Biodiversität

  • Search02.11.2023

Wie sich Artenschutz für Unternehmen auszahlt

Das Artensterben bedroht Unternehmen nicht weniger als der Klimawandel. In ihren Geschäftsplänen spielt es jedoch keine Rolle. Experten halten das für kurzsichtig – und erste Vorreiter steuern um.

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    Eine männliche Knoblauchkröte schwimmt durch ein Gewässer in Bayern. Die Art gilt in Deutschland als stark gefährdet.

    Die Knoblauchkröte gilt als stark gefährdet, ihr Lebensraum schwindet. Dieses Männchen schwimmt durch ein Gewässer in Bayern.

     

    Von Volker Kühn

    Wenn ein Unternehmer Tiere wie die Mopsfledermaus, den Juchtenkäfer oder das Tüpfelsumpfhuhn kennt, ist das selten ein gutes Zeichen fürs Geschäft. Oft bedeutet es nämlich, dass Naturschützer bedrohte Tierarten wie diese genau dort entdeckt haben, wo er gerade eine neue Lagerhalle oder einen zusätzlichen Produktionsstandort plant. Meist folgt dann eine Klage, und der Schriftverkehr wird für den Unternehmer zur unfreiwilligen Einführung in das Brutverhalten der Rohrdommel oder den Standortanspruch der Knoblauchkröte.

    Solche Geschichten gibt es überall in Deutschland. Man kann sie aus zwei Blickwinkeln betrachten: Der erste ist der des Unternehmens, das die neue Halle braucht, die sich vielleicht effizienter bewirtschaften lässt oder weniger Energie benötigt als die alte. In jedem Fall soll sie die Zukunft der Firma und ihrer Arbeitsplätze sichern. Sind Jobs etwa weniger wert als eine lokale Käferpopulation?

    Für den zweiten Blickwinkel, den von Naturschützern, muss man den Wert der Artenvielfalt kennen. Ökologen zufolge kann man ihn gar nicht zu hoch ansetzen. Denn die Natur schenkt dem Menschen Dinge, für die er höchstens in kleinem Maßstab selbst sorgen könnte, aber niemals in globalen Dimensionen. Sie gibt ihm Sauerstoff zum Atmen, reinigt sein Trinkwasser, macht Äcker fruchtbar. Letztlich beruht der komplette Wohlstand des Menschen auf dem, was ihm das komplexe Zusammenspiel unzähliger Arten und Ökosysteme gibt – ohne dass er dafür bezahlen müsste.

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    Beim Klimawandel geht es um die Frage, wie wir in Zukunft leben. Beim Artensterben ist die Frage, ob wir in Zukunft überhaupt noch leben

    Frauke Fischer, Biologin und Unternehmensberaterin

    Das Problem: Was kostenlos ist, lässt sich schlecht in Bilanzen und Risikoplänen verbuchen. Anders als die Klimakrise, die in Form steigender CO2-Kosten längst eingepreist wird, ist das dramatisch beschleunigte Artensterben daher für die meisten Unternehmen kein wirtschaftlicher Faktor. Ökologen halten das für fahrlässig. „Beim Klimawandel geht es um die Frage, wie wir in Zukunft leben. Beim Artensterben ist die Frage, ob wir in Zukunft überhaupt noch leben“, sagt die Biologin und Unternehmensberaterin Frauke Fischer. „Jeder von uns hat deshalb ein existenzielles Interesse, die Artenvielfalt zu bewahren, Einzelpersonen genauso wie Unternehmen.“

    Die Mopsfledermaus zählt zu den seltensten Fledermausarten in Deutschland und ist akut vom Aussterben bedroht. Schuld daran sind vor allem Pflanzenschutzmittel in der Landwirtschaft.

    Die Mopsfledermaus zählt zu den seltensten Fledermausarten in Deutschland und ist akut vom Aussterben bedroht. Schuld daran sind vor allem Pflanzenschutzmittel in der Landwirtschaft.

    Diese Erkenntnis hält allmählich Einzug in die Geschäftswelt, wenn auch langsam. Noch sind die Beispiele rar, doch Vorreiter, die sich Artenschutz auf die Fahnen schreiben, finden sich in jeder Branche und Firmen aller Größen. Da ist der Luxuskonzern LVMH mit Marken wie Luis Vuitton und Dior, der seine negativen Einflüsse auf die Artenvielfalt ausgleichen und ab 2030 „biodiversitätsneutral“ sein will. Da ist der Saftproduzent Ostmost, der in artenreichen Streuobstwiesen von Hand ernten lässt, statt mit Maschinen Monokulturplantagen zu bewirtschaften. Da ist der Chemiehersteller Dr. Reckhaus, der dabei ist, sich vom Insektenvernichter zum Insektenschützer zu wandeln. Und da sind Mittelständler überall im Land, die triste Rasenflächen in Blühwiesen verwandeln.

    Was ist ernst gemeint, was Greenwashing? Das ist oft schwer zu erkennen

    Wie ernsthaft solche Engagements sind, lässt sich von außen schwer beurteilen. Biertrinken für den Dschungel – ist das mehr als ein Marketinggag? Als die Krombacher Brauerei 2002 versprach, für jede verkaufte Flasche ein Stückchen Regenwald zu retten, wurde ihr Greenwashing vorgeworfen. Doch sie überarbeitete das Konzept, Beobachter bescheinigten Krombacher später Erfolge im Klima- und Artenschutz. Dem Image der Marke dürfte die Aktion jedenfalls geholfen haben.

