Mittelstand und Emissionshandel

  • Search14.05.2021

Warum der Ziegel ein CO2-Zertifikat braucht

Was in Konzernen ganze Abteilungen beschäftigt, muss im Mittelstand oft nebenbei laufen: der Kauf von Zertifikaten zum Ausstoß von CO2. Das ist viel Arbeit, wie das Beispiel einer Münchner Ziegelfabrik zeigt. Trotzdem zahlt sich der Aufwand nicht nur für das Klima aus.

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    Mit ihrem Windrad produziert die Ziegelfabrik Hörl & Hartmann vor den Toren Münchens fast so viel Ökostrom, wie sie verbraucht. Am Kauf von CO2-Zertifikaten kommt das mittelständische Familienunternehmen dennoch nicht vorbei.

     

    Von Julia Graven

    Von der kleinen Anhöhe mit Blick auf die weite Münchner Schotterebene wirkt die Großstadt ganz nah. Viele ihrer Gebäude wurden mit Ziegeln aus dem Werk der Firma Hörl & Hartmann in Pellheim im Münchner Norden gebaut. Von seinem Büro aus sieht Geschäftsführer Matthias Hörl über eine schlammig-gelbe Fahrpiste mächtige Laster mit Lehm heranrumpeln. Der Ziegelgrundstoff wird aus einer Grube gleich nebenan gebaggert.

    Das Familienunternehmen brennt in der Gegend seit 125 Jahren Ziegel, so wie knapp 80 weitere kleine und mittelständische Hersteller in ganz Deutschland. Sie stellen aus heimischen Rohstoffen ein Naturprodukt her, mit dem seit Jahrtausenden Häuser gebaut werden. Weil aber im Brennofen, der mit bis zu 1000 Grad rund um die Uhr an sieben Tage die Woche läuft, viel CO2 freigesetzt wird, meldete sich das Umweltbundesamt bei dem Unternehmen: Wer das Klima mit Emissionen belastet, müsse künftig dafür bezahlen.

    Klimasünden werden teuer – das motiviert zum klimafreundlichen Wirtschaften

    Seit dem 1. Januar 2005 ist die Ziegelei Teil des europäischen Emissionshandels ETS. Es ist das größte Handelssystem dieser Art auf der Welt und soll Unternehmen in besonders CO2-intensiven Branchen mit marktwirtschaftlichen Mechanismen motivieren, ihren Ausstoß zu senken. Es gilt in allen EU-Mitgliedsländern sowie in Island, Liechtenstein und Norwegen. Betroffen sind unter anderen Raffinerien, Zementwerke, Papierhersteller oder eben Ziegeleien. Sie alle dürfen nur noch die Emissionen ausstoßen, für die sie handelbare CO2-Zertifikate besitzen, gemeinhin als Verschmutzungsrechte bekannt. Wenn Klimasünden Geld kosten, investiert die Wirtschaft in Klimaschutz: Das ist die Idee des Emissionshandels

    Noch erhalten Industriebetriebe einen Teil dieser Zertifikate kostenlos, damit sie international wettbewerbsfähig bleiben und die Produktion nicht in Länder mit niedrigeren Umwelt- und Klimaauflagen verlagern. Wer im Vorjahr mehr Emissionen in die Luft geblasen hat, muss zusätzliche Zertifikate an der Europäischen Energiebörse nachkaufen oder sie ersteigern. Wer weniger verbraucht hat, kann die Zertifikate für zukünftige Emissionen zurücklegen oder an andere Unternehmen verkaufen.

    Matthias Hörl, Geschäftsführer der Ziegelfabrik Hörl & Hartmann, erläutert, was der Europäische Emissionshandel ETS für sein Unternehmen bedeutet.

    „Wir müssen im Grunde unsere ganze Produktion im Detail beschreiben und offenlegen“, sagt Geschäftsführer Matthias Hörl.

    Der Emissionshandel ist zu einem ganz eigenen Mikrokosmos geworden. Dazu gehören neben den gut 11.000 beteiligten Industrieunternehmen auch Prüfstellen, Zertifizierer, Börsen, Händler und mitunter sogar Hedgefonds, die in das Geschäft mit den Verschmutzungsrechten eingestiegen sind. Es ist eine Welt, in der eine mittelständische Ziegelei, die gewöhnlich mit Baufirmen oder Architekten zu tun hat, ein klarer Außenseiter ist.

    Trotzdem müssen sich Familienunternehmen wie Hörl & Hartmann in diesem Handel an Vorschriften halten, die für Stahlmultis, Energieriesen und Chemiekonzerne gemacht sind, bei denen ganze Abteilungen am Thema sitzen. So braucht zum Beispiel jede Anlage einen Überwachungsplan. Darin steht, wo die Messstellen sind, wie sie geeicht werden und wie die Stoffströme erfasst werden. „Wir müssen da im Grunde unsere ganze Produktion im Detail beschreiben und offenlegen“, erklärt Matthias Hörl, der im Ziegelwerk für Energie- und Umweltthemen zuständig ist. Weil sein Vater, sein Bruder und er das neben der Geschäftsführung nicht schaffen, bezahlen sie einen externen Fachmann, der den Plan für jede Handelsperiode neu ausarbeitet.

    Wie viel CO2 wird an welcher Stelle frei? Die Antwort füllt endlose Excel-Tabellen

    Dieser Berater erstellt auch jedes Jahr einen Emissionsbericht, der an die Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt) geht. In ihm wird genau ermittelt, welchen CO2-Ausstoß das Unternehmen hat. Dabei geht es ausschließlich um die Emissionen in der Produktion. Wie viel Diesel die Laster auf dem Weg zur Lehmgrube verbrauchen, spielt im Emissionsbericht keine Rolle. Auch ob der Strom aus Kohlekraft kommt, ist egal. Diese Emissionen werden schließlich schon bei der Herstellung von Diesel und Strom erfasst und dürfen nicht doppelt gezählt werden.

    Umso genauer geht es dafür im Emissionsbericht um die klimarelevanten Details der Ziegelproduktion. „Zwischen 15 und 20 Stoffströme von Erdgas und Papierfangstoff bis zum Ton müssen genau erfasst werden“, erklärt Matthias Hörl. Dafür bereitet die Buchhaltung alle Eingangsrechnungen und Wiegezettel für den Bericht auf. Da ist zum Beispiel der Papierfangstoff. Er sorgt für die Poren im Ziegel und wird mehrmals im Jahr auf seinen Gehalt an Kohlenstoff, Kalk und organischen Bestandteilen untersucht. Denn diese Stoffe setzen beim Verbrennen CO2 frei. Auch der Ton selbst enthält mehr oder weniger Kalk, Dolomit und andere organische Bestandteile, die beim Verbrennen CO2 emittieren. Deswegen werden auch Tonproben kontinuierlich im Labor analysiert. Alle diese Zahlen fließen in die seitenlangen Excel-Tabellen im Emissionsbericht ein.

    Wenn der Prüfer kommt, ist die Geschäftsführung ein bis zwei Tage geblockt

    Bevor der Bericht an die DEHSt geht, muss eine unabhängige Instanz prüfen, ob das Unternehmen sich nicht umweltfreundlicher gerechnet hat, als es ist. Einmal im Jahr kommt daher Daniel Frentzen nach Pellheim und checkt als sogenannter Verifizierer die Berechnungen. „Er schaut sich vor Ort die Rechnungen und Analytiken an und prüft, ob wir den Überwachungsplan einhalten“, erzählt Matthias Hörl. Das dauert ein bis zwei Tage, an denen in Buchhaltung und Geschäftsleitung wenig anderes läuft.

    „Es ist richtig, Emissionen zu erfassen und auch der Handel ergibt Sinn“, sagt der Chef. Aber der bürokratische Aufwand sei enorm. Daniel Frentzen hat Verständnis für die Klagen der kleineren Emittenten: „Eine einzelne Raffinerie stößt schon mal 1,5 Millionen Tonnen CO2 aus, so viel wie alle deutschen Ziegelwerke zusammen. Und das verursacht natürlich viel weniger Aufwand und Kosten als 80 einzelne Emissionsberichte, trotz der Erleichterungen, die es für sogenannte Kleinemittenten gibt.“

    Der CO2-Preis steigt – und mit ihm der Handlungsdruck für die Industrie

    Ökonomen sehen im Emissionshandel dennoch den effizientesten Weg, den Ausstoß von Treibhausgasen perspektivisch auf null zu bringen. Marktwirtschaft soll unser Klima retten, indem sie dreckige Technologie teuer und Investitionen in saubere Technologien lohnend macht. Grundsätzlich sind sich Experten einig, dass das System mit der immer weiter sinkenden Obergrenze für Emissionen funktioniert – auch wenn das in der Vergangenheit nicht immer so war.

    Aktuell steigt der Preis für Zertifikate an der Leipziger Energiebörse in immer neue Höhen; im Mai lag er erstmals bei mehr als 50 Euro. Bei der Emissionshandelsstelle ist man zufrieden, schließlich steht hinter der Verknappung ein politisches Ziel: Klimaneutralität. „Wir stellen niemandem genügend kostenlose Zertifikate zur Verfügung, damit er weitermachen kann wie bisher“, sagt Christoph Kühleis, Chefökonom der DEHSt. Wird ein Preis von 100 oder 120 Euro für eine Tonne CO2 dann tatsächlich die Umstellung auf klimaneutrale Ziegel erzwingen? Oder wird die Industrie irgendwann vor dem Aus stehen – so wie die Kohlebranche?

    CO2-Zertifikate so teuer wie nie: Der Preis zum Ausstoß einer Tonne CO2 ist auf 54,70 Euro geklettert. Infografik: Benedikt Grotjahn

    Damit die Industrie den Umstieg schaffen kann, sollen neben dem CO2-Preis Förderprogramme den Weg in die dekarbonisierte Zukunft ebnen. Die EU plant zum Beispiel einen neuen Innovationsfonds für CO2-neutrale Projekte. Doch die aufwendigen Anträge werden vermutlich eher etwas für Großkonzerne mit ganzen Abteilungen für solche Projekte sein.

    Auch die Bundesregierung will mit sogenannten Carbon Contracts for Difference (CCfD) Technologien fördern, die sich heute noch nicht rechnen. Der Staat gleicht dabei den Unterschied zwischen dem aktuellen CO2-Preis und dem Preis aus, den es bräuchte, damit sich eine teure klimaschonende Investition rentiert. Vertraglich garantierte CO2-Preise über einen bestimmten Zeitraum würden die Mehrkosten so wirtschaftlich absichern. Ein Pilotprogramm ist noch vor der Wahl geplant. Ob diese Förderung auch die kleinen Player im Emissionshandel erreicht, ist offen.

    Die Ziegelei arbeitet so energieeffizient wie nie zuvor: ein Verdienst des ETS

    Matthias Hörl würde es freuen. Sein Unternehmen hat in den vergangenen Jahren alle Standorte von Heizöl auf Erdgas umgestellt, Solaranlagen installiert und Millionen in neue Nachverbrennungsanlagen investiert. Seit 2016 dreht sich sogar ein firmeneigenes Windrad oberhalb von Hörls Büro. Die Produktion sei nach heutigem Stand maximal energieeffizient, sagt der Firmenchef. Das ist sicher auch ein Verdienst des Emissionshandels.

    Er würde liebend gern weitere Windräder bauen, sagt Hörl. Schließlich erhöht der steigende CO2-Preis den Druck. Doch das scheitere am Vogelschutz und der Gesetzeslage. Und selbst wenn er die Genehmigungen kriegen würde, bliebe ein Problem: Elektrische Öfen, die er mit dem Ökostrom betreiben könnte, sind noch nicht marktreif. Auch genügend grünen Wasserstoff oder Brenner, die mit Biogas befeuert werden, gibt es noch nicht. Das zeigt: Der Emissionshandel bringt Unternehmen durchaus auf den richtigen CO2-Sparkurs. Nur die Technologie ist nicht überall so weit, wie der politische Wille das gern hätte.

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