Tatort Energiewende: Die Bremer Kommissare Lürsen und Stedefreund ermitteln in der Folge „Wer Wind erntet, sät Sturm“ in der Umweltbewegung.
Naturschutz versus Klimaschutz
- 01.09.2015
Das grüne Dilemma
Von Helmut Monkenbusch
Natürlich hat Kim Detloff am 14. Juni 2015 vor dem Fernseher gesessen. Es war Sonntag, 20.15 Uhr, „Tatort“-Zeit.
Der Krimi von Radio Bremen „Wer Wind erntet, sät Sturm“ drehte sich um seine Branche, den Umweltschutz, und um einen Konflikt, der seit der Energiewende schärfer ausgetragen wird: Ökos gegen Ökos. Naturschützer gegen Klimaretter.
Der Film fragte: Wer von beiden ist eigentlich der Gute? Detloff, Leiter Meeresschutz beim Naturschutzbund (Nabu), gefiel durchaus, dass der Film das Thema Vogelschlag in Windparks für ein Millionenpublikum aufgriff.
Für seinen Geschmack gab es dann aber zu viele Morde, sagt er. Auch dass am Ende alle mehr oder weniger korrupt waren, Windparkbetreiber, Investoren, Umweltaktivisten, fand Detloff übertrieben.
Anlässlich des „Tatorts“ hatte der Nabu im Internet einen Faktencheck bereitgestellt und darin auf einige „inhaltliche Fehler“ im Film hingewiesen. Zum Beispiel auf die Behauptung, Umweltverbände würden Zertifikate, eine Art Ökosiegel, für Offshore-Windparks vergeben.
Dass dies nicht der Fall ist, sagt Detloff, müsse er seit der Ausstrahlung immer wieder klarstellen. Schlimmer noch: Der kolportagehaft verdichtete Krimi warf den Verbänden vor, käuflich zu sein, und nahm zum Beweis Bezug auf einen Fall aus dem Jahr 2013.
Ablasshandel für Umweltsünden?
Damals hatte der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) eine Klage gegen den Windpark Nordergründe gegen eine Zahlung von 800.000 Euro zurückgenommen. Das Geld floss in eine Stiftung, die von Mitgliedern des BUND verwaltet wird. Einer der Gründerväter, Ennoch zu Guttenberg, war daraufhin aus dem Naturschutzbund ausgetreten.
„Das ist moderner grüner Ablasshandel“, meint der Bremer Autor des „Tatorts“, der investigative Journalist Wilfried Huismann. „Wir haben uns in der Branche umgehört und festgestellt, dass der Klageverzicht im Fall Nordergründe kein Einzelfall ist, sondern gängiges Geschäftsmodell.“
Seit dem Bremer „Tatort“ muss Kim Detloff vom Nabu immer wieder falsche Behauptungen klarstellen und den Vorwurf zurückweisen, Umweltschutzverbände seien käuflich.
Allen Beteuerungen zum Trotz sind Klima- und Naturschützer keine natürlichen Verbündeten. Erstere verfolgen das industriepolitische Ziel, die erneuerbaren Energien im Interesse des Gemeinwohls so weit auszubauen, dass sie 2050 – gemessen am Bruttostromverbrauch – 80 Prozent des Stroms erzeugen. Lokale Flurschäden fallen in ihren Augen mitunter nicht so ins Gewicht.
Letztere sorgen sich darum, dass beim ansonsten begrüßenswerten Umbau der Energiewirtschaft der heimische Schweinswal oder der akut vom Aussterben bedrohte Schreiadler nicht komplett unter die Räder kommen.
Der Betreiber eines Windparks baut seine Anlagen, wo der meiste Wind weht. Er ist nur schwer zu überzeugen, sie woanders hinzustellen, wo sie zwar naturverträglicher, dafür aber weniger rentabel laufen
Eric Neuling, Nabu
Rein ökologisch betrachtet „hängt natürlich beides voneinander ab“, sagt Eric Neuling, Referent für Stromnetze und Naturschutz beim Nabu. „Wir können einen erfolgreichen Klimaschutz nur machen, wenn wir auch unsere Wälder und Meere erhalten. Gleichzeitig sind unsere Naturschutzaktivitäten abhängig von klimatischen Bedingungen wie Temperaturen oder Niederschlägen“, sagt der Nabu-Mann.
Aber Klimaschutz muss sich auch wirtschaftlich lohnen. „Der Betreiber eines Windparks baut seine Anlagen dort, wo der meiste Wind weht“, so Neuling. „Und er ist nur schwer zu überzeugen, die Windräder woanders hinzustellen, wo sie zwar naturverträglicher, dafür aber weniger rentabel laufen.“
Gerichte suchen Kompromisse
Umweltschutzverbände stecken in einem grünen Dilemma: Sie befürworten zwar den Ausstieg aus Atom und Kohle generell – sie blockieren ihn aber, wenn dabei die Natur Schaden nimmt. Es ist ein Konflikt, der immer häufiger die Gerichte beschäftigt, wo Kompromisse ausgehandelt und Eingriffe in die Umwelt in Euro aufgewogen werden.