    Im Image sieht Beraterin Fischer denn auch einen wichtigen Treiber für das Artenschutzengagement: „Kunden erwarten zunehmend, dass Unternehmen Verantwortung übernehmen und einen positiven Mehrwert für Umwelt und Klima schaffen.“ Wer das nicht erfülle oder sogar durch Umweltsünden auffalle, dem drohten Umsatzverluste.

    Glücksfaktor Biodiversität

    Studie

    Eine hohe biologische Vielfalt ist für die Lebenszufriedenheit genauso wichtig wie das Einkommen. Das zeigt eine Untersuchung der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Universität Kiel, die 2020 in „Ecological Economics“ erschienen ist.

    Ergebnis

    Die Forschenden fanden heraus, dass die individuelle Lebenszufriedenheit mit der Vielfalt der Vogelarten im näheren Umfeld korreliert: Zehn Prozent mehr Vogelarten im Umfeld steigern die Lebenszufriedenheit der Europäer demnach mindestens genauso stark wie ein vergleichbarer Einkommenszuwachs.

    Artenschutz wirke aber nicht nur nach außen, sondern auch in Unternehmen hinein, sagt Klement Tockner, Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung. Toptalente heuerten bevorzugt dort an, wo sie sinnstiftend arbeiten können. „Das ist vielen sogar wichtiger als das Gehalt“, sagt Tockner. Artenschutz bietet dafür einen guten Ansatz. Einer Studie von Senckenberg-Forschenden zufolge macht biologische Vielfalt nämlich glücklich: Zehn Prozent mehr Vogelarten im Umfeld steigern die Lebenszufriedenheit demnach ähnlich wie zehn Prozent mehr Einkommen.

    Artenschutz zahlt sich für Unternehmen aus – wenn auch meist nur indirekt

    Image, Arbeitgebermarke, Glück: In solchen weichen Faktoren zahlt sich Artenschutz aus. Aber in harter Münze? Was hat ein Unternehmen davon, wenn es zugunsten von Fledermaus und Feldhamster auf Geschäfte verzichtet oder aktiv in den Artenschutz investiert?

    „Das Firmenkonto wächst davon in der Regel jedenfalls nicht“, räumt Kai Niebert ein. Er ist Präsident des Deutschen Naturschutzrings (DNR), der als Dachverband gut 100 Organisationen wie WWF, Nabu und Germanwatch vertritt. Niebert wählt einen indirekten Weg, um den Wert der Artenvielfalt zu veranschaulichen: Er vergleicht sie mit dem Spiel Jenga, bei dem man Klötzchen aus einem Holzturm zieht und hofft, dass er nicht kollabiert. „Das geht so lang gut, bis man das falsche Klötzchen erwischt. Genauso ist es mit der Artenvielfalt. Wir wissen nicht, welchen Wert einzelne Arten haben, aber wenn wir eine zu viel ausrotten, brechen ganze Ökosysteme zusammen“, sagt Niebert, der in der „Allianz für Transformation“ auch den Bundeskanzler berät.

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    Der Schutz der Biodiversität muss elementarer Bestandteil jeder Unternehmensstrategie sein

    Klement Tockner, Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung

    Für Senckenberg-Direktor Tockner ergibt sich aus dieser Unsicherheit geradezu eine Pflicht zu besonderer Sorgfalt und Vorsorge. Schließlich könne niemand sagen, was genau der Verlust von 20 oder 50 Prozent aller Arten für die Menschheit bedeute. Die Auswirkungen könnten dramatisch sein. „Der Schutz der Biodiversität muss deshalb elementarer Bestandteil jeder Unternehmensstrategie sein“, fordert Tockner.

    Ökologen sehen die Politik in der Pflicht, für den Rahmen zu sorgen. Doch während es ihr beim Klima gelungen ist, außerhalb des Markts liegende Faktoren über den CO2-Zertifikatehandel zu integrieren, fehlt ein ähnliches Modell für den Artenschutz. Zertifikate, die es Firmen erlaubten, Arten zu vernichten, sind schließlich ausgeschlossen. Was einmal verloren ist, kommt nie mehr zurück.

    Das Tüpfelsumpfhuhn ist rar geworden in Deutschland. Bundesweit existieren nur noch 900 bis 1400 Brutpaare, schätzt der NABU.

    Das Tüpfelsumpfhuhn bekommt man nur selten zu Gesicht. Nicht nur, weil es so scheu ist, sondern weil davon in Deutschland nur noch etwa 900 bis 1400 Brutpaare existieren. Immerhin gilt der Bestand als stabil.

    Zumindest für ein Teilsystem, das als wesentliche Ursache des Artenverlusts gilt, gibt es aber Ideen: die industrielle Landwirtschaft. In der noch von Angela Merkel eingesetzten „Zukunftskommission Landwirtschaft“ habe er beobachtet, dass Agrarbetriebe durchaus an Naturschutz interessiert seien, wenn es denn marktwirtschaftliche Lösungen gäbe, sagt DNR-Präsident Niebert. Ein Instrument dazu wäre etwa eine Stickstoffüberschussabgabe: Wer mehr Dünger ausbringt, als die Natur verträgt, leistet eine Zahlung. Artenfreundlich wirtschaftende Betriebe würden so bessergestellt.

    Es wäre ein Konjunkturprogramm für Kammmolch und Knoblauchkröte – und für die Menschheit gleich mit.

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