Am Boden: Der Ausbau der Windenergie an Land kommt nur noch schleppend voran.
AG Akzeptanz vor Abschlussbericht
- 16.04.2019
Zwischen Kompromiss und Krawall
Von Gregor Kessler
Eigentlich war der 29. Januar ein solider Tag für die deutsche Windkraft. Mit knapp 20 Prozent lag ihr Anteil an der Stromerzeugung an diesem Dienstag voll im Schnitt. Nachrichtlich aber war es ein schwarzer Tag. Die Branchenverbände BWE und VDMA Power Systems legten in Berlin die schwächste Bilanz seit Jahren vor. Mit 2,4 Gigawatt ist 2018 in Deutschland nicht mal halb so viel an Windkapazität dazugekommen wie im Vorjahr, das entspricht wenig mehr als zwei Kohlekraftwerken. Schlimmer noch: Besserung ist nicht in Sicht. Für das laufende Jahr rechnet die Branche mit kaum zwei Gigawatt an neuen Anlagen.
Ein Hauptgrund für den Absturz ist dabei kein Geheimnis: Bis vor wenigen Jahren konnte nahezu jedes genehmigte Windrad auch gebaut werden. Doch „seit 2014 nehmen die Klagen stetig zu“, sagt BWE-Geschäftsführer Wolfram Axthelm gegenüber EnergieWinde. „Inzwischen wird gegen 80 Prozent der Genehmigungen geklagt.“ Fast immer geht es dabei um den Artenschutz. Weil die Verfahren im Schnitt drei Jahre dauern, hängt der Ausbau hinterher.
„Not In My Backyard“: Anwohnerproteste legen viele Windparkprojekte lahm
Während die breite Unterstützung in der Bevölkerung für saubere erneuerbare Energien insgesamt ungebrochen ist, organisiert sich der Widerstand vor Ort immer effektiver. Früher nannte man das Phänomen „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.“ Heute heißt es NIMBY, Not In My Backyard. Der Bundesregierung ist es wohl bekannt. Schon als sie im Koalitionsvertrag das Ziel festlegt, den Anteil der Erneuerbaren am Stromverbrauch bis zum Jahr 2030 von heute knapp 40 auf 65 Prozent zu steigern, dämmert einigen: Das wird nicht ohne Probleme ablaufen. Schließlich wird der Strombedarf mit einer schnell wachsenden Zahl E-Autos und einer parallel laufenden Elektrifizierung der Wärmeversorgung im kommenden Jahrzehnt deutlich steigen.
Auch deshalb hat die Koalition zusammen mit dem Energiesammelgesetz im vergangenen Herbst einen neuen Arbeitskreis eingesetzt: Die AG Akzeptanz, so heißt es in einer Vereinbarung vom 30. Oktober, soll „Maßnahmen zur Steigerung der Akzeptanz bei der Windkraft an Land beraten“. Denn mit dem aktuell gebremsten Ausbautempo wird die Energiewende ihre Ziele deutlich verfehlen.
Die AG Akzeptanz ist kaum bekannt – im Gegensatz zur Kohlekommission
Während Gremien wie die Verkehrs- oder die Kohlekommission in den vergangenen Monaten breite Beachtung fanden, agiert die AG Akzeptanz weitgehend unbemerkt. Ihre Besetzung gleicht einem verkappten Koalitionsausschuss. Die Unionsdelegation mit vier Bundestagsabgeordneten wird vom energiepolitischen Fraktionssprecher Joachim Pfeiffer geleitet, das sozialdemokratische Quartett von Pfeiffers SPD-Pendant Bernd Westpfahl.
Hinter dem Auftrag der AG verbirgt sich weit mehr als eine Imagekampagne, weshalb sie inzwischen auch „AG Akzeptanz & Energiewende“ heißt. Unter den Fragen der Akzeptanz geht es etwa um künftig geltende Abstandsregeln, aber auch darum, wie viel der Wertschöpfung eines Solar- oder Windparks in den jeweiligen Kommunen hängen bleibt.
Der Abschlussbericht dürfte sich in der nächsten EEG-Novelle wiederfinden
Zusätzlich bearbeitet die Gruppe zwei weitere, energiepolitisch ebenfalls zentrale Blöcke: Zum einen die Bedingungen, unter denen Erneuerbare künftig in Deutschland gefördert werden sollen. Damit bereitet die AG vermutlich nicht die nächste Überarbeitung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) vor, aber sie sucht einen Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Positionen bei Union und SPD, etwa bei den unterschiedlichen Ideen zur Marktprämie.