Ist es so, als zerrte man ein Familienmitglied vor den Richter? „So dachten anfangs viele beim Nabu“, sagt Kim Detloff. „Wir haben intern viele kontroverse Diskussionen geführt, bis wir dahin gekommen sind, auch kritisch mit erneuerbaren Energie umzugehen und im Einzelfall sogar Klage einzureichen.
Seit diesem März klagt der Verband zum Beispiel gegen die Genehmigung eines Parks an Land mit 16 Windrädern in Jördenstorf im Landkreis Rostock. Der Grund: In der unmittelbaren Umgebung der geplanten Anlagen leben Schreiadler. Nur noch 100 Paare dieser kleinen Adler Art brüten in Deutschland. „Es war ein langer schmerzlicher Prozess, bis wir uns einen solchen Schritt getraut haben“, sagt Detloff.
Eine weitere Klage führt der Nabu seit Januar gegen den Bau des Windparks Heddinghäuser Haar. Denn der sei vom zuständigen Kreis Soest in NRW ohne vorherige Umweltverträglichkeitsprüfung genehmigt worden. Es sei zu befürchten, dass der Wachtelkönig einen wichtigen Lebensraum verliert. Gefährdet sei auch der in der Nähe vorkommende Rotmilan.
Diese Greifvogelart ist „besonders windkraftsensibel“, erklärt Neuling. „Fast drei Prozent des Bestands etwa in Brandenburg kommen in Windkraftanlagen um.“ Weitere Gefahrenquelle für Vögel sind die Stromleitungen. „In den vogelreichsten Gebieten zählen wir im Jahr bis zu 700 Kollisionsopfer pro Leitungskilometer.“
Weil seine Organisation sich schwertue, gegen Projekte regenerativer Energie vorzugehen, so Detloff, habe man erst im April letzten Jahres ein gerichtliches Verfahren gegen den Windpark Butendiek, 32 Kilometer westlich von Sylt eingeleitet.
Rotmilan mit Beute: Der Greifvogel ist selten geworden in Deutschland. Er gilt als „besonders windkraftsensibel“.
Angeklagt ist nicht der Windparkbetreiber wpd, wie der Meeresschützer erklärt, sondern die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesamt für Naturschutz (BfN). Das lehnt aber jede Verantwortung ab und verweist an die rechtliche Zuständigkeit des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrografie (BSH). Die Hamburger Behörde habe schließlich die Genehmigung erteilt, den Park „in der Kinderstube des Nordsee-Schweinswals“ (Detloff) in den Meeresboden zu rammen.
Deshalb führen die Aktivisten ein Doppelverfahren: zum einen auf Vermeidung weiterer Umweltschäden gegen das BSH, zum anderen auf Sanierung der bereits eingetretenen Schäden gegen das BfN.
„Wäre das Thema nicht so traurig, könnte man über diese Posse nur den Kopf schütteln“, sagt Detloff. Die beiden zuständigen Behörden hätten sich den Ball zugespielt, gleichzeitig geschah im Sylter Außenriff „eine ökologische Katastrophe“. Der Baulärm habe Deutschlands einzige Walart in großer Zahl aus ihrem Schutzgebiet vertrieben (was vom BSH bezweifelt wird). Außerdem würden die äußerst störanfälligen Stern- und Prachttaucher ein wichtiges Rast- und Überwinterungsgebiet verlieren.
„Beim Schweinswalschutz ist das Kind in den Brunnen gefallen“
An dieser „Posse“ trägt der Nabu allerdings Mitschuld. Denn dessen Klage kam „sehr spät“, wie Detloff einräumen muss. Der Windpark Butendiek wurde bereits im Dezember 2002 genehmigt, erst zwei Jahre später wurde das Areal zum Schutzgebiet der Europäischen Union erklärt.
„Die Genehmigungen des Offshore Windparks erfolgte auf Basis der jeweils geltenden Rechtslage“, teilt das BSH mit. „Obwohl zum Zeitpunkt der Genehmigung das Gebiet noch nicht als Flora-Fauna-Habitat-Gebiet beziehungsweise als Vogelschutzgebiet ausgewiesen war, hat das BSH bei der Prüfung diese erhöhten Anforderungen an den Schutz der marinen Umwelt zugrunde gelegt.“ Auch der Projektierer wpd pochte über die Jahre auf die rechtliche Bestandskraft der Genehmigung und begann längst mit dem Bau seines auf 80 Windräder geplanten Offshore-Parks. In diesem Februar gingen die ersten 24 Anlagen in Betrieb.
