahres gelten Investitionen von Finanzinvestoren nur dann als nachhaltig, wenn sie die ersten beiden Kategorien der Taxonomie berücksichtigen: Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel. Ab 2023 folgen die übrigen Umweltziele der Taxonomie, darunter die Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme.

    Vor allem die CSRD-Berichtspflicht setzt die Finanzbranche unter Druck. Und das über die EU-Grenzen hinaus: Denn auch internationale Finanzinstitute müssen für ihre Unternehmungen in Europa Berichte abgeben und dabei sämtliche Aktivitäten weltweit berücksichtigen. Kritiker fürchten, dass dies Unternehmen abschrecken könnte, da etwa ein asiatischer Konzern durch eine einzelne Investition in Europa zur Berichterstattung über alle Geschäfte in seinem Heimatland verpflichtet wäre. Für die Artenvielfalt ist das Instrumentarium aber ein Gewinn, da es der Biodiversität globale Strahlkraft verleiht.

    Viele Unternehmen engagieren sich bereits heute im Umweltschutz und versuchen durch Aufforstungs- und Renaturierungsprojekte, negative Effekte auszugleichen. Mit der neuen Regulierung dürften die Einflüsse der eigenen Produktionen und Investitionen auf Tiere, Pflanzen und Ökosysteme noch größere Beachtung finden.

    Gerade Unternehmen aus den erneuerbaren Energien stellt der Artenschutz allerdings mitunter vor ein Dilemma. Denn der Ausbau von Technologien wie Windenergie oder Wasserkraft kann Ökosysteme und die Artenvielfalt gefährden. Der Offshore-Wind-Konzern Ørsted, der hinter dem Portal EnergieWinde steht, ist deshalb eine Kooperation mit dem WWF zur Förderung der Meeresbiodiversität eingegangen. „Wenn Offshore-Windprojekte richtig umgesetzt werden, können sie die Biodiversität der Ozeane fördern, die Gesundheit der Meere verbessern und dadurch sowohl den Klimawandel als auch den Verlust der Artenvielfalt bekämpfen“, sagt CEO Mads Nipper.

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