Zum anderen geht es um das Ziel, den Anteil der Erneuerbaren am Energiemix in den kommenden elf Jahren auf 65 Prozent zu steigern. Im Koalitionsvertrag, so werden Unionspolitiker nicht müde zu betonen, wurde das Ziel schließlich geknüpft an Bedingungen wie den Ausbau des Stromnetzes. Und selbst wenn man die 65 Prozent erreichen will, lässt sich immer noch trefflich darüber streiten, wie viel an Wind, Sonne, Biomasse oder Wasserkraft in welchem Jahr zugebaut werden soll.
Dabei landet man schnell beim Ausbaudeckel von 15.000 Megawatt für Offshore-Wind, den vor allem Niedersachsen mit seiner starken Windenergiebranche gern los wäre. „Wenn ich mitbekomme, dass in diesem Kreis über ein Ausbauziel von 17.500 Megawatt bis 2030 nachgedacht wird, kann ich nur sagen, dass die Industrie davon so gut wie nicht profitieren wird“, schimpfte vor wenigen Tagen Niedersachsens Energie- und Umweltminister Olaf Lies auf die AG.
Offshore-Windparks wie Global Tech 1 in der Nordsee könnten den schleppenden Ausbau an Land kompensieren. Doch dazu wären ehrgeizigere Ausbauziele nötig.
Inzwischen, schreiben Fachmedien wie „Energie & Management“, habe sich die AG auf einen Deckel von 17.000 Megawatt geeinigt. Das aber wird kaum reichen, um den schleppenden Ausbau an Land wett zu machen.
All dies und ganz besonders die Debatte über die Abstandsregeln für Windräder an Land bietet Stoff für Konflikte – wie inzwischen deutlich wird. In den vergangenen Wochen wurden Sitzungstermine ersatzlos gestrichen, das Treffen, das einen gemeinsamen Zwischenbericht erstellen sollte, endete ergebnislos. Insbesondere die Union bremse den Ausbau der Windenergie, heißt es. Entsprechend wurde der Vorsatz kassiert, bis Ende März Ergebnisse vorzulegen.
Derzeit ist der Plan, bis zum 18. April zu einem Abschluss zu kommen, also noch vor Ostern. „Wir wissen ziemlich zuverlässig, dass es in der Unionsfraktion 50 bis 60 Abgeordnete gibt, deren größtes politisches Ziel es ist, jeglichen Windkraftausbau in Deutschland zu stoppen“, sagte etwa Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter vergangene Woche bei einer Offshore-Wind-Veranstaltung in Berlin.
Am Ende muss ein Vorschlagspaket stehen, mit dem das 65-Prozent-Ziel des Koalitionsvertrags glaubwürdig bleibt
Wolfram Axthelm, Geschäftsführer des BWE
Als einer der geladenen Sachverständigen der AG bescheinigt BWE-Geschäftsführer Axthelm dem Gremium höflich „eine hohe Ernsthaftigkeit“, unterstreicht aber klipp und klar die Erwartung, dass „am Ende ein Vorschlagspaket stehen muss, mit dem das 65-Prozent-Ziel des Koalitionsvertrags glaubwürdig bleibt“.
Darauf mag Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer schon nicht mehr hoffen. „Bei der Kohlekommission warten wir immer noch auf die Umsetzung der Ergebnisse. Die Verkehrskommission wird gezielt ausgebremst. Auch an den Ergebnissen der AG Akzeptanz hat die Bundesregierung offensichtlich kein Interesse“, so Krischer. „Dabei bräuchten wir dringend einen ambitionierteren Ausbau der erneuerbaren Energien.“
Endet die AG-Arbeit ergebnislos, dürfte das Thema hocheskaliert werden bis zu den Fraktionsvorsitzenden. Vielleicht findet es sogar Eingang auf die stetig wachsende Agenda des frisch eingesetzten Klimakabinetts. Der Fortgang der Energiewende würde sich dann einreihen in die losen Enden der Kohlekommission und die offenen Fragen der Verkehrskommission – und den Eindruck verstärken, dass die Große Koalition bei der großen Frage des Klimaschutzes sehr kleinmütig wirkt.