„Beim Schweinswalschutz ist das Kind in den Brunnen gefallen“, sagt Detloff. „Für sie ist die Bauphase besonders gefährlich.“ Jetzt könne man nur noch „relativ wenig“ bewirken. Ein Kompromiss zum Schutz der Seetaucher könnte darin bestehen, nicht alle Turbinen und Rotorblätter aufzusetzen und die Fläche des Parks zu verkleinern, um den Schaden zu minimieren.
Eine solche Übereinkunft habe er persönlich aber noch niemals erzielen können. Dennoch, einen „faulen Kompromiss“ in Form von Kompensationsmaßnahmen an anderer Stelle dürfe es im Fall Butendiek nicht geben. „Sonst machen wir uns unglaubwürdig. In Schutzgebieten haben Windkraftwerke nichts zu suchen.“
Auf Ausgleichsmaßnahmen und -zahlungen versteht sich nicht nur der BUND, auch der Nabu schlägt für die Natur immer wieder Geld heraus. „Wenn die Kasse stimmt, machen Ökolobbyisten beim Umweltschutz schon mal Zugeständnisse“, schrieb der „Spiegel“ im März 2013 und listete angebliche Arrangements mit der Industrie auf.
Am Ende eines langen Rechtstreits um einen Windpark im hessischen Vogelsberg zahlten die Betreiber 500.000 Euro in einen Naturfonds ein, den die Nabu-Stiftung Hessisches Naturerbe verwalten soll. Das Geld soll besonders dem Rotmilan zugutekommen. Projektname: „Mäuse für den Milan.“
Daimler überwies dem Nabu Baden-Württemberg eine Spende 920.000 Euro zur Wiederbelebung früherer Moorgebiete. Dass es einen Zusammenhang gibt mit der Baugenehmigung für eine umstrittene Autoteststrecke, bestreiten beide Seiten.
Die Erfolgsquote bei Verbandsklagen ist hoch
Normalerweise kann eine Klage nur führen, wer die Verletzung eines eigenen Rechts geltend machen kann. Eine Ausnahme gilt für Umweltverbände: Die Verbandsklage ermöglicht es ihnen inzwischen bundesweit, in die Rolle eines Anwaltes der Natur zu schlüpfen und im Namen bedrohter Tiere und Pflanzen den Gerichtsweg zu beschreiten.Dieses eingeräumte Privileg hat keineswegs eine Flut von Prozessen ausgelöst, wie das BfN in einer Studie herausfand. Umwelt- und Naturschutzverbände klagen in durchschnittlich 29 Fällen pro Jahr vor deutschen Verwaltungsgerichten. Diese Zahl ist seit 10 Jahren nahezu konstant.
Wir überlegen uns sehr gut, ob wir eine große Geldsumme in die Hand nehmen und ein Verfahren über Jahre durch mehrere Instanzen kämpfen“, sagt Detloff. „Aber wenn wir dann vor Gericht ziehen, meinen wir gute Gewinnchancen zu haben.“
Die Erfolgsquote bei Verbandsklagen ist auffallend hoch: Sie betrug im Zeitraum 2007 bis 2012 knapp 45 Prozent. Wer mit einem Bau in die Natur eingreift, muss zum Ausgleich etwas für die Umwelt tun (lesen Sie dazu „Achtung, Krötenwanderung“). Dies schreiben die Behörden so vor.
Halten danach die Umweltverbände die Hände auf und bitten ein weiteres Mal um eine Kompensationsleistung? Detloff: „Die Klagemöglichkeit ergibt sich ja erst, wenn wir wirklich grobe Verfahrensfehler nachweisen.“ Auch wenn diese lange Zeit zurückliegen.
Wir wissen heute, dass viele dieser alten Standorte naturschutzfachlich ungeeignet sind
Kim Detloff
Im Jahr 2000 hatten Investoren begonnen, Claims in Nord- und Ostsee abzustecken. Sie suchten sich Baugründe im Meer aus und gaben sie später an Windparkprojektierer wie wpd weiter. „Wir wissen heute, dass viele dieser alten Standorte naturschutzfachlich ungeeignet sind“, sagt Detloff.
Wie zum Beispiel Butendiek. Aber auch die Genehmigungen für die Parks „Dan Tysk“ und „Amrumbank West“ sowie „Borkum Riffgrund II“ hätte der Bund seiner Meinung nach nicht erteilen dürfen. „Es sind viele Kröten, die wir schlucken müssen.“
So bleibt dem Meeresschützer Detloff am Ende nicht mehr, als ein Appell an die Klimaschützer und Offshore-Branche zu richten: „Betrachtet die Gefahren für Nord- und Ostsee kumulativ!“ Beide Gewässer seien schon heute überbelastet. Durch die zivile und militärische Schifffahrt, Sand- und Kiesabbau, Fischerei und Plastikmüll.
Wer jetzt fordere, 20 Prozent der Flächen mit Windparks zuzubauen, verkenne die ökologische Situation.