Windstrom hausgemacht: Der Stahlhersteller Salzgitter AG und das Energieunternehmen Avacon kooperieren beim Bau von Windrädern.
Industrie investiert in Ökostrom
- 25.09.2020
Windpark am Werkstor
Von Heimo Fischer
Von seinem Büro aus kann Olaf Reinecke den Fortschritt des Projekts genau beobachten. „Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich, wie sich die Windräder drehen“, sagt der Sprecher der Salzgitter AG. Rund um den Konzernsitz entwickelt der Stahlhersteller mit mehreren Partnern ein wichtiges Zukunftsprojekt. Sieben Windräder sollen Strom erzeugen, der später per Elektrolyse in Wasserstoff umgewandelt wird. Bei der Reduktion von Eisenerz wird das Gas Kohlenstoff ersetzen und damit eine CO2-arme Stahlproduktion ermöglichen. Möglicherweise werde das Unternehmen an anderen Standorten ebenfalls Windkraftanlagen errichten, sagt Reinecke.
Der Stahlhersteller steht damit stellvertretend für einen Trend, der sich immer stärker in der Industrie abzeichnet. Es gebe einen wachsenden Bedarf an erneuerbaren Energien, die aus eigenen Kraftwerken stammen oder vom Erzeuger direkt geliefert werden, bestätigt Frederick Keil vom Bundesverband Windenergie (BWE). Ähnlich schätzt der Windradbauer Enercon die Entwicklung ein. „Es besteht durchaus ein Interesse an der Versorgung mit Eigenstrom“, teilt das Unternehmen auf Anfrage von EnergieWinde mit.
Alle großen Stahlkonzerne suchen Wege, um den CO2-Ausstoß zu verringern
Die Salzgitter AG hat sich für das Projekt mit dem Energieunternehmen Avacon verbündet. Der Partner trägt den Großteil der Gesamtinvestition von 50 Millionen Euro und betreibt die Anlagen. Sieben Windräder wurden bislang errichtet. Drei von ihnen stehen direkt auf dem Gelände des Flachstahlwerks. Stromerzeugung in unmittelbarer Nähe von Hochofen und heißer Schlacke ist allerdings nicht die Regel. „Wir mussten deshalb sehr strenge Sicherheitsauflagen erfüllen“, sagt Avacon-Sprecher Ralph Montag. Derzeit laufen die vorgeschriebenen Tests und Abnahmen.
Genauso wie Salzgitter arbeiten alle großen Stahlkonzerne an Methoden, um ihre Produktion auf eine emissionsarme Arbeitsweise umzustellen. Allein in Deutschland werden pro Jahr rund 45 Millionen Tonnen Stahl erzeugt und dadurch Treibhausgase ausgestoßen, die 67 Millionen Tonnen CO2 entsprechen (Stand 2018). Bis zu 95 Prozent dieser Menge lassen sich durch die Direktreduktion mit grünem Wasserstoff einsparen. Windkraft spielt für die Deckung dieses Energiebedarfs eine wichtige Rolle.
Der Bedarf ist gewaltig – zu groß für Windparks in der Nachbarschaft
Ein paar Windkraftanlagen mehr werden dafür allerdings nicht reichen. Der Hersteller ArcelorMittal geht davon aus, dass sich allein für die Stahlindustrie in Deutschland 7000 Windräder mit je fünf Megawatt Leistung drehen müssten, um eine Direktreduktion mit grünem Wasserstoff branchenweit zu betreiben.
Die Bundesregierung geht von einem deutlich niedrigeren Stromverbrauch im Jahr 2030 aus als der Bundesverband Erneuerbarer Energien (BBE).
In einem Walzstahlwerk im Hamburger Hafen investiert ArcelorMittal derzeit 110 Millionen Euro für eine Demonstrationsanlage, um Stahl mit Wasserstoff herzustellen. Um sie zu speisen, wären Windräder mit zusammen 1000 Megawatt Leistung nötig. „Die könnten wir hier natürlich nicht unterbringen“, sagt Arne Langner, Sprecher von ArcelorMittal. Auf dem Werksgelände drehen sich lediglich drei Windräder des Versorgers Hamburg Energie, die Strom ins Netz einspeisen und eher eine symbolische Bedeutung haben. Das gilt auch für den Aluminiumhersteller Trimet, der einen Kilometer Luftlinie entfernt ebenfalls eine Windkraftanlage auf dem Werksgelände stehen hat.
Rechtliche Hürden stehen der Eigenversorgung mit Ökostrom im Weg
Selbst wenn Windkraftanlagen auf dem Werksgelände stehen, muss der Strom den Umweg über das öffentliche Netz nehmen. Das gilt erst recht, wenn die Elektrizität aus einem entfernten Windpark stammt. Manches Unternehmen würde diesen Strom gern direkt nutzen, was aber meist scheitert. „Rechtlich gesehen werden diesem Wunsch Steine in den Weg gelegt, da Direktleitungen von Kraftwerken zu Betrieben strikten gesetzlichen Regelungen unterliegen“, sagt BWE-Sprecher Keil. So dürften die Kraftwerke im Durchschnitt höchstens fünf bis zehn Kilometer vom Betrieb entfernt sein und die Direktleitungen keine andere Infrastruktur schneiden. Eine Stromtrasse dürfe weder über noch unter einem Fahrradweg oder einer Straße verlaufen, selbst wenn eine Behinderung ausgeschlossen sei.
Seit 2014 produziert Volkswagen in seinem Werk in Emden nicht nur Autos, sondern auch Strom aus eigenen Windrädern.
Zu den Unternehmen, die diese Herausforderung gemeistert haben, gehört Volkswagen. Im küstennahen Werk Emden drehen sich seit Jahren vier Windturbinen mit jeweils drei Megawatt Leistung. Der Strom fließt über eine Direktleitung in die Produktion. Geplant war, dass die Windkraftanlagen rund ein Fünftel der dort benötigten Energie liefern.
Jetzt hat VW am Werk der Tochter MAN in Salzgitter nachgelegt und dort ebenfalls vier neue Windkraftanlagen gebaut. Sie haben eine Gesamtleistung von 12,8 Megawatt und sollen Berichten zufolge 90 Prozent des Strombedarfs im MAN-Werk Salzgitter decken.
Eine verlässliche Versorgung mit Ökostrom ist vor allem für energieintensive Unternehmen interessant. Dazu gehören Hersteller von Kupfer wie der deutsche Konzern Aurubis. An seinem belgischen Standort in Olen arbeiten vier 200 Meter hohe Windräder, die das Unternehmen gemeinsam mit Partnern aus der Industrie errichtet hat. Sie liefern 28 Millionen Kilowattstunden Strom, was rechnerisch für 8000 Haushalte reicht. Die Energie fließt in die Produktion von Aurubis und die des Projektpartners Umicore an dem belgischen Standort.
Power Purchase Agreements bringen Stromerzeuger und Industrie zusammen
Da in der energieintensiven Industrie extrem hohe Mengen an grünem Strom nötig sein werden, um die Klimaziele zu erfüllen, lassen sich Unternehmen durch Erzeuger exklusiv mit erneuerbarem Strom beliefern, der manchmal von weit her kommt – zum Beispiel aus der Nordsee. Eine Möglichkeit dafür bietet das sogenannte Power Purchase Agreement (PPA).
Im Rahmen eines Liefervertrags für grünen Strom erhalten Industriekunden zum Beispiel von Offshore-Windparkbetreibern über einen bestimmten Zeitraum hinweg eine feste Menge von grünem Strom zum vereinbarten Preis. Beide Seiten können auf diese Weise mit stabilen Preisen für Grünstrom kalkulieren, ohne den Schwankungen des Markts ausgesetzt zu sein. Der Strom wird jedoch nicht direkt und physisch geliefert. Stattdessen findet ein bilanzieller Ausgleich über das öffentliche Netz statt.
Mit solchen Verträgen können Industrieunternehmen einen wesentlichen Teil ihres Verbrauchs decken. Dem Erzeuger wiederum helfen die durch den Festpreis planbaren Einnahmen bei der sicheren Finanzierung seines Windparks. Das Modell dürfte sich angesichts des steigenden Strombedarfs der Industrie künftig weiter verbreiten.