Biodiversitätsexpertin Frauke Fischer

  • Search10.07.2023

„Man kann nicht einfach neue Bäume pflanzen“

Firmen wirtschaften oft auf Kosten der Natur. Frauke Fischer will das ändern. Im Interview erklärt die Beraterin, wie Umweltschutz für Unternehmen zum Gewinnbringer wird.

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    Die Biologin Frauke Fischer hat 2003 Deutschlands erste Unternehmensberatung mit dem Schwerpunkt Biodiversität gegründet. Sie arbeitet für Branchen wie die Bauindustrie, den Finanzsektor und die Landwirtschaft; zu ihren Kunden zählen unter anderem Hessnatur, Krombacher und der VfL Wolfsburg. Ihr Wissen teilt Fischer auch als Autorin („Was hat die Mücke je für uns getan?“) und Vortragsrednerin. Im Interview mit EnergieWinde erklärt sie, warum es sich für Unternehmen auszahlt, die Natur zu schützen.

    Frau Fischer, wir erleben ein dramatisches Artensterben, nicht zuletzt, weil wir auf Kosten der Natur wirtschaften. Sie sehen Unternehmen als Teil der Lösung, um diese Krise abzuwenden. Warum?
    Frauke Fischer: Es gibt fünf Treiber für den Verlust von Biodiversität: Klimawandel, Landwirtschaft, invasive Arten, Übernutzung und Eintrag von Umweltgiften. Die meisten Unternehmen haben Einfluss auf zumindest einzelne dieser Faktoren. Sie haben den längeren Hebel als Einzelpersonen, zum Beispiel, indem sie keine Produkte mehr anbieten, durch die ein Wald zerstört wurde. Zudem können sie schneller als die Politik handeln.

    Die Politik handelt doch auch: Gerade tritt eine EU-Verordnung zu „entwaldungsfreien“ Lieferketten in Kraft. Soja, Ölpalmen oder Kaffee dürfen nicht mehr auf Flächen angebaut werden, für die ein Wald niedergemäht wurde.
    Fischer: Diese Änderung ist wichtig. Kürzlich wurden Zahlen veröffentlicht, denen zufolge die Abholzung von Regenwäldern um zehn Prozent gestiegen ist. Das bedroht unsere Lebensgrundlagen. Die Umstellung von Unternehmen mag schwierig sein, sie ist aber von zentraler Bedeutung.

    Bisher schien es nicht so, als seien sonderlich viele Unternehmen daran interessiert.
    Fischer: Das ändert sich zum Glück: Wir beraten zum Beispiel Weltkonzerne, deren Aktionäre immer nachdrücklicher den Schutz der Natur einfordern. Wir hatten aber auch ein Familienunternehmen, dessen Besitzerin gesagt hat: „Ich heiße wie mein Produkt. Ich möchte nicht, dass mein Name in den Dreck gezogen wird.“

    Geht es beim Schutz der Natur also vor allem ums Image?
    Fischer: Es geht um drei Dinge: Zunächst geht es um das Image. Früher musste man einen Brief schreiben oder anrufen, wenn man sich über ein Unternehmen beschweren wollte. Heute können Firmen die Kommunikation durch die sozialen Medien kaum noch beherrschen. Um dieses Risiko einzuschränken, sollten sie möglichst wenig falsch machen.
    Zweitens müssen die Firmen gesetzliche Vorgaben einhalten. Durch ein gemeinsames Abkommen im letzten Winter etwa  haben sich Länder auf der ganzen Welt verpflichtet, 30 Prozent ihrer Land- und Meeresfläche zu schützen. Das wird sich auch auf die Unternehmen auswirken.
    Drittens gibt es eine sogenannte „doppelte Materialität“: Unternehmen greifen einerseits durch Ressourcen- und Flächenverbrauch in die Umwelt ein. So sind zum Beispiel in vielen Computern oder Handys Rohstoffe wie Kobalt oder Coltan verbaut, wofür Natur zerstört wird. Anderseits sind die Firmen aber auch fundamental abhängig von der Natur.

    Die Infografik zeigt den Anteil der von natürlichen Ressourcen abhängigen direkten Bruttowertschöpfung nach Branchen. Infografik: Andreas Mohrmann

    Worüber müssen Sie Unternehmen aufklären, bevor sie mit der Arbeit beginnen?
    Fischer: Viele Unternehmen gehen zunächst davon aus, dass man das meiste wiedergutmachen oder reparieren kann. Aber wenn man zum Beispiel einen Urwald zerstört, kann man nicht einfach neue Bäume pflanzen. Die Vielfalt der Flora und Fauna, die sich über Jahrmillionen aufgebaut hat, wäre für immer verloren. Diesen Zusammenhang versuchen wir, begreifbar zu machen. Zudem müssen die Firmen genau wissen, wie sich ihre Praktiken auswirken. So etwas wie eine massive Umweltzerstörung durch Palmöl ist den meisten Firmen schon bewusst. Manches ist aber diffuser.

    Zum Beispiel?
    Fischer: Da gibt es etwa Balsaholz, das häufig in den Rotorblättern von Windrädern verbaut ist. Dafür wurde in Ecuador flächenweise Regenwald abgeholzt, um Monokulturen von dem entsprechenden Laubbaum anzubauen. Unternehmen denken häufig, sie haben eine gute Lösung gefunden, indem sie einen natürlichen Rohstoff verwenden. Aber diese Problemlösung hat dann negative Effekte auf Biodiversität und Ökosystemleistungen. Statt übrigens Balsaholz zu verwenden, bei dem Wald zerstört wurde, könnten Firmen auch auf nachhaltig angebautes Holz oder auf Recycling statt auf Neunutzung setzen.

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    Es gibt eine Flut an wissenschaftlichen Publikationen, wie man den Wert eines Ökosystems in Zahlen messen kann

    Frauke Fischer

    Unternehmen müssen Gewinne erwirtschaften. Aber zahlt sich Umweltschutz wirklich in barer Münze aus oder ist es nicht vielmehr ein Kostenfaktor? Und kann man einem Unternehmen umgekehrt konkret vorrechnen, wie es durch Umweltzerstörung das eigene Geschäft belastet?
    Fischer: Es gibt eine Flut an wissenschaftlichen Publikationen, wie man den Wert eines Ökosystems in Zahlen messen kann. Aber bisher durften wir die meisten dieser Werte sozusagen kostenlos zerstören. Nehmen wir mal einen Waldbesitzer in Deutschland: Wenn er die Bäume stehen lässt, schützt das ja prinzipiell die Natur. Jetzt könnte man errechnen, was dieser Schutz bedeutet – wie viel an Luft oder Wasser der Wald reinigt, welchen Erholungswert er bietet oder wie viele Tiere er beherbergt. Man käme auf einen gigantischen Wert. Doch der ist nur theoretisch.

    Auf der anderen Seite könnte der Besitzer die Bäume fällen und damit Geld verdienen.
    Fischer: Genau, das lohnt sich in anderen Ländern allerdings mehr als bei uns: Forschende haben errechnet, dass ein Hektar Wald in Peru etwa 60.000 Euro wert sein müsste. Das ist viel mehr als in Deutschland. Wir als reiches Land könnten anbieten, dass die Bevölkerung oder eben Unternehmen in Peru für den Schutz von diesem wertvollen Wald bezahlt werden. Niemand müsste ihn abholzen. Wir sind es aber gewohnt, dass Klima- und Naturschutz kostenlos sind.

    Wie kann man mehr Firmen dazu motivieren?
    Fischer: Es braucht noch viel mehr Innovationen. Beim Klimaschutz gibt es zum Beispiel CO2-Zertifikate. Wer die Luft mit Treibhausgasen belastet, zahlt dafür. Wer seine Produktion nachhaltig umbaut und so die Emissionen senkt, zahlt weniger. Bisher gibt es nur erste Pilotprojekte für Biodiversitätszertifikate. Die müsste man weiterentwickeln. Dabei muss es aber darum gehen, mehr von der Natur zu schützen. Es darf sich nicht rechnen, dass man etwa die Zerstörung eines Korallenriffs durch das Pflanzen von Bäumen kompensiert.

    Und was sollten die Firmen selbst tun?
    Fischer: Neue Geschäftsfelder erschließen. Sie könnten etwa ein Gebiet schützen, in dem Orang-Utans, Tiger oder andere Tiere leben. Dann könnten sie Investoren finden, die für diese Arbeit Geld zahlen. Für diese könnte es sich positiv auf ihr Image auswirken oder dazu führen, dass sie Kooperationen festigen.

    Wer müsste all diese Entwicklungen vorantreiben? Die Politik?
    Fischer: Ich weiß es nicht. Aber viele schimpfen über die Wirtschaft. Vielleicht sollte man die Wirtschaft mal machen lassen. Indem wir perverse Subventionen wie bei der konventionellen Landwirtschaft oder dem Fischfang abschaffen und nur noch das subventionieren, was sinnvoll ist. Dann würden die darunter leiden, die es falsch machen. Ideal wären Produkte, die am Ende alle Umwelt- und Sozialkosten widerspiegeln. Dann würde eine Schokolade, die heute 60 Cent kostet, in Zukunft 60 Euro kosten. Die würde relativ schnell vom Markt verschwinden. Vielleicht ist das ein bisschen Träumerei, aber in die Richtung wird es hoffentlich gehen. Denn solche Sachen wie Hitze, Sandstürme, Erosion, Erdrutsche – das hängt alles mit der Zerstörung der Natur zusammen. Viele Unternehmen, die wir beraten, warten nicht mehr auf die Politik. Wir alle sollten zugunsten der Natur handeln. Egal, was jetzt erlaubt, verboten oder wie es geregelt ist.

    Die Fragen stellte Lisbeth Schröder.